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Linzer SWAP 4175: Verträge sind nicht einzuhalten

  • Montag, 1. Juli 2013 @ 13:42
Kapital Von Franz Primetzhofer

Da schwebt ein Unheil über der Stadt Linz und die Stadt ist wie gelähmt. Entweder wird auf irgendeinen Retter gewartet oder man wird diese Katastrophe schon irgendwie überleben. Die Ungeheuerlichkeit wird verharmlosend als ein normales Geschäft hingestellt.

Da werden Lebensgrundlagen, eine Infrastruktur einer ganzen mittleren Stadt zur Ware zum Zwecke der Kapitalvermehrung in Form eines verwinkelten Zinswettgeschäftes. Und so was wird als normal hingenommen, wenn es rechtlich so paktiert ist, muss man es halt akzeptieren. Wie weit sind uns durch diese Warengesellschaft allen schon die Schädel gewaschen worden, dass man so einen Unsinn auch nur erwägt, als sinnhaft hinzunehmen. So ein Zinswettgeschäft sollen sich zwei abstrakt reiche Idioten zum Zeitvertreib geben, damit sie eventuell noch einen kleinen Nervenkitzel in ihrer Welt der Wahrnehmungsunfähigkeit verspüren.

Wäre der Schaden durch das Spekulationsgeschäft SWAP 4175 für die Stadt Linz und die davon betroffenen Bevölkerung nicht so enorm, könnte man sich über derlei banaler Episoden ergötzen, wie der kapitalistische Fetisch es schafft, die Tollpatschigkeit der Protagonisten vorzuführen; dabei sind nicht nur die direkt involvierten Personen gemeint, sondern das ganze politische und verwaltungsrechtliche institutionelle Gefüge. Hier könnte man auch sinngemäß David Graebers bestimmende Aussage über die Macht des Geldes anführen, indem er dem Geld, genauer wäre dem Kapitalfetisch, die Kraft zuspricht, Moral in eine Sache unpersönlicher Arithmetik zu verwandeln.

Nun treibt der SWAP 4175 Prozess zwischen der Bank BAWAG und der Stadt Linz unweigerlich seinem desaströsem Höhepunkt zu: Von beiden Seiten werden Experten, Gutachter, Wissenschaftler, Rechtsanwaltskanzleien, Gerichte, Medien aller Art in Stellung gebracht, um das schon fast religiös anmutende Unheil abzuwenden, das niemand verursacht haben will. Und damit haben sie ungewollt nicht unrecht, weil das Übel, das wirklich dahintersteckt, auf keiner Anklagebank sitzt, sondern als fetischistischer Anstifter realabstrakt umherschweift, dessen Aufgabe Großteils schon erledigt ist.

Seine Aufgabe war es, die Wahrnehmung der in diesem Geschäft involvierten Personen und institutionellen Träger von dem ohnehin gesellschaftlich üblichen herabgesetzten Maß noch einmal herabzumindern, um dieses SWAP Geschäft auf die Welt zu bringen. Uns erscheinen in diesem Fall BAWAG und Stadt Linz als Kontrahenten, das sie in unserem Rechtssystem auch spielen müssen, aber im anderen Bezugsrahmen, dem System des Kapitalverwertungszwangs sind sie nicht Kontrahenten, sondern haben unterschiedliche Funktionen als Käufer und Verkäufer und haben somit immanent eine „sinnvolle“ Funktion in der Schaffung des kapitalistischen Reichtums, des abstrakten Geldreichtums.

Das Rechtssystem in unserer Gesellschaft hat die gewohnheitsmäßige Aufgabe, die Verhältnisse, die eigentlich gewaltförmig sind, wenn möglich einigermaßen gewaltfrei und reibungslos zu regeln, aber auch große, ungustiöse, kotzige Brocken in einer verdaulichen Form abzuwickeln, damit nicht der Verdacht gefördert wird, dass eigentlich das ganze System unverdaulich ist. Es wird so getan, als wäre das SWAP-Geschäft ein exzessiver Ausrutscher, Betriebsunfall, um das normale Funktionieren des Systems positiv darstellen zu können. Das Publikum schaut gelähmt auf den SWAP: Diese lähmende Wahrnehmungsstörung soll die sozialen Demütigungen, alltäglichen Belästigungen durch das System unter die Schwelle des Spürbaren drücken.

