Willkommen bei KPÖ Oberösterreich 

Zu viele Details versperren Blick auf größere Zusammenhänge

  • Dienstag, 8. September 2009 @ 23:00
Sozial Die Sozialpolitik stand auf dem Prüfstand einer von Ingrid Schiller moderierten Podiumsdiskussion von EXIT-sozial anlässlich der bevorstehenden Landtagswahl am 8. September 2009 im Tageszentrum Bagua in Linz. Da vier der fünf am Podium vertretenen ParteienvertreterInnen Mitglieder des Sozialausschusses des oö Landtages sind, geriet die Debatte freilich über weite Strecken zu einer Fachsimpelei, durch welche wesentliche Kernfragen und größere Zusammenhänge ausgeblendet wurden.

Ein massiver Kritikpunkt in dieser Debatte war die Umsetzung des Chancengleichheitsgesetzes. Dazu wurde aus dem Publikum kritisiert, dass dieses Gesetz zwar gut klingt, die Realisierung freilich ganz eine andere ist, etwa wenn Betroffene dann für Leistungen zahlen müssen. Bestätigt wurde dies auch von Grünen-Sozialsprecher Gunther Trübswasser, der das Gesetz als gut, die Verordnung des zuständigen Soziallandesrates dazu aber als schlecht bezeichnete und feststellte, dass es nicht Ziel der Sozialpolitik sein darf, die Betroffenen immer am untersten Limit zu halten.

Der Hauptkritikpunkt zu diesem Gesetz ist, dass sich das Land bei der Finanzierung einer persönlichen Assistenz Zugriff auf Einkommen und Vermögen verschafft, wodurch sich oft Betroffene diese Assistenz nicht leisten können. Für die KPÖ bekräftigte Gerlinde Grünn, Spitzenkandidatin bei der Linzer Gemeinderatswahl, die Forderung nach einer einkommens- und vermögensunabhängigen persönlichen Assistenz wie das auch von verschiedenen Initiativen wie etwa von der Selbstbestimmt Leben Initiative (SLI) mit Verweis auf die einkommensunabhängige Familienbeihilfe gefordert wird.

Deutlich wurde bei dieser Debatte, dass oft an sich gute Gesetzesvorlagen durch die von der Landesverwaltung verfassten Verordnungen entwertet werden, die Exekutive an der Legislative vorbeiarbeitet und eine wachsende Verbürokratisierung sowie mangelnde Planung die Sozialpolitik bestimmen. Aus den Aussagen der Abgeordneten Gertrude Schreiberhuber (SPÖ) wurde deutlich, dass wesentliche Errungenschaften durch das komplizierte System der Mitfinanzierung durch die Gemeinden scheitern, weil Städte- und Gemeindebund im Rahmen des Konsultationsmechanismus mit Verweis auf die schlechte Finanzlage der Kommunen die Mitfinanzierung blockieren.

Große Skepsis kam zu der ab 2010 bundesweit geltenden Bedarfsorientierten Mindestsicherung zum Ausdruck, vor allem weil die vorgesehenen, am Ausgleichszulagenrichtsatz orientierten, 733 Euro nur zwölf statt 14mal ausbezahlt werden sollen, was im Vergleich zur derzeitigen Sozialhilfe zumindest für Oberösterreich eine Verschlechterung bedeutet. Dazu gab es ein recht durchsichtiges parteipolitisches Ping-Pong, indem Schreiberhuber (SPÖ) Finanzminister Pröll den „Schwarzen Peter“ zuschob und Sozialminister Hundstorfer ungeschoren ließ.

Trübswasser meinte, dass wer einmal bei der Sozialhilfe angekommen ist, kaum eine Chance hat, davon wieder wegzukommen und auch die künftige Mindestsicherung nur eine Armutsverwaltung ist. Zwar hätten alle SPÖ-Sozialreferenten gegen das Hundstorfer-Modell protestiert, der Protest blieb allerdings wirkungslos.

