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Linzer Gemeinderat gedachte der Opfer des NS-Regimes

  • Mittwoch, 13. März 2013 @ 20:00
Linz Die Stadt Linz wurde am 12. und 13. März 1938 zum zentralen Schauplatz der nationalsozialistischen Machtergreifung. Adolf Hitler sprach hier vom Balkon des Alten Rathauses herab zu einer entfesselten Menschenmenge und vollzog hier den „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich. Sofort setzte die Verfolgung von Jüdinnen und Juden sowie der anderen vom NS-Staat als GegnerInnen definierten Minderheiten ein. Bereits in den allerersten Stunden der NS-Herrschaft wurden RegimegegnerInnen verhaftet und ermordet.

Bei einer von einem Streichquartett der städtischen Musikschule musikalisch umrahmten Gedenksitzung gedachte der Linzer Gemeinderat am 13. März 2013 bei einer Sondersitzung den Ereignissen während des so genannten Anschlusses im März 1938. Bürgermeister Franz Dobusch (SPÖ) begrüßte dazu aktive und ehemalige Gemeinderäte und Stadtsenatsmitglieder, Ehrenbürger, Ehrenringträger und Obmänner von Opferverbänden.

In seiner Rede wies das Stadtoberhaupt auf den Umstand hin, dass gerade die Stadt Linz in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten sehr viel getan hat, um die Zeit des Nationalsozialismus sehr offen und schonungslos aufzuarbeiten. Er sei überzeugt, dass es wichtig und sinnvoll sei, die Geschichte des Nationalsozialismus – allein schon für jüngere Generationen – immer wieder neu zu erzählen, so Dobusch. Am Beispiel des Nationalsozialismus werde deutlich, wie eine hochzivilisierte und kulturell hochentwickelte Gesellschaft – durch Menschen verachtende Propaganda und Manipulation – menschliche Werte und Positionen vergisst und korrumpiert wird. Nach Dobusch gingen die VertreterInnen der sechs Gemeinderatsparteien aus ihrer jeweiligen Sicht auf die Ereignisse von 1938 ein.

Die Stellungnahmen der Gemeinderatsparteien

SPÖ-Fraktionschef VBgm. Klaus Luger sprach sich bezugnehmend auf den dem „Anschluss“ vorangegangenen Austrofaschismus gegen eine Leitkultur aus und betonte die Gesellschaft der Vielfalt. Die heutige Ausländerfeindlichkeit ortete er als Nachfolge des damaligen Antisemitismus. Er sprach sich gegen Ausgrenzung und Verunglimpfung von Religionen aus und plädierte für eine Konsensdemokratie als Ausgleich. Die Schmähung des Parlamentarismus bezeichnete er als Saat für autoritäre Strukturen.

ÖVP-Klubchef Bernhard Baier nahm die Gnade der späten Geburt in Anspruch, erinnerte an die Opfer und meinte, dass viel Schuld von Österreichern erst sehr spät aufgearbeitet wurde. Österreich bezeichnete er als Opfer, nachdem Irrwege gescheitert waren. Den aktiven Widerstand bezeichnete er als Vorbild für heute und meinte, dass auch damals andere Wege möglich waren. Baier nahm auch Bezug auf die Moskauer Deklaration mit der Forderung nach einem eigenen Beitrag zur Befreiung. Er würdigte Gewissen und Tapferkeit, was damals mit Todesgefahr verbunden war. Weiters meinte er, dass Linz mit Straßenbenennungen, Mahnmalen und Gedenkorten den Widerstand gewürdigt hat und nannte stellvertretend Bernardis, Jägerstätter und Bernaschek. Baier schloss seine Ansprache mit einem Zitat des kommunistischen Widerstandskämpfers Richard Zach.

