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"Wer jung bleiben will, muss links bleiben"

  • Freitag, 30. August 2013 @ 08:00
Wahlen Kommunist gegen Kapitalist: KPÖ-Chef Mirko Messner streitet mit Nationalbank-Chef Claus Raidl über versagende Märkte und ewige Moskau-Treue

STANDARD: Es heißt, wer als junger Mensch nicht links ist, hat kein Herz. Nach dieser Logik: Hatten Sie jemals ein Herz, Herr Raidl?

Raidl: Durchaus. Als Sohn eines Arbeitnehmers war ich in meiner Jugend staatsgläubig: Der Staat müsse für Gleichheit intervenieren, über seine eigenen Betriebe für höhere Löhne und Mitbestimmung sorgen. Doch die Umstände – siehe die Pleite der verstaatlichten Industrie – haben gezeigt, dass diese Ideen nicht funktionieren. Der Staat ist nicht gescheiter als der Markt, denn wer sind denn seine Repräsentanten? Politiker, die – legitimerweise – nur eines im Kopf haben: Ihre Wiederwahl. Die rationalsten Entscheidungen, wie Produktionsmittel eingesetzt werden, trifft der Markt.

STANDARD: Der Markt hat doch gerade kolossal versagt – siehe Krise.

Raidl: Ja, aber nur deshalb, weil Regeln gefehlt haben, wie sie eine soziale Marktwirtschaft braucht – im konkreten Fall eine Regulierung der Finanzmärkte.

Messner: Der Markt, von dem Sie träumen, wurde doch längst ausgehebelt und durch ökonomische Macht ersetzt. Der heutige Kapitalismus wird von riesigen Konzernen dominiert, die sich den Staat einkaufen, so wie sie es wollen.

Raidl: Wenn einer ein Produkt auf den Markt bringt, das keiner will, kann er noch so mächtig sein – und wird trotzdem untergehen. Der Markt ist das demokratischste Prinzip, das wir haben, eine tägliche Volksabstimmung. Ich gehe zum Billa und entscheide: Kaufe ich Milch oder Butter?

Messner: Wirklich demokratisch wäre, sich daran zu orientieren: Was benötigt die Gesellschaft, wie produzieren wir das? Dem Markt ist schnuppe, ob er ein Brot oder eine Pistole verkauft.

STANDARD: Als Kommunist müssen Sie die Krise ja geradezu erwartet haben.

Messner: So einfach ist das nicht. Der Kapitalismus hat ja nicht nur Not und Elend für riesige Massen gebracht, sondern historisch betrachtet die Kapazitäten der Gesellschaft entwickelt...

Raidl: ...die Produktivkräfte! Nachzulesen bei Karl Marx. Es gibt keine bessere Beschreibung des Kapitalismus, als im ersten Kapitel des Kapital.

Messner: So ist es. Der Historiker Eric Hobsbawm stellte zurecht fest: Marx hat vor 150 Jahren beschrieben, was heute abläuft...

Raidl: ...nur die Schlüsse waren allesamt falsch.

Messner: Der Kapitalismus funktioniert so lange, als der Profit wächst. In seiner dynamischen Phase hat er sich entwickelt, indem er kreativ alte Strukturen zerstörte, doch nun erschöpft sich seine Dynamik. Immense Geldvermögen finden keine Gelegenheiten mehr für rentable Investitionen. Also wird dieses Kapital in spekulativer Form quer über den Globus geschossen – und die Politik hat das befördert, indem sie ihre Macht abgegeben hat.

Raidl: Es stimmt, dass viele ihr Geld in Finanzprodukte stecken, weil sie sich dort mehr Profit erhoffen als in der Realwirtschaft. Da braucht es strenge Grenzen für die Finanzwirtschaft. Jedem Rasierapparat liegen Zertifikate bei, dass das Gerät geprüft ist. Wer hingegen in eine x-beliebige Bankfiliale im Waldviertel geht, bekommt schnell einen Fonds eingeredet – ohne jede Sicherheitsbescheinigung.

Messner: Wie sollen die strengeren Regeln je durchgesetzt werden? Da stoßen wir wieder an die Macht der Konzerne: Die Zahl der Lobbyisten übersteigt jene der Parlamentarier um ein Vielfaches, und die Drehtüre von der Politik zur Wirtschaft dreht sich immer flotter.

STANDARD: Welchen Nutzen hat es für die Allgemeinheit, dass in sekundenschnelle auf Kurse gewettet wird? Warum nicht abschaffen?

Raidl: Darüber kann man reden, aber das kollidiert mit Interessen von Wohlhabenden und ganzen Ländern, die um ihr Geschäftsmodell fürchten – siehe City of London. Doch der Lernprozess ist im Gang. Ich verstehe, dass viele Leute sagen, so kann es nicht weiter gehen: Der Manager, der eine Bank an die Wand fährt, geht mit einer guten Pension heim, und der Stahlarbeiter zahlt via Steuern die Sanierung. Doch bei allen nötigen Regeln muss das Grundprinzip außer Frage stehen, denn: In Ausprägung der sozialen Markwirtschaft hat der Kapitalismus überall ungeahnten Wohlstand gebracht.

