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Sicherheit wie wir sie meinen

  • Donnerstag, 29. Januar 2009 @ 15:32
Demokratie Ein Positionspapier der KPÖ

Die auch beim Wahlergebnis vom 28. September 2008 wiederum zum Ausdruck gekommene politische Rechtsentwicklung in Österreich hat maßgeblich mit dem seit Jahren anhaltenden Diskurs über Sicherheit zu tun.

Die neoliberale Politik entspricht dem Credo „Weniger Staat, mehr privat“. Sie führt zur Zerstörung des Sozialstaates und damit des gesellschaftlichen Ausgleichs sowie zu einer massiven Prekarisierung aller Bereiche der Gesellschaft. Eine Folge ist eine wachsende ökonomische und soziale Verunsicherung, welcher ein reaktionäres Verständnis von Sicherheitspolitik aufgesetzt wird. Die Fakten zeigen, dass am stärksten von sozialer Unsicherheit betroffene Menschen mit dem Gesetz in Konflikt kommen. Sowohl Eigentumsdelikte als auch Gewalt sind Ausdruck einer solchen sozialen Verunsicherung.

Das Grundbedürfnis nach einem Leben in Sicherheit und ohne Angst vor der Zukunft wird von der etablierten Politik und vor allem von den rechtsextremen Parteien in einer demagogischen Weise aufgegriffen und instrumentalisiert. Dabei werden die eigentlichen Ursachen von Unsicherheit und Kriminalität, nämlich ökonomische Verhältnisse und gesellschaftliche Strukturen ausgeblendet und bestimmten Gruppen die Schuld zugewiesen. In einer sehr durchsichtigen Weise werden vor allem AusländerInnen für Kriminalität verantwortlich gemacht und damit die vorhandene Fremdenfeindlichkeit bedient.

Etablierte Politik setzt auf Law and Order

Charakteristisch für die aktuelle Debatte sind oberflächliche Rufen nach mehr Polizei (bei Verweis auf eine oft sehr willkürlich interpretierte Kriminalstatistik sowie Anzeigen- bzw. Verurteilungspraxis) oder strengere Strafen (mit Verweis auf aufsehenerregende Kriminalfälle oder Versagen von Behörden). Damit lenkt die etablierte Politik von „Law and order“ von einer Hinterfragung der Ursachen ab. Sie lenkt aber auch vom generellen Unrecht des Neoliberalismus und der Unsicherheit in großen Teilen der Bevölkerung durch diesen ab. Hier wird auch eine deutliche Differenz zwischen einer (stark medial und von Vorurteilen und Feindbildern bestimmten) gefühlten und einer (durch Fakten belegten) tatsächlichen Sicherheit deutlich. Vor allem bei Menschen die durch die seit Jahrzehnten praktizierten Stellvertreterpolitik nicht zu partizipativer Kritik und Protest fähig sind, fällt die Präsentation von Sündenböcken auf fruchtbaren Boden.

In Hinblick auf die Forderung nach mehr Polizei bleibt die Frage offen, welche Polizeipräsenz ausreichend erscheint um das subjektive Sicherheitsbedürfnis zu befriedigen. Wer einen Polizeistaat ablehnt, muss daher dafür eintreten, dass anstelle einer zunehmend militarisierten Polizei eine Exekutive tritt die beim Umgang mit Konflikten nicht eskalierend, sondern deeskalierend wirkt, die die Unsicherheit der Menschen ernst nimmt und etwa durch einen verstärkten MigrantInnenanteil einen besseren Zugang zu diesem Milieu findet.

Wo die Gewalt zu Hause ist…

Bei der medial hochgespielten Zunahme von Gewalt wird verdrängt, dass 90 Prozent der Gewalt in Familien gegen Frauen und Kinder erfolgt und nicht mit verstärkter Überwachung zu verhindern ist. Nicht zufällig geschehen die aufsehenerregendsten Massaker mit Waffen und vor allem Sexualdelikte im Familienbereich. Hier gilt es die Tradition der Gewalt in der Gesellschaft und die Unterdrückung der Frau zu hinterfragen und bestehenden Ausschlussmechanismen zu überwinden und darauf hinzuwirken, dass Frauen und Kinder aus bestehenden Gewaltstrukturen ausbrechen können.

Es gilt also bei der selbstbestimmten Handlungsfähigkeit der Menschen anzusetzen, Partizipation und gleiche Rechte für alle zu fördern, statt autoritäre Überwachungsstrukturen zu verstärken. Die verstärkte Bedeutung von Wegweisungen gegen gewalttätige Männer oder Beachtung von Stalking oder Mobbing zeigt, dass eine Veränderung des Rechtsempfindens auch ein langwieriger gesellschaftlicher Umdenkprozess ist.

Als Ablenkung von der wachsenden Bildungsmisere und vor dem Hintergrund fehlender Zukunftsperspektiven für Jugendliche ist die ebenfalls medial hochgespielte Gewalt an Schulen und unter Jugendlichen zu sehen. Maßnahmen wie Alkoholverbot in Parks oder Bannmeilen vor Schulen sowie Rufe nach Erziehungslagern und Jugendcamps – wie etwa in einzelnen Bundesstaaten der USA praktiziert – sind die falsche Konsequenz. Hingegen bedeutet die Einführung der Diversion vor allem bei Jugendlichen einen wichtigen Fortschritt. Statt mehr Polizei und Strafen wäre zum Beispiel der Einsatz entsprechend qualifizierter Streetworker oder auch die Einführung von Schulsozialarbeit anzustreben.

