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Steyr: Räumung im Zweivierteltakt

  • Mittwoch, 1. Oktober 2014 @ 18:56
Demokratie Der Musiker und politische Aktivist Paul Schubert kritisiert in einem offenen Brief die Verbannung der Straßenmusik aus dem öffentlichen Raum in Steyr.

Der Neoliberalismus verachtet den öffentlichen Raum, ist dieser doch der letzte Rückzugsort, wo sich Menschen ohne Konsumzwang aufhalten, das heißt: ihre Zeit vergeuden, können. Weil der öffentliche Raum aber nicht abgeschafft werden kann, da er schon abgeschafft wurde, ist die letzte Lösung die öffentliche Räumung: der Mensch, selbst schon unmenschlich geworden, hat hier nichts mehr zu suchen, also schon viel verloren. Die Kunst, Arbeitsplatzbeschafferin für viele prekär Beschäftigte, wird als erstes aus dem Weg geräumt. Straßenmusiker sind wie erwünscht kreativ, flexibel, mit großem Hang zur Selbstausbeutung  – doch selbst die kreativste, flexibelste Selbstausbeutung ist im Neoliberalismus zu wenig, wenn nicht nach den offiziellen Spielregeln gespielt wird.

Straßenmusik – ein überholtes Konzept?
Ginge es nach den Verantwortlichen in der oberösterreichischen Kleinstadt Steyr, würde auf dem dortigen Stadtplatz überhaupt nicht mehr gespielt werden. Anders ist die neue „Straßenmusikverordnung“, die vorsieht, dass Straßenmusiker ihrer Arbeit nur mehr an wenigen Stunden an zwei Wochentagen und samstags nachgehen dürfen, nicht zu verstehen. Einige (uns wird verschwiegen: wenige) Anrainer und Unternehmer hätten sich schon oft über die Musik beschwert, heißt es seitens der Stadtpolitik. Eine gefinkelte Strategie: Die Politik weiß, dass sich eine Gesellschaft, die die öffentliche Straßenkunst nicht mehr schätzt, nicht einmal die eigene Hochkultur, das tiefste, das die heimische Kulturproduktion je hervorgebracht hat, verdient hat. Ein weiteres Einsparungspotential! 
Die Gewerbetreibenden, die das Argument, wonach die Straßenmusiker die Kundschaft vertreibe, vor sich her treiben, können schnell überführt werden: die Straßenmusik an sich stört sie gar nicht, sie haben nur eine einfachere Lösung gefunden, ihre Kunden zu vergraulen. Diese Lösung klingt nach singenden ehemaligen Teeniestars, reichen Rappern und rechtem Volx-Rock’n’Roll und ist mittlerweile als gratis Dauerbeschallung in jeder schlechteren Gewand-, Lebensmittel-, Schuh- oder Musikhandlung erhältlich.
 
Kein Einzelfall – wie immer
Der Nebeneffekt des gewünschten Haupteffektes (Vernichtung des öffentlichen Raumes) ist selbstverständlich auch für die Steyrer Politik ein unangenehmer: durch diesen Beschluss haben real existierende Personen zu leiden, wie etwa der bulgarische Profi-Akkordeonist Valentin Konecovsky, der seit Jahren in der Steyrer Innenstadt spielt und nicht nur seinen Lebensunterhalt, sondern auch den seiner zwei Kinder und seiner Frau, die im bulgarischen Vratsa wohnen, damit verdient. Jetzt verdient er nur mehr die Hälfte. Blöd nur, dass Herr Konecovsky von den meisten Steyrern hoch geschätzt wird und 600 Unterschriften, teils von Anrainern und benachbarten Unternehmern, für eine Ausnahmeregelung für den bulgarischen Akkordeonspieler gesammelt werden konnten, wie die Oberösterreichischen Nachrichten berichten.
Die Partei der Einzelfälle, wenn es um das "Liebäugeln" mit dem Nationalsozialismus geht, die FPÖ, hat für diesen Einzelfall nichts übrig: "Einzelschicksale sind natürlich bedauerlich, aber die Verordnung ist im Gemeinderat klar entschieden worden." Übrigens jene FPÖ, die diese Verordnung hart bekämpft, weil sie durch das Verteilen von Platzkarten an Straßenmusiker nun die Bettelei als staatlich legitimiert wähnt. Dass ein Straßenmusikverbot also mit den immer beliebter werdenden Bettelverboten einhergeht, bedarf keiner scharfen Analyse, ist es doch die FPÖ selbst, die diese Zusammenhänge immer wieder beweist.
 
Kunst – kein öffentliches Gut mehr?
Nun sind alle Profi-Musikschaffende gefordert. Jetzt gilt es, als (angehende) BerufsmusikerInnen, die wir teils von Geldern aus öffentlicher Hand, sei es als MusikpädadogInnen mit festem Gehalt oder als freischaffende KünstlerInnen mit staatlichen Zuschüssen, leben, Solidarität - nicht nur in diesem Fall - mit den KollegInnen, deren Existenzen durch die Würgegriffe der gleichen öffentlichen Hand bedroht sind, zu zeigen. Eine Ausnahmeregelung für Herrn Konecovsky zu fordern, klingt recht nett und ist auch angebracht. Was aber gelingen muss, ist ein öffentliches (sprich: mediales) Infragestellen der Sinnhaftigkeit dieser Regelung. Dies könnte etwa mit einem offenen Brief, unterzeichnet von sämtlichen Landesmusikschul- und Musikuniversitätsbediensteten, MusikstudentInnen und namhaften freischaffenden KünstlerInnen gelingen.
Abwehrreaktionen von so manchem akademisch gebildeten Musiker sind zu erwarten. Ich darf aber bescheiden vor Augen führen: Kunst als öffentliches Gut ist stark bedroht, ist doch offenbar nicht einmal der öffentliche Raum mehr von öffentlichem Interesse. Das Beispiel in Steyr ist nur eines von vielen; in seiner extremen Form der Reglementierung aber wahrscheinlich zukunftsweisend.

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