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Von der sozialen Not der frühen 30er Jahre

  • Samstag, 3. Mai 2008 @ 08:00
Geschichte Infolge starker Umsatzrückgänge sah sich die Bergbau-Direktion der Wolfsegg-Traunthaler AG Ende April 1933 dazu veranlaßt, ihren Belegschaftsstand zu reduzieren. Die Kündigungen wurden aber nicht auf alle Gruben aliquot den Beschäftigtenzahlen verteilt, sondern betrafen nur die Grube Wassenbach. Hier sollten 98 der 145 Arbeiter per 4. Mai auf die Straße gesetzt werden.

Diese Vorgangsweise machte aus mehreren Gründen böses Blut. Zum einen war da die einseitige Entscheidung zu ungunsten der 98 Wassenbach-Grubenarbeiter, die alle aus der Ortschaft Holzleithen stammten, der in den Februarkämpfen des Jahres 1934 noch zu trauriger Berühmtheit gelangen sollte.

Zum anderen betrafen die Kündigungen ausschließlich sozialdemokratisch und freigewerkschaftlich organisierte Arbeiter, während Angehörige der Heimwehr und der NSDAP von der Entlassungswelle unbehelligt blieben. Und zum dritten war es absolut nicht einzusehen, warum die Gekündigten nicht im neueröffneten Betrieb Bergern Arbeit fanden, sondern ihnen Arbeiter vorgezogen wurden, „die daheim über einen Besitz verfügten und sogar Dienstboten beschäftigten“ (Wahrheit, 5. Mai 1933).

Die Verhandlungen zwischen dem Betriebsrat Ferdinand Fageth und dem Bergbaudirektor Obermeier scheiterten, auch die Interventionen von Landesrat Dr. Franz Jetzinger fruchteten nicht. Selbst als sich Dr. Josef Schlegel - als Landeshauptmann oberste Instanz für die landeseigene Wolfsegg-Traunthaler AG - einschaltete, blieb Obermeier bei seinem starren Nein.

Als die Frühschicht am 3. Mai in die Stollen einfuhr, dachte noch keiner der Knappen an einen Streik. Erst um 13 Uhr entschlossen sich die Arbeiter, nicht mehr auszufahren. „Irgendwo in einem Stollen hat das angefangen und sich fortgepflanzt durch die Wassenbach-Grube und dann noch in fünf andere Gruben. Und dann kam die Mittagsschicht angefahren. Sie staunte, daß ihre Kameraden noch da waren“, erzählte später ein Knappe. Vor die Entscheidung gestellt, heimzugehen oder zu bleiben, entschied sich der Großteil der Bergleute für den Streik. Von insgesamt 1.700 Mann schlossen sich 1.300 dem Widerstand an.

In den ersten Stunden wurden die Stollen mit Hunten verbarrikadiert, alle Zugänge mit Wachen besetzt, und das austretende Rinnwasser, so gut es ging, gebunden. Nun begann das lange Warten. Im Stollen saßen die Bergarbeiter, junge und alte, mit entzündeten Augen, hustend und spuckend. Das erste, was ausging, waren die Zigaretten.

Aber das wurde von vielen nicht einmal so sehr als Schaden empfunden, denn Kohlenstaub und Zigarettenrauch hatten die Luft schon nach den ersten 24 Stunden dick gemacht. Das Atmen wurde immer schwerer, das Husten nahm kein Ende. „Wissen's“, sagte ein alter Bergmann, „ i hab glaubt, daß den an und den andern der Blutsturz packen wird, bei dem vielen Husten. Aber gewichn ist kaner. Ka anziger.“

Draußen, vor dem Mundloch der Wassenbach-Grube, hatten Gendarmerie und Militär mit schußbereiten Waffen Stellung bezogen. „Immer wieder san's kemma, die Gendarm. Angschlichen hab'n s' sich, s' G'wehr vur der Brust, a Lamperl haben's a ghabt. Dös hab'n s' amol zudraht. Na, gmüatli war's net. Aber ob ma auf amol und schnell hin wird oder langsam, wenn ma abbaut is, is scho gleich. Wir warn zu all'n entschloss'n.“

Die Gendarmen kamen nicht weit. Bei den Hunte-Barrikaden war Ende, und ein brutaleres Vorgehen wagten sie nicht, kam doch aus dem Stollen immer wieder die Warnung: „Der ganze Stollen ist geladen, und wenn ihr weitergeht, habt ihr die Verantwortung zu tragen für das, was geschieht!“

Seit Ausbruch des Hungerstreiks verhandelten Ferdinand Fageth und der Nationalrat Emil Baumgärtl mit der Bergwerksleitung. Der Zutritt zu den Streikenden allerdings wurde ihnen aber vorerst verwehrt. Gendarmerie und Bezirkshauptmann hatten angeordnet: „Niemand darf den Stollen betreten!“

Nach 24stündigem Streik ihrer Männer marschierten 400 Frauen mit ihren Kindern zu den Gruben. Auf halbem Weg wurden sie von einem Überfallauto der Gendarmerie eingeholt. Mit aufgepflanzten Bajonetten wollten die Gendarmen die Frauen und Kinder zur Umkehr zwingen. Doch die Frauen wichen nicht zurück. Sie zogen vor die Gruben, wo 300 Gendarmen abermals den Versuch unternahmen, das „Weiber- und Kinderpack“ zu vertreiben.

Als der Betriebsleiter und der Gendarmeriekommandant sahen, daß die „bekannten Methoden“ hier nicht halfen, versuchten sie es mit gutem Zureden. Doch die Frauen brüllten den Herren nur ein Wort entgegen: „Hunger!“ Schließlich entschloß sich der Bezirkshauptmann, mit fünf gewählten Sprecherinnen zu verhandeln. Parallel dazu liefen weiterhin Gespräche zwischen der Arbeitervertretung und der Direktion.

