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EU-Vertrag: „Wer fürchtet sich vorm Souverän?“

  • Sonntag, 27. Januar 2008 @ 15:22
Europa …unter diesem Motto beratschlagten an die hundert TeilnehmerInnen bei einer von der überparteilichen Plattform Volxabstimmung veranstalteten Aktionskonferenz in Linz am 27. Jänner 2008 über Maßnahmen zur Durchsetzung einer Volksabstimmung über den EU-Vertrag. Über 40 zivilgesellschaftliche sozial, demokratiepolitisch, gewerkschaftlich und globalisierungskritisch engagierte Initiativen sowie Friedens- und Umweltgruppen gehören der im Herbst 2007 entstandenen Plattform mittlerweile an.

Teilweise gibt es auch Unterstützung für die Plattform auch von Teilorganisationen der SPÖ und der Grünen, deren Fehlen bei der Konferenz sich freilich als deutlicher Mangel bemerkbar machte. Die Plattform hat sich bislang mit einer Unterschriftenaktion, der Webpräsenz www.volxabstimmung.at und verschiedenen Aktionen in der Öffentlichkeit geäußert. Verlesen wurde eine Grußbotschaft von Freda Meissner-Blau, vor 30 Jahren federführend in der Anti-Zwentendorf-Kampagne die zur ersten erfolgreichen Volksabstimmung der 2. Republik führte.

Europaweiter Widerstand

Über den europaweiten Widerstand gegen den EU-Vertrag referierte Judith Dellheim von der Memorandum-Gruppe aus Deutschland. Sie vollzog dabei eine deutliche Abgrenzung von rechten EU-Gegnern wie dem CSU-Politiker Gauweiler und verwies darauf, dass Polen und Großbritannien die Verbindlichkeit der Grundrechte-Charta ablehnen.

Aus linker Sicht seien die BürgerInnenrechte, insbesondere jene für MigrantInnen, die sozialen, ökologischen und globalen Probleme und Alternativen dazu sowie die Erwartungen der BürgerInnen sich für Prinzipien für ein anderes Europa einbringen zu können wichtig. Den Widerstand gegen den Vertrag ordnete Dellheim in die Kontinuität bisherigen Widerstandes, etwa gegen die 2005 gescheiterte Verfassung ein, forderte aber auch eine klare Trennung zwischen einer Kampagne für ein Referendum und einer Nein-Kampagne zum Vertrag.

Ausgangspunkt für den Widerstand ist laut Dellheim der Maastricht-Vertrag von 1992, der nicht eine Union, sondern ein „Europa der Konzerne“ zum Inhalt hat und sie stellte die Frage, wer Gewinner bei der Erweiterung und Entwicklung der EU sind und ob sich diese zu einem Staatenverbund, einem Superstaat oder einer Föderation entwickeln soll. Derzeit gäbe es Vorrang für den Markt, die Abschottung nach außen und die Entwicklung als globaler Akteur. Als Folge wachsen Armut, soziale Ausgrenzung, Prekarisierung und Zerstörung der Lebensgrundlagen. Die EU produziert bei 7,4 Prozent der Weltbevölkerung 20 Prozent des BIP und 27,5 Prozent des CO²-Ausstosses, ist aber bei der Entwicklungshilfe weit vom Ziel der 0,7 Prozent entfernt.

Als Alternative forderte Dellheim mit Verweis auf die Vorschläge der Memorandum-Gruppe armutsfeste soziale Sicherheitsstandards, Grundsicherung und Mindestlöhne sowie sinnvolle und existenzsichernde Arbeit sowie soziale Sicherungssysteme. Und sie meinte auch, dass die Armut nicht nationalstaatlich beseitigt werden kann, sondern dazu europaweites Handeln notwendig ist. Statt der Maastricht-Kriterien seien Kriterien für soziale Ansprüche notwendig, ebenso für Energie, Landwirtschaft und Ressourcen.

Notwendig sei die Demokratisierung der politischen Entscheidungsprozesse. Angesichts der bereits stattgefundenen Verflechtungen sei ein Zurück zu nationalstaatlichen Entscheidungen unrealistisch, notwendig seien europaweite Gremien der Zivilgesellschaft mit einem Initiativrecht, das derzeit ausschließlich bei der Kommission liegt und laut EU-Vertrag das Parlament künftig auch nur Einfluss auf die Änderung bestehender Richtlinien hat, nicht aber für neue initiativ werden kann.

