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Coup der Viererbande

  • Freitag, 23. Mai 2008 @ 18:50
Europa Auf dem Weg in eine neue Hegemonialordnung: Die BRD, Frankreich, Großbritannien und Italien werden mit dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags über ein Stimmengewicht von über 53 Prozent verfügen. Von Andreas Wehr

»Europa hat den Stillstand überwunden, seine Handlungsfähigkeit zurückgewonnen und zu neuer gemeinsamer Kraft gefunden!« So begann die Laudatio auf Bundeskanzlerin Angela Merkel aus Anlaß der Verleihung des diesjährigen Karlspreises der Stadt Aachen an sie am 1. Mai 2008. Gewürdigt wurde damit »ihr herausragender Beitrag zur Überwindung der Krise der EU und in Anerkennung richtungsweisender Entscheidungen zum Fortschreiten des europäischen Einigungsprozesses«.

Gemeint war damit der unter deutscher Ratspräsidentschaft ausgearbeitete und dann in Lissabon verabschiedete Vertrag, der die gescheiterte Verfassung ersetzen soll, ihren Inhalt aber so gut wie unverändert übernimmt. Dieser Lissabonner Vertrag steht heute im Bundesrat zur Abstimmung. Das Scheitern des Verfassungsvertrags in den Niederlanden und in Frankreich im Mai bzw. Juni 2005 hatte zur Folge, daß dieser Text, in dem die neoliberale Wirtschaftsordnung festgeschrieben und die Mitgliedsländer zu permanenter Aufrüstung verpflichtet werden, zumindest nicht mehr »Verfassung« genannt werden darf. Und möglicherweise scheitert ja auch der Lissabonner Vertrag noch im irischen Referendum am 12. Juni.

Doch worin besteht nun diese »zurückgewonnene Handlungsfähigkeit« des Lissabonner Vertrags, für die Merkel ausgezeichnet wurde? Der Beitritt von nicht weniger als zwölf Staaten zwischen Mai 2004 und Januar 2007 veränderte die EU grundlegend. Ein Berater des Europäischen Verfassungskonvents beschrieb diese Herausforderung wie folgt: »Mit Blick auf die bevorstehende Erweiterung der EU von 15 auf 25 und mehr Mitgliedstaaten war in den neunziger Jahren klar geworden, daß die große gesamteuropäische Union des 21. Jahrhunderts einer neuen verfassungsmäßigen Ordnung bedarf, um handlungsfähig zu bleiben.« Es geht um die Entscheidungsverfahren im Ministerrat und im Europäischen Rat und um die jeweilige Stärke der Mitgliedstaaten dort. Es geht demnach um die Macht in der Europäischen Union.

Im Zusammenhang mit den verschiedenen Erweiterungsrunden wurden auch die Anteile der Mitgliedstaaten bei den Entscheidungen, die sogenannte Stimmengewichtung, mehrmals neu angepaßt. Ursprünglich gab es bei der Gewichtung nur drei Gruppen: Vier Stimmen für ein großes, zwei für ein mittleres und eine für ein kleines Land. Mit den Erweiterungen in den achtziger und neunziger Jahren wurde die Formel auf 10:5:2 geändert. In Nizza legte der Europäische Rat im Dezember 2000 die Regeln für die Abstimmungen im Ministerrat und im Europäischen Rat nach langen und schwierigen Verhandlungen neu fest.

Dabei konnte sich die Bundesrepublik Deutschland noch nicht mit der Forderung durchsetzen, ihre nach der Vereinigung deutlich größere Bevölkerung auch bei der Verteilung der Stimmengewichte berücksichtigt zu sehen. Frankreich beharrte darauf, mit 29 der »gewichteten« Stimmen gleich viele wie Deutschland zu erhalten.

Ebenfalls 29 Stimmen bekamen Italien und Großbritannien. Polen und Spanien wurden jeweils 27 Stimmen zugestanden. Verfügten die vier Großen vor Nizza über jeweils 11,5 Prozent der Stimmen, so fiel ihr Anteil auf neun und nach der Erweiterung auf 8,4 Prozent. Erheblich größer waren aber die Verluste der kleinen und mittelgroßen Länder. Hatte etwa Luxemburg vor Nizza noch einen Anteil von 2,3 Prozent, so anschließend nur noch einen von 1,2 Prozent. Der Einfluß der bevölkerungsstarken Staaten wurde daher mit den Vereinbarungen von Nizza größer.

