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Kein Ende der Talfahrt absehbar

  • Freitag, 26. September 2008 @ 22:45
Kapital Ende letzter Woche hatten sich die Finanzmärkte vorübergehend beruhigt. Die US-Regierung arbeitete an dem neuen rekordverdächtigen Bankenrettungsplan. Doch bereits in der laufenden Woche gingen die Kurse wieder in die Knie. Negative Folgen des Rettungsplans werden diskutiert. Neue Krisenherde treten in Erscheinung. Tatsächlich dürften wir im besten Fall die Ruhe vor neuen Stürmen erleben.


Natürlich ist der Plan des US-Finanzministers Henry Paulson kühn und rekordverdächtig: Allen US-Banken soll der größte Teil ihrer gigantischen faulen Kredite aus Hypothekengeschäften abgenommen und diese in die allgemeine Staatsschuld aufgenommen werden. Wann, wenn nicht jetzt, sollten sich die taumelnden Börsen erholen? Wenn der US-Kongreß oder der US-Senat allzu lange zögern, den Plan durchzuwinken, könnte die Gewalt des Marktes mit neuen Kursverlusten sie zur Einsicht zwingen.

Wie auch immer im Detail das Ringen um »Plan P« des US-Finanzministers ausgehen wird – die Anzeichen, daß damit die Finanzmarktkrise gestoppt und die Gefahr einer Weltwirtschaftskrise gebannt wären, sind trügerisch. Vielmehr wird sich die Finanzmarktkrise fortsetzen; gleichzeitig werden neue »schwächste Kettenglieder« ins Zentrum der Krisendynamik geraten.

Neue Krisenherde

Die offene Krise kann in einem Schwellenland ausbrechen, beispielsweise in Rußland oder in China: In Rußland haben sich die Börsenkurse in den letzten Wochen halbiert. Der Handel an beiden großen russischen Börsen mußte am 17. und 18. September ausgesetzt werden, um einen Sturz ins Bodenlose zu verhindern. Eine allgemeine Krise, auch verstärkt durch die niedrigeren Exporterlöse infolge sinkender Preise für Öl und Gas, droht.

In China wird die Ökonomie von widersprüchlichen Faktoren bestimmt. Trotz einer noch relativ hohen Wachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes (BIP) bedroht die starke Exportorientierung des Landes die Konjunktur. Durch die sich abschwächende Nachfrage aus Übersee mußte bereits eine große Zahl primär auf den Export ausgerichteter Fabriken schließen. Es gibt eine hausgemachte Immobilienkrise. Die gewaltigen Devisenreserven Chinas stellen einerseits ein Polster dar, das im Fall eines Wirtschaftseinbruchs als Schutz eingesetzt werden kann. Andererseits sind diese Gelder überwiegend in Dollaranleihen angelegt, so daß ein neuerlicher Kursverfall des US-Dollars diese zugleich entwerten würde, was Peking und Washington gegenwärtig objektiv zu Partnern macht (die De-facto-Verstaatlichung der Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac soll auch mit Blick auf Peking erfolgt sein, da ein größerer Teil des chinesischen Devisenschatzes in Anleihen dieser Finanzinstitute gehalten wird).

Ein zweiter möglicher neuer Krisenherd ist Westeuropa. Der größte geschlossene Wirtschaftsraum der Welt, die EU, droht in eine allgemeine Rezession abzugleiten. Das Bruttoinlandsprodukt der Eurozone lag bereits im zweiten Quartal 2008 mit 0,2 Prozent leicht im Minus (BRD minus 0,5 Prozent). Das scheint sich auch im dritten Quartal fortgesetzt zu haben. Damit wäre die offizielle Definition einer Rezession erfüllt.

