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Der Fall Ebensee

  • Montag, 16. August 2010 @ 08:00
Antifa Von Wolfgang Quatember

Fast auf den Tag genau ein Jahr nach dem neonazistischen Anschlag auf die Gedenkfeier im ehemaligen KZ Ebensee am 9. Mai 2009, wurde die Anklage gegen vier Ebenseer Jugendliche beim Landesgericht Wels eingebracht. Eine Anklage gegen einen fünften Jugendlichen wurde fallengelassen.

Drei zum Tatzeitpunkt 16-jährige und ein 14-jähriger müssen sich nach in Kraft treten der Anklage wegen des Verbrechens nach § 3g des Verbotsgesetzes verantworten. „Hitlergruß“, Rufe wie etwa „Sieg Heil, ihr Schweine“, Tarnanzug und Schüsse aus Softguns und einer CO²-Pistole waren Bestandteil der kaum fassbaren Inszenierung, die französische und italienische Besucher der Gedenkfeier entsetzt mit ansehen mussten.

„Heut‘ gehn ma Juden schrecken“, so sollen sich die Täter am Morgen verabredet haben. Im vollen Bewusstsein, dass am Tag der Gedenkfeier hunderte Besucher die Ausstellung in den Stollenanlagen besuchen würden, wurde die neonazistische Provokation gesetzt. In der Folge waren die Täter, nicht zuletzt durch die Zivilcourage von Anwohnern, relativ rasch gefasst.

Schauplatzwechsel. Seit Jahren ist der Ebenseer Jürgen Windhofer hinsichtlich seiner neonazistischen Aktivitäten, u.a. auch im sogenannten „Kampfverband Oberdonau“ polizeibekannt und vorbestraft. Seine Rolle im rechtsextremen Klub „Objekt 21“ in Desselbrunn dürfte seine Verurteilung zu 28 Monaten unbedingter Freiheitsstrafe nunmehr beschleunigt haben. Warum er jahrelang auf freiem Fuß war und über Ebensee und Gmunden hinaus seine Kontakte nach Deutschland pflegen konnte, ist unverständlich. Informationen zufolge soll er vor Jahren schon immer kurz vor Hausdurchsuchungen gewarnt worden sein. Die Exekutive fand in der Folge in seiner Ebenseer Wohnung, wie könnte es anders sein, nichts.

Aussagen Jugendlicher zufolge war in den letzten Jahren in den städtischen Zentren wie Gmunden und Bad Ischl kaum eine rechtsextreme Szene wahrnehmbar. Warum gerade in Ebensee ? Diese Frage wurde nach dem Anschlag auf die Gedenkfeier immer wieder gestellt. Windhofer war mit großer Sicherheit eine Integrationsfigur, die eine Szene in Ebensee aufbauen konnte und andere Jugendliche beeinflusst hat. Inwieweit er die Jugendlichen im letzten Jahr zur Tat motiviert hat, müsste der Untersuchungsrichter wissen.

Während nationale und internationale Medien, PolitikerInnen sowie ein großer Teil der Ebenseer Zivilgesellschaft die Tat am 9. Mai 2009 verurteilte und durch eine Kundgebung eine Woche später auch manifestierte, betrieben manche geradezu eine Tatumkehr. Aus den Opfern des Anschlages und den Organisatoren der Gedenkfeier wurden plötzlich die Provokateure. Forderungen, endlich die „nicht mehr zeitgemäßen“ Gedenkfeiern zu beenden, wurden laut. Eine Ebenseer Berufsschullehrerin, nach wie vor „pädagogisch“ tätig, forderte: „Schluss mit der dauernden Erinnerung…Schluss mit dem ständigen schlechten Gewissen, Schluss mit der ganzen Hetzerei und Wiedergutmachung…Sperrt die Stollen zu und lasst unsere Kinder frei. Es reicht.“ Als „Lausbubenstreich“ und mit „Atombomben auf Spatzen schießen“, verharmloste H.C. Strache.