Auf diesem Gipfel wurde auch erstmals die Berücksichtigung des demographischen Faktors bei Abstimmungen beschlossen. Dies war seit Anfang der neunziger Jahre eine ständige Forderung Deutschlands gewesen. Ein Beschluß kann danach angefochten werden, wenn er nicht mindestens 62 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentiert, was natürlich die bevölkerungsstarken Länder begünstigt. Die strategische Position der kleinen und mittleren Länder verschlechterte sich dadurch noch einmal erheblich. Der damalige portugiesische Ministerpräsident António Guterres bezeichnete die Neufestlegung der Stimmengewichte in Nizza denn auch als einen »Staatsstreich der großen Länder«.

Bevölkerungsgröße entscheidend

Gelang es Deutschland in Nizza noch nicht, das demographische Prinzip als generelles Kriterium zu verankern, so sah der im Juli 2003 vorgelegte Verfassungsentwurf des Europäischen Konvents dies erstmals vor. Nach ihm sollte ein Bevölkerungsquorum eine der beiden Bedingungen für das Zustandekommen von Beschlüssen sein. In Artikel I-24 Absatz 1 des Konventsentwurfs hieß es: »Beschließt der Europäische Rat bzw. der Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit, so muß diese der Mehrheit der Mitgliedstaaten entsprechen und mindestens drei Fünftel der Bevölkerung der Union repräsentieren.«

Dieser Durchbruch war nur möglich gewesen, weil sich die französische Position im Verfassungskonvent von derjenigen, die sie noch auf dem Gipfel in Nizza im Dezember 2000 eingenommen hatte, grundlegend unterschied. In Nizza war der damalige Staatpräsident Jacques Chirac noch vehement gegen den Wechsel zum demographischen Prinzip eingetreten. Über die Gründe für diese Wende ist viel spekuliert worden. Entscheidend dürfte die Einschätzung in Paris gewesen sein, daß man die eigene Machtstellung angesichts des Beitritts vor allem kleiner und mittlerer Staaten aus Osteuropa langfristig am besten mit Hilfe der Umstellung des Abstimmungsverfahrens auf die Bevölkerungsgrößen sichern kann.

So kam es im Januar 2003 zur Verständigung zwischen Chirac und Bundeskanzler Gerhard Schröder über einen gemeinsamen Vorschlag zur institutionellen Architektur, in dem der demographische Faktor enthalten war. Die französische Position vom Dezember 2000, als Chirac noch bereit war, den Gipfel von Nizza lieber platzen zu lassen als die Umstellung auf die Bevölkerungsgrößen zu akzeptieren, hatte sich in ihr Gegenteil verkehrt. Mehr noch, in der Auseinandersetzung um das französische Referendum pries er dieses Prinzip sogar als eine der Errungenschaften des Verfassungsvertrages. Er wurde mit den Worten zitiert: »Mit der neuen Verfassung steige das gemeinsame Stimmengewicht von Frankreich und Deutschland im Europäischen Rat von rund 18 auf 30 Prozent.«

Nun konnte kaum verborgen bleiben, daß die Umstellung der Entscheidungsmechanismen auf jenes demographische Prinzip nur dem Zweck dient, die Übermacht der großen Staaten auch nach der EU-Erweiterung zu bewahren. Um dieses Machtinstrument im Kampf der Staaten um Einfluß vor den Augen der Kritiker zu verhüllen, verfiel man daher auf einen Trick. Das demographische Prinzip wurde kurzerhand zur »Mehrheit der Bürger« verklärt. Danach übertrumpfen also nicht mehr die Regierungen der Großen die der Kleinen am Tisch des Rates, sondern es stehen sich die Bürgerinnen und Bürger von Gleich zu Gleich gegenüber, und nur ganz zufällig können die großen Mitgliedstaaten nun einmal mehr Bürgerinnen und Bürger in die Waagschale legen. Welch ein Euphemismus!

