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Über den Umgang mit unserer Geschichte

  • Montag, 3. November 2008 @ 08:00
Partei Von Winfried R. Garscha

80 Jahre KPÖ wäre eigentlich Anlaß für ein Festreferat. Aber ich glaube, daß der Bundesvorstand nicht der geeignete Ort dafür ist. Was ich meine, ist, daß wir unseren bevorstehenden 80. Geburtstag zum Anlaß nehmen sollten, darüber nachzudenken, wie wir mit unserer Geschichte umgehen. Dazu möchte ich einige Überlegungen anstellen.



Dabei ist es weder besonders sympathisch, noch macht es einen wirklich überzeugenden Eindruck, wenn wir vor die Leute treten, uns an die Brust klopfen, und uns für unsere stalinistische Vergangenheit entschuldigen. Aber wie schaut das eigentlich aus, wenn wir selbst gemeinsam zurückblicken? Wenn man 80 Jahre ist, steht einem das meines Erachtens ganz gut an.

Wenn man die Geschichte der KPÖ im Eilzugtempo Revue passieren läßt, erkennt man, daß sie in einer Periode des revolutionären Aufschwungs angetreten ist; daß sie zwischenzeitlich in den zwanziger Jahren sehr viel Kredit verspielt hat, zeitweise zu einer zerstrittenen Sekte verkommen ist; im Widerstand gegen den grünen und braunen Faschismus zu einer politischen Größe von nationaler Bedeutung geworden ist; nach 1945 ausgestattet mit dieser politischen und menschlichen Leistung im Rucksack, zweieinhalb Jahre Regierungspartei gewesen ist, von 1947 – 1949 einzige Oppositionspartei überhaupt war; dann in den Jahren bis 1966 immer noch die einzige linke Oppositionspartei in Österreich war.

Allerdings: Wenn wir heute – und nicht erst heute – auf die KPÖ schauen, dann sehen wir, daß aus unserer Partei, die fünf Prozent der Abgeordneten im Parlament stellte und 30 Prozent der Betriebsräte in den Großbetrieben, ein relativ kleiner Haufen geworden ist, der bei einer gesamtösterreichischen Mitgliedervollversammlung nicht einmal mehr ein relativ kleines Stadion füllen könnte. Von dessen Existenz, außerhalb von ein paar wenigen Gemeinden, in denen wir gewissermaßen zur politischen Folklore gehören, kaum mehr jemand etwas wahrnimmt.

I. Was ist schuld am Rückgang der KPÖ?

Wir haben uns angewöhnt, dafür die anderen verantwortlich zu machen. Den Antikommunismus im allgemeinen und fortschreitende Verblödung der Österreicherinnen und Österreicher im besondern. Ich will weder das eine noch das andere vollkommen abstreiten. Doch wenn man bedenkt, daß in den Zeiten des wildesten, mörderischsten Antikommunismus, nämlich unter der Nazi – Diktatur, aber auch zu Zeiten des „Kalten Krieges“ unser reales politisches Gewicht bei weitem größer war als heute, so sollte uns das doch zu denken geben.

Und mit der Blödheit, Stumpfheit und Schicksalsergebenheit eines Volkes ist das auch so eine Sache. Man braucht nicht bis Rußland zu gehen, wo die angeblich so stupiden schicksalsergebenen und in ihrem Denken nach leibeigenen Bauern eine der ganz großen Revolutionen der Weltgeschichte mitgetragen haben. Vor 150 Jahren, 1848, ist Österreich an der Spitze der revolutionären Bewegung in Europa gestanden.

Auch der Jännerstreik 1918 und die politischen Stürme des Jahres 1919, in denen unsere, damals erst wenige Monate alte Partei, ja nicht ganz unbeteiligt war, zeigen, daß die Österreicherinnen und Österreicher es auch ganz anders können. Nicht zu reden vom Februar 1934 oder dem Oktoberstreik 1950. Vielleicht sollten wir beim Eintritt in unser neuntes Jahrzehnt endlich den Mut aufbringen, unsere eigene Geschichte einmal danach zu durchforsten, ob und in welcher Weise wir nicht durch unsere eigene Politik den Hauptanteil der Schuld daran tragen, daß sich unsere Partei so und nicht anders entwickelt hat.

