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Zehn Regeln für eine krisenfeste Welt

  • Samstag, 18. April 2009 @ 12:24
Kapital Was zu tun und was zu lassen ist, um ein Wirtschaftssystem zu kreieren, in dem nicht Banker sondern Unternehmer das Sagen haben und Krisen nicht gefährlich, sondern gesund sind. Ratschläge eines skeptischen Empiristen - Kommentar der anderen von Nassim Nicholas Taleb

Erstens: Was leicht bricht, bricht am besten gleich, solange es noch klein ist.

Wehe, ein Unternehmen wird zu groß, um bankrott gehen zu dürfen! In der Welt der Wirtschaft wird aber nichts so leicht so groß, wie Firmen mit einem Maximum an versteckten Risiken - also wie die mit den meisten Sollbruchstellen.

Zweitens: Keine Verstaatlichung der Verluste und Privatisierung der Gewinne!

Unternehmen, die mit Staatsgeld gerettet werden müssen, sollten auch verstaatlicht werden. Die, bei denen das nicht sinnvoll ist, sollen frei sein, klein bleiben und ihr Risiko selbst tragen. Wir aber haben uns die schlechtestmögliche Kombination von Kapitalismus und Sozialismus ausgesucht. Im Frankreich der 80-er Jahre übernahmen die Sozialisten die Banken. 20 Jahre später übernahmen in den USA die Banken die Regierung. Das ist pervers.

Drittens: Leuten, die einmal einen Schulbus in den Graben fuhren, darf niemals mehr ein Bus anvertraut werden.

Das Establishment der Ökonomen an Unis, Regulierungsbehörden, in Notenbanken, Regierungen und in anderen Institutionen hat mit dem Scheitern des Systems seine Legitimation verloren. Es wäre verrückt und unverantwortlich, ausgerechnet auf diese Experten zu setzen, um aus dem Schlamassel heraus zu kommen. Es gilt vielmehr, kluge Leute zu finden, mit sauberen Händen.

Viertens: Jemand, der durch "Erfolgsprämien" motiviert ist, sollte kein Atomkraftwerk managen - und schon gar nicht Ihre finanziellen Risken.

Es wäre zu befürchten, dass er an allen Ecken und Enden Sicherheiten preisgibt, um "Profite" vorweisen zu können, und dabei behauptet, "konservativ" disponiert zu haben. Mit Erfolgsprämien ist den versteckten Risiken, die zum Platzen der Blase führen, nicht beizukommen. Die Asymmetrie des Bonussystems hat uns die Krise eingebrockt. Also muss es, wo es einen Bonus gibt, auch einen Malus geben: Im Kapitalismus darf man nicht nur für Gewinne Prämien kassieren, man soll auch für Verluste Strafe zahlen müssen.

Fünftens: Komplexität braucht Einfachheit als Gegengewicht.

Der mit Globalisierung und hochgradiger Vernetzung der Wirtschaft einhergehenden Komplexität muss die Vereinfachung der Finanzprodukte entgegengesetzt werden. Die hochkomplexe Wirtschaft hat selbst schon eine Hebelwirkung: die Vervielfachung der Leistungsfähigkeit. Solche Systeme überleben dank Flauten und Redundanzen. Kommen aber Schulden dazu, so können gefährliche Kreisläufe entstehen; für Irrtümer bleibt dann kein Spielraum mehr. Der Kapitalismus ist launig, Blasen sind nicht vermeidbar: Kapitalblasen (wie im Jahr 2000) platzen verhältnismäßig harmlos; Schuldenblasen aber sind teuflisch.

Sechstens: Dynamit ist nichts für Kinder, auch wenn "Vorsicht Dynamit" draufsteht.

Komplexe Derivative gehören verboten, weil niemand sie versteht und nur wenige vernünftig genug sind, sich das einzugestehen. Die Menschen müssen vor sich selbst geschützt werden, dann vor Bankern, die ihnen Hedgefonds verkaufen wollen, und schließlich vor leichtgläubigen Regulatoren, die Wirtschaftstheoretikern hörig sind.

