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Das Heulen der Grauen Wölfe

  • Dienstag, 21. Oktober 2008 @ 14:09
Antifa Rechtsextremismus unter türkischen MigrantIinnen. Von Thomas Schmidinger

Die Beschäftigung mit rechten und autoritären Bewegungen unter MigrantIinnen stößt bei manchen Linken und Liberalen auf Skepsis. Viele Linke und Liberale nehmen an, dass MigrantIinnen bereits aufgrund ihrer Eigenschaft als MigrantIinnen ebenso Linke oder Liberale sein müssten wie sie selbst. MigrantIinnen werden auf ihre Rolle als potentielle Opfer des mehrheitsösterreichischen Rassismus reduziert und nicht als Akteure ernst genommen.

Dabei wählen Österreicherinnen mit Migrationshintergrund - und nur solche dürfen ja wählen Nichtösterreicherinnen sind ja vom Wahlrecht ausgeschlossen - durchaus nicht nur Grüne, SPÖ, KPÖ oder LIF. Einige, allerdings nicht sehr repräsentative, Umfragen vor den letzten Wahlen, haben gezeigt, dass sich auch viele Österreicherinnen mit Migrationshintergrund überlegt haben die FPÖ zu wählen. Diese Umfragen sind aufgrund des relativ kleinen Samples noch mit Fragezeichen versehen, aber auch meine Erfahrung mit MigrantIinnen zeigt, dass es den Typus des „gut integrierten Ausländers“ gibt, der gerade in der Wahl von BZÖ oder FPÖ ein Zeichen seiner Integration sieht und sich von den neuen, als unangepasst betrachteten Zuwanderlnnen bedroht fühlt.

Hier soll es jedoch nicht primär um das Wahlverhalten von Österreicherinnen mit Migrationshintergrund gehen. Darüber haben wir einfach noch zu wenig wissenschaftlich aussagekräftige Informationen. Ich wurde hier gebeten eine Einführung zum Thema Rechtsextremismus unter türkischen MigrantIinnen zu geben. Es handelt sich dabei um Strömungen, die sich stärker auf rechtsextreme Strömungen in der Türkei beziehen, denn in Österreich. Es handelt sich dabei keineswegs um die einzigen autoritären Bewegungen unter türkischen MigrantIinnen oder ihren Nachkommen. Allerdings sollen hier nicht die unterschiedlichen Strömungen des politischen Islam im Mittelpunkt stehen, sondern extrem nationalistische Bewegungen, die eher dem entsprechen, was wir hierzulande als „rechtsextrem“ bezeichnen.

Die zweifellos wichtigste rechtsextreme Strömung in der Türkei bildet die von Alparslan Türkes 1969 gegründete Milliyetci Hareket Partisi (Partei der nationalen Bewegung, MHP) mit ihrer Jugendorganisation, den Grauen Wölfen. Türkes vertrat einen aggressiven völkischen Nationalismus, der sich in der Tradition des Panturkismus expansiv auf die Turkvölker Zentralasiens und des Kaukasus bezog und militant gegen Minderheiten im eigenen Land richtete, insbesondere gegen Armenier und Kurden. Obwohl die MHP immer wieder gegen den westlichen Lebensstil hetzte, unterhielt sie zugleich engen Kontakt mit rechten Militärs und den eng in die NATO eingebundenen Geheimdienst- und Gladio-Strukturen der Türkei. Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion und der weitgehenden Niederlage der türkischen Linken bildete somit ein aggressiver Antikommunismus das zweite ideologische Standbein der Bewegung.

1969 aus der Cumhuriyetci Köylü Millet Partisi (Republikanische Bauern- und Volkspartei, CKMP) hervorgegangen terrorisierte die Partei und ihre Jugendorganisation in den späten 1970er-Jahren die türkische und kurdische Linke. Nach dem Militärputsch von 1980 musste sie sich in Milliyetci Calisma Partisi (Partei der Nationalistischen Arbeit, MCP) umbenennen. Seit 1992 durfte sie jedoch wieder ihren alten Namen fuhren. Als Alparslan Türkes am 4. April 1997 starb, kam es zu einem innerparteilichen Machtkampf zwischen den Anhänger seines Sohnes Tugrul Türkes und dem früheren Generalsekretär der MHP, Devlet Bahceli.

Nach der Wahl von Bahceli zum neuen Vorsitzenden verließ Tugrul Türkes die MHP aus und gründete am 27. Februar 1997 die allerdings wenig erfolgreiche Aydinlik Türkiye Partisi (Partei der Erleuchteten der Türkei ATP). Devlet Bahceli versuchte die Partei zu einem respektableren Image zu verhelfen und distanzierte sich teilweise von den militanten Ursprüngen der Partei. Allerdings änderte sich damit wenig an den Kernaussagen der politischen Ideologie der Bewegung. Im Gegensatz zur ATP ist die MHP fest in die politische Landschaft der Türkei integriert und gehörte von 1998 bis 2002 sogar der sozialdemokratisch geführten Regierung Ecevit an. Am 22. Juli 2007 erhielt die MHP mit einem nationalistischen und antieuropäischen Wahlkampf 14,27 Prozent der stimmen und 71 Mandate im Parlament.