Ich sage das nicht nur in Richtung derer, die ausschließlich unsere Gegner für unsere Mißerfolge verantwortlich machen, sondern auch in Richtung derer, die meinen, mit der Lokalisierung des Hauptschuldigen im Moskauer Kreml eine Erklärung für unser oftmaliges Scheitern gefunden zu haben. Ich sage das aber in erster Linie in Richtung jener, die am liebsten so tun, als gäbe es dieses Scheitern gar nicht. Die weder vor noch nach 1989 sehen wollten, wo wir wirklich stehen.

II. Mythenbildung und Politik

Ich rede keinem Pessimismus das Wort, auch ich registriere jedes Anzeichen eines auch noch so kleinen Erfolgs mit Aufmerksamkeit, Freude und Hoffnung, aber ich meine realistisches Herangehen an das Politikmachen der Gegenwart könnte einen Blick auf die Geschichte ganz gut vertragen; einen Blick, der versucht, sich vor Verklärung und politisch beklemmenden Interpretationen zu hüten. Ich möchte zunächst ein paar allgemeine Überlegungen anstellen zum Problem des gemeinsamen Verhältnisses zur Geschichte, das innerhalb einer gesellschaftlichen Gruppe und auch in einer politischen Partei besteht.

Keine gesellschaftliche Gruppe, egal ob politisch, weltanschaulich oder sonstwie ausgerichtet, kann ohne inneren Zusammenhalt bestehen. Einer der mächtigsten, emotional wirksamen Faktoren ist das gemeinsame Verständnis über die gemeinsame oder als gemeinsam empfundene Vergangenheit. Damit dieses gemeinsame Verständnis politisch wirksam werden kann, müssen Emotionen ins Spiel kommen. Es ist nicht notwendigerweise Schönfärberei. Auch das gemeinsame Erinnern an nationale und politische Katastrophen kann ein sehr wirkungsvolles Bindemittel innerhalb eines Kollektivs sein.

Aber, wenn wir davon reden, meinen wir etwas anderes, als ein kritisch – analytisches Herangehen an die Geschichte. Das, was bei ersterem – einem auf Selbstvergewisserung und emotionalen Zusammenhalt abzielenden Blick auf die Geschichte – gefragt ist, das ist Mythos. Mit Mythos verbinden wir meist die Vorstellung von etwas mystisch – religiösem, das heißt, etwas, was mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat. Solche Mythen gibt es auch. Ich möchte hier aber den Begriff in einem etwas anderen Sinn verwenden.

Wenn wir über die Vergangenheit reden oder schreiben, und zwar nicht nur wir als Kommunistinnen und Kommunisten, sondern jeder/jede, so können wir nie über alles reden, alles beschreiben, alle Blickwinkel berücksichtigen. Das heißt, jedes Reden oder Schreiben über Vergangenheit stellt eine Auswahl dar, ist daher eine Interpretation, selbst wenn ich nichts als die Wahrheit sage.

Zum Beispiel: Wenn das an allen österreichischen Universitäten verwendete Lehrbuch zur Österreichischen Geschichte (Erich Zöllners Geschichte Österreichs) bei der Darstellung der Zeit der Bauernkriege zwar ausführlich über die Familienpolitik der Habsburger schreibt, für die Anliegen der aufständischen Bauern aber kaum eine Zeile übrig hat, so lügt er zwar nicht, der Professor Zöllner, aber er interpretiert. Er schreibt über das, was er für wichtig hält, und aus dem Blickwinkel, der seiner politischen Einstellung entspricht. Wenn man sich das entsprechende Kapitel in Eva Priesters „Geschichte Österreichs“ anschaut, so verhält es sich gerade umgekehrt. Und natürlich gehört meine und unser aller Sympathie der Darstellungsweise, die Eva Priester gibt. Aber auch sie wählt aus einem viel größeren Ganzen aus und interpretiert.