Militarisierung und Sozialabbau

Gerald Oberansmayr (Werkstatt Frieden & Solidarität) referierte über den Zusammenhang zwischen Militarisierung und Sozialabbau. Er wies auf die Betonung des freien Wettbewerbs im Vertrag hin, betonte aber auch, dass die Entwicklung zur Kapitalmobilität nicht auf die EU reduziert werden kann, sondern weltweit stattfindet, die EU aber konzentrierter Ausdruck davon ist.

Er wies auf die Aushungerung der öffentlichen Budgets durch den Steuerwettlauf nach unten, das Verbot von Kapitalverkehrskontrollen, Verbot von Krediten durch die Zentralbanken durch Ankurbeln der Notenpresse bei Rezessionsphasen hin. Weiters nannte er dazu die Verpflichtung zu einer restriktiven Budgetpolitik nach den Maastricht-Kriterien und dem Stabilitätspakt.

Weiters ist im Vertrag ein Verbot zum Schutz nationalstaatlicher Märkte und Industrien verankert, etwa durch das Binnenmarkt-Konzept und die Eliminierung des Wechselkursmechanismus als Ausgleich. Die Liberalisierung öffentlicher Dienste führt letztlich zwangsläufig zu deren Privatisierung. In der Folge führt diese Entwicklung zur Verstärkung der regionalen Unterschiede und Zunahme politischer Spannungen infolge ökonomischer Verwerfungen.

Blockiert wird auf der EU-Ebene – mit Zustimmung der VertreterInnen der 27 Mitgliedsländer – Festlegungen für nationale Regelungen direkte Steuern, Beschäftigungspolitik oder Sozialpolitik, wofür die EU explizit nicht zuständig ist. Gleichzeitig werden die von der EZB exekutierte Hartwährungspolitik, Preisstabilität und der Stabilitätspakt zum Dogma erklärt.

Die im Vertrag ebenfalls verankerte Militarisierung bedeutet die Verpflichtung zur Aufrüstung, konkretisiert durch ein Rüstungsamt und ein EU-Militärbudget, die Orientierung auf globale Interventionsfähigkeit und Beistandsverpflichtung sowie die Zentralisierung der Außen- und Sicherheitspolitik durch einen „Mister GASP“ und eine ständige strukturierte Zusammenarbeit als „Kerneuropa“.

Abschließend betonte Oberansmayr, dass mit dem EU-Vertrag kein soziales Europa zu machen ist und breite Übereinstimmung bei der Ablehnung des Vertrages wegen der darin verankerten Militarisierung und des Neoliberalismus besteht.

Es geht eigentlich um Demokratie

Unter dem Konferenzmotto „Wer fürchtet sich vorm Souverän?“ wies Christian Felber (ATTAC) darauf hin, dass die meisten PolitikerInnen den Vertrag gar nicht kennen, aber trotzdem als Erfolg verkaufen. Wie die Volksabstimmungen über die Verfassungen 2005 zeigten, besteht eine enorme Kluft zwischen Parlament und Bevölkerung: In Frankreich stimmten 98 Prozent im Parlament für die Verfassung, bei der Volksabstimmung wurde sie von der Mehrheit abgelehnt. In Luxemburg stimmten 100 Prozent im Parlament dafür, 43 Prozent der Bevölkerung lehnten ihn beim Referendum ab. Sarkozy sprach explizit von einer „Spaltung zwischen Bevölkerung und Regierung“

