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»Death by hanging«

  • Samstag, 26. März 2011 @ 08:00
Geschichte Vor 65 Jahren saßen US-amerikanische Militärs über die Verbrecher des KZ Mauthausen zu Gericht. Von Kurt Pätzold

Am 29. März 1946, das Kriegsende lag noch nicht ein Jahr zurück, begann auf dem Gelände des ehemaligen (ersten) Konzentrationslagers, das die faschistischen Machthaber im Deutschen Reich 1933 errichtet hatten, in Dachau vor einem US-amerikanischen Militärgerichtshof der Prozess gegen 61 Angeklagte, Angehörige des SS-Personals des KZ Mauthausen und seiner Nebenlager Gusen und Ebensee.

Die Namen aller drei Orte wären kaum je über ihre Umgebung in Oberösterreich hinaus gedrungen, wäre an der Spitze der Nazidiktatur nicht, kaum dass Österreichs »Anschluss« erfolgt war, entschieden worden, nahe der kleinen Gemeinde unfern der oberösterreichischen Stadt Linz ein Lager nach dem Vorbild von Dachau und Buchenwald einzurichten.

Die Wahl war auf Mauthausen gefallen, weil sich in seiner Nähe ein Steinbruch befand. Dort wollte die SS-Führung in einem ihrer eigens zu diesem Zweck geschaffenen Betriebe von den Häftlingen Granit gewinnen lassen. Das Gestein war für die Verwirklichung der größenwahnsinnigen Baupläne gedacht, durch die aus Berlin »Germania«, die Hauptstadt eines Weltreiches, werden sollte.

Im August 1938 kamen die ersten österreichischen Häftlinge, die zunächst nach Dachau verschleppt worden waren, an den Ort. Viele von ihnen und mit ihnen Menschen aus nahezu allen europäischen Staaten, die dann während des Krieges in die Hände der Eroberer gefallen waren, wurden dort entweder zu Tode geschunden, durch Arbeit vernichtet, dem Hungertod überlassen oder fielen der Willkür der Kommandeure und Wachmannschaften zum Opfer.

Als die militärische Niederlage des Regimes sich abzuzeichnen begann, wurde der Häftlingseinsatz 1942/1943 neu bestimmt und in die Rüstungsindustrie gelenkt, u. a. in die Steyr-Daimler-Puch AG, die Messerschmitt- und die »Reichswerke Hermann Göring« in Linz, sowie zum Aufbau von Anlagen, in denen unter der Erde und vor Bombenangriffen sicher, für die Fortsetzung des Krieges produziert werden sollte.

Von den etwa 200000 Gefangenen des KZ-Komplexes Mauthausen haben nur etwa 100000 die Befreiung erlebt. Diese Schätzungen (in der Literatur finden sich viele weit voneinander abweichende Angaben) sind vor allem Folge der Tatsache, dass in den letzten Monaten und selbst Wochen der faschistischen Herrschaft Tausende von Häftlingen aus anderen, darunter geräumten Lagern (Ravensbrück, Bergen-Belsen, Groß-Rosen und Buchenwald) nach Mauthausen transportiert wurden, welche die Lagerbürokratie nicht mehr erfasste. Viele von ihnen trafen dort bereits vom Tode gezeichnet ein.

Versklavt, ermordet

Auf der Anklagebank in Dachau fehlte der Kommandant des Lagers. Franz Ziereis hatte wie andere seinesgleichen unterzutauchen gesucht, als Anfang Mai US-amerikanische Truppen das Gebiet erreichten, aus dem es für ihn ein fernes Entkommen nicht mehr gab. In einer Jagdhütte entdeckt, war er bei seiner Ergreifung mit Todesfolge verwundet worden.

Mit einem seiner engsten Komplizen, dem sogenannten Schutzhaftlagerführer, waren die Kommandanten von Nebenlagern, SS-Männer, die verschiedenste Funktionen bekleidet hatten (Rapport-, Block-, Kommando- und Hundeführer), dazu Lagerärzte, der Zahnarzt, der Apotheker, Wachleute und Personal aus der Lagerverwaltung ergriffen worden, über die nun zu Gericht gesessen wurde. Das geschah auch vier sogenannten Funktionshäftlingen, Lagerinsassen, die sich als Büttel in den Dienst der SS gestellt hatten.

Der Angeklagte mit dem höchsten SS-Rang und dem einst größten Machtbesitz war der Gauleiter und Reichsstatthalter von Oberdonau, eine Bezeichnung, die den Namen Oberösterreich und damit die Erinnerung an die Selbständigkeit des Landes in Vergessenheit geraten lassen sollte. August Eigruber war Nazi schon seit den frühen zwanziger Jahren. Nicht nur, dass Mauthausen in dem von ihm regierten Landesteil lag. Er hatte das Lager an der Seite Himmlers besucht und war auch selbst an mörderischen Entscheidungen und Befehlen beteiligt.