Wenn es aber schon in der Wissenschaft der Geschichtsschreibung keine von politischen und sozialen Interessen unabhängige Objektivität gibt – was nichts mit der Verpflichtung zur Wahrheit zu tun hat – um wieviel weniger dort, wo die Geschichte der Selbstvergewisserung dient. Gewisse Ereignisse und Interpretationen des Geschehenen, die zur Begründung und Rechtfertigung der gegenwärtigen Politik notwendig, oder zumindest nützlich sind, werden da hervorgehoben, andere verschwiegen. Das ist ein völlig selbstverständlicher Vorgang, den wir alle übrigens auch aus dem Alltagsleben kennen.

Wenn das immer wieder geschieht, beispielsweise durch das gemeinsame Gedenken an Jahrestage, durch die Errichtung von Denkmälern für die Opfer des politischen Kampfes, durch die Benennung von Häusern, Straßen, Parteilokalen nach den Großen, die eine politische Bewegung hervorgebracht hat, auch das sollte es geben, dann entsteht so etwas wie ein Kanon, der all das enthält, was die Erinnerungskultur dieses Kollektivs ausmacht und dieses Kollektiv von anderen abgrenzt. Eine politische Partei, die glaubt, auf so etwas verzichten zu können, gefährdet ihre innere Kohärenz und verliert, meiner Meinung nach, nach außen ihre unverwechselbaren Konturen. Wir erleben diese Beliebigkeit ja heute am laufenden Band. Dann beschwert man sich über die Politikverdrossenheit.

Wenn geschichtliche Ereignisse immer wieder erinnert, gefeiert, erzählt, oder sogar nachgespielt werden – das gibt es in den USA mit den großen Schlachten des Bürgerkriegs im vorigen Jahrhundert – dann werden sie zum Mythos. Jedes gesellschaftliche Kollektiv braucht solche Mythen, egal ob es eine Nation mit hunderten Millionen Staatsbürgern oder eine kleine Partei mit ein paar Tausend Mitgliedern ist.

Aber derartige Mythen sind keine für immer feststehende Wahrheiten. Sie sind nur so lange als Mittel des Zusammenhalts verwendbar, solange sie den aktuellen politisch – gesellschaftlichen Notwendigkeiten entsprechen. Und nur so lange werden sie auch von der großen Mehrheit eines Kollektivs akzeptiert.

III. Der österreichische Opfermythos

Ihr kennt alle die Diskussion über den Opfermythos und die einseitige Darstellung Österreichs als Opfer des Nationalsozialismus. Das ist ein Beispiel für einen Mythos, der geschichtsmächtig geworden ist. Daß es keine österreichischen NS – Täter gegeben hätte, das wäre eine Lüge gewesen, und die wäre auch sehr bald entlarvt worden. Daß aber Österreich als Staat Opfer Hitler – Deutschlands, daß die Mehrheit der Österreicher in irgendeiner Weise Opfer des von den Nazis angezettelten Krieges wurden, das ist ja nicht falsch. Allerdings ist es nur ein Teil der Wahrheit. Und dieser Mythos bildete von den ersten Tagen an einen der Grundpfeiler der Zweiten Republik. Und lange Zeit hindurch waren es vor allem die ehemaligen Nazis, die diesen Mythos in Frage gestellt haben, weil sie gewußt haben, oder zumindest gespürt haben, daß sie damit an den Fundamenten der von ihnen so sehr abgelehnten demokratischen Republik Österreichs rütteln konnten.

Historikerinnen und Historiker machen zweierlei. Einerseits wirken sie an der Konstruktion derartiger Mythen mit – durch ihre Bücher und Artikel (man denke nur an den aktuellen Sissi – Boom), durch ihre beratende Funktion bei Filmen, Fernsehserien und Ausstellungen; und andererseits ist es aber auch, wenn sie ihren Beruf ernst nehmen, eine ihrer Aufgaben zur Zerstörung oder zumindest zur Dekonstruktion von solchen Mythen beizutragen durch analytische Untersuchungen, die zeigen, daß alles doch sehr viel komplizierter und widersprüchlicher gewesen ist, als die gemeinhin vertretenen Auffassungen es wahrhaben möchten.