Laut Umfragen wollen über 70 Prozent der Bevölkerung über den Vertrag abstimmen, nach dem Geist der Verfassung müsste eine Volksabstimmung daher selbstverständlich sein, Regierung und Parlament weigern sich jedoch. Der Konflikt sei daher nicht so sehr pro oder kontra Vertrag, sondern pro oder kontra Demokratie, so Felber und verwies auf die zentrale EU-weite Strategie keine Referenden zuzulassen. Die Veränderungen des Vertrages gegenüber der Verfassung sind laut Felber nur Kosmetik damit er besser geschluckt wird. Die Demokratie wird faktisch außer Kraft gesetzt. Felber ging dann auf einige Argumente der Regierung zum Vertrag ein:
• Argument 1 lautet, der Vertrag sei keine Verfassung. Aber sogar Plassnik erklärte, der Vertrag entspreche zu 95 Prozent der gescheiterten Verfassung und Giscard d´Estaing meinte sogar, die Verfassung sei ein „alter Brief in einem neuen Umschlag“. 2005 hätten alle Verfassungsrechtler eine Volksabstimmung über die EU-Verfassung für notwendig gehalten, so Felber.
• Argument 2 meint, auch über die Verträge von Amsterdam und Nizza sei nicht abgestimmt worden. Dem steht freilich gegenüber, dass es nach zwölf Jahren EU-Mitgliedschaft gute Gründe für eine Meinungsänderung des Souveräns gibt.
• Argument 3 ist die Reduzierung auf die repräsentative Demokratie, wie etwa von Plassnik oder Schüssel praktiziert. Die Delegierung politischer Macht ist allerdings zur gerechtfertigt, wenn sie repräsentativ ist und kein Widerspruch zu direkter Demokratie, sondern nur eine Ergänzung. Gusenbauer meinte gar, er wolle sich die repräsentative Demokratie nicht als „demokratisches Mangelwesen“ verunglimpfen lassen. Die Forderung nach einer Volksabstimmung erwächst ja gerade aus der Krise der repräsentativen Demokratie. Ein besonderer Widersinn sei es daher, ein Referendum über den EU-Vertrag abzulehnen, gleichzeitig ein solches über einen Türkei-Beitritt zu befürworten.
• Argument 4 interpretiert es als Erpressung, wenn Österreich 26 anderen EU-Ländern seinen Willen aufzwingen wolle. Felber kritisierte dazu, dass Bundespräsident Fischer mit dieser Meinung sein Amt missbraucht. Die Regierungen verhinderten eine Abstimmung, welche von den Völkern gewollt wird. Felber kritisierte, dass Fischer nicht schon zur Verfassung über ein europaweites Referendum eingetreten war und dass Voggenhuber eine einfache Mehrheit von Ländern bzw. Einwohnern als ausreichend für eine Legitimation hält.
• Argument 5 interpretiert den Vertrag als Selbstzweck, wie etwa durch Gusenbauer. Die Frage sei jedoch, so Felber, ob der Vertrag ein Mittel für Demokratie oder ein Werkzeug für den Freihandel und damit zur Unterminierung der Demokratie ist. Es sei ein Widerspruch einerseits den Anspruch für Menschenrechte und Solidarität zu stellen, gleichzeitig aber die EU-Kompetenzen auf Wettbewerb, Handelspolitik und Preisstabilität zu reduzieren.

Hinter der strikten Ablehnung eines Referendums steht die Drohung mit einem Positionsverlust der EU gegenüber den USA, China und Russland, wenn der Vertrag nicht zustande kommt. Gusenbauer sprach von der EU als „gestaltender Kraft, nicht als leidendes Opfer“ und forderte „Entscheidungsfähigkeit statt Selbstbeschäftigung“. Dabei habe die EU25 mit dem Nizza-Vertrag durchaus im Interesse des Kapitals funktioniert, wie die Entwicklungen um die Dienstleistungsrichtlinie, Frontex oder die Rüstungsagentur zeigten, so Felber. Das Argument der Handlungsfähigkeit sei daher nur ein Synonym für Demokratieabbau. Wenn vom Vorrang der Versorgungssicherheit die Rede ist, geht es um eine Legitimation für globale Intervention, etwa um Energiequellen zu sichern, die notwendige Nachhaltigkeit werde dem untergeordnet.

Mit dem EU-Vertrag ist auch eine Rechtspersönlichkeit der EU verbunden. Somit können künftig Verträge namens der EU und nicht mehr durch die einzelnen Regierungen gezeichnet werden, d.h. einzelne Regierungen können etwa bei einem Neuanlauf für ein MAI oder GATS überstimmt werden. Die Handlungsfähigkeit sei also ein falsches Ziel, so Felber. Notwendig seien Ziele für ein soziales, ökologisches und demokratisches Europa.