In Österreich ist die an sich säkulare MHP durch einen Dachverband von Moschee- und Sportvereinen vertreten, der sich „Türkische Kultur- und Sportgemeinschaft in Österreich“ (ADÜTF) nennt. Umgangssprachlich werden sie auch als Ülkücüler bezeichnet. Insgesamt liegt die Zahl der Mitglieds vereine bei 40-50 Vereinen im gesamten Bundesgebiet. Schwerpunkte liegen in Wien, Linz, Innsbruck und Vorarlberg. Einzelne Anhänger der Partei sind jedoch auch in anderen türkischen Vereinen tätig. Mitglieder der MHP in Europa waren immer wieder im Heroinhandel und anderen Formen der Organisierten Kriminalität tätig, über die sie auch ihre Organisationen finanzieren.

1992 spaltete sich eine Gruppe aus der MHP ab, die eine Islamisierung des MHP-Nationalismus betreiben wollte und 1993 die Büyük Birlik Partisi (BBP) gründete. Bei der Ideologie der BBP unter ihrem Vorsitzenden Muhsin Yazicioglu handelt es sich um einen Nationalislamismus, der gleichermaßen gegen ethnische Minderheiten (insbesondere Kurden) als auch gegen religiöse Minderheiten (insbesondere Armenier) gerichtet ist. 1995 konnte die BBP in einem Wahlbündnis mit der konservativen Mutterlandspartei A-NAP 7 Abgeordnete ins Parlament bekommen. Regionale Hochburgen der BBP sind die Provinzen Trabzon, Kahramanmaras und Sivas, wo sie derzeit auch einige Bürgermeister stellt (3 in Trabzon, 2 in Sivas).

In Jänner 2006 traten prominente Mitglieder der MHP zur BBP über. Zur Begründung hieß es, die MHP sei zur DBP (Devlet Bahceli)-Partei verkommen. Man versuche, die Nationalität über die Staatsbürgerschaft zu definieren. Dabei verlasse man die Begriffe „Rasse und Blut“ und zerreiße so die Bande zu den Türken außerhalb der Türkei. Die BBP gilt somit nicht nur als islamische Variante der MHP, sondern auch als radikalere völkisch-nationalistische Fraktion der extremen Rechten in der Türkei. Bei den Parlamentswahlen 2007 gelang dem Parteivorsitzenden Muhsin Yazicioglu in Sivas der Einzug als „unabhängiger“ Kandidat. Kontakte zu bewaffneten rechtsextremen Terrororganisationen und zur OK. Nachgewiesenermaßen gab es Kontakte der BBP-Regionalpartei von Trabzon zum Hrant-Dink Attentäter.

In Europa ist die BBP durch den Avrupa Türk Birligi (Verband Türkischer Kulturvereine in Europa, ATB) vertreten. Die Organisation entstand 2002 als Nachfolgerin der Avrupa Nizam-i Alem Ocaklari Federasyonu (ANOF). In Österreich ist die Organisation durch Avusturya Nizam-i Alem vertreten, die über zwei Mitgliedsverein in Wien und Vorarlberg, darunter eigenen kleinen Jugendgruppen (Alperen Ocaklari) verfugt.

In Oberösterreich verfugt die BBP über keine eigenständigen Strukturen, allenfalls über einzelne Anhänger. Allerdings sind mehrere Vereine der Ülkücüler vertreten. Regionale Hochburgen gibt es in Linz und Traun. Anhänger der MHP gestalteten auch eine eigene Radiosendung bei Radio FRO, verloren jedoch ihren Sendeplatz, nachdem 2007 ein Artikel in den WADI-News darauf aufmerksam gemacht hatte.

In Österreich kommt es mittlerweile deutlich seltener zu gewaltsamen Übergriffen türkischer Rechtsextremisten auf kurdische und türkische Linke wie in den 1980er-Jahren. Allerdings eskalieren latente Konflikte, wenn es in der Türkei zur Zuspitzung von Auseinandersetzungen kommt, gelegentlich auch hier. Insgesamt scheint es sich dabei aber weniger um geplante Terrorakte zu handeln, sondern eher um spontane Angriffe aufgehetzter Jugendlicher. Politisch gefährlicher ist langfristig sicher der Versuch in österreichischen politischen Parteien aktiv zu werden.

Eine kritische Auseinandersetzung mit den Positionen dieser Gruppierungen wäre jedoch nicht nur deshalb notwendig, sondern auch um MigrantIinnen auch als politische Subjekte - zu denen auch politische Gegnerinnen zählen - ernst zu nehmen.

Thomas Schmidinger ist Lektor am lnstitut für Politikwissenschaft der Universität Wien und hat im Herbst 2008 gemeinsam mit Dunja Larise das Buch „Zwischen Gottesstaat und Demokratie. Handbuch des politischen Islam“ herausgegeben.

Quelle: Antifa-Info Nr. 142, September / Oktober 2008

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