Bleiben wir beim österreichischen Opfermythos. Seit den frühen 70er Jahren haben Historikerinnen und Historiker sowohl auf der Basis eines geänderten Geschichtsverständnisses – Stichwort: 68er Bewegung – als auch auf der Grundlage von neu zugänglichen Akten in ihren wissenschaftlichen Büchern und Aufsätzen diese „Lebenslüge der Zweiten Republik“, wie es Gerhard Potz einmal ausgedrückt hat, in Frage gestellt.

Von den breiten Massen der Bevölkerung ist das nicht zur Kenntnis genommen worden. Weder in den Zeitungen noch in den Geschichtsbüchern hat sich ein Niederschlag davon gefunden, im Gegenteil. Hugo Portischs Fernsehserien haben das herrschende Geschichtsbild noch verfestigt. Dann ist die Waldheim – Affäre gekommen mit allen ihren Übertreibungen und Vereinfachungen. Plötzlich standen die Österreicherinnen und Österreicher als „ein einig Volk von Nazis“ da – in einer Art, daß Göbbels seine Freude daran gehabt hätte. Das hat allerdings dann den herrschenden Mythos tatsächlich endgültig aus den Angeln gehoben.

IV. Auch in der KPÖ zerbrechen Mythen

Wenn ich mir unseren Umgang mit der Geschichte der KPÖ anschaue, dann denke ich mir manchmal, daß es uns ganz ähnlich geht, insbesondere, was den Umgang mit dem Stalinismus angeht. Allerdings hat es bei uns schon vorher einige Paukenschläge gegeben. Ich denke nur an Chrustschows Geheimrede auf dem 20. Parteitag der KPdSU 1956 oder an die Enthüllungen der Gorbatschow – Zeit. Ich möchte nur eine erwähnen: die vom KGB selbst bekanntgegebene Zahl von rund 800.000 Erschießungen von politischen Gegnern oder solchen, die dafür gehalten wurden. Das hat man aber alles noch irgendwie abblocken und wegstecken können. Jedenfalls seit dem Zusammenbruch von 1989/91 ist aber ein Festhalten an den bisherigen Interpretationen unserer Geschichte schon nicht mehr nur anachronistisch, sondern teilweise absurd lächerlich.

Das Festhalten an einem Mythos kann in Krisenzeiten wichtig sein, um den inneren Zusammenhalt der Gruppe zu sichern. Wenn aber eine Interpretation der eigenen Geschichte so eklatant in Widerspruch zu den Fakten gerät, wie das seit geraumer Zeit bei uns der Fall ist, dann wird dieses Festhalten eine Gefahr für die Zukunft der Bewegung.

Ich will nur auf die mir am eklatantesten erscheinenden Widersprüche zwischen dem bei uns herrschenden Geschichtsbild und den Ergebnissen der historischen Forschung, beziehungsweise der zeitgenössischen politischen Analyse eingehen; und zwar mit dem erklärten Ziel, etwas zu zerstören, um so die Konstruktion von etwas Neuem zu ermöglichen. Es wird immer wieder auch um die Fragen gehen, die mit dem Stalinismus zusammenhängen. Und da ist es halt schon so, daß es Zeiten gegeben hat, wo das genauso war, wie ich es am Beispiel der österreichischen Lebenslüge geschildert habe.

Sowohl das Festhalten unsererseits an Interpretationen als auch das In – Frage – Stellen dieser durch unsere politischen Gegner haben bestimmte politische Zwecke verfolgt. 1974 – das war in der ersten Periode der Kreisky – Regierung – ist zum 40. Jahrestag der Februarkämpfe von unserer Seite das Buch von Arnold Reisberg über den Februar 1934 herausgekommen. Es war in erster Linie der Auseinandersetzung mit der SP – Politik und der Rolle der KPÖ im Widerstand nach 1934 gewidmet. (Übrigens war das die erste Darstellung des Widerstandskampfes der KPÖ nach 1934, die wir nach dem Krieg veröffentlicht haben).

