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Eine Krise des politischen Systems

  • Mittwoch, 15. Februar 2012 @ 11:35
Europa Gedanken gegen die Krise: GZ-Interview mit dem Schriftsteller Petros Markaris

In diesem GZ-Interview, das in unserer Serie „Gedanken gegen die Krise“ erscheint, erklärt der auch im deutschsprachigen Raum bekannte Schriftsteller Petros Markaris, warum Griechenland derartig tief in die Krise geraten konnte. Er stellt fest, dass das Land seit seiner Geburt „konfrontationspolitisch“ gelebt hat. Zu sehr habe man in der Vergangenheit das Reden den Politikern und Ökonomen überlassen. Auch die Medien seien Teil des Problems. Die Griechen müssten aber auch lernen, nicht über ihre Verhältnisse zu leben.

GZ: Ihr jüngstes, im Juli 2011 auf Deutsch erschienenes Buch, heißt „Faule Kredite“, Teil 1 einer Trilogie. Wie kam es dazu?

MARKARIS: Ich wollte schon seit Beginn der Krise eine Trilogie über die Krise schreiben - weil ich schon damals geahnt habe, dass diese Krise länger dauern würde. Es war also keinesfalls eine kurzfristige Angelegenheit, sondern ich habe dieses Projekt gut vorbereitet. Der zweite Roman aus dieser Trilogie ist in Griechenland übrigens ebenfalls schon erschienen, unter dem Titel „Peraiosi“. Er wird gerade ins Deutsche übersetzt.

GZ: Was hat sich seit der Arbeit an „Faule Kredite“ in Griechehland verändert?

MARKARIS: Das Buch ist im Juni vorigen Jahres in Deutschland erschienen, in Griechenland war es bereits im Oktober 2010 auf dem Markt. Seither hat sich die Situation auf allen Ebenen zunehmend verschlechtert. Der zweite Roman gibt ein weitaus düstereres Bild von Griechenland. Ich glaube die Lage wird fast täglich schlechter. Und ich weiß auch ehrlich gesagt im Moment noch nicht, was ich im letzten Roman dieser Trilogie überhaupt noch schreiben soll...

GZ: Was sind für Sie die Hauptursachen dafür, dass Griechenland so abrutschen konnte? Buchstäblich von der einen Welt in die andere...

MARKARIS: Ganz oben steht das politische System in Griechenland. Für mich ist die Krise primär eine Krise des politischen Systems. Das politische System hätte die Krise – zumindest in diesem Ausmaß – vermeiden können. Aber seit 2004 wurden immer die falschen Lösungen gefunden, und es wurden immer die falschen Schritte unternommen. In den letzten 30 Jahren ist das Land entweder politisch zu kurz gekommen, oder es hat die falschen Entscheidungen getroffen.

GZ: Bisher wurde kein Politiker für die jetzige Situation zur Verantwortung gezogen. Ende 2011 wurde aber der Abt des Athos-Klosters Vatepedi ins Gefängnis geworfen: War das gerechtfertigt oder wollte man damit nur ein Exempel statuieren?

MARKARIS: Ich glaube, man wollte damit ein Exempel statuieren. Und ich glaube, es ist insofern nicht gerecht, weil die Politiker, die in den Fall verwickelt waren, unversehrt davon kommen. Man kann nicht bei einem ein Exempel statuieren, und alle anderen werden einfach nicht vor Gericht gestellt.

Die Griechenland-Krise ist eine hausgemachte Krise

GZ: In der politischen Diskussion, in den Medien, aber auch in Alltagsgesprächen heiß es oft: Schuld an der Krise haben die „bösen Ratingagenturen“. Oder: Die anderen EU-Staaten haben Griechenland mit Krediten regelrecht vollgestopft und skrupellose Politiker haben das Geld gern genommen, um ein System zu erhalten – das letztlich auch vielen zu Gute gekommen ist. Was ist Ihre Meinung dazu?

MARKARIS: Ja, zuerst einmal müssen die Ratingagenturen tatsächlich gezügelt werden. Das betrifft nicht nur Griechenland, sondern die ganze EU! Man sollte daraus also kein griechisches Problem machen. Es ist ein europäisches Problem. Doch abgesehen von den Machenschaften der Ratingagenturen hat Griechenland auch stets die falschen Lösungen gewählt. Die griechische Krise ist zu einem großen Teil eine hausgemachte Krise. Wenn Griechenland politisch richtig gehandelt und richtig gewirtschaftet hätte, dann wären diese Ratingagenturen für das Land nicht von größter Wichtigkeit, ihr Einfluss wäre nicht so desaströs.

GZ: Wie würden Sie den psychisch-moralischen Zustand der griechischen Gesellschaft zum gegenwärtigen Zeilpunkt beschreiben?

MARKARIS: Die Bürger sind deprimiert, sie sind mutlos, sie sind total pessimistisch. Sie glauben nicht, dass wir diesei Krise ausstehen können. Sie haben allen Mut verloren. Und das ist keine gute Stimmung.

