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Europapolitische Attrappen

  • Freitag, 25. April 2008 @ 11:39
Europa Wussten Sie, dass der endgültige Text des EU-Reformvertrags erst eine Woche nach Österreichs Ratifizierung vom EU-Rat bekanntgegeben wurde? Von Univ.Prof. Manfred Rotter

Über einige Symptome EU-politischer Unkultur

Die Nationalratsdebatte zum Reformvertrag war nichts anderes als ein Derby unkritischer Klischees des kleinsten Karos und Halbwahrheiten, so recht geeignet, auch noch die letzten Reste des Interesses unserer Öffentlichkeit an der Europäischen Integration zu dämpfen.

Aber darum soll es hier nicht mehr gehen. Das ist vorbei. Es soll auch nicht darum gehen, dass jene Abgeordneten, welche die ihnen vorliegende Vertragsversion angeblich gar nicht gelesen hatten, nichts versäumt haben. Der Nationalrat hat nämlich am 9. April 2008 eine vorläufige, „unlesbare“ (so Plassnik zu Recht) Version des Reformvertrages genehmigt, dessen endgültiger Text erst knapp eine Woche nach dem Genehmigungsbeschluss vom Rat der EU bekanntgegeben wurde. Der Bundespräsident wird zu entscheiden und zu erläutern haben, ob das Genehmigungsverfahren dennoch in Ordnung ist.

Die voreilige Genehmigung der falschen Vertragsversion ist an dieser Stelle insofern von Bedeutung, als sie Beleg für eine Tendenz im Verhalten unserer politischen Führung ist, die ihre Akzeptanz nicht nur für den Bereich der Europapolitik, sondern für die Führung unseres Staates schlechthin brüchiger werden lässt. Ich meine die zunehmende, unkritische Ergebenheit der Regierungsparteien gegenüber angeblichen oder tatsächlichen Entscheidungstrends auf der Unionsebene, die nach innen verleugnet wird, obwohl sie an ihrer Gestaltung mitgewirkt hat.

Dadurch aber gefährdet unsere politische Führung, ihren Bezug zur innerösterreichischen Lebenswirklichkeit. Umdenken tut Not!

Verlust an Wahrhaftigkeit

In diesem Sinne sollten unsere Politiker und Politikerinnen beispielsweise endlich damit Schluss machen, das vorwurfsvolle Staunen aus Kommissionskreisen über die schlechten Umfragewerte der EU nachzubeten. Österreich sei doch der Staat, der am meisten von der Erweiterung der Europäischen Union von 15 auf 27 Mitglieder in den letzten fünf Jahren profitiert hätte, so heißt es.

Dabei war es ja gerade dieser explosionsartige und vor allem überraschende Erweiterungsschlag mit der damals gleich mitgelieferten Option eines späteren Beitritts der Türkei, der die EU Skepsis zu nähren begonnen hatte und immer noch nährt. Aber dieser Gedanke und die simple Einsicht, dass der statistisch ausgewiesene wirtschaftliche Nutzen der Erweiterung nicht notwendigerweise bei der Mehrheit der Bevölkerung ankommt, scheint weder unsere noch die Führungsebene der Union zu erreichen, - oder halt nicht zu berühren.

Apropos Wirtschaft: Die lauten Hinweise auf die Einführung der sozialen Marktwirtschaft als Ziel der Tätigkeit der Union (Art. 3 neue Zählung) sollte nicht überbewertet werden. Sie ist wie alle anderen Zielsetzungen den Erfordernissen der Geldwertstabilität (Art. 127) nachgeordnet. Auch die sogenannten sozialen Grundrechte in der „Charta der Grundrechte der Union“ entfachen keine über das Plakative hinausreichende unmittelbare Wirkung. Sie stehen unter dem doppelten Vorbehalt des Gemeinschaftsrechtes und der jeweiligen nationalen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten. Außerdem erwächst ihnen in der bislang unbeachteten Einführung der „Unternehmerischen Freiheit“ als Grundrecht zumindest im Bereich interpretativer Freiräume ein Gegengewicht.

Besonders deutlich wird die Zerrissenheit unserer politischen Führung zwischen ihrer Vertretungs- und Gestaltungsfunktion nach außen und ihrer Gestaltungs- und Führungsfunktion nach innen im Bereich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP):

Anders als Irland (2002) und Malta (beim Beitritt 2003) hat die österreichische Bundesregierung zur Beistandspflicht (Art. 42 Ab. 7) im Falle eines bewaffneten Angriffs auf einen anderen EU-Staat keinen Neutralitätsvorbehalt erklärt. Ihr genügt die dort enthaltene sogenannte Irische Klausel, wonach „der besondere Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik mancher Staaten“ unberührt bleibt.

Das ist zur Kenntnis zu nehmen, auch wenn es rechtlich nicht haltbar ist. Die irische Klausel gilt, wie zu lesen ist, für „Politiken“ und passt nicht wie im Falle der österreichischen Neutralität auf eine besondere völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Stellung, die im Kriegsfalle - um einen solchen handelt es sich dann nämlich - die Einhaltung des (kriegs-)völkerrechtlichen Neutralitätsrechtes verlangt. Dazu gibt es Gegenmeinungen, auf die hier aber nicht eingegangen werden kann.

Unbestritten ist jedoch, dass die nunmehr vorgeschriebene Beistandspflicht irgendwann Abstriche im Bereich der GSVP oder der Neutralität erzwingen wird. Dabei besteht kein Zweifel, dass sich die Regierungsparteien und die Grünen längst für ihr Auslaufen wenigstens im Bereich der EU entschieden haben. Nur das Publikum weiß es noch nicht.

So lange nichts passiert, wird man es ihm auch nicht sagen, sodass Österreichs immerwährende Neutralität noch einige Zeit zumindest als Versatzstück der jährlichen Staatsoperette beim Nationalfeiertag gemeinsam mit einem hölzernen Eurofighter herhalten kann. - Der Beispiele gibt es noch viele: Der Europapolitik kommt die Wahrhaftigkeit abhanden. Das ist nicht gut.

Quell: Der Standard, 25.4.2008. Der Autor ist Völkerrechtsexperte an der Universität Linz.

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