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Die NS-Vergangenheit der Universität Linz

  • Montag, 20. April 2015 @ 11:32
Geschichte Von Christopher Frank und Gerlinde Grünn. Im Bild: Jänner 1942, Russenlager Auhof, Desinfektion aus der Sammlung Weidinger. Quelle: Archiv der Stadt Linz

Eine im Jahr 1966 feierlich eröffnete Universität kann nicht unmittelbar selbst in die Geschichte des NS-Staates verwickelt sein. Das Gelände auf dem sie errichtet wurde allerdings sehr wohl. Und problematisch wird es dann, wenn diese Vorgeschichte negiert oder ignoriert wird. Eben dies trifft auf die am Linzer Stadtrand im Stadtteil Dornach-Auhof gelegene Johannes-Kepler-Universität (JKU) Linz zu.

Eine Studentin der Universität Linz, die im März 2015 aus dem Mensagebäude am Universitätscampus tritt, hat ein architektonisch sehr abwechslungsreiches Panorama vor sich:

Gleich rechts (östlich) schließt an das in den 1960er Jahren errichtete Mensagebäude das historische Schloss Auhof, ehemals starhembergischer Adelssitz, heute Sitz des Rektorats, an.

Dahinter, etwas durch die Bäume des vor dem Mensagebäude liegenden ehemaligen Schlossparks verdeckt, lässt sich der neueste Zubau des Universitätscampus, die drei Gebäude des östlich der Altenberger Straße gelegenen „Science Parks“ erkennen. Südöstlich schließt daran ein langegestrecktes zweistöckiges Gebäude an, das „autochtone LinzerInnen“ wohl – unreflektiert – als „Hitlerbau“ bezeichnen würden, eine in Linz gebräuchliche Bezeichnung für Wohnbauten aus der NS-Zeit.

Es wird teilweise von der Universität genutzt, großteils beherbergt es Wohnungen, unmittelbar davor befindet sich die Endhaltestelle der Linzer Straßenbahnlinien 1 und 2. In Richtung Süden, entlang der Mengerstraße, wird das Universitätsgelände von einer Reihe von Wohnbauten aus den 1960er Jahren begrenzt. Ähnliche Bauten rahmen den Universitätscampus am südwestlichen Ende bei der Johann-Wilhelm-Klein-Straße ein.

Im März 1941 hätte dieses Panorama – wären die ursprünglichen Planungen verwirklicht worden – ganz anders ausgesehen: Neben dem Schloss Auhof und hinter den Bäumen des Schlossparks wäre der Blick auf eine weitläufige SS-Kaserne gefallen, Garnisonsort der 4. SS-Leibstandarte, hier stationiert als einer für den „Alterssitz des Führers“ vorgesehen Truppenteile. Das Kasernengelände hätte mehrere Quadratkilometer erfasst und sich nach Süden bis hin zur Freistädter Straße erstreckt. Um dieses Bauvorhaben zu realisieren begann der Verwaltungschef der SS, vertreten durch SS-Oberscharführer Karl Mummentey im Lauf des Jahres 1938 insgesamt 40 Grundstücke östlich und südlich des Schlosses Auhof aufzukaufen.

Im Zuge dieses Grundstücksaufkaufes scheint es auch zu mindestens einer „Arisierung“ gekommen sein. So schreibt die SS später an die Heeresverwaltung Oberdonau: „daß [sic] der sogenannte Pleschingerhof bisher einer Jüdin, Frau Dr. Helene Glass gehörte, zu Gunsten des Landes Oberösterreich eingezogen wurde“. Für weitere Auskünfte bezüglich dieses Grundstückes habe man sich an Herrn Rechtsanwalt Dr. Nadler in Linz zu wenden.

Unter den angekauften Grundstücken befindet sich auch ein unmittelbar südöstlich an der Altenberger Straße an das Schloss Auhof angrenzendes Grundstück, damals mit der Grundstücksnummer 1557 (Kastralgemeinde Katzdorf) bezeichnet. Es befand sich Anfang 1938 im Besitz der „Starhembergischen Fideikommissherrschaft Landgut Auhof“. Heute ist dieses Grundstück, durch Abtrennungen am südlichen Ende etwas verkleinert, mit der heutigen Grundstücksnummer 1557/5 der Standort des „Science Parks“ der JKU.