STANDARD: Eine Jugendarbeitslosigkeit von 50 Prozent in manchen EU-Staaten kann doch nicht der Wohlstand sein, der gemeint ist.

Raidl: Diese Länder hatten schon vor der Krise eine hohe Arbeitslose und viele selbstverschuldete Schwächen. Global gesehen ist der Wohlstand durch die Ausbreitung des Kapitalismus gestiegen. Schauen Sie nach China...

STANDARD: ... wo die Wirtschaft stark gelenkt wird.

Raidl: Überhaupt nicht! Dort herrscht ein Kapitalismus in Auswüchsen, wie ich sie bei uns nicht haben möchte.

Messner: Die Mehrheit der Ökonomie in China ist in staatlicher Hand. Dank der von ihnen verteufelten staatlichen Planung funktioniert der Kapitalismus dort.

Raidl: Dann vergleichen Sie Österreich nach 1945 mit der Tschechoslowakei! Letztere hatte die stärkere industrielle Basis – doch wo ist sie 1989 gelandet? Der Kommunismus war eine Vergeudung von Kapital ungeahnten Ausmaßes.

STANDARD: Wollen Sie denn den Kapitalismus zerstören? Oder wird er das, wie viele Kommunisten glauben, eh selbst erledigen?

Messner: Das halte ich für einen Irrtum. Aber der Kapitalismus kann, wenn es so weiter geht, die Ressourcen und die Lebensmöglichkeiten der Menschen zerstören. Deshalb geht es erst einmal darum, von oben nach unten umzuverteilen: Mindestlohn anheben, Pensionsreform zurücknehmen, Vermögenssteuer einführen, Steuervorteile der Konzerne abschaffen. Die Einsicht stärken, dass man etwas gegen die Ausplünderung seit der neoliberalen Wende tun kann. Tendenziell wird alles privatisiert, das Gesundheitssystem, das Bildungssystem...

STANDARD: ...in Österreich nicht.

Messner: Noch ist es nicht so weit, doch die Reise führt zu einer Zerstörung des Sozialstaates, der ja entstanden ist, weil der Kapitalismus nach der Krise der Dreißigerjahre diskreditiert war und nach dem Zweiten Weltkrieg so etwas wie ein Klassenkompromiss möglich wurde

Raidl: Umverteilen können Sie erst, wenn etwas erwirtschaftet wird. Soll das nun am Markt passieren oder nicht?

Messner: Es gibt Bereiche, wo der Markt sinnvoll ist. Aber will sich die Gesellschaft weiterentwickeln, muss sie neue Formen jenseits des Kapitalismus finden, mit demokratischen Methoden zur Wirtschaftslenkung – was eine Vergesellschaftung des Eigentums der Konzernene bedingt. Aber ich maße mir nicht an, zu sagen, der Sozialismus sieht so oder so aus. Sicher ist, dass eine solidarische Gesellschaft nicht auf Profitmaximierung aufbauen kann.

Raidl: Auch ich bin dafür, dass der Staat für Bildung, Gesundheit, Daseinsfürsorge und Infrastruktur zuständig bleibt. Doch darüber hinaus ähneln die von Ihnen skizzierten Gemeinwohlsysteme einer Planwirtschaft: Da sitzt einer und glaubt, die absolute Wahrheit gepachtet zu haben. Das sind geschlossene System, die nicht offen für Veränderungen sind. Die Planwirtschaft, das konnten 50 Kilometer weiter östlich beobachten, hat versagt. Die Sowjetunion war ein Totalflopp, nein, ich korrigiere: ein menschenverachtendes Desaster. Nur in Ihrer Partei haben das manche noch nicht kapiert.

STANDARD: Sie waren schon vor der Wende Kommunist. War die UDSSR einst leuchtendes Vorbild?

Messner: Wenn die Sowjetunion keine historische Niederlage gewesen wäre, würde sie heute noch existieren. Natürlich gab es da ökonomische und demokratiepolitische Defizite.

Raidl: Defizite? Da verniedlichen Sie. Das war eine Diktatur – der Nomenklatura, nicht des Proletariats.

Messner: Ja, ab einer gewissen Entwicklungsstufe. Ich bin ja einst auch nicht wegen des hehren Beispieles der UDSSR zur KPÖ gestoßen, sondern aus meiner persönlichen Erfahrung als Kärntner Slowene: Nur die KPÖ bezog im so genannten Kärntner Minderheitenkonflikt der Siebzigerjahre antinationalistische Standpunkte – ob moskautreu oder nicht, war mir wurscht. Eine stalinistische Struktur hatte in Kärnten die SPÖ...

Raidl: ...und viele alte Nazis.