Seitens der SPÖ hat der Linzer Universitätsprofessors Stadler eine Geschichte der Schutzbundemigration in der Sowjetunion herausgebracht unter dem Titel „Opfer verlorener Zeiten“, wo das Schicksal jener Schutzbündler nachgezeichnet worden ist, die in die Mühlen der Stalinistischen Justiz geraten und dort umgekommen sind. Selbstverständlich mit dem nicht unbedingt ausgesprochenen, aber doch auf der Hand liegenden Zweck, die Geschichtsinterpretation der KPÖ in Frage zu stellen und uns sozusagen, Leute abspenstig zu machen. Das ist nicht nur ein sehr schönes Beispiel dafür, wie von beiden Seiten zu einem bestimmten Zeitpunkt etwas herausgekommen ist, sondern auch, daß das Aufgreifen des Stalinistischen Terrors immer etwas war, was in der politischen Auseinandersetzung eine Rolle gespielt hat und für die Außenbeziehung, für das Außenbild der Partei, von Bedeutung war.

Heutzutage interessiert das kaum noch jemanden. Man kann Artikel veröffentlichen, dicke Bücher schreiben, die werden kaum rezensiert. Die Diskussion ist längst sehr viel weiter. Da muß man dann schon ein Buch herausbringen wie „Das Schwarzbuch des Kommunismus“, das den Kommunismus als das größte Verbrechen der Geschichte, verantwortlich für 100 Millionen Toten darstellt, der Nationalsozialismus erscheint demgegenüber geradezu harmlos, um Aufmerksamkeit und Rauschen im Blätterwald hervorzurufen. Doch die Auseinandersetzung mit Detailfragen, wie man miteinander umgeht, welche stalinistische Strukturen es gibt und so ähnliches, ist etwas, was außerhalb unserer Partei kaum mehr jemanden interessiert. Trotzdem bleibt das für uns selbst wichtig.

Und wenn wir uns mit stalinistischem Terror beschäftigen, ist auch dazu zu sagen, daß es nicht zuletzt unsere Genossinnen und Genossen sind, die da ums Leben gebracht wurden. Also: Es geht uns nicht darum, genau dem nachzulaufen, was sowohl von bürgerlichen Jounrnalisten als auch der bürgerlichen Geschichtswissenschaft schon längst abgehakt ist. Was wir hier machen ist ein Nachbereiten. Und dazu möchte ich ein bißchen beitragen.

V. Perioden der KPÖ – Geschichte

In der Geschichte der KPÖ lassen sich meines Erachtens folgende Perioden unterscheiden:
• Die erste nenne ich die Komintern-Periode,
• die zweite ist die des antifaschistischen Widerstandes,
• die dritte die der Besatzungszeit,
• dann die Zeit nach dem Staatsvertrag 1955 bis 1968
• und schließlich die Periode 1968 – bis 1989.

Mein Versuch besteht darin, für alle diese Perioden herauszuarbeiten, was sozusagen an Eigenem geschehen und wo es bestimmte vorgefundene Strukturen waren, die nicht nur unsere eigenen gewesen, uns aber sozusagen dazwischen gekommen sind.

Wenn man sich die Komintern – Periode von der Gründung der Partei bis zum Februar 1934 anschaut, dann müssen wir zur Kenntnis nehmen, daß der Einfluß der Kommunistischen Internationale auf die KPÖ wie auf die anderen Parteien der Komintern sehr groß war. Kommunistische Parteien waren in dieser Zeit Sektionen der Kommunistischen Internationale, die sich als Weltpartei verstanden hat.

Das hat erstens bewirkt, daß es innerhalb unserer Partei nach einer Periode – ich habe das schon angedeutet – sehr heftiger Auseinandersetzungen endlich in der zweiten Hälfte der 20er Jahre ernsthafte Versuche gegeben hat, eine eigene Politik zu entwickeln, die nicht nur eine ultralinke Antwort auf die Sozialdemokratie war, die das, was von der Sozialdemokratie kam, einfach ins Gegenteil verkehrt oder übertrieben dargestellt hat. Das heißt, eigenständige Fragestellungen sind in erster Linie durch Impulse, die entweder aus Deutschland oder aus der Sowjetunion gekommen sind, in der KPÖ entwickelt worden, während vorher und abseits von dem, was innerhalb der Komintern hier gelaufen ist, in erster Linie in einer völlig sozialdemokratischen Manier diskutiert worden ist, ultralinks übersteigert.