Zwiespältiges aus der SPÖ

Aufschlussreich war eine Begrüßung der KonferenzteilnehmerInnen durch den Linzer SPÖ-Gemeinderat und Europarechtler Franz Leidenmühler: Er wies darauf hin, dass der oö SPÖ-Chef Erich Haider sich für eine Volksabstimmung ausgesprochen hat, meinte gleichzeitig aber spitzfindig juristisch, über den Reformvertrag sei kein Referendum möglich, weil dieser zu 98 Prozent der bereits vom Parlament ratifizierten Verfassung entspricht und damit über die „EU als solche“ abgestimmt würde. Er musste sich dazu von Felber sagen lassen, dass der Vertrag nichts anderes ist als die konzentrierte Grundlage der EU. Weiters meinte Leidenmühler, dass die Neutralität formal aufrecht bleibe, auch wenn mit der Beistandsverpflichtung die EU zu einem Militärbündnis wird. Laut Solana wird die EU nicht bedroht, die Frage sei daher, wen wolle man abschrecken. Die Beistandspflicht werde ohne Not geschaffen und schaffe daher Unsicherheit statt Sicherheit.

Diskussion über Aktionsmöglichkeiten

In einer Reihe von Arbeitskreisen wurden sowohl inhaltliche Aspekte als auch Aktionsmöglichkeiten in verschiedenen Bereichen ausführlich diskutiert:
• Der Arbeitskreis Aktionen diskutierte eine Menschenkette um das Parlament zu welcher bundesweit aufgerufen wird. Dazu gibt es jeden Donnerstag eine Mahnwache beim Parlament. Weiters wird eine Aktion „Irland stimmt stellvertretend für die ganze EU ab“ vorbereitet.
• Die Organisierung von Erklärungen von Friedensgruppen aus den am geplanten Tschad-Einsatz beteiligten Länder und Erklärungen linker Gruppen aus dem Tschad selbst schlug ein diesbezüglicher Arbeitskreis vor.
• Vom Arbeitskreis Wirtschaft und Soziales wurde vorgeschlagen an den kritischen ÖGB-Beschluss zur EU-Verfassung von 2004 zu erinnern und Beschlüsse von Betriebsratskörperschaften und Arbeiterkammern anzuknüpfen. Weitere Aktionsmöglichkeiten ergeben sich durch die Neuauflage der Dienstleistungsrichtlinie seitens der EU-Kommission und mit der Standortdebatte am Beispiel von Novartis oder Nokia.
• Der Strategie-Arbeitskreis präsentierte als Aktionsmöglichkeit eine Unterschriftensammlung in welcher die UnterzeichnerInnen erklären dem Parlament das Vertrauen zu entziehen, wenn eine Volksabstimmung verweigert wird.
• Vom AK Bildung wurde angerecht den Kontakt mit Schulen zur Mobilisierung für Aktionen zu suchen.
• Auf Zeitgewinn durch ein gezieltes Lobbying zu setzen um die Ratifizierung zu verzögern schlug der Arbeitskreis Atomenergie vor.
• Vom Gemeindearbeitskreis wurde mit Verweis auf Beispiele in Oberösterreich eine gezielte Kontaktierung von kritischen GemeinderätInnen für Anträge auf Resolutionen von Gemeinderatskörperschaften angeregt. Diskutiert wurde auch die Möglichkeit lokale BürgerInnenbefragung zum EU-Vertrag bzw. für die Forderung nach einer Volksabstimmung anzuregen und regionale Abgeordnete gezielt zum EU-Vertrag zu konfrontieren.

Zur Referendum-Kampagne

Thomas Rupp von der European Referendum Campaign (ERC) berichtete, dass in den Niederlanden die Referendumsbewegung zusammengebrochen ist, in Dänemark die Regierung mit einer Abstimmung über die Opt-Outs die Bewegung unterlaufen hat und in Großbritannien die von den Gewerkschaften ausgegangene Bewegung mittlerweile wieder abgeschwächt ist. Daher hofft der Widerstand jetzt auf Irland.

Dort gibt es im Nein-Lager die von wirtschaftsorientierten Kräften bestimmte Libertas-Bewegung, auf linker Seite Sinn Fein und einige andere Gruppen. Im Ja-Lager sind Konservative, Grüne und Sozialdemokraten sowie alle irischen Medien gesammelt. Die ERC zeigt laut Rupp alle unfairen Aspekte im Ratifizierungsprozess auf und informiert im Web unter www.erc2.org.

Zum Abschluss der Aktionskonferenz wurde der Aufruf „Nicht in unserem Namen“ für eine Menschenkette beschlossen.

Leo Furtlehner

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