Schwächelnde US-Realwirtschaft

Die Frage, ob die internationale Finanzkrise sich zu einer Weltwirtschaftskrise entwickelt, hängt nicht zuletzt von der Entwicklung der Realwirtschaft in den USA ab. Inzwischen deuten so gut wie alle Indikatoren darauf hin, daß sich die US-Wirtschaft bereits mitten in einer Rezession befindet. Alle verfügbaren Angaben für den August (BIP, Arbeitskräfteentwicklung und industrielle Produktion) sind negativ. Um Ausreißer, die für die US-Statistik charakteristisch sind, auszuschließen, hier die Angaben für den Dreimonatsvergleich Juni–August mit März–Mai: Danach sind die nichtagrarische Beschäftigung (Industrie und Dienstleistungssektor) im jüngsten Dreimonatsdurchschnitt im Vergleich zum vorausgegangenen um 0,6 Prozent, die Durchschnittslöhne einfacher US-Arbeiter um 4,4 Prozent, die Industrieproduktion um 1,6 Prozent und die Baubeginne um 4,8 Prozent gefallen. Die Rede ist hier von bereits bereinigten, in ihren Schwankungen ausgeglichenen harten Fakten der Realwirtschaft, die alle vor Beginn der jüngsten Finanzkrise – Ende August – zu konstatieren waren. Die aktuelle Zuspitzung findet also in einem Augenblick statt, in dem sich die Realwirtschaft bereits in der Rezession befindet. Die Finanzkrise wird diese Krisenerscheinungen an der materiellen Basis nochmals deutlich verschärfen u.a., weil eine höhere Staatsschuld zu neuen Sparmaßnahmen und damit zu einem Rückgang der Binnenkonjunktur führt. Es ist bereits absehbar, daß es demnächst heißen wird, die Finanzkrise habe zu einer Krise der Realwirtschaft geführt. Die vorliegenden Daten belegen, daß es sich zumindest um einen parallelen Prozeß handelt. Teilweise ist es auch umgekehrt: Die Krise der Realwirtschaft verschärft die Krise im Finanzsektor.

Die unterschiedlichen Krisenherde (Schwellenländer, EU, US-Realwirtschaft) drohen in einen Rückgang der weltweiten Wirtschaft und in eine Weltwirtschaftskrise zu münden – die erste nach der »Großen Krise« 1929 bis 1932. Eine solche Entwicklung würde aller Voraussicht nach auch den US-Dollar als Weltwährung in Frage stellen und damit das Weltfinanzsystem in seinen Grundfesten erschüttern.

Plan P des US-Finanzministers

In dieser gefährlichen Situation starrt in den USA alles – und starren Hunderte Millionen Menschen auf der ganzen Welt – auf einen Mann: auf Henry Paulson und seinen Plan zur Rettung des US-Finanzsystems. Paulson selbt formuliert es hochdramatisch: »Möglicherweise geht es um die Rettung der weltweiten Finanzarchitektur.«

Die Mainstream-Medien in den USA – überwiegend auch die in Deutschland – stellen den Plan P des Mr. P. als eine rationale, sinnvolle Sache dar. Da gibt es die Gefahr eines »melt down«, des Durchbrennens aller Sicherungen im US- und im weltweiten Finanzsystem. Dann kommt ein cooler Zwei-Meter-Finanztyp daher und versucht in aller Ruhe, die Sicherungen auszuwechseln bzw. durchgebrannte Drähte provisorisch wieder zu verbinden. Unisono heißt es, daß es grundsätzlich keine andere Lösung der Krise gäbe als den Plan P. Auch andere G-8-Staaten begrüßten das Vorhaben (selbst wenn sie sich, auf Drängen des deutschen Finanzministers, an dessen Finanzierung nicht beteiligen wollen). Immer wieder wird darauf verwiesen, der ehemalige Investmentbanker Henry Paulson, der früher immer für den freien Markt eingetreten sei, handle nun entgegen seinen Überzeugungen; er sei der typisch pragmatisch-US-amerikanische, im Sinne des staatlichen und des Gemeinwohls agierende Politiker. An diesem im Grunde antagonistischen Widerspruch zwischen einer ehemals bösen »Heuschrecke« und einem nun rational agierenden Toppolitiker stoßen sich viele vor allem deshalb nicht, weil ihnen nichts anderes bleibt, als auf ein Wunder zu hoffen. Ein solcher Glaube beruhigt Millionen Menschen, die angesichts der kaum durchschaubaren – und von den Medien bewußt kaum erklärten – Erschütterungen im Weltfinanzsystem nach einem ruhigen Pol und einem Rettungsplan suchen. Die Zustimmung reicht weit ins linke Lager. Oskar Lafontaine etwa fände es »ratsam, wenn die deutsche Regierung (...) erkennt, daß man jetzt zusammenarbeiten muß«. Der US-Plan sei, so wird Lafontaine in der Süddeutschen Zeitung (24.9.) zitiert, »alternativlos«.