Messner: Die obendrein. Weil mir die KPÖ aber zu verkrustet war, habe ich meine Funktionen zwischenzeitlich niedergelegt und wurde erst wieder aktiv, als die Erneuerung eingesetzt hatte. Mit dem Stalinismus hat die Partei heute längst nichts mehr am Hut.

STANDARD: Glauben Sie ihm das?

Raidl: Dem Herrn Messner schon, nicht aber der Mehrheit der Funktionäre. Es hat wohl seinen Grund, warum sich ihr erfolgreichster Politiker, der Grazer Ernest Kaltenegger, nicht an der KPÖ-Politik auf Bundesebene beteiligt. Und eine Partei, die keinen eindeutigen Bruch zum Kommunismus macht, ist für mich unwählbar.

STANDARD: Das geht offenbar fast allen Österreichern so.

Messner: Warten wir die Wahlen ab. Wenn alle Menschen, die uns schon einmal gewählt haben, das diesmal tun und nicht wieder das kleinste Übel der etablierten Parteien nehmen, ist der Einzug ins Parlament möglich. Außerdem: Die KPÖ hat auch ein Leben außerhalb der Wahlzeiten. In den Gemeinden entwickelt es sich gut.

Raidl: Naja, werden'S nicht selbstgefällig: Bei den Wiener Wahlen haben sie 1,2 Prozent erreicht.

Messner: Immerhin – und drei Bezirksräte.

Raidl: Die werden das nächste Mal auch wieder weg sein. Was mich wundert: Dass sich Parteien wie die Ihre nie fragen, warum sie so wenig gewählt werden.

Messner: Das fragen wir uns sehr wohl. Ein historischer Grund ist, dass die KPÖ immerhin die Hauptlast des Widerstandes gegen die Nazis trug, angesichts der deutschnationalen Hegemonie und des Wechsels vom kurzlebigen antifaschistischen zum langlebigen antikommunistischen Konsens nur von einem Teil der Wählenden dafür belohnt wurde. Kärntner SP-Politiker haben sogar zugegeben: Wenn wir nach dem Krieg gegen Hitler aufgetreten wären, hätten wir keine Mehrheit.

STANDARD: Bei allen Aufarbeitungsproblemen: Die Gesellschaft tickt mittlerweile doch deutlich anders.

Messner: Der KPÖ hängt auch noch nach, dass sie einst eine der moskauhörigsten kommunistischen Parteien überhaupt war. Entscheidend aber ist: Sobald Sie Eigentumsverhältnisse in Frage stellen, trifft sie die Kommunismuskeule.

Raidl: Zurecht, wenn Sie Enteignung anstreben.

Messner: Na eh, wir heißen ja auch KPÖ. Was ich sagen will, zeigt dieses schöne Zitat des brasilianischen Bischofs Dom Helder Camara: „Als ich den Armen Brot gab, nannten sie mich einen Heiligen. Als ich fragte, warum sie arm sind, nannten sie mich Kommunist." Dagegen kommt keine fortschrittliche, linke Bewegung an.

STANDARD: Vielleicht stimmt aber auch der zweite Teil des eingangs zitierten Sprichwortes: Wer im Alter noch links ist, hat kein Hirn.

Raidl: Tatsächlich muss einem die Lebenserfahrung zeigen, dass viele dieser linken Utopien nicht umsetzbar sind, weil sie nicht menschenadäquat sind. „Wir sind in diesem Jahrhundert mit vielen Ideologien versorgt worden, wo die Glückseligkeit auf später verschoben wurde", hat der Philosoph Karl Popper gesagt. Also müssen wir Politik machen, die Menschen zu Lebzeiten Anrecht auf ein bisschen Glück gibt – und sie nicht auf später vertröstet.

Messner: Umverteilungspolitik könnte, bei entsprechendem politischen Kräfteverhältnis, sofort beginnen. Ich drehe den Spruch um: Wer als Junger kein Linker ist, hat kein Herz – wer jung bleiben will, muss auch links bleiben.

MIRKO MESSNER (65), geboren in Slowenien, ist seit März 2006 Bundessprecher der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ). Hauptberuflich arbeitet der Slawist am slowenisch wissenschaftlichen Institut in Klagenfurt. Beim Volksstimmefest auf der Jesuitenwiese im Wiener Prater (31. August und 1. September) begeht die KPÖ ihren Wahlkampfauftakt.

CLAUS J. RAIDL (70) ist seit fünf Jahren Präsident des Generalrates der Nationalbank. Bis zu seiner Pensionierung Ende 2010 war der Handelswissenschafter aus Kapfenberg fast zwei Jahrzehnte lang Vorstandvorsitzender des Stahlerzeugers Böhler-Uddeholm. Raidl steht der ÖVP nahe, er beriet zu Zeiten den schwarz-blauen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel.

Quelle: Der Standard, Interview mit Gerald John, 30. August 2013, http://derstandard.at/1376535161657/W...ks-bleiben


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