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Erzwungene Obsorge löst keine Konflikte

  • Donnerstag, 31. März 2011 @ 22:00
Österreich Justizministerin Bandion-Ortner (ÖVP) forciert – getrieben von einer politisch und medial einflussreichen Lobby von Sorgerechtsaktivisten – eine automatisch verpflichtende gesetzliche gemeinsame Obsorge für Kinder in Scheidungsfällen.

Sie beruft sich dabei darüber hinaus auch auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte das Vätern unehelicher Kinder ein Antragsrecht für eine gemeinsame Obsorge einräumen soll. Väter unehelicher Kinder können einen solchen Antrag stellen, eine gemeinsame Obsorge kann jedoch nicht gegen den Willen der Mütter beschlossen werden, weil es prinzipiell keine gemeinsame Obsorge ohne gegenseitiges Einvernehmen geben kann.



Eine gemeinsame Obsorge ist für alle in aufrechter Ehe lebenden Eltern gegeben, ebenso in Lebensgemeinschaften, solange diese funktionieren. 2009 wurden in Österreich 18.806 Ehen geschieden, davon 87 Prozent einvernehmlich. 20.619 Kinder waren 2009 von Scheidungen betroffen, davon 14.480 minderjährige.

In 54 Prozent der Fälle wurde von den Geschiedenen eine gemeinsame Obsorge beantragt, die seit 2001 möglich ist. Wo ein solches Einvernehmen nicht gegeben war, entscheidet das Gericht für eine alleinige Obsorge, in der Regel zugunsten der Mutter. Gemeinsame Obsorge in Lebensgemeinschaften gibt es, wenn sie von den Eltern vereinbart wird und bleibt auch über eine Trennung hinaus bestehen, außer ein Elternteil beantragt die Aufhebung bzw. alleinige Obsorge.

Regelungen zum Besuchsrecht, also wie der Kontakt des Kindes zu dem Elternteil, bei dem es nicht lebt, werden im Scheidungsverfahren – meist einvernehmlich – getroffen oder sogar einer außergerichtlichen Einigung vorbehalten, wenn Vater und Mutter das bevorzugen. Besuchsregelungen werden deshalb fast immer von Männern beantragt, weil die Kinder fast immer bei der Mutter ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. In den Fällen, in denen die Väter sich hauptsächlich um die Kinder kümmern, haben diese auch die alleinige Obsorge, wenn es keine gemeinsame Obsorge gibt. Es ist also nicht das Geschlecht ausschlaggeben, sondern die reale Hauptverantwortung für das Leben der Kinder.

Bei Scheidung bzw. Trennung wird in den meisten Fällen von den Kindeseltern eine gemeinsame Regelung über den weiteren Umgang mit den aus der Beziehung stammenden gemeinsamen Kindern durch ein entsprechendes Übereinkommen gefunden. Nur in etwa 2.000 Fällen kommt es zu keiner solchen Einigung zwischen den Eltern, meist geht es dabei um Besuchsrechte bzw. Besuchszeiten.

Die Befürworter einer gesetzlich geregelten gemeinsamen Obsorge, fast ausschließlich Männer, leiten ihre Ansprüche meist aus den von ihnen geleisteten Unterhaltszahlungen – für welche Gutverdienende 2001 steuerlich ohnehin entlastet und die für erwachsene studierende Kinder vielfach eingeklagt werden müssen - ab und argumentieren mit dem Recht des Kindes. Allerdings kann das Gesetz nicht erzwingen, was menschlich nicht geregelt werden kann. In solchen Fällen kann das Recht des Kindes allenfalls durch eine neutrale Instanz ermittelt werden, kaum jedoch durch streitende Eltern.

Daher ist es auch zweifelhaft, in diesem Zusammenhang mit Menschenrechten zu argumentieren. Und es ist eine Fehlinterpretation, wenn mit dem Recht des Kindes auf beide Elternteile argumentiert wird, weil in der UNESCO-Kinderrechtskonvention lediglich vom „Recht des Kindes auf eine Familie, elterliche Fürsorge und ein sicheres Zuhause“ die Rede ist. Bezeichnenderweise fehlen bei den 2011 von SPÖ, ÖVP, FPÖ und BZÖ beschlossenen Kinderrechten das Recht auf Gesundheit, Bildung, Freizeit ebenso wie die Bekämpfung der Kinderarmut. Obwohl 100.000 Kinder als evident arm gelten, 82.000 Kinder von häuslicher Gewalt betroffen sind und rund 200 Minderjährige in Schubhaft sitzen.