Auf der anderen Seite wurde die Partei durch ihre sehr enge Abhängigkeit von der Kominternzentrale in Moskau in dieser Zeit in einige sehr schlimme Abenteuer hineingejagt. 1927 ist unter anderem durch Berichte und Interpretationen, die aus Österreich selbst gekommen sind, als der Beginn der sozialen Revolution in Österreich angesehen worden, ja mehr noch als Beginn des weltweiten Eintritts in eine neuerliche revolutionäre Krise.

Der Wiener Juli 1927 als Auftakt zu einer weltrevolutionären Welle – wie wir alle wissen ist damals etwas ganz anderes passiert, nämlich der Vormarsch des Faschismus. Daß wir so lange so schlecht in der Lage gewesen sind, darauf eine adäquate Antwort zu geben, hängt auch mit dieser Fehlinterpretation, die der KPÖ aufgenötigt worden ist, zusammen. Wir haben Dokumente, die zeigen, daß Friedl Fürnberg, er war ein ganz junger Mann damals, sehr verzweifelt, sich gar nicht so schlecht dagegen gewehrt hatte, aber schließlich und endlich doch die Interpretation, die aus Moskau gekommen ist, sich durchgesetzt hat. Gefolgt ist dem ganzen die Interpretation der Sozialdemokratie als der „linke Flügel des Faschismus“, die Sozialfaschismusdoktrin.

Die folgende Periode, die des antifaschistischen Widerstands, ist relativ gut zu teilen in mehrere Unterperioden.

Die erste reicht von 1934 bis 1938. Sie deckt sich mit dem austrofaschistischen Regime in Österreich und ist geprägt durch den 7. Weltkongreß der Komintern, der eine Wende in der Politik der Dritten Internationale hin zu einer antifaschistischen Bündnispolitik bedeutet hat. Man muß allerdings auch sehen, daß für das wichtigste Land, in dem eine kommunistische Partei am Werk war, und zwar die größte Kommunistische Partei außerhalb der Sowjetunion, nämlich Deutschland idie Wende um zwei Jahre zu spät gekommen ist.

Andererseits hat die Politik, die der 7. Weltkongreß entwickelt hat, dann in der antifaschistischen Umwälzung 1944/45 – vor allem in Osteuropa – noch eine große Bedeutung bekommen. Das für die KPÖ zweifellos wichtigste und ebenfalls mit einem Impuls der Komintern, beziehungsweise von Teilen der Komintern verbundene Resultat der Debatten um den 7. Weltkongreß, ist die Theorie der eigenständigen österreichischen Nation.

Sie bildete die spezifische Grundlage für die Konzeption einer antifaschistischen Bündnispolitik, die vor allem auf die nationale Frage abstellt. Damit verbunden ist der Name Alfred Klahr. Es war nicht nur Klahr und es war auch nicht nur eine eigenständige österreichische Leistung. Es hat Diskussionen auch in Moskau gegeben. Was ich für notwendig zu erwähnen halte, ist die theoretische Leistung von Alfred Klahr, die auf der Kritik Stalins an Otto Bauers Nationstheorie beruht, die bis zu diesem Zeitpunkt in der österreichischen Arbeiterbewegung unhinterfragt war.

Diese Ambivalenz glaube ich, sollte man im Kopf haben, wenn man sich mit diesen Dingen beschäftigt. Natürlich kann man hergehen, ja der Alfred Klahr hat das immer wieder auch getan, hat in verschiedenen Punkten mehr gesagt als Stalin, ist über die Stalinsche Nationstheorie hinausgegangen. Faktum ist trotzdem, daß er seine Theorie fußend auf dessen Nationsdefinition entwickelt hat.

Die Zeit 1938/39 bis 1941 ist von einem seltsamen Auseinanderfallen der Politik im Land und der Politik der Parteiführung in Moskau gekennzeichnet. Während die Führung in Moskau die jeweiligen Wenden der sowjetischen Außenpolitik mitgemacht hat – das gilt in erster Linie für die Zeit des Nichtangriffspaktes 1939 bis 1941 – hat die Parteiorganisation im Lande eine teilweise sehr kluge und vor allem eine unabhängige Politik gemacht. Wenn man sich die Dokumente anschaut, war diese unabhängige Politik politisch sehr viel weiter als das, was aus Moskau gekommen ist. Nur muß man auch sagen, daß die Genossinnen und Genossen in Moskau an einem Gängelband gehangen sind, das durchaus tödlich sein konnte. Es hat auch einige Genossen der Parteiführung, nicht der engeren, aber doch der Führungsgruppe in der KPÖ gegeben, die in die Mühlen der Stalinistischen Justiz geraten sind.