Agent seiner Klasse

Eine realistische, materialistische Analyse dieses Plans sollte dagegen den Hintergrund von Mr. Paulson im Auge behalten. Seine wirklichen Zielsetzungen dürften sich aus seiner Herkunft erklären. Paulson arbeitete von 1974 bis 2006 für die Investmentbank Goldman Sachs, die inzwischen einzige überlebende Investmentbank der USA (bis März 2008 gab es ihrer noch fünf).¹ Von 1998 bis 2006 war er dort Topmann. Paulson wurde im Juni 2006 als Nachfolger von John Snow US-Finanzminister. Man könnte sagen, daß dies zu einem Zeitpunkt erfolgte, als kluge Leute den kommenden Crash vorhersahen. Wenn Paulson diesen Job annahm, dann ganz sicher nicht des Geldes wegen – sein Vermögen wird auf 600 Millionen US-Dollar geschätzt. Das offizielle Gehalt eines US-Finanzministers liegt bei einem Bruchteil dessen, was er bei Goldman Sachs verdient hatte. Interessanterweise hat sich Paulson beim Eintritt in die Regierung George W. Bush explizit »die gleiche Gestaltungsmacht wie Außenministerin Condoleezza Rice und (der damalige) Verteidigungsminister Donald Rumsfeld« ausbedungen. Er hatte also von Anfang an einen Sonderstatus. Und er brachte auch gleich einige Jungs von Goldman Sachs mit – so Dan Jester und Steve Shavran –, die im US-Finanzministerium als sein Expertenteam arbeiten.

Im Klartext: Paulson ist Teil der herrschenden Klasse und in derselben Vertreter des Finanzkapitals. Er handelt in erster Linie als Agent dieser Klasse und dieser spezifischen Klientel. Das betrifft selbst noch Details: Das taumelnde Investmenthaus Bear Stearns wurde staatlich aufgefangen, der scharfe Konkurrent von Goldman Sachs, das Investmenthaus Lehman Brothers, wurde in die Pleite gestoßen. Paulson ist der klassische Vertreter einer Kapitalgruppe, die US-Präsident Franklin D. Roosevelt als »the Banksters« bezeichnet hatte. Denn sein Plan läuft auf eine Art Urbi-et-Orbi-Generalabsolution für die akkumulierten Todsünden des US-Finanzsektors hinaus: Den größten Teil der in riskanten Finanzmarktgeschäften angehäuften faulen Kredite übernimmt der Staat. Es geht offiziell um einen Betrag von 700 Milliarden US-Dollar; Wolfgang Münchau geht in der Financial Times Deutschland (24.9.) davon aus, daß es am Ende »eher 2000 als 700 Milliarden Dollar« sein werden. Die Behauptung, es gehe hier um einen »unamerikanischen finanziellen Sozialismus« (so der republikanische Kongreß-Abgeordnete Jim Bunning) oder gar die ironische Bemerkung, man kehre nun »zu den Steinzeitrezepten des Sozialismus zurück, also Verstaatlichung« (so Oskar Lafontaine), finden keine Entsprechung in den harten Fakten von Paulsons Plan. Diese unglaubliche Summe von 700 oder 2000 Milliarden US-Dollar wird den Finanzinstituten ohne Gegenleistung geschenkt. Sie können nach dieser Stärkung also erneut ihre riskanten Spiele betreiben.

Ein interessanter Aspekt ist dabei die Auswirkung dieses Vorhabens auf die US-Wahlen. Wird Plan P umgesetzt, dann erhöhen sich die US-Verschuldung und die dortigen Haushaltsdefizite dramatisch. Alle Wahlversprechen der beiden Kandidaten – höhere staatliche Ausgaben (Barack Obama) bzw. Steuersenkungen (John McCain) sind damit bereits vom Tisch. So ist es nicht verwunderlich, wenn McCain ankündigte, nach seiner Wahl zum US-Präsidenten Paulson als Finanzminister weiterzubeschäftigen – und auch Obama andeutete, er werde als US-Präsident Paulson »für eine Übergangszeit im Amt belassen«.

Drei Lehren

Unabhängig vom weiteren Fortgang der Finanzkrise und der Umsetzung beziehungsweise Ausgestaltung von Plan P gibt es drei erste Lehren der Finanzkrise, die zu ziehen sind.