Die Erfahrung zeigt zur Genüge, dass solche Konflikte letztlich auf Kosten der Kinder ausgetragene Machtkämpfe sind. Es ist unbestreitbar, dass bei Fehlen des Einvernehmens zwischen geschiedenen oder getrennten Eltern kein gemeinsames Familienleben für betroffene Kinder mehr möglich ist. Aus der Sicht der Kinder ist ein solches Familienleben bestenfalls in der neuen Familie jenes Elternteils möglich, dem das Sorgerecht übertragen wurde.

Die Vorstellung der Justizministerin mit einer automatischen gemeinsamen Vorsorge die Kinder trotz vorhandener Konflikte zwischen den Elternteilen in beiden Haushalten zu betreuen ist weltfremd, sie macht Kinder zur „Verschubmasse“ und ist kontraproduktiv für die Entwicklung betroffener Kinder. Erfahrungen in Deutschland zeigen, dass sich trotz gemeinsamer Obsorge Konflikte über das Besuchsrecht nicht vermindern.

Befürworter der zwingenden gemeinsamen Obsorge wie der OGH-Richter Edwin Gitschthaler (Die Presse, 14.3.2011) erklären unumwunden, dass diese zu einer „gewissen Machtverschiebung“ führen, im Klartext Druck auf die betroffenen Frauen ausgeübt werden und geschiedenen Vätern einen Teil ihrer einstigen mit der Familienrechtsreform von 1976 verlorenen Machtstellung zurückgeben soll.

Das Argument „gemeinsame Obsorge bedeutet nicht, dass sich die Elternteile immer einigen müssen“ und „Wer gerade dran ist oder die besseren Argumente hat, entscheidet“ (Gitschthaler) bestätigt das anschaulich und kann wohl von niemand ernsthaft mit dem „Wohl des Kindes“ begründet werden. Ebenso die Ablehnung eines Nachweises, dass sich betroffene Väter um das Kind gekümmert haben. Nur vier Prozent der Väter haben 2010 eine Väterkarenz in Anspruch genommen, laut einer Studie verbringen 26 Prozent der Väter weniger als drei Stunden pro Woche alleine mit ihren Kindern.

Standpunkte wie von Bandion-Ortner „Obsorge betrifft nicht Alltagsangelegenheiten“ (Der Standard), „Der Anspruch kann doch nicht davon abhängen, ob der Mann vorher irgendwelche Tätigkeiten im Haushalt verrichtet hat“ oder „Es geht nicht um den täglichen Kontakt. Es heißt nicht, dass der Vater ständig bei der Familie sitzt. Gemeinsame Obsorge bedeutet nur Mitsprache in wichtigen Angelegenheiten wie Schulauswahl, ärztliche Behandlung“ zeigen eine zynische Herangehensweise an die Problematik. Daher würde eine zwingende gemeinsame Obsorge, hinter der sich die Auffassung es gäbe eine Art „Besitzrecht“ an anderen Menschen verbirgt de facto ein Schritt zurück hinter das mit der Familienrechtsreform von 1976 errungene partnerschaftliche Rechtssystem bedeuten.

Seriöse ExpertInnen wie die Rechtsanwältin Andrea Wukovits (Kurier 1.3.2011) plädieren daher zu Recht dafür, die Obsorgeregelung so zu belassen wie sie jetzt ist und weisen darauf hin, dass die zehn Prozent strittigen Fälle zu Recht bei Gericht landen, weil Gewalt, Rechthaberei um jeden Preis und Machtanspruch im Spiel sind. Aus der Sicht einer fortschrittlichen Familienpolitik kann das Obsorgeprinzip nur bedeuten: Wer für ein Kind im Alltag sorgt, soll auch die rechtliche Vertretung nach außen haben.

KPÖ-Bundesausschuss 31.3.2011

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