Dieses Grundstück wurde mit Kaufvertrag vom 27. Juni 1938 dem Besitzer Ernst Rüdiger von Starhemberg gemeinsam mit einer Reihe weiterer Grundstücke von der SS um 90.000.- Reichsmark abgekauft.

Ende 1938 ändern sich die Planungen der SS jedoch und das Projekt einer Kaserne in Dornach/Auhof wird aufgegeben. Stattdessen werden die erworbenen Gelände en bloc von dem ebenfalls auf der Suche nach einem geeigneten Garnisonsstandort befindlichen deutschen Heer erworben. Somit wird im September 1938 für einen Gesamtkaufpreis von 500.000 Reichsmark das deutsche Heer Eigentümer der von der SS erworbenen Grundstücke, darunter auch des Grundstückes Nr. 1557.

Das deutsche Heer plant auf dem Areal die Errichtung einer Infanteriekaserne. Durch den Kriegsausbruch 1939 können die geplanten Kasernengebäude jedoch nur zum Teil realisiert werden. Ergebnis sind die Gebäude Aubrunnerweg 1 bis 41, eben jene eingangs erwähnten „Hitlerbauten“ die heute Wohnungen und teilweise Institute und Einrichtungen der JKU beherbergen. Die Vorgeschichte der Gebäude als Kaserne des deutschen Heeres gilt an der Universität als bekannt.

Auf dem Grundstück Nr. 1557 war nach dem in den im Oberösterreichischen Landesarchiv erhaltenen geblieben Akten der Heeresverwaltung Oberdonau ursprünglich der Sportplatz der SS-Kaserne mit Fußballfeld und Aschenbahn geplant. Ab 1941 kommt es zu einer von dieser Planung abweichenden Nutzung: Der nunmehrige Eigentümer, das deutsche Heer, errichtet auf diesem Areal ein Kriegsgefangenlager, auf zeitgenössischen Pläne als „Gemeinschaftslager Auhof“ oder „Heereslager Auhof“ bezeichnet.

Gemäß einer Aufstellung aus dem Jahr 1943 befanden sich in diesem Kriegsgefangenlager des deutschen Heeres in Auhof französische Kriegsgefangene sowie Italiener, Kroaten und „Protektoratsangehörige“. Fotografische Belege deuten aber darauf hin, dass zumindest ab Jänner 1942 hier auch sowjetische Kriegsgefangene untergebracht wurden. Es existiert im Archiv der Stadt Linz eine auch bei Rafetseder erwähnte Fotoserie „Russenlager Auhof“ datiert „Jänner 1942“. Zwei Fotos dieser Serie sind auch in diesem Beitrag abgedruckt.

Die Frage ob und wenn ja in welchem Ausmaß sowjetische Kriegsgefangene hier untergebracht waren, ist deshalb von besonderer Brisanz, da diese unter allen Gefangengruppen diejenige mit dem geringsten Status und den geringsten Überlebenschancen war. Die Mortalitätsrate unter den sowjetischen Kriegsgefangen lag bei 57,8 %, mehr als die Hälfte überlebte also die deutsche Kriegsgefangenschaft nicht. Gräber sowjetischer Kriegsgefangener finden sich in Linz und Umgebung unter anderem in Linz/St. Martin, Linz/St. Barbara, Wegscheid und auch in Katsdorf.

Die wirtschaftliche Bedeutung der zur Zwangsarbeit eingesetzten Kriegsgefangenen und der sogenannten „FremdarbeiterInnen“ war gerade in Linz enorm: Der Historiker Helmut Lackner berichtet etwa über den Einsatz von 45.000 „Fremdarbeitern“ oder „Kriegsgefangenen“ in der Linzer Industrie. Besonders die Neugründung von Großbetrieben wie die Reichswerke „Hermann Göring“, die Eisenwerke „Oberdonau“ und die Stickstoffwerke hatten einen immensen Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften. Aber auch der Wohnbau, die Reichsbahn, die Reichspost und private Baufirmen profitierten von der Zwangsarbeit. Kriegsgefangene kamen besonders in den „Eisenwerken Oberdonau“ in der Fertigung von Panzerplatten zum Einsatz. Auf dem Gelände der Reichswerke wurden außerdem zwei KZ-Nebenlager des Konzentrationslagers Mauthausen errichtet.