1. Dokumentiert wird die Verlogenheit der Herrschenden, die uns jahrzehntelang sagten: »Für dies und das, für all den ›Sozialklimbim‹ fehlt leider das Geld«. All dies Geld ist nunmehr plötzlich da – freilich für diejenigen, die ohnehin damit gesegnet sind (bzw. die derzeit abstürzen könnten und mit solchem Geld vor dem Absturz gerettet werden).

Erinnern wir uns, daß Hartz IV mit dem Fehlen von ein paar Dutzend Milliarden Euro im Staatshaushalt begründet wurde. Denken wir daran, daß die Gewährung nicht zurückzuzahlender Stipendien anstelle von BAföG auf Kreditbasis ein paar hundert Millionen Euro im Jahr kosten würde. Rufen wir ins Gedächtnis, daß ein paar Dutzend Milliarden US-Dollar ausreichen würden, um in den USA allen Menschen eine Standard-Krankenversicherung zugute kommen zu lassen, also auch den knapp 40 Millionen Personen, die derzeit keinerlei Krankenversicherung haben.

All diese – und andere – Finanzierungen für elementare Anforderungen sozialer Gerechtigkeit wurden in den letzten fünfzehn Jahren abgelehnt mit dem Argument, es gebe »keine finanziellen Spielräume«; Geld sei nicht (mehr) vorhanden. Man müsse sparen. Inzwischen erleben wir, daß ein Vielfaches all dieser Summen plötzlich vorhanden ist, wenn es darum geht, nicht die sozial Schwachen abzusichern, sondern die materiell Starken zu füttern und deren Risiken in sichere staatliche Häfen zu bringen. Das trifft in großem Maßstab auf die USA zu. Das trifft aber auch auf Deutschland zu, wie die Übernahmen von Belastungen in Höhe vieler Milliarden Euro im Fall der angeschlagenen Banken IKB, SachsenLB, WestLB, Bayern LB und KfW zeigten.

All das Geld war natürlich immer da. Der Klassencharakter der Gesellschaft zeigt sich auch darin, wann dieses Geld »nicht da« ist – und wann es im Überfluß auftaucht und wie und wo es eingesetzt wird.

Dabei gibt es einen fatalen inneren Zusammenhang: In den Jahren zuvor, als all diese Kürzungsmaßnahmen zu Lasten der Bevölkerung durchgesetzt wurden, sind gewaltige Beträge der öffentlichen Hand entzogen worden – u.a. durch »Steuerreformen« und Steuersenkungen. Sie blieben bei den großen Konzernen und Banken oder gelangten in spezifische Kapitalsammelstellen. Ein großer Teil dieser Gelder wurde in spekulative Geschäfte investiert – was zu den verschiedenen Spekulationsblasen führte, einem Ausgangspunkt der aktuellen Krise.

2. Zwei Jahrzehnte lang wurde gesagt: Im Rahmen der Globalisierung haben die Nationalstaaten und die nationalen Regierungen ihre Macht verloren; es dominieren allein die Finanzmärkte. Tatsächlich erleben wir aktuell das Gegenteil: Die Finanzmärkte kontraktieren und schrumpeln, der Staat zeigt seine Muskeln – wenn auch zugunsten der Reichen und Vermögenden.

Es war in bürgerlichen wie in globalisierungskritischen Kreisen kaum mehr umstritten, vom totalen Niedergang der Nationalstaaten zu reden und zu behaupten, die Finanzmärkte allein bestimmten inzwischen den Gang der Wirtschaft. Natürlich ist unbestreitbar, daß es in jüngerer Zeit eine Schwächung der nationalen (politischen) Ebene und eine Stärkung des internationalen Finanzsektors gab. Die Verabsolutierung dieser Position war jedoch schon immer falsch. Es machte stets Sinn, wenn ein Kanzler Schröder oder eine Kanzlerin Merkel ihre Flüge in strategisch wichtige Länder in Begleitung einer halben Hundertschaft Industrieller und Banker absolvierten. Wären die Topleute der Wirtschaft allein geflogen, wäre das für sie weniger lukrativ gewesen. Auch in diesen vorausgegangenen Zeiten war der Staat wichtig.