Auffällig kleinlaut rund um das SWAP-Desaster sind die großen Moralisten, die sonst immer sofort die Gier, das maßlose Anspruchsdenken als Ursachen für fehlgelaufene Finanzspekulationen diagnostizieren. Nun ist das übertragen auf die Linzer beteiligten Personen auf Seiten der Stadt die Herren Penn, Mayr, Dobusch aber auch alle in den Gremien miteinbezogenen Personen sind nicht ausgenommen, auf Seiten der BAWAG Frau Prehofer und anderen an der Geschäftsabwicklung Beteiligten, beileibe keine offensichtliche Gier erkennbar, sondern eher biedere geschäftliche Betriebsamkeit. Empirisch etwas zugespitzt könnte man im Kern ein dämmriges sozialdemokratisches Milieu ausmachen, das sich einerseits in den guten Absichten, das Zinsrisiko zu kontrollieren, hochschaukelte – und andererseits eine zügellosere Nacht mit dem neoliberalen Zeitgeist in der Form des Finanzspekulationsgespenstes verbringen wollte.

Das Zustandekommen derartiger Geschäfte wie des SWAP 4175 muss ohne dem Wirken des Kapitalfetisch unverständlich bleiben, denn sonst müsste man ja den Beteiligten der Stadt Linz und der BAWAG sofort einen Sachwalter zur Seite stellen, weil sie ja im Sinne der Gesellschaft nicht geschäftsfähig sind, sondern großen Schaden über sie bringen. In anders verfassten Gesellschaften wären alle Beteiligten über Nacht aus der Stadt gejagt worden. Nicht so in unserer anonymen, abstrakten Gesellschaft, hier muss die Schuld personalisiert werden, auch die entscheidende systemische Last, damit der Schein der Funktionstüchtigkeit des Systems weitgehend aufrecht bleiben kann.

Man könnte sich im Detail an der Inkompetenz, Nachlässigkeit, Selbstherrlichkeit, Dummheit, Starrsinnigkeit, Vertrauensseligkeit, Gutmütigkeit, Gutmeinerei usw. der beteiligten Personen im engeren Kreis, aber auch die unzähligen in Gremien beteiligten Trabanten, und davon braucht sich niemand ausnehmen, ergötzen und sie schmähen. Gier ist hier weit und breit nicht in Sicht; die Gier, als scheinbar allgemeinmenschlicher Trieb als Verursacher für finanzspekulative Katastrophen hat sich hier blamiert.

Etwas epochaler kann man die letzten 30 Jahre Neoliberalismus, das Starten des finanzkapitalistischen Turbos, der hemmungslosen Deregulierung für ein Klima verantwortlich machen, das derartige Geschäfte, die ganze Staaten, Kommunen, öffentliche Einrichtungen in den Abgrund reißen, verantwortlich machen. Die handelnden Personen sind Charaktermasken dieser fiktiven Finanzkultur, dieser abstrakten kapitalistischen Reichtumsmaschine, aber nicht ganz, nicht total, weil sie nicht alles erfassen kann, und in dieser Form ist bewusstes, emanzipatorisches Denken und Handeln einzufordern; sonst könnte man ja einem sich verselbständigten Determinismus das Wort reden und eigenes verantwortungsloses Handeln als strukturelle Systemlast entsorgen.

Als die Phase des fordistischen Kapitalismus sich dem Ende zuneigte, weil die Kapitalverwertung über die Arbeitskraftvernutzung immer weniger rentabel wurde, entwickelte sich auf vertrackte Weise das Finanzkapital im Sinne eines immer weiteren Vorgriffs auf zukünftigen Mehrwert als Motor der Kapitalakkumulation. Vertrackt deswegen, weil von den Monetaristen und den neoliberalen Regierungen Thatcher und Reagan diese Entwicklung nicht in dieser Form intendiert war.

Lag das weltweit akkumulierte globale Geldvermögen im Jahr 1980 noch bei rund 10 Billionen Dollar, wird es nach Berechnungen des „Global Wealth Report 2011“ derzeit mit 231 Billionen Dollar veranschlagt, stellt man die abgeleiteten Finanzprodukte (Derivate) von einem Volumen im Jahr 2007 mit 600 Billionen Dollar dazu, bekommt man eine Vorstellung über die obszöne Aufblähung des Finanzkapitals.