Erst ab 1941 haben dann die Koordinaten wieder gestimmt. In dieser Zeit hat die KPÖ im Widerstand zweifellos eine sehr große Rolle gespielt.

Auf die nächsten Perioden kann ich sehr viel kürzer eingehen, nicht nur, weil einige von euch sie schon erlebt haben, sondern weil hier diese Ambivalenz, von der ich dauernd gesprochen habe, leider sehr viel eindeutiger wird. Für die Besatzungszeit war es manchmal so, daß der politische Einfluß der Partei – vor allem in der sowjetischen Besatzungszone – manchmal danach gezählt worden ist, wieviel Quadratmeter Stalinbilder man in einen USIA – Betriebe gepickt hat und ähnliches. Da können einige ältere Genossen ganz schrullige Geschichten erzählen.

Aber im Grunde ist das alles andere als zum Lachen, ist es doch ein Zeichen dafür, wie eng das Verständnis von politischem Einfluß war. Und das hing zusammen mit einem Machtverständnis, das es in der Partei gegeben hat, das vor allem von der Bedeutung der Staatsmacht ausgegangen ist. Die besten Genossen sind in die Polizei oder in andere staatlichen Apparate geschickt worden, während die Bewegung unten vernachlässigt worden ist.

Es gibt ein Ereignis, das meiner Kenntnis nach so etwas wie einen „Sündenfall“ darstellt: Die Partei war noch mit einem Minister, dem Energieminister Altmann, in der Regierung vertreten, als es im Mai 1947 diese großen Massendemonstrationen gab, weil auf der einen Seite die Einkommen der Spitzenverdiener davongallopierten, auf der anderen Seite die Einkommen der breiten Massen stagnierten. Und die Partei hat in der Gestalt des Franz Honner, der das zwar selber mit grimmiger Miene machte – aber er hat es eben getan – versucht, das alles zu kanalisieren („Wir werden Eure Anliegen vorbringen“), anstatt sich selbst an die Spitze dieser Bewegung zu stellen. Diese Haltung hat etwas ausgedrückt, was es bereits in den zwei Jahren zuvor gegeben hat.

Was ich aber auch sagen möchte, ist: Ich sehe in dieser Periode keine Alternative zu dem Parteiverständnis, das in der KPÖ geherrscht hat. Denn jeder Versuch in der Zeit des sich herausbildenden Kalten Krieges einen eigenen Weg zu gehen, hätte so geendet wie der jugoslawische Weg, nämlich mit der Ausschließung aus der Gemeinschaft der Kommunistinnen und Kommunisten einerseits, und andererseits mit einer Umarmung durch den Westen. Das heißt, in der Zeit des Kalten Krieges war es für die KPÖ meiner Meinung nicht möglich, eine unabhängige linke Position einzunehmen. Das zeigt sich in Österreich auch in der Entwicklung der Linkssozialisten.

VI. Die Katastrophe des Jahres 1968

Das gilt aber nicht mehr für die Zeit 1955 bis 1968, die in der KPÖ – im Unterschied zu anderen Kommunistischen Parteien, ich möchte vor allem die italienische hier nennen – durch die Weigerung gekennzeichnet ist, die Ergebnisse des 20. Parteitags der KPdSU zur Kenntnis zu nehmen. In der Folge hat das zu einer sukzessiven Zerstörung der Bewegung durch ihre Abkapselung, zu einer Sektenbildung geführt. Man hat ein Denken des Kalten Krieges in den eigenen Reihen fortgesetzt, zu einer Zeit, als es in der Gesellschaft längst nicht mehr diese Rolle gespielt hat. Man hat vor allem brennende Fragen nicht zur Kenntnis genommen. Das hat sich bis 1989 fortgesetzt.