Unsicherheit durch den Staat

Im etablierten Sicherheitsdiskurs weitgehend verdrängt wird die Sicherheit der BürgerInnen vor dem Staat durch Polizeiübergriffe, die Entwicklung zur flächendeckenden Überwachung des öffentlichen Raums, einer zunehmenden Verdatung der BürgerInnen und juristische Verschärfungen wie mit dem Sicherheitspolizeigesetz oder dem Militärbefugnisgesetz. Während Deutschland über den Einsatz von Trojanern noch diskutiert, werden solche in Österreich ohne Rechtsgrundlage eingesetzt.

Den Missbrauch beweisen laut Datenschutzbericht auch über 10.000 illegale Polizeiabfragen allein im Jahre 2007. Im Regierungsprogramm für 2008-2013 sind zwangsweise Blutabnahmen, Online-Durchsuchung und Maßnahmen gegen nicht näher definierte „Hassprediger“ oder TeilnehmerInnen an „Terrorcamps“ vorgesehen. Aussagen wie jene von LH Erwin Pröll „Wer in Niederösterreich etwas anstellt muss mit dem schlimmsten rechnen“ als Rechtfertigung zur Erschießung mehrerer rumänischer Staatsbürger, sind faktisch eine Aufforderung zur staatlichen Lynchjustiz.

Ein Aspekt ist auch die zunehmende Privatisierung von Sicherheitsaufgaben durch Auslagerung vom Staat an private Unternehmen, nicht zufällig wächst diese Branche besonders stark. Im Gefolge des Sicherheitsdiskurses nehmen auch Bestrebungen zur Bildung privater Bürgerwehren sowie zur Nachbarschaftsüberwachung zu.

Instrumentalisierung durch die Medien

In letzter Zeit haben spektakuläre Kriminalfälle durch die schrankenlosen Möglichkeiten für mediale Inszenierung, bis hin zur Skandalisierung und Hysterisierung unverhältnismäßigen Raum eingenommen und erst Recht Unsicherheit erzeugt. Eine erhöhte Sensibilität für Sexualdelikte (wie Vergewaltigung, Kindesmissbrauch, Kinderpornographie usw.)und die gestiegene Bereitschaft von Opfern, sich zu outen, sowie die Tatsache, dass die Opfer heute zunehmend ernst genommen werden führt manchmal zum Eindruck, als seien solche Übergriffe zahlreicher geworden. Dies ist aber nicht der Fall, sie werden öfter öffentlich.

Sehr ernsthaft sind Behörden gefordert auch die Möglichkeit von Vernaderungen zu prüfen. Nicht selten handelt es sich um schwer beweisbare Vorgänge. Insbesondere von den Jugendämtern muss verlangt werden, dass sie Maßnahmen die dem Kinderschutz dienen, sehr genau abwägen, um ein Übermaß an Einmischung in private Angelegenheiten von Familien zu vermeiden. Allgemeine Menschen- und Persönlichkeitsrechte sind auch in diesem Bereich von höchster Bedeutung.

Opfer, Täter und die Justiz

Bei der Entwicklung der Justizpolitik wurden die Opfer im Strafrecht erst spät berücksichtigt und ihnen Parteienstellung in Verfahren eingeräumt. Für das Sicherheitsverständnis ist jedoch wichtig, die Opfer ernst zu nehmen. Eine Lizitierung der Strafen nach oben hat jedoch keine abschreckende Wirkung. Dies zeigt das Beispiel von Staaten wie etwa der USA, welche die Todesstrafe als die brutalste Form staatlicher Gewalt anwenden. Viele Täter, vor allem bei Sexualdelikten, waren früher selber Opfer, daher müsste eine verstärkte Täterprävention forciert werden.

Früher war für Konflikte das Motto „Wir werden keinen Richter brauchen“ maßgeblich, heute haben wir es mit einer zunehmenden Anzeigepraxis zu tun, die zu einer offiziellen Befassung von Exekutive und Justiz führt. Es erfolgt also weniger eine Zunahme von Straftaten, als vielmehr eine stärkere Erfassung derselben durch Anzeigen bzw. Medienberichte.

Es ist unbestritten, dass spektakuläre Kriminalfälle zur Auseinandersetzung über die Fragen Verhinderung, Aufklärung, Umgang und gesetzliche Urteile und Arten der Strafen führen. Trotzdem ist eine Anlassgesetzgebung, die übereilt und nicht ausreichend überlegt unter öffentlichem und medialem Druck zur Verschärfung von Gesetzen führt, abzulehnen und dem Rechtsstaat abträglich.

Mit Recht wird kritisiert, dass millionenschwer bezahlte ManagerInnen für Fehlentscheidungen mit oft schwerwiegenden wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen auf tausende Menschen durch das etablierte politische und juristische System keine oder nur geringe juristischen Konsequenzen zu befürchten haben, womit der Klassencharakter des Staates zum Ausdruck kommt.

Sozial. Mit Sicherheit

Unter Einbeziehung dieser Aspekte besteht kein (zunehmendes) Sicherheitsproblem, vielmehr ist der Sicherheitsdiskurs Ausdruck wachsender sozialer Defizite. Daher hat die KPÖ auch ansatzweise versucht bei der Nationalratswahl 2008 mit dem Slogan „Sozial. Solidarisch. Mit Sicherheit“ deutlich zu machen, welchen Sicherheitsbegriff sie vertritt. Mit Stellungnahmen zum öffentlichen Raum und zum Überwachungsstaat hat sich die KPÖ bereits in den vergangenen Jahren positioniert. Dieses Positionspapier soll die Haltung der KPÖ zum Thema Sicherheit weiterführen und vertiefen, die Komplexität der Probleme darstellen ohne verkürzte oder gar populistische Patentrezepte zu präsentieren.

KPÖ-Bundesausschuss 29.1.2009 auf Grundlage des Ergebnisses einer Beratung zum Thema Sicherheit am 28.11.2008

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