Nach alter Logik hätte sich die Realwirtschaft mindestens vervielfachen müssen, um in einer halbwegs nachvollziehbaren Relation zur Finanzwirtschaft zu stehen. Hat sie aber nicht und könnte sie auch nicht, sonst wäre dieser Planet schon jetzt unbewohnbar. Die Explosion des Umfangs der Geldvermögen um das 20 fache innerhalb von 30 Jahren lässt erahnen, in welch hohem Grad an Fiktion das Finanzkapital sich befindet; d.h. die fiktiv halluzinierten Bänder zur Realwirtschaft werden immer dünner und reißen immer öfter, weil sich die halluzinierten Erwartungen an die Realwirtschaft nicht erfüllen.

Aber dieses riesige, hochgepuschte Finanzkapital rast über die Welt und sucht nach Verwertbarem. Alles was sich auch noch irgendwie eignet, wird in seinen Kapital-Verwertungssog gerissen. Die Bevölkerungen ganzer Länder, Städte, Kommunen, werden ins Elend gestürzt, die Umwelt, die Natur, die Tiere werden der Kapitalverwertung unterworfen. Die Regierungen, die die Entfesselung der Finanzmärkte mitbetrieben, wollen ihm nun wieder Regeln anlegen; so als ob man ein Nashorn mit einer Schnur anbinden könnte.

Dieses System tritt nun in seine autokannibalistische Phase ein, es werden die Bedingungen zerstört, auf denen es sich selbst reproduziert; so wie ein Alkoholiker anfängt, Türen, Holzböden, und letztendlich das Dach zu verheizen, damit ihm warm wird. Die Stadt Linz stellt für ihre Bevölkerung auch eine Infrastruktur dar, die nun vom Kapital zerstört wird; denn 500 Millionen Euro (Klagssumme der BAWAG) sind ein wuchtiger, zerstörerischer Schlag gegen Linz.

Wie autokannibalistisch das Kapital ist, kann auch hier nachvollzogen werden: das Finanzkapital in ihrer körperschaftlichen Form der BAWAG zerstört Linzer Infrastruktur, das die Linzer Bevölkerung schädigt aber auch andere realwirtschaftliche Kapitalien für ihre Reproduktion brauchen würden, z.B. Bildung, öffentlicher Verkehr, Soziales, Kultur, usw. Denn das Kapital ist auch gegen andere Kapitalien gnadenlos und vernichtet es oder seine Reproduktionsgrundlagen. Aber die Prinzipien der abstrakten Reichtumsproduktion und der Konkurrenz dürfen nicht angegriffen werden, sie sind heilig!

In der Klagsbeantwortung an die Stadt Linz fordert die BAWAG: „Pacta sunt servanda“ (Verträge sind einzuhalten). Dieser aus dem römischen Recht stammende Vertragsgrundsatz hat unter den damaligen System seine spezifische historische Legitimitätsform, aber im System der brutalen Kapitallogik, der abstrakten Herrschaft der Geldform, und schon gar nicht in der Phase des autokannibalistischen Kapitalismus, darf man diesen Rechtsgrundsatz akzeptieren: „Pacta sunt non servanda“: (Verträge sind nicht einzuhalten“).

Sonst müsste man alle Verträge, die das Kapital in seinem Verwertungszwang hervorbringt, akzeptieren, egal ob dabei die Welt zugrunde geht, die Umwelt zerstört wird, die Menschen physisch und psychisch ausgesaugt werden. Dabei wird ersichtlich mit welcher monströsen Gewalt das Kapital ihre Ziele durchzusetzen gedenkt. Es ist die Pflicht der Menschen, die ihre Würde behalten wollen, solche Verträge nicht zu akzeptieren. Das Prinzip pacta sunt non servanda soll nicht auf personenbezogene Verträge im alltäglichen Leben ausgedehnt verstanden werden.

Darum ist der Vertrag der Stadt Linz mit der BAWAG nicht gültig. Es geht nicht darum, die im Detail dabei aufgetretenen Mängel der handelnden Personen, gremialen Trabanten, die ja hauptsächlich als Charaktermasken handelten und deren Wahrnehmung durch den Kapitalfetisch verzerrt und herabgesetzt war, zu sezieren und dabei irgendwie einen personenbezogenen Schuldkomplex herauszudestillieren, sondern um die Anmaßung des Kapitals in seinem Sinne rechtskonform Lebensgrundlagen zu zerstören. Es will uns auch noch einreden, dass die eigene Vernichtung rechtskonform von statten geht. Im Sinne des Kapitals ist es logisch; im Sinne der Menschen ist es grausam. Pacta sunt non servanda!

Franz Primetzhofer, systemuntauglicher Gesellschaftskritiker, Wirt und ehemaliger Seefahrer


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