Massive Kritik gab es auch an der Hilfebedarfserhebung die als diskriminierend und nicht menschenrechtskonform bezeichnet wurde. Die von der Sozialverwaltung angewendete Praxis geht vom Status Quo aus und verhindert damit Perspektiven. Ebenso wurde die Praxis der Sachwalterschaften angesprochen, wo sich die Fälle häufen, dass Rechtsanwälte auf Kosten des Vermögens der Besachwalterten ein schönes Zubrot verschaffen, ohne dafür entsprechende Leistungen zu erbringen. Zu den von Seiten der Politik verkündeten hehren Zielen von Selbstbestimmung und Chancengleichheit wurde aus dem Publikum auch auf die mangelnde Überreinstimmung der Praxis mit der Europäischen Menschenrechtskonvention verwiesen.

Angesprochen wurde auch der BAGS-Kollektivvertrag und die Bestrebungen angeblich überhöhte Gehälter der Beschäftigten der Sozialvereine EXIT-sozial und pro mente zu kürzen. Von der schwarzgrünen Landesregierung war dazu eine Prüfung durch den Landesrechnungshof beantragt worden, das Ergebnis wurde von ÖVP, Grünen und FPÖ im Landtag abgesegnet, der SPÖ-Vorschlag für eine längere Einschleiferegelung war nicht mehrheitsfähig. Aus dem Publikum wurde kritisiert, dass BAGS-KV und das Normkostenmodell des Landes massiven Druck auf die Gehälter bedeuten, wovon in erster Linie Frauen betroffen sind, während das Gegenteil notwendig wäre um eine wachsende Altersarmut zu verhindern.

Aussagen wie der FPÖ-Sozialsprecherin Helga Moser, dass der BAGS-KV Aufgabe der Gewerkschaft und nicht der Politik sei oder der ÖVP-Abgeordneten Maria Jachs, dass „niemand etwas weggenommen“ würde verbunden mit einem demonstrativen Bekenntnis zum RH-Bericht gehen an der Sache vorbei. Wenn dazu beteuert wurde, dass das Lohngefüge schieflastig ist, wenn „ein Mechaniker für die Autopflege besser bezahlt wird als eine Altenfacharbeiterin für die Menschenpflege“ führten zu verständlichen Zwischenrufen aus dem Publikum, warum man erst das Gehaltsniveau senken müsse, wenn doch allgemein beteuert wird, dass die Frauenverdienste höher sein müssten.

Den Lobeshymnen von grün – Trübswasser verwies auf die vereinbarte jährliche 7prozentige Steigerung des Sozialbudgets von 2003 bis 2009 von 300 auf 450 Millionen Euro – und schwarz – Jachs betonte, dass Oberösterreich das höchste Sozialbudget aller Länder hat – konnten die Defizite der Sozialpolitik nicht beiseite schaffen. Die Vorstellungen gehen hier auch sichtlich auseinander, wenn etwa die ÖVP den ländlichen Raum, die Familienpolitik und die mobilen Dienste forcieren will und Handlungsbedarf des Soziallandesrates für eine andere Verteilung urgierte. Moser (FPÖ) meinte das Sozialsystem sei auf Dauer nicht finanzierbar, wenn immer neue Forderungen erhoben werden und plädierte für Eigenverantwortung.

Der Appell an die Betroffenen zur Mitarbeit bei Erarbeitung neuer und Novellierung vorhandener Gesetze um Schubkraft zu erzeugen, bleibt fragwürdig, wenn wie im Fall des Chancengleichheitsgesetzes zwar zunächst die Betroffenen einbezogen werden, dann aber hinter ihrem Rücken ein Gesetz beschlossen wird, das durch eine Verordnung weitgehend entwertet wird.

Für die KPÖ verwies Gerlinde Grünn auf ihre persönlichen Erfahrungen als Sozialpädagogin durch ihre berufliche Tätigkeit mit Langzeiterwerbsarbeitslosen und die Betroffenheit von Menschen mit geringem Einkommen und ständiger Existenzangst. Sie brachte zur Aufforderung der Moderatorin Visionen für die Sozialpolitik darzustellen als einzige die Forderung nach einem Grundeinkommen als Voraussetzung für ein angstfreies Leben und zur Aktivierung Betroffener zur Sprache. Als Zwischenschritt dahin trat Grünn für eine Energiegrundsicherung ein, damit niemand in einer kalten und finsteren Wohnung sitzen muss. Wenn große Summen für Banken und Konzerne locker gemacht werden, müssten auch für die Sozialpolitik die notwendigen Mittel vorhanden sein. Der Blick aufs Detail versperrt den Blick auf die großen Zusammenhänge, was insbesondere für die Finanzierung gilt.

Themen