Es war wohl der Präsident des Europäischen Konvents, Valéry Giscard d’Estaing, der als erster von dieser »Mehrheit der Bürger« sprach. Nach ihm müsse der »Kompromiß zwischen zwei Gleichheitsforderungen gefunden werden, die von Natur aus entgegengesetzt sind: die Gleichheit der Staaten und die Gleichheit der Bürger. Wie ein Europa nicht geschaffen werden kann, in dem die Rechte der einzelnen Staaten nicht anerkannt werden, so kann man sich auch kein Europa vorstellen, indem das Dogma der Gleichheit zwischen den Staaten zu einer Situation der Ungleichheit zwischen den Bürgern führt.« Diese Argumentation zog sich durch die gesamte Verfassungsdebatte, sie wurde unzählige Male wiederholt, in Interviews, Parlamentsreden oder Zeitungsartikeln.

Vor allem in der deutschen Debatte über den Verfassungsvertrag kam sie gut an, begünstigt doch das demographische Prinzip vor allem das mit Abstand größte Mitgliedsland in der ­Union. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Verfassungsvertrag wurde das eigentliche Ziel unverblümt benannt: »Damit (mit der doppelten Mehrheit – A. W.) wird die Entscheidungsfindung nicht nur transparenter, sondern durch den Wegfall von Blockadekonstellationen auch deutlich erleichtert: Die doppelte Mehrheit fördert Gestaltungsmehrheiten und erschwert Blockadekonstellationen.« Gemeint waren selbstverständlich nur die Blockademöglichkeiten der kleinen und mittleren Staaten.

Der gescheiterte Gipfel 2003

Nach der Vorlage des Konventsentwurfs im Juli 2003 setzten Deutschland und Frankreich alles daran, das für sie überaus günstige Ergebnis so schnell wie möglich in einen Vertragstext zu gießen, schließlich hatte der Konvent ja nur den Entwurf dafür vorgelegt. Die diesen Gipfel vorbereitende Regierungskonferenz begann im Oktober 2003 und endete schon im Dezember des gleichen Jahres mit dem Ratsgipfel in Brüssel. Bereits dort sollte der Text des Verfassungsvertrages von den europäischen Regierungschefs beschlossen werden. Die Beratungszeit war demnach bewußt kurz gehalten worden. Und wäre es nach dem deutschen Außenminister Joseph Fischer gegangen, hätte man sogar ganz auf sie verzichten können, sollte doch »der Konventsentwurf eins zu eins umgesetzt werden«. Nach ihm war er ein »historischer Gesamtkompromiß«, der »nicht wieder aufgeschnürt werden« dürfe.

Doch es kam zunächst anders. Spanien und Polen legten sich in der Frage des Quorums für die Abstimmungen im Ministerrat und im Europäischen Rat quer. Beide hatten ja in Nizza mit jeweils 27 Stimmen noch zu den Gewinnern gezählt. Bei der Verteilung der gewichteten Stimmen erhielten sie dort nur jeweils zwei Stimmen weniger als die sehr viel bevölkerungsstärkeren Länder Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien. Vor allem in Polen schlugen die Wellen hoch.

Doch nicht die erst später an die Macht gekommene rechtspopulistische und europaskeptische Partei »Recht und Gerechtigkeit« prägte die Parole »Für Nizza sterben«, sie kam vielmehr von Jan Rokita, dem Fraktionsvorsitzenden der eigentlich als »europafreundlich« geltenden Bürgerplattform. Erst daraus machte dann die nationalistische Rechte die bekannt gewordene Formel »Nizza oder Tod«. Angesichts dieser unversöhnlichen Gegensätze mußte schließlich der Gipfel im Dezember 2003 scheitern. Es war der damalige sozialdemokratische polnische Ministerpräsident Leszek Miller, der ihn platzen ließ.