Besonders der Historikerin Gabriele Hauch ist die Aufarbeitung der Geschichte der weiblichen Zwangsarbeiterinnen zu verdanken. So stellten in Mai 1944 mit 51 Prozent die Frauen die Mehrheit unter den 34 000 ZwangsarbeiterInnen aus Osteuropa in Oberdonau. Das Ausmaß ihrer Bedrängung und Ausbeutung durch harte Arbeit und sexuelle Gewalt stellt ein eigenes Kapitel der Grausamkeit des NS-Regimes dar.

Die Existenz der ZwangsarbeiterInnen-Lager war für die Linzer Bevölkerung damals kein Geheimnis, über sie wurde auch wiederholt in der lokalen Presse berichtet. So berichtet die „Volksstimme“ – zu dieser Zeit noch die amtliche NS-Tageszeitung für Oberdonau – beispielsweise am 13. Februar 1940 von über vierzig Arbeitslager im Raum Linz, in denen neben deutschen Arbeitern rund 10.000 „Ausländer“ untergebracht seien.

Im Archiv der Stadt Linz finden sich in den Akten des Tiefbauamtes über die Behebung von Bombenschäden in Folge der Luftangriffe von 1944 auch Hinweise auf den Einsatz von sowjetischen Kriegsgefangenen. Bezeichnend für den geringen Status der sowjetischen Kriegsgefangen ist es, dass man in Gegensatz zu allen anderen zur Gefolgschaft verpflichteten Gruppen auf die Nennung von Namen verzichtete und lediglich Nummern vergab. So wurde etwa auf den Bescheinigung zur Arbeitsverpflichtung lediglich „russischer Kriegsgefangener“ mit Zahl, die Baufirma und die abgeleisteten Arbeitsstunden vermerkt. Die Individualisierung durch Namen, Geburtstag und Wohnadresse bzw. Lageranschrift fehlt gänzlich.

Neben dem Kriegsgefangenlager auf dem Gelände des heutigen Science Park gab es in unmittelbarer Nachbarschaft der Universität noch zwei weitere Lager. Im März 1945 zeigte sich – kehren wir zu unserem geographischen Ausgangsstandpunkt vor dem heutigen Mensagebäude zurück – folgendes Bild: 1945 war der heutige Universitätscampus an drei Seiten von Barackenlagern umgeben. Neben dem Kriegsgefangenlager des Heeres in Auhof gab es noch zwei weitere Lager. Südwestlich, beginnend hinter dem heutigen zentralen Universitätsparkplatz, begann mit dem „Städtischen Arbeiterlager Dornach“ eines der größten Linzer Barackenlager mit Platz für 2.400 Personen.

Dieses Barackenlager wurde 1938 errichtet und beherbergte italienische Arbeiter, die für den Wohnungsbau in Linz angeworben worden waren. Diese wurden insbesondere für die „Führersiedlung“, heute die „Harbach-Siedlung“ in Linz-Urfahr und andere Wohnbauprojekte eingesetzt. Die Arbeitsverträge dieser italienischen Arbeiter endeten eigentlich 1943. Ob sie – bedingt durch die Umbrüche im faschistischen Italien 1943 - doch länger hier einquartiert waren, ließ sich bisher nicht nachvollziehen. Nach bisher nicht belegbaren Aussagen befanden sich im Mai 1945 bis zu 5.000 sowjetische Kriegsgefangene in den Lagern Dornach und Auhof. Wenn sich diese Zahlen bestätigen sollten, spricht vieles dafür, dass diese nicht nur im Heereslager Auhof (das nur über ein nominelles Fassungsvermögen von 600 Personen verfügte ) sondern auch im „Städtischen Arbeiterlager Dornach“ untergebracht waren.

Als drittes Lager befand sich südlich des Universitätscampus, unmittelbar an den heutigen Uni-Parkplatz anschließend, das sogenannte „Umsiedlerlager“ der „Volksdeutschen Mittelstelle“ (VOMI). Die VOMI war ab 1941 als „SS-Hauptamt“ direkt dem Machtbereich des „Reichsführers SS“ unterstellt und für die außerhalb des „Deutschen Reiches“ lebenden „Volksdeutschen“ und deren Rückführung „Heim ins Reich“ zuständig. Das (zumindest) seit 1942 bestehende „Umsiedlerlager“ beherbergte im März 1945 noch 800 „Bukowina-Deutsche“. Heute ist das Areal mit den eingangs erwähnten Wohnbauten aus den 1960/70er Jahren an der Mengerstraße verbaut.