Die Periode 1968 bis 1989 ist durch die Katastrophe des Jahres 1968 für unsere Bewegung charakterisiert. Die faktische Spaltung der Partei durch den Ausschluß vieler, bzw. den Austritt von noch viel mehr Genossen und Genossinen hat insofern einen tiefen Einschnitt für das Geschichtsverständnis der KPÖ bedeutet, als neben anderen Sektoren und Tätigkeitsbereichen, die von der Partei damals weggebrochen sind, auch der KZ – Verband war, dessen Führung aus der Partei ausgetreten ist. Damit wurde der Prozeß der antifaschistischen Traditionsbildung vielfach abgebrochen.

Es wurde eine nicht unbeträchtliche Anzahl jener Genossinnen und Genossen, die Trägerinnen und Träger des antifaschistischen Bewußtseins in der Partei waren, entweder ausgeschlossen, hinausgedrängt, oder haben in dieser Partei nicht mehr ihre politische Heimat gesehen. Das hat auch zu grotesken Situationen innerhalb der Historischen Kommission geführt, wo einfach der Film gerissen ist, wo einfach keine Informationen mehr da waren. Wo man nicht mehr gewußt hat, wer wo welche Rolle gespielt hat. Das heißt, in jenem Gremium der Partei, das eigentlich für diese Kontinuität der Geschichtsbetrachtung stehen hätte sollen. Diese Katastrophe ist als solche bald aber nicht mehr erkennbar gewesen, weil durch die Ausläufer der Studentenbewegung die Verluste teilweise wettgemacht wurden, allerdings nur vorübergehend. Denn der allergrößte Teil der jungen Intellektuellen, die in den 70er Jahren der Partei beigetreten sind, haben sie in den 80er und 90er Jahren wieder verlassen.

In diesem Zusammenhang möchte ich nur ganz kurz auf meine eigene Rolle eingehen. Ich war immerhin von 1976/77 bis Anfang der 90er Jahre Leiter der Historischen Kommission. Dort habe ich dazu beigetragen, daß wir uns dem Thema Stalinismus gestellt haben. Nach außen war das ein bißchen etwas anderes. Ich habe bei den Schulungen in Mauerbach immer wieder, manchmal sehr ausführlich, darüber geredet, aber der erklärte Grund dafür und das habe ich auch als solches benannt, war, daß ich, vor allem bei Funktionärsschulungen, die Genossinnen und Genossen davor bewahren wollte, bei öffentlichen Auftritten sozusagen ins Messer zu laufen.

Das heißt, ich habe mich bemüht, zu zeigen, wo die Leichen im Keller sind. Wo man aufpassen muß. Wo man sich lieber nicht auf Diskussionen einläßt, wo man lieber ausweicht. Das war kein Beitrag zu einer Aufarbeitung des Stalinismus, sondern das war ein politischer Zweckrationalimus. Ich geniere mich dafür nicht, ich will nur nicht haben, daß jemand, der das damals gehört hat, heute sagt, ja aber immerhin, wir haben doch schon damals über einiges geredet... Der Zweck des Ganzen war nicht eine Aufarbeitung des Stalinismus, sondern der Versuch, zu verhindern, daß uns etwas passiert, daß uns unsere Geschichte auf den Kopf fällt.

Die Katastrophe von 1989 stellt nicht nur die Frage, was passiert ist, wie es dazu kommen konnte. Dazu gab es bereits einige Debatten bei uns. Wenn auch viele noch in der Partei an die Verschwörungstheorie – „Der Gorbatschow hat das alles kaputt gemacht ...“ – glauben, steht über das Besprochene hinaus, meines Erachtens, eine sehr viel prinzipiellere, eine Jahrhundertfrage. Auch wenn wir davon ausgehen, daß die Entscheidung, der Trennung der Linken bzw. Linksradikalen von der Sozialdemokratie historisch eine richtige war, müssen wir uns fragen: in welchem Ausmaß das, was zwischen 1918/19 und 1989 die kommunistische Bewegung ausgemacht hat, als Ganzes gescheitert ist. Das heißt, in welchem Ausmaß auf richtige Fragen falsche Antworten gegeben wurden?

Ich habe dazu keine fertige Antwort. Ich habe nur einige ganz vorläufige Überlegungen dazu, aber ich bin der