FPÖ-Klubobmann Sebastian Ortner sprach von einem Jubel zu Beginn und einer Orgie der Gewalt am Ende und meinte, man müsse sich der Vergangenheit stellen. Die Gefahr der Wiederholung sei schwer rechtzeitig zu erkennen, weil es sich um eine komplexe Materie handle, die von der Wissenschaft aufzuarbeiten sei. Es gelte größere Zusammenhänge zu sehen, der „Anschluss“ sei nicht über Nacht gekommen. Ortner nahm Bezug auf den seit Mitte des 19. Jahrhunderts im habsburgischen Völkerkerker wachsenden Nationalismus und meinte, dass alle drei großen politischen Lager im alten Österreich deutschnational waren, was sich 1918 in der Anschlussbewegung äußerte. Die 1. Republik war ein Staat den keiner wollte, die autoritäre Tendenz mit bewaffneten Parteiformationen bestimmend führte zur Ausschaltung des Parlaments und es sei leicht gewesen ein autoritäres System durch ein noch autoritäreres System zu ersetzen. Ortner sprach weiters die aktuelle Verunsicherung und die Rolle der EU an und meinte, man sei den Opfern auch Versöhnung schuldig.

Für die Grünen zitierte Gemeinderätin Marie-Edwige Hartig eingangs Brechts „Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht“ und meinte, dass Linz wie keine andere Stadt vom NS-Regime geprägt worden ist. Die Stimmung in Linz war für Hitler maßgeblich um den sofortigen „Anschluss“ zu verkünden, wogegen nur Mexiko protestierte. Hartig betonte die Aufarbeitung der Geschichte und verwies auf den aktuellen Rassismus in Linz. Die Erklärung der Menschenrechte müsse Grundkonsens sein, es gelte gegen jede Form des Extremismus aufzutreten. „Nie wieder“ dürfe nicht nur ein Schlagwort sein. Es gelte die Demokratie zu verteidigen, allen Menschen stehe das Recht auf Freiheit und Sicherheit zu, so Hartig.

Für die KPÖ verwies Gemeinderätin Gerlinde Grünn mit Zitaten von Carl Zuckmayer darauf, dass 1938 nicht alle dem „Anschluss“-Jubel verfallen waren, sondern es auch Widerstand gab. Sie würdigte den Anteil der KPÖ am Widerstand und dass diese die Forderung des Moskauer Deklaration ernst genommen hatte. Namentlich wies sie auf die wegen ihres Widerstandes verfolgten und inhaftierten ehemaligen Gemeinderäte Franz Haider, Rudolf Haunschmid und Franz Kain, den in Mauthausen ermordeten KPÖ-Landesobmann Sepp Teufl und die Widerstandskämpferin Gisela Tschofenig-Taurer hin. Bezugnehmend auf die Gegenwart kritisierte Grünn den laschen Umgang mit rechtsextremen Aktivitäten und meinte, dass Linz zwar die NS-Ära wissenschaftlich gut aufgearbeitet hat, sich im Alltag aber immer noch schwer mit „braunen Flecken“ tut.

Der ehemalige BZÖ-Mandatar Reinhard Reiman wandte sich gegen Gleichgültigkeit und Abgestumpftheit, die in sinkender Wahlbeteiligung und Politikverdrossenheit ihren Ausdruck findet. Er meinte, dass man 1945 an die Zukunft geglaubt habe, heute in einer völlig veränderten Welt aber das Vertrauen in die Politik schwindet und wenig Glaubwürdigkeit der Politiker, dafür aber immer noch Führerdenken vorhanden und die Ablehnung von ethnischen Minderheiten und Randgruppen gerade in Österreich sehr stark sei. Er sprach sich abschließend gleichermaßen gegen Rechts- und Linksextremismus aus.

1938 aus der Sicht der Zeitgeschichte

Im Anschluss daran ging die Historikerin Brigitte Kepplinger von der Johannes-Kepler-Universität Linz in einem zeitgeschichtlichen Vortrag auf die Ereignisse von 1938 ein. Sie sprach bezugnehmend auf den gelebten Pluralismus der sechs FraktionssprecherInnen von verschiedenen Deutungen des „Anschlusses“ und betonte, dass die Anschlussbewegung seit der Habsburger-Monarchie vorhanden war. Bis 1988 habe durchwegs die Opferthese gegolten, die Waldheim-Debatte habe eine Neuorientierung und die Fokussierung der Zeitgeschichte auf die NS-Ära erzwungen.