Siebtens: Nur Pyramidenspiele sollten auf Vertrauen angewiesen sein.

Regierungen sollten nie in die Lage kommen "Vertrauen wieder herstellen" zu müssen. Das Lauffeuer von Gerüchten ist ein Produkt komplexer Systeme. Regierungen können es nicht stoppen. Wir müssen ganz einfach imstande sein, Gerüchten die kalte Schulter zu zeigen, uns von ihnen nicht beeindrucken lassen.

Achtens: Keine Drogen für Süchtige, die unter Entzug leiden!

Hebelwirkung einzusetzen, um die bösen Folgen von zu viel Hebelwirkung zu heilen, ist falsch verstandene Homöopathie. Die Schuldenkrise ist kein vorübergehendes, sondern ein strukturelles Problem. Wir brauchen eine Rehab-Kur.

Neuntens: Pensionen dürfen nicht von Finanzvermögen oder Ratschlägen fehlbarer Experten abhängen.

Das Wirtschaftleben sollte von der Herrschaft des Finanzmarktes befreit werden. Wir sollten lernen, Märkte als Warenhäuser von Werten anzusehen: Sie bieten nicht die Sicherheiten, die der normale Mensch braucht. Dass sich Menschen um ihr Geschäft Sorgen machen, ist okay, das steuern sie selbst, nicht aber die Geldanlagen, die sie nicht beeinflussen können.

Zehntens: Mit zerbrochenen Eiern macht man Omelette, und keine Hühner.

Diese Krise kann nicht mit Notbehelfen bewältigt werden, sowenig wie man ein angefaultes Boot mit Klebstreifen reparieren kann. Es muss neu und aus widerstandsfähigerem Material gebaut werden. Wir müssen das System neu aufstellen, bevor es das selbst tut. Entwickeln und installieren wir aus freiem Entschluss einen Kapitalismus der Version 2.0, indem wir dazu beitragen, dass das, was untergehen muss, selbst untergeht, dass Schulden in Kapital umgewandelt werden, das Establishment der Wirtschafts- und Businessschulen verdrängt und der Wirtschaftsnobelpreis abgeschafft wird, dass fremdfinanzierte Übernahmen verboten werden, die Banker auf die Plätze verwiesen, auf die sie passen, die Erfolgsprämien abgeschafft, die uns das alles eingebrockt haben, und dass wir die Menschen dazu bringen, sich in einer Welt mit weniger Sicherheit zurecht zu finden. Dann wird sich unser Wirtschaftsleben besser an unsere biologische Umwelt anpassen: kleinere Betriebe, mehr Ökologie, keine Hebelwirkung. Eine Welt, in der Unternehmer und nicht die Banker die Risiken übernehmen, in der täglich Unternehmen entstehen und vergehen, ohne dass das Schlagzeilen macht. Mit anderen Worten, eine Welt, für die Krisen nicht gefährlich sind, sondern gesund. (Übersetzung: Peter Warta)

Zur Person: Nassim N. Taleb, US-Amerikaner libanesischer Herkunft, ist Finanzmathematiker, ehemaliger - höchst erfolgreicher - Hedgefondsmanager, Essayist und Bestsellerautor; sein im vorigen Herbst auch auf Deutsch erschienenes Buch "Der Schwarze Schwan" (Hanser-Verlag), eine finanzstrategische Ketzerbibel "über die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse" sollte in keinem Krisenanalysen-Spezialregal fehlen; der hier publizierte Text, gewissermaßen ein Kondensat des "Black Swan" wurde in der "Financial Times" erstveröffentlicht.

Quelle: Der Standard. Print-Ausgabe, 18./19.4.2009, www.derstandard.at

PS: Auch wenn man Taleb nicht in allen Punkten (etwa seiner Vorstellung von einem Kapitalismus 2.0) zustimmt, so ist vor allem bemerkenswert, wie pointiert er wesentliche Merkmale der Krise und der Ursachen die dazu geführt haben darstellt.

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