Inzwischen erleben wir flächendeckend, wie die Märkte kapitulieren und der Glaube an deren rationale Kraft schwindet. Regierungen und Politiker greifen heftig in das Markt- und Börsengeschehen ein – beispielsweise, wenn sie nunmehr »Leerverkäufe« von Aktien – das Wetten auf den weiteren Verfall der Kurse – verbieten (dabei wurden diese Geschäfte noch vor wenigen Monaten als Teil der »Rationalität der Finanzmärkte« gepriesen).

Vor allem aber gilt inzwischen der Staat als letzter Retter in der Not. Es ist die US-Regierung, die Bear Stearns, Fannie Mae und Freddie Mac und die Versicherung AIG retteten – bzw. sich weigerte, den Lehman Brothers ebenfalls einen Rettungsring zuzuwerfen. Es war die deutsche Bundesregierung bzw. es waren Landesregierungen, die die genannten gestrauchelten deutschen Finanzinstitute stützten. Interessant ist hier erneut Plan P: Ein großes Finanzinstitut, das sich in jüngerer Zeit als »vaterlandsloser Gesell« erwies und seinen Unternehmenssitz ins Ausland oder in eine Steueroase verlegte, ginge bei Paulsons Rettungsplan leer aus. Ausdrücklich heißt es in dem Entwurf für das neue Gesetz, das Finanzministerium könne hypothekenbezogene Kredite »von jedem Finanzinstitut, das seinen Firmensitz innerhalb der USA hat, übernehmen.«

3. Seit Jahrzehnten wird uns gesagt, »freedom and democracy«, Freiheit und Demokratie, die Selbstbestimmung der Bevölkerung und Kapitalfreiheit, gingen Hand in Hand. Die aktuelle Krise der Finanzmärkte verdeutlicht, daß Entscheidungen, die Hunderte Millionen Menschen enorm belasten, von ein paar Dutzend Personen gefällt werden. Es herrscht die nackte Wirtschaftsdiktatur.

Seit Ausbruch der Finanzkrise wurden weltweit Hunderte Milliarden Dollar und Euro eingesetzt, um die Krisentendenzen abzuschwächen. Allein die Rettung der diversen staatlichen und staatsnahen Finanzinstitute in Deutschland hat bereits Dutzende Milliarden Euro an staatlichen Geldern verschlungen. In den USA mußten bereits mehrere hundert Milliarden Dollar »investiert« werden, um einen Zusammenbruch des Finanzsystems zu verhindern. Plan P sieht vor, diesen Betrag mindestens zu verfünffachen. Völlig unabhängig von der Frage, ob all das sinnvoll ist oder ob der Krise vielleicht anders begegnet werden sollte, ist das Folgende interessant: Fast alle diese Entscheidungen werden in einem kleinen abgeschotteten Kreis gefällt. Die Parlamente bleiben weitgehend außen vor. Auch die Regierungen können die aktuellen Entscheidungen meist nur abnicken. US-Präsident George W. Bush ist weitgehend von der Bildfläche verschwunden. Wenn er sich denn äußert, dann in Form eines Rezitators: Ihm werden Texte vorgelegt, die er weitgehend tonlos – da unverstanden, weil an dessen Zustandekommen unbeteiligt – wiedergibt. Das war im übrigen nicht anders, als vor einem Jahr die SachsenLB über Nacht »gerettet« und an die baden-württembergische LBBW notverkauft werden mußte. Das Parlament konnte den Deal, der mit Milliarden Euro an Steuergeldern finanziert werden muß, nur abnicken. Sachsens CDU-Ministerpräsident Milbradt gab den Rezitator.

Dieses strikt antidemokratische Grundverständnis, wie im Kapitalismus Krisen gelöst (und dabei möglicherweise perspektivisch verschärft) werden, wird in »Section 8« von Plan P glasklar zum Ausdruck gebracht: »Entscheidungen, die der Minister gemäß der ihm mit diesem Gesetz erteilten Vollmacht trifft, sind dem Ermessen des Amtsträgers anheimgestellt und nicht überprüfbar, sie unterliegen keiner gerichtlichen oder irgendeiner administrativen Kontrolle.« Das heißt, Entscheidungen über eine der größten Umverteilungsaktionen in der US-Geschichte, die zu einem drastischen Anstieg der US-Staatsschuld führt und mit der 250 Millionen Menschen auf Jahrzehnte belastet werden, werden von einer kleinen Gruppe von Personen, die in enger Verbindung mit den Top-Finanzinstituten stehen, entschieden. Was dabei wer wie entschieden hat, soll für niemanden nachvollziehbar oder gar anfechtbar sein. Angesichts dessen bleibt im Grunde nur der revolutionäre Weg, die Umwälzung aller bestehenden Verhältnisse, offen.