In den frühen Morgenstunden des 5. Mai 1933 konnten die Arbeiter schließlich von Fageth und Baumgärtl zum Abbruch des Streiks bewogen werden. In der Meinung, aus dem 48-stündigen Abwehrkampf als Sieger hervorgegangen zu sein, verließen die Arbeiter triumphierend die Stollen. Erschöpft, aber voller Zuversicht stimmten sie mit der „Internationale“ und mit „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit!“ die vermeintliche Siegesfeier an.

Doch schon bei der anschließenden Versammlung im Arbeiterheim von Holzleithen um 6 Uhr früh kam die herbe Enttäuschung. Fageth präsentierte das Verhandlungsergebnis:

„1. Wegen Teilnahme am Streik finden keinerlei Maßregelungen statt, soweit nicht etwa strafbare Handlungen vorgekommen sein sollten.

2. Es werden von der gekündigten Belegschaft der Grube Wassenbach die Erhalter kinderreicher Familien wieder eingestellt, im ganzen 10 Mann.

3. Es wird eine Überprüfung der weiteren Kündigungen zugunsten des Austausches der wirtschaftlich Schwächeren erfolgen.

4. Der Betriebsrat wird ermächtigt, eine Liste der für den Austausch in Betracht kommenden wirtschaftlich Schwächeren der Betriebsleitung vorzulegen. Die Entscheidung über die Auswahl liegt im freien Ermessen der Direktion.“

Die Direktion hatte keinen Zentimeter nachgegeben. Denn diese Zugeständnisse waren bereits in der Sitzung des Verwaltungsrates vom 29. April 1933 beschlossen worden. Der große Kinosaal des Arbeiterheimes war bis auf den letzten Platz gefüllt. Naß von den Rinnwässern, ausgehungert und übernächtig, mit schmerzenden Lungen und zitternden Gliedern saßen die Arbeiter da.

Stumm hatten sie Fageth zugehört, die Enttäuschung war ihnen ins Gesicht geschrieben, ihre Lippen bebten vor Erregung, über die jedoch vorerst keine Worte kommen wollten. Doch dann brach endlich einer der Arbeiter das verzweifelte Schweigen und brüllte durch den Saal: „Daß der Betriebsrat jetzt eine Abbauliste vorlegen darf, soll alles sein? Nein, nein und tausendmal nein!“

Und dann erzählte er, wie Gendarmen auf ihn angelegt hätten, und wie er draußen die Frauen nach Brot rufen gehört hatte. Und als Antwort darauf hätte man schießen lassen wollen. „Nein, dieses Abkommen ist eine Frotzelei. Lieber verhungern wir, da helfen wir wenigstens den anderen, die übrigbleiben!“ Und unter Tränen brach der Mann am Tisch zusammen: „I kann nimma weita!“

Und so stand einer nach dem anderen auf und schrie sein Elend und seine Unzufriedenheit hinaus. Klobig, trotzig, verzweifelt. Der Streik, von dem sich die Arbeiter so viel erwartet hatten, hatte mit einer schweren Niederlage geendet. Was blieb, waren Wut und Verbitterung.

Die Bergbauregion kam nicht zur Ruhe. Vier Monate später, im September 1933, richteten Gendarmen bei dem Versuch, Nationalsozialisten zu verhaften, unter den Gästen eines Wolfsegger Gasthauses ein Blutbad an. Wiederholt war es in den vorangegangenen Wochen vor allem zwischen Heimwehrlern und Nazis zu Auseinandersetzungen gekommen, die am 18. September ihren blutigen Höhepunkt erreichten.

In den Abendstunden jenes Tages flüchteten sich zwei Heimwehrler vor einer Horde Nationalsozialisten in die Küche des Gasthauses Hirsch. Die Brüder Rudolf und Franz Seiringer jagten ihnen nach, drangen in die Küche ein, wo sie einem Kind mit Glasscherben Schnittverletzungen zufügten, Küchengeschirr zerschmetterten und Sessel zerschlugen.

Vor der von der Wirtin alarmierten Gendarmerie konnten die Brüder Seiringer in das Gasthaus Gumpoltsberger flüchten, wo sie mit fünfzehn Parteigenossen zusammentrafen. Doch wenig später standen der Rayonsinspektor Karl Obermayr und der Revierinspektor Lechner in der Tür.

Rudolf Seiringer leistete der Verhaftung so großen Widerstand, daß sich die Gendarmen zurückziehen mußten und kurz darauf mit dem zufällig in Wolfsegg weilenden Rayonsinspektor von Ottnang, Karl, zurückkehrten. Unter den rund vierzig Gästen herrschte gespannte Ruhe, als die drei Gendarmen mit ihren Waffen im Anschlag abermals versuchten, Rudolf Seiringer zu verhaften. Schließlich schien es doch zu klappen, schien Seiringer von den Gendarmen überwältigt.

Doch just in dem Augenblick, als Lechner Seiringer die Handschellen anlegen wollte, stieß ihn der Renitent zurück und drängte ihn gegen einen Tisch. Sofort gingen daraufhin einige Gäste auf die beiden anderen Gendarmen los und versuchten, sie aus dem Lokal zu drängen. Die Gendarmen eröffneten das Feuer auf die Angreifer. Im Kugelhagel fanden drei Männer - der Nazi Franz Seiringer, der Sozialdemokrat Johann Huber und der Kommunist Johann Watzinger - den Tod. Vier weitere Männer, darunter Rudolf Seiringer, wurden schwer verletzt.

Thomas Karny, Lesebuch zur Geschichte der oberösterreichischen Arbeiter, Edition Geschichte der Heimat, Grünbach, 1990

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