Ein Redakteur der „Salzburger Nachrichten“ stellte die abstruse Vermutung an, dass aufgrund des Vorfalles die pädagogische Arbeit in der KZ-Gedenkstätte Ebensee offensichtlich gescheitert sei.

Reflexartig forderten Bildungsverantwortliche verstärkte historische Aufklärung und vermehrte Klassenbesuche von KZ-Gedenkstätten. Das war wohl gut gemeint, jedoch, das sei nachdrücklich festgehalten, können Gedenkstättenbesuche keine automatische Immunisierung gegen Rechtsextremismus sein.

Menschenrechtserziehung muss im frühen Kindesalter erfolgen. Kinder werden nicht als Rassisten geboren, sondern von Erwachsenen zu solchen gemacht. Längst ist nachgewiesen, dass Jugendliche, wenn sie im Normalfall ab der 8. Schulstufe zum ersten Mal mit dem Thema „Nationalsozialismus“ konfrontiert werden, bereits fertige Bilder im Kopf haben, Bilder die durch Unterhaltungsmedien und vor allem durch die Familie geprägt sind.

Rechtsextremismus, Xenophobie und Anti-Islamismus ist kein jugendspezifisches Phänomen und keine Erscheinung von Randgruppen, sondern ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

In der Debatte um Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit sind oft falsche Akzente gesetzt worden. Der Neo- Nationalsozialismus nach dem Muster eines Gerd Honsik macht nicht den Kern des heutigen Rechtsradikalismus aus. NS-Apologien sind marginale Elemente in der politischen Kultur geblieben. Sie haben in jüngster Zeit weder dramatisch zugenommen noch sind sie in Deutschland/Österreich stärker verbreitet als in anderen westeuropäischen Ländern. Die Fokussierung auf diesen Aspekt durch die Medien nützt dem Kampf gegen den Rechtsradikalismus und die brutale fremdenfeindliche Gewalt, den Anti-Islamismus und Antisemitismus kaum. Nur eine aktive Zuwanderungs- und Integrationspolitik begleitet von bildungspolitischen Maßnahmen, Sprachunterricht, Integration auf dem Arbeitsmarkt und zivilgesellschaftlichem Engagement kann die Lösung sein.

Zurück zum konkreten Fall. Die jugendlichen Ebenseer begingen einen bisher unbekannten Tabubruch. KZ-Gedenkstätten waren bereits mehrfach Ziele von Brandanschlägen (Sachsenhausen 1992), Beschmierungen (Mauthausen, Neuengamme), Zerstörungen u.a. gewesen. Die Täter agierten zumeist nachts und anonym. Zum ersten Mal jedoch wurden, wenn auch vermummt, offen Besucher einer Gedenkfeier provoziert, beschimpft und mit Softguns bzw. einer CO²-Pistole, die echten Waffen täuschend ähnlich sind, unter Beschuss genommen. Der Vorfall von Ebensee hatte tatsächlich eine neue Qualität.

Die Ursachen dafür, dass Jugendliche zu rechtsextremen Tätern werden, können vielschichtig sein. Die Wissenschaft unterscheidet zwischen individuell – psychologischen, sozialen und politischen Ursachen. Für die Tat in Ebensee dürften weitestgehend die ersten beiden Erklärungsansätze in Frage kommen.

Warum gerade die Gedenkstätte in Ebensee zum Ziel wurde, mag vor allem auch einen situationsspezifischen Grund haben. Es liegt zweifellos nicht daran, dass Ebensee seine NS-Geschichte nicht thematisiert hätte. Kaum ein anderer ehemaliger KZ-Standort hat sich in den letzten 20 Jahren so offensiv mit seiner Regionalgeschichte auseinandergesetzt. Offensichtlich machte gerade die Tatsache, dass die Gedenkstätte und das Zeitgeschichte Museum jährlich von rund 12.000 Besuchern frequentiert wird, diese zum Anziehungspunkt für eine rechtsextreme Provokation. Eine solche, und das muss das Ziel der Jugendlichen gewesen sein, kann nur dort mit Aufsehen und Publikumswirksamkeit rechnen. Eine Ortstafel und eine Bushaltestelle mit Hakenkreuzen zu beschmieren, wie es wenige Tage später in Traunkirchen geschehen ist, erregt in Österreich wenig Aufsehen.