In den Worten des Ökonomen Nouriel Roubini von der New York University, der bereits 2006 den Finanzkrach, ausgehend vom Markt für hypothekenbezogene Wertpapiere vorhergesagt hatte: »Da sagt dieser Paulson: ›Glaubt mir, ich werde alles richtig machen, wenn ich die absolute Kontrolle bekomme‹. Aber wir leben doch nicht in einer Monarchie!«

Die Macht der Alleinherrscher

Tatsächlich sind die Regierungsform und die Handlungsweise, die in der gegenwärtigen Krise vorherrschen, absolutistisch und autokratisch. In der Zeit des Absolutismus wurde die Macht der Alleinherrscher von Gott, einer nicht hinterfragbaren Instanz, abgeleitet. Die moderne Begründung für den aktuellen Absolutismus besteht in Verweisen auf »Sachzwänge«, die »schnelle Entscheidungen« erforderten. Ein ergänzender Verweis auf Gott kann dabei nicht schaden. Auf die Frage eines Kongreßabgeordneten, was passieren würde, wenn Plan P im Parlament abgelehnt werde, antwortete Paulson: »Dann Gnade uns Gott!« Doch die Dromokratie, die Herrschaft der Geschwindigkeit², als Gegensatz zur Demokratie, die auch ausreichend Zeit für Entscheidungen verlangt, ist eine bewußt herbeigeführte. Bis vor wenigen Jahren mußten Hypothekenkredite in den Büchern und Bilanzen der die Kredite vergebenden Institute bleiben; sie durften nicht weiterverkauft und schon gar nicht mit dubiosen anderen Papieren gebündelt und verschnürt und internationalisiert werden. Indem man diese Regulierung aufgab und den Hypothekenmarkt umfassend deregulierte, schuf man erst das Diktat von Markt und Geschwindigkeit.

Bleibt die Behauptung, es gebe keine Alternative zur Handlungsweise des Mr. Paulson und zu seinem Plan P. Hier ist nicht die Rede von einer sozialistischen Politik (was ja durchaus vertretbar wäre). Tatsächlich gibt es auch im Rahmen der bürgerlichen Politik einen Plan B. Nach diesem könnte man den hochverschuldeten und oft vor der Pleite stehenden Finanzinstituten anbieten, daß sie faule Kredite im Tausch gegen Eigentumsrechte des Staates an eine öffentliche Institution abgeben können. Immerhin wurde so in den Fällen der De-facto Verstaatlichungen von Fannie Mae, Freddie Mac und des Versicherers AIG vorgegangen. Dann würde der Staat und dann würden indirekt die Steuerzahlenden am Ende der Prozedur über ein in großen Teilen staatliches Finanzsystem verfügen, aus dessen späteren Gewinnen die Kosten der Unternehmung »bad bank« weitgehend abgedeckt werden könnten. Die Kosten für die Bevölkerung würden bei einem Bruchteil der gegenwärtigen liegen. Der fatale Effekt, daß privaten Finanzinstituten, die sich mehr als eineinhalb Jahrzehnte als skrupellose Zocker betätigt hatten, bedeutet wird: »Wir nehmen alle Eure Schulden – und ihr könnt von neuem beginnen!«, wäre dann nicht gegeben. – Aber das wäre dann tatsächlich, um die Worte von Lafontaine zu zitieren, ein »Steinzeitrezept des Sozialismus, also Verstaatlichung«.

1 Die Investmentbank Bear Stearns wurde im März 2008 mit staatlicher Unterstützung, von der Investmentbank Morgan Stanley übernommen, die Investmentbank Merrill Lynch wurde im August von der Bank of Amerika geschluckt; die Investmentbank Lehman Brothers ging im September pleite. Ebenfalls im September stieg bei Morgan Stanley die Mitsubishi Bank als großer neuer Anteileigner ein.

2 dromos, griechisch, die Geschwindigkeit; kratos = die Herrschaft

Der Artikel von Winfried Wolf erschien zuerst in Junge Welt vom 26.9.08 <http://www.jungewelt.de/2008/09-26/045.php>;

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