Die ehemaligen Gelände aller dieser drei Lager sind heute bebaut und es findet sich im öffentlichen Raum kein Hinweis auf ihre Nutzung im Zeitraum 1938-45.

Die oben genannten Fakten lassen sich allesamt durch Fachliteratur und zahlreiche Originaldokumente, die im Oberösterreichischen Landesarchiv und im Archiv der Stadt Linz zugänglich sind, belegen. An den Eckdaten besteht nach derzeitigem Forschungsstand kein Zweifel, auch wenn im Detail noch viele Fragen offen sind. Eine vollständige Darstellung kann und will dieser Artikel auch gar nicht leisten. Dazu bedarf es einer umfangreichen historischen Aufarbeitung. Von der Universität selbst wurde die Geschichte ihres Standortes in dieser Hinsicht bisher nicht reflektiert.

Weder die offizielle Chronik der JKU , noch bei ihrer Gründung verfasste Beiträge über die Historie des Geländes nehmen Bezug auf die auf oder neben dem Universitätscampus befindlichem Lager. Das müsste nicht sein, denn auch in der existierenden Literatur zur NS-Zeit in Linz lassen sich bei genauerem Hinsehen einige Hinweise auf die Existenz dieser drei Lager finden, auch wenn sie als eigenständiges Einzelthema bisher nicht bearbeitet wurden. Besonders in den Arbeiten des Linzer Historikers Hermann Rafetseder zur NS-Zwangsarbeit in Linz finden sich zahlreiche Verweise auf die drei Lager und entsprechende Quellen.

Natürlich kann argumentieren werden, dass in einer so stark architektonisch und wirtschaftlich von der NS-Zeit geprägten Stadt wie Linz eine Nutzung auch von historisch belasteten Gelände fast schon unvermeidlich ist. Immerhin gab es in Linz insgesamt über 70 NS-Zwangsarbeiterlager. Das mag richtig sein, eine heutige Nutzung ist aber jedenfalls mit der Verpflichtung verbunden, sensibel und verantwortlich mit der Vorgeschichte solcher Orte oder Gebäude umzugehen und nicht stillschweigend auf Stätten historischen Unrechts Parkplätze zu betonieren.

Unmittelbar in die Verantwortung der Universität fällt in diesem Sinne jenes Gelände, auf dem von 1941 bis 1945 das Kriegsgefangenenlager Auhof stand. Auf diesem Areal wurde in den Jahren 2007-2012 von der Universität Linz gemeinsam mit Bundesimmobilien Gesellschaft (BIG) der „Science Park“ errichtet ohne in wahrnehmbarer Weise auf die Historie des Geländes Bezug zu nehmen.

Der Science Park beherbergt heute in der dritten Ausbaustufe zahlreiche Institute der Technisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der JKU und ist der Arbeitsplatz von über 700 MitarbeiterInnen der Universität. Das Architekturbüro Caramel aus Wien erhielt für die Gestaltung der Gebäude einen Anerkennungspreis im Rahmen des „Aluminium Architektur Preises 2014“. Am Eingang des Geländes steht eine von einem Ex-Direktor einer ÖVP-nahen Landesbank gestiftete Skulptur.

Die Universität Linz und die Stadt Linz stehen im Lichte dieser Fakten offensichtlich vor zwei Aufgaben:
- Die Ressourcen für eine umfangreiche und fundierte Aufarbeitung der drei die Universität in der Zeit von 1938 bis 1945 umgebenden Lager zur Verfügung zu stellen und die Aufarbeitung dieser Vorgeschichte des Universitätscampus rasch in Angriff zu nehmen
- Auf dem Universitätsgelände eine den hier oder in unmittelbarer Nähe untergebrachten Opfern des Nationalsozialismus angemessene Form des Gedenkens zu finden und zu etablieren

Beides erscheint dringlich, insbesondere da die Universität kurz davor steht, im Jahr 2016 feierlich ihr 50jähriges Bestehen zu begehen. Ein solches Jubiläum zu feiern und dabei die belastete Vorgeschichte des eigenen Standortes auszublenden, kann nicht im Sinne der Universität oder Stadt Linz sein.

Quelle: Volksstimme 4/2015

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