Doch wie man zukünftig mit solchen Störenfrieden aus den osteuropäischen Staaten zu sprechen gedachte, demonstrierte Werner Weidenfeld, der Leiter des vor allem von der Bertelsmann-Stiftung getragenen Centrums für angewandte Politikforschung (CAP). In seiner Wut über das Scheitern des EU-Gipfels im Dezember 2003 sagte er: »Polen wird sehr schnell spüren, was es bedeutet, alleine den historischen Kurs Europas aufhalten zu wollen. Von der Finanzplanung bis zur Strukturpolitik wird der polnischen Regierung ein eisiger Wind ins Gesicht wehen – was naturgemäß die Verhandlungsbereitschaft wachsen läßt und die innenpolitische Bereitschaft zum Kompromiß fördert.«

Kompromiß bei den Mehrheiten

Erst als die spanische Mitte-Rechts-Regierung von José Maria Aznar im März 2004 von einer »europafreundlicheren« unter dem Sozialisten José Luis Rodríguez Zapatero abgelöst wurde und sich, einige Wochen später, der polnische Ministerpräsident Leszek Miller aus der Politik zurückzog, kam der Verhandlungsprozeß über den Verfassungsvertrag wieder in Gang. Das Ergebnis war ein Kompromiß. Es blieb dabei, daß der demographische Faktor eine von zwei Bedingungen für das Zustandekommen eines jeden mit qualifizierter Mehrheit gefaßten Ratsbeschlusses wurde.

Verändert wurde allerdings das notwendige Quorum, es wurde von 60 auf 65 Prozent angehoben: »Als qualifizierte Mehrheit gilt seitdem eine Mehrheit von mindestens 55 Prozent der Mitglieder des Rates, gebildet aus mindestens 15 Mitgliedern, sofern die von diesen vertretenen Mitgliedstaaten zusammen mindestens 65 Prozent der Bevölkerung der Union ausmachen.« So lautet auch die in Lissabon beschlossene Fassung von Artikel 16 Absatz 4 des Vertrags über die EU.

Tritt die Bevölkerungszahl an die Stelle der gewichteten Stimmen, so verändern sich die Machtverhältnisse zwischen den Mitgliedsländern dramatisch. Begünstigt sind einmal mehr die vier bevölkerungsstärksten Länder, und hier vor allem die BRD. Da Frankreich, Großbritannien, Italien und Deutschland gegenwärtig jeweils 29 gewichtete Stimmen haben, beträgt ihr prozentualer Anteil an den 321 Stimmen nach der Erweiterung nur noch jeweils 8,4 Prozent.

Ganz anders sieht es hingegen aus, wird die Bevölkerungszahl zum entscheidenden Kriterium. Dann verdoppelt sich allein der Anteil Deutschlands auf 16,72 Prozent. Die Anteile Frankreichs, Großbritanniens und Italiens erhöhen sich immerhin noch auf je knapp 13 Prozent, während die Spaniens und Polens nur noch geringfügig steigen bzw. leicht zurückgehen. Dies war denn auch der Grund für den hartnäckigen Widerstand dieser beiden Länder auf dem Europäischen Gipfel im Dezember 2003 gegen die vom Europäischen Konvent vorgeschlagenen Abstimmungsregeln.

Die Tabelle zeigt, daß vor allem die kleinen und mittleren Staaten mit dem im Verfassungsvertrag und nun im Lissabonner Vertrag geregelten Abstimmungsverfahren erhebliche Einbußen hinzunehmen haben. So geht der Stimmenanteil Sloweniens um zwei Drittel zurück. Noch härter trifft es Estland, Zypern, Malta und Luxemburg. Aber auch die Anteile mittelgroßer Staaten verringern sich erheblich, etwa von Österreich (von 2,90 auf 1,68 Prozent), von Belgien, der Tschechischen Republik und von Portugal.

Anstelle des Stimmengewichts proportional zur Bevölkerungsgröße wurde im Sommer 2007 von einigen Beitrittsländern unter Führung von Polen die Anwendung des Quadratwurzelmodells vorgeschlagen. Entwickelt hatte diese Berechnungsmethode der britische Mathematiker Lionel Penrose 1946, um Stimmengewichte von Ländern in Gremien wie einem UN-Parlament zu verteilen. Der Anteil eines jeden Landes bestimmt sich dabei proportional zur Quadratwurzel seiner Bevölkerungszahl.