Signifikant für die Störaktion der Gedenkfeier ist jedoch eine weitere Tatsache: Vier der fünf Tatbeteiligten wohnen in der Siedlung bzw. sind dort aufgewachsen, die ab den 1950er Jahren auf dem ehemaligen KZ-Lagergelände errichtet worden ist. Während etwa in Mauthausen über Jahrzehnte das Erinnern und Gedenken aus dem Ort selbst ferngehalten, sozusagen exterritorialisiert, wurde, ist dies aufgrund der Überbauung des Lagergeländes in Ebensee nicht möglich.

Für beide Gruppen, Besucher der KZ-Gedenkstätte sowie Bewohner besteht eine Irritation. „Wie können Leute hier wohnen“, ist eine häufig formulierte Frage der Gedenkstättenbesucher. Die Bewohner sind seit Jahren mit den internationalen Besuchern der KZ-Gedenkstätte sowie Schulklassen auf Exkursionen konfrontiert. Während die überwiegende Mehrheit der dort ansässigen Menschen das Besucherinteresse versteht, auch den Umstand, dass die Gedenkstätte letzte Ruhestätte für tausende Opfer ist, fühlen sich manche in ihrer kleinbürgerlichen Idylle gestört und wollen „ihre Ruhe haben“.

In diesem Milieu gedeiht eine Atmosphäre, in der latenter Antisemitismus und Xenophobie gekoppelt mit der Ablehnung der Gedenkstättenbesucher verbal geäußert wird. Für Kinder und Jugendliche sind erwiesenermaßen Eltern, Großeltern und Freundeskreis die primären Sozialisationsinstanzen. Das, was im Normalfall Erwachsene nicht tun, weil sie aus Räson nicht aktiv gegen gesellschaftliche Konventionen verstoßen wollen, sind Jugendliche viel eher bereit, auszuführen.

Wenn etwa ein Großvater in der Gegenwart seiner Enkel immer wieder in Bezug auf Gedenkstättenbesucher Äußerungen tätigt wie: „Die sollen uns in Ruhe lassen. Was wollen denn die Juden immer noch von uns. Die sollen verschwinden…“, dann wird der Großvater selbst nicht zur Tat schreiten und die Besucher vertreiben. Bei Jugendlichen aber, die über Jahre in diesem Milieu sozialisiert werden, ist die Bereitschaft konventionelle Grenzen zu überschreiten bedeutend höher. Sie setzen das Verhalten, das der Großvater verbal vorlebt, in die Tat um.

Ein Gespräch seitens der Verantwortlichen in der KZ-Gedenkstätte mit den Jugendlichen war bisher nicht möglich. Wie auch immer das Urteil lauten wird, notwendig wäre es, die Jugendlichen über einen längeren Zeitraum professionell zu betreuen. Mit einem eventuellen Urteil zum Tatausgleich in einer kommunalen Einrichtung alleine ist nichts erreicht.

Es geht in erster Linie darum, die Jugendlichen ernst zu nehmen, ihre tatsächlichen Tatmotive gemeinsam mit ihnen herauszufinden und sie dafür zu sensibilisieren, was ihre Tat für die Überlebenden und Angehörigen der Opfer bedeutet. Die Konfrontation mit den Betroffenen, sofern diese das akzeptieren, sollte den Jugendlichen nicht erspart bleiben. Historiker alleine sind in diesen Fällen überfordert. Psychologen und geschulte Sozialarbeiter sind in jedem Fall vonnöten.

Das internationale mediale Interesse wird mit Sicherheit die Gerichtsverhandlung begleiten. Auch wenn der mediale Druck bedingt durch die unverständlich lange Verfahrensdauer längst verebbt ist, wird man auf Österreich schauen. Das Ziel aller Beteiligten sollte es auf jeden Fall sein, aus den jugendlichen Tätern mündige und verantwortungsbewusste Menschen zu machen.

Wolfgang Quatember ist Leiter des Zeitgeschichtemuseums Ebensee




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