Der Mauthausen-Prozess dauerte bis zum 13. Mai 1946. In seinem Verlauf wurde ein Bild von der Geschichte, den Funktionen und den Zuständen am Orte gegeben, das die ungehemmte Menschennichtachtung deutlich machte, die in diesem Lager der dritten Kategorie (»für kaum noch erziehbare Schutzhäftlinge«, hieß die Formel der SS-Führung, in der sich ein Freibrief für die Handlungen der Wachmannschaften ausdrückte) geherrscht hatte.

Wer nicht mehr ausbeutungsfähig war, wurde zuerst im Gas der »Euthanasie-Anstalt« auf Schloss Hartheim erstickt oder in einer Gaskammer im Lager oder in sogenannten Gaswagen ermordet. Kranke wurden von Ärzten durch Herzinjektionen, andere Häftlinge als medizinische Versuchsobjekte umgebracht. Als gegen Kriegsende die Zustände in Mauthausen vollends chaotisch wurden, reichten selbst drei Krematorien nicht mehr aus, die Leichen der Verhungerten, an Seuchen zugrunde gegangenen oder zu Tode geschundenen Häftlinge zu beseitigen. Noch in der letzten Woche vor der Befreiung gingen Tausende Insassen elend zugrunde, Hunderte andere waren trotz der dann einsetzenden Fürsorge und Behandlung und der Pflege in US-Militärlazaretten nicht mehr zu retten.

Hier wie vordem in Buchenwald bewirkten die Bilder, welche die im Mai 1945 eintreffenden US-amerikanischen Soldaten zu sehen bekamen, dass die Offiziere im Gerichtssaal zu Dachau, in dem auch Überlebende zu Worte kamen, zu Urteilen gelangten, die sich von den später von bundesrepublikanischen Richtern gefällten unterschieden. Sie entbehrten noch jeder mildernden Beimischung, geboren aus politischen Kalkülen. Im Zentrum der Anklage standen die Verbrechen an der übergroßen Mehrheit der nichtdeutschen Insassen des Lagers. Das Gericht befand alle Angeklagten für schuldig. 58 wurden zum Tode verurteilt, die drei anderen Angeklagten zu lebenslänglicher Haft.

Der Vollstreckung durch »death by hanging«, die 1947 im Kriegsverbrechergefängnis in Landsberg am Lech erfolgte, entgingen neun weitere Verurteilte, weil ihre Strafe inzwischen in lebenslängliche Haft umgewandelt worden war. Indessen hat keiner dieser Verbrecher diese seine Strafe vollständig, ja nicht einmal lange verbüßen müssen. 1951, inzwischen hatten sich mit der Neuausrichtung der US-amerikanischen Westdeutschland-Politik die Maßstäbe gründlich verändert, wurden alle aus dem Gefängnis in Landsberg entlassen, teils unter der Bedingung ihrer »Bewährung«. Ähnlich glimpflich kamen Verurteilte aus den nachfolgenden Mauthausen-Prozessen, die vor Militärgerichten der USA folgten, davon, sofern sie nicht zum Tode verurteilt und hingerichtet worden waren.

Heutiges Gedenken

Neben dem einstigen Lager befindet sich heute eine einzigartige Gedenkanlage. Nahezu alle Staaten, aus denen Menschen in die Hölle von Mauthausen verschleppt wurden, haben ihrer Opfer dort durch die Aufrichtung von Denkmälern gedacht. So entstand eine Ansammlung von architektonischen und künstlerischen Widmungen: aus den Niederlanden, Belgien, Luxemburg und Frankreich, aus Albanien Jugoslawien, Slowenien und Griechenland, Großbritannien, Polen, der Tschechoslowakei, der Sowjetunion und der Ukraine, aus Italien und selbst aus Spanien, denn nach Mauthausen waren auch Teilnehmer am spanischen Bürgerkrieg, die auf Seiten der Republikaner gekämpft hatten und später in die Hände der deutschen Faschisten gefallen waren, verschleppt worden. Dazu Gedenksteine für die ermordeten Juden, die Sinti und Roma und für die deutschen Opfer. Letztere stammen aus den Zeiten der deutschen Zweistaatlichkeit.

Das Denkmal, das die DDR errichten ließ, schuf Fritz Cremer, einer der bedeutendsten Bildhauer des 20. Jahrhunderts. Es zeigt eine trauernde, erstarrt dasitzende Frau. Aus dem bronzenen Mal sprechen die Worte Bertolt Brechts »O Deutschland, bleiche Mutter! Wie sitzest du besudelt unter den Völkern«. Ein Duplikat dieses Werkes hat seinen Platz in Berlin gefunden, auf der Museumsinsel zwischen Dom und Alter Nationalgalerie.

PS: Jahre, nachdem ich nach einer Vorlesung an der Universität Linz die Gedenkstätte Mauthausen besucht hatte, war ich Gast in Cremers Atelier nahe dem Brandenburger Tor, da uns eine Arbeit zusammengeführt hatte. Er wollte, erzählte er, ein Zeichen schaffen, das die Deutschen zum Nachdenken darüber anregte, dass aus ihrem Volke Täter wie Opfer stammten.

Quelle: Junge Welt, 26./27. März 2010

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