Nach dieser Berechnungsmethode wäre der Zuwachs der vier großen Länder der EU sehr viel geringer ausgefallen. Dieses Modell wurde von deutscher Seite sogleich verworfen. Vor dem Berliner Gipfel kam es darüber im Juni 2007 zu einem erbitterten Streit zwischen polnischer und deutscher Regierung, der an ungute vergangene Zeiten erinnerte, da er von beiden Seiten unter Zuhilfenahme von Ressentiments und Vorurteilen geführt wurde. Die polnische Regierung konnte am Ende lediglich erreichen, daß die Neuregelung erst ab 2014 Anwendung findet.

Eine neue Hegemonialordnung

Betrachtet man die Wirkungen des demographischen Prinzips auf zukünftige Koalitions­bildungen im Ministerrat und Europäischen Rat, so ist leicht erkennbar, daß die vier Großen mit zusammen zukünftig 53 Prozent nicht mehr weit von der erforderlichen Schwelle der 65 Prozent entfernt sind. Es genügen ihnen nur noch wenige Bündnispartner, um als Direktorium die Geschicke der EU bestimmen zu können. Die Union droht damit ihren Charakter als einer Gemeinschaft zur Aushandlung divergierender Interessen zu verlieren.

Deutschland, als der in einem solchen Direktorium mit Abstand stärkste Staat, wird in einer so veränderten EU wie von selbst die Führung zufallen. Die deutschen Konzerne können daher zukünftig sehr viel freier in Europa agieren. Ihr Widerstand, etwa gegen die von der Kommission vorgeschlagenen Schadstoffgrenzen für deutsche Nobelkarossen, gegen die Ausweitung der Liste der zu genehmigenden Chemikalien oder gegen die Trennung der Energiekonzerne von ihren Übertragungsnetzen, können künftig mit deutlich mehr Gewicht vorgebracht werden. Auch wird es sich die Europäische Kommission künftig zweimal überlegen, ob sie überhaupt noch solche, deutsche Interessen zurücksetzende Vorschläge einbringt.

Unterscheidet man bei der Berechnung zukünftig möglicher Mehrheiten zwischen alten (EU-15) und neuen Mitgliedstaaten (EU-27), so sieht man, daß die EU-15 Staaten auf der Grundlage der Vereinbarungen von Nizza ihre Gestaltungsmehrheit ab dem Zeitpunkt der Erweiterung verloren haben. Mit Hilfe des im Europäischen Konvent ausgearbeiteten und in Lissabon schließlich beschlossenen Abstimmungsmodus gewinnen sie sie nun wieder zurück. Die neuen Mitgliedsländer verlieren zugleich ihre gegenwärtig noch bestehende Sperrminorität. Und darauf kommt es an.

Die EU rüstet sich mit diesem institutionellen Umbau auf kommende, stürmische Zeiten. Sie stellt sich ein auf harte Entscheidungen über die Verteilung knapper werdender Mittel, etwa in der Agrar- und Strukturpolitik. Und hier werden die deutlich ärmeren Beitrittsländer gegen die relativ wohlhabenden alten Mitglieder stehen. Die Vereinbarungen von Lissabon garantieren, daß in diesen Auseinandersetzungen die reichen nicht von den ärmeren Ländern ernsthaft bedrängt werden können. Das ist der Sinn des Erhalts der »Handlungsfähigkeit« der Europäischen Union. Und für ihre »Zurückgewinnung« hat Merkel zu Recht den Karlspreis der deutschen europäischen Eliten bekommen. In der Europäischen Union wird sich aber die Kluft zwischen Metropole und Peripherie weiter öffnen – mit allen Konsequenzen für ihren Zusammenhalt.

Andreas Wehr arbeitet als Jurist in Brüssel. Zum europäischen Verfassungsprozeß erschien von ihm im April 2006 das Buch »Das Publikum verläßt den Saal. Nach dem Verfassungsvertrag« (PapyRossa Verlag, Köln, 206 S. brosch., 14,90 Euro)

Quelle: Junge Welt, 23.5.2008, www.jungewelt.de

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