Schon ab 1933 war das Ziel Hitlers die Einigung aller Deutschen, wobei Österreich als Hitlers Herkunftsland und auch wegen seiner strategischen Lage besondere Bedeutung hatte. Die Nazis setzten auf die Destabilisierung des politischen Systems, die in Österreich schon 1933 mit der Ausschaltung des Parlaments begonnen hatte und mit der Ausschaltung der Opposition 1934 fortgesetzt wurde. Der Austrofaschismus hatte aber nur geringen Rückhalt in der Bevölkerung, während illegale Nazis ab 1936 verstärkt in den Staatsapparat einsickern konnten und auch der Rückhalt durch Italien verloren ging. Maßgeblich waren letztlich auch ökonomische Motive weil das Deutsche Reich durch die Aufrüstung wirtschaftlich in eine Krise kam und Österreich durch Rohstoffe, Energie, Arbeitskräfte und Goldreserven attraktiv war.

Schon mit dem Diktat von Berchtesgaden war Österreich faktisch zum Anhängsel von Deutschland geworden, Hitler hatte die Amnestie für illegale Nazis und die Ernennung von Seyss-Inquart zum Innenminister durchgesetzt. Es folgte eine Offensive der Nazis in Graz, der Schuschnigg mit der Volksbefragung entgegentreten wollte und die wiederum Hitler Anlass für das Eingreifen war.

Hitlers Rede am 12. März in Linz folgte am Tag darauf der formelle „Anschluss“, verbunden mit wilden Arisierungen, vor allem in Wien. Die Volksabstimmung am 10. April war durch eine enorme Propagandawalze geprägt und brachte mit Versprechungen für Wohnungen, Arbeit und Volksgemeinschaft die erwünschte Zustimmung, so Kepplinger. Das offizielle Österreich leistete keinen Widerstand gegen den „Anschluss“ weil der Ständestaat faktisch paralysiert und zudem von Nazis unterwandert war. Der Terror war jedoch nur ein Aspekt der NS-Herrschaft, wesentlicher war die Hegemonie mit ideologischen Projektionsflächen. Kepplinger nannte dazu neben der Anschlussbewegung den Antisemitismus, den Antiparlamentarismus und die Volksgemeinschaft.

Als einen ausgesprochenen Exponenten des Antisemitismus nannte sie Kunschak, der sich gleichzeitig antikapitalistisch und antisozialistisch vor allem gegen die „verjudete“ Sozialdemokratie wandte. Der Hirtenbrief Gföllners von 1933 erklärte zwar die Zugehörigkeit von Katholiken zur NSDAP als unvereinbar, wandte sich aber gleichzeitig gegen ein „enthemmtes Judentum“.

Nach dem 1. Weltkrieg wurde die parlamentarische Demokratie zwar faktisch Standard in Europa, es gab dagegen jedoch eine Fundamentalopposition der Rechten, die ihn als schwach, ineffektiv und dem Parteiengezänk ausgeliefert sahen und eine „konservative Revolution“ forderten. Die Sozialdemokratie verstand den Parlamentarismus nur als Übergang zum Sozialismus, die KPÖ lehnte ihn als Klassenherrschaft ab, so Kepplinger.

Die Volksgemeinschaft war untrennbar mit der Lösung der Judenfrage verbunden, galt demnach nur für deutsche. Ab 1933 galt faktisch eine Apartheidgesellschaft in Deutschland, Juden wurden als Bürger zweiter Klasse behandelt, was seine Fortsetzung im Holocaust fand. Volksgenossen galten als besser und überlegen, daher wurden auch als minderwertig geltende Menschen durch Programme zur Erbgesundheit und Eugenik verfolgt und in Einrichtungen wie Hartheim ermordet, was als Vorspiel für die Judenvernichtung galt. Die Volksgemeinschaft sollte auch Konflikte überwinden und abweichendes Verhalten sanktionieren, Verhaltensmuster die laut Kepplinger teilweise bis heute wirken.

Als Schlussfolgerungen aus den Ereignissen von 1938 nannte Kepplinger, dass formale Demokratie durch soziale Sicherheit ergänzt werden muss, was im deutschen Grundgesetz im Unterschied zur österreichischen Verfassung sogar ausdrücklich verankert ist. Der Abbau sozialer Sicherheit gefährde die parlamentarische Demokratie, die gängige Politiker- und Parteienschelte und das Schüren von Misstrauen in den Parlamentarismus sei daher bedenklich, so Kepplinger abschließend.

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