GZ: Gerade die Griechen waren doch immer bekannt für ihren Optimismus. Bei allen Umfragen waren die Bürger des Landes in früheren Jahren die optimistischsten Europäer ...

MARKARIS: Da muss man zwei verschiedene – sagen wir – „Realitäten“ unterscheiden. Zunächst einmal: Die Griechen waren stets: optimistisch, als wir ein armes Land waren. Nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Jahre 1981 haben die Griechen mehrere Krisen erlebt. Und sie haben dabei hie ihren Optimismus verloren. Sie haben immer geglaubt, es wird schon besser werden.

Der nun zu beobachtende Pessimismus hat meiner Ansicht nach zwei Gründe. Sie wurden in den letzten 30 Jahren so verwöhnt, dass sie die Armut total erschreckt. Andererseits ist es ein Merkmal der heutigen Krise, weil sich diese so vertieft hat, dass die Griechen einfach keine Perspektive sehen. Das hat natürlich in einem großen Ausmaß auch mit den falschen Entscheidungen in der EU zu tun. Das ist nicht nur der Fehler der Griechen.

Ich bemerke das auch in Ländern wie Spanien, Italien, sogar in Deutschland und Österreich: Die Bürger sind einfach enttäuscht, weil sie durch falsche Entscheidungen zu kurz kommen. Hinzu kommt bei uns, dass die Politiker in Griechenland den Griechen niemals die Wahrheit gesagt haben. Sie haben immer die Wahrheit verschwiegen, was jetzt schlimme Folgen hat. Wenn man den Griechen von Anfang an erklärt hätte, worum es geht, wie schwierig es sein wird, welche Opfer sie bringen müssten, dann hätten die Griechen vielleicht optimistischer, entschiedener reagiert.

Eine Rückkehr zur Drachme wäre keine Lösung

GZ: Wenn in Griechenland jemand für den Austritt aus den Euro plädiert, was würden Sie ihm antworten?

MARKARIS: Ich würde ihm ganz offen antworten, dass dies eine blöde Idee sei. Es wäre naiv zu glauben, dass man mit der Drachme all diesen Druck nicht mehr, spüren würde. Dieser Druck würde mit der Drachme sogar noch weiter zunehmen. Sicher kann man darüber streiten, ob es richtig war, dass Griechenland in die Eurozone gekommen ist. Griechenland war und ist ein kleines Land mit mittleren und kleinen Unternehmen. Früher konnte das Land mit der Drachme gut wirtschaften.

Dann kam der Euro, und mit dem Euro gab es zwei Probleme. Einerseits war der Euro für griechische Verhältnisse eine teure Währung und andererseits waren Kredite mit dem Euro ganz billig zu haben. Das hatte für das Land verheerende Folgen. Man hat die kleineren und mittleren Unternehmen einfach ohne Unterstützung gelassen und die leichte Lösung gewählt, auf Kredit zu leben. Der Euro an sich war kein Fehler, nur hätte man die notwendigen Reformen durchsetzen müssen, bevor man der Eurozone beitrat. Das haben die Griechen nicht getan.

GZ: In Griechenland wurde in letzter Zeit das Wort „ziviler Ungehorsam“ fast mit Großbuchstaben geschrieben. Aktivisten verlangten etwa den Boykott der Mautgebühren. Wohin kann das führen?

MARKARIS: Es gibt einen spontanen Widerstand, spontane Reaktionen, die man vor allem im Süden Europas beobachten kann. Natürlich haben solche Aktionen wie „Wir zahlen nicht“ keinen Sinn. Einerseits bezahlt man kein Busticket, andererseits zahlt man dann Sondersteuern zusammen mit der Elektrizitätsrechnung. Es bestehen keine Projekte, keine Ziele – das ist kein organisierter Widerstand. Die Schuld der Linken ist da ganz groß… Ob man nun links war oder nicht – die Linke war in ihren guten Zeiten immer eine Art Kontrollmechanismus der bürgerlichen Demokratie. Diesen Kontrollmechanismus hat die Linke in Europa ganz von selbst aufgegeben.

Die Griechen empören sich gegen ihre Politiker

GZ: In Thessaloniki musste die Militärparade zum Nationalfeiertag am 28. Oktober wegen aufgebrachter Demonstranten abgebrochen werden, der Staatspräsident musste „flüchten“. Welche Botschaft vermittelt das?

MARKARIS: Die Griechen empören sich gegen ihre Politiker. Ich würde sagen, das ist eine gerechte Empörung. Andererseits sind auch die Bürger nicht unschuldig an der Lage. Denn diese Politiker wurden ja in einem demokratischen System von diesen Bürgern gewählt.

GZ: Der stellvertretende Regierungschef Theodoros Pangalos hatte ja behauptet: „Wir haben alles gemeinsam aufgegessen“, sprich: uns schadlos gehalten ...

MARKARIS: Das stimmt nicht! Das ist eine Übertreibung, eine der unzählig vielen von Pangalos. Andererseits: Die Griechen haben sich mit diesem System arrangiert. Das Land hat mit dem Referendum aus dem Jahre 1975 die Monarchie abgeschafft und gleichzeitig die Familienclans in der Politik behalten. Und das war ohne die Bürger nicht möglich.

Streiks und Demonstrationen als Teil der Kulturpolitik

GZ: In den letzten Monaten gehen immer wieder Berufsgrüppen wie Taxi-Besitzer, Lkw-Besitzer, Kiosk-Besitzer, Apotheker, Rechtsanwälte auf die Straßen, sie streiken, verweigern die Arbeit. Kann man von einer Revolution des Kleinbürgertums sprechen?

MARKARIS: Ich glaube, das wäre zu weit gedacht. Man muss die Kultur des Landes verstehen. Also Demonstrationen und Streiks waren nicht nur in Griechenland, sondern im ganzen europäischen Süden ein Teil der Kulturpolitik. Einen Konsens in Griechenland zu erwarten, das finde ich einfach einfältig, weil das Land von seiner Geburt an bis heute immer auch konfrontationspolitisch gelebt hat. Daran wird sich in nächster Zeit auch nichts ändern.

GZ: Sie sind selbst Teil des. Kulturbetriebs. Wie gehen die Kulturschaffenden in Griechenland mit der Krise um? Besteht hier die Möglichkeit ein anderes, kreatives Potenzial freizusetzen? Wenn ja - wie?

MARKARIS: Ich finde, dass die Kulturschaffenden, ob es nun Literaturschaffende sind oder auch Künstler in ganz Europa schlecht mit der Krise umgehen. Einfach deshalb, weil sie sich zuwenig zu Wort melden. Wir haben das ganze Reden den Politikern und Ökonomen überlassen, und wir schweigen.

GZ: Welche Rolle spielen die Medien in diesem Prozess?

MARKARIS: Ich glaube, dass die Medien in Griechenland Teil des Problems sind. Sie kritisieren zwar, aber im Grund haben sie sich damit abgefunden, dass das System in dieser Form weiter besteht. Und alle Initiativen, die eine Kontroverse zum System als Ziel haben, die werden von den Medien nicht mitgetragen.

GZ: Herr Markaris, welche Visionen haben Sie persönlich von Griechenland im Jahre 2020? Wird es wieder das nette kleine Land sein, das…

MARKARIS: ... 2020? – Ich möchte es Ihnen anders erklären, 2014 werden 100 Jahre seit dem Beginn des Ersten Weltkrieges vergangen sein. Als dieser Krieg begann, sagte Thomas Mann, Europa hat Selbstmord begangen. Ich will nur hoffen, dass wir 100 Jahre danach nicht noch einen Selbstmord begehen.

Hoffnung, dass der Staatsapparat reformiert wird

GZ: Können Sie dieser Krise für sich oder für das Land selbst irgendetwas Positives abgewinnen?

MARKARIS: Ja. Insofern, dass die Leute nach und nach lernen müssen, so zu leben, wie es Ihnen die Mittel ihres Landes erlauben. Wenn dieses Bewusstsein erweckt wird, dann wäre das etwas Positives. Und es wäre auch wirklich sehr schön, wenn dieser marode Staatsapparat als Folge dieser Krise irgendwie reformiert würde.

GZ: Zum Schluss möchten wir noch einmal an unsere Eingangsfrage anknüpfen: Wann wird das dritte Buch der „Krisen-Trilogie“ erscheinen?

MARKARIS: Mit den beiden ersten Romanen war es so, dass ich nach der Herausgabe des Romans ungefähr drei bis vier Monate gewartet habe, bis ich dann den Stoff für den nächsten Roman zusammengesammelt habe. Das bedeutet, dass ich erst im März damit anfangen werde, den neuen Roman zu schreiben. Und wenn alles so glatt abläuft, wie beim ersten und zweiten Roman, dann kann ich hoffen, dass ich das Buch bis Oktober fertig habe.

GZ: Abgesehen von der Krise: Mit welchen anderen Themen würden Sie sich gern noch beschäftigen?

MARKARIS: Ich habe eine Menge Themen im Kopf. Probleme, die ich anfassen möchte. Aber ich glaube, zurzeit muss man den Menschen mitten in dieser Krise auch einen anderen Blick gewähren, andere Einsichten. Ich meine das insofern, dass man nicht immer nur die Information oder Standpunkte von den Medien geliefert bekommt, dass man nicht nur die Aushänge der Politiker liest, sondern auch etwas von den Kulturschaffenden.

GZ: Herr Markaris, wir bedanken uns für dieses Gespräch.

Das Interview führten Jan Hübel und Robert Stadler.

Quelle: Griechenland-Zeitung 8.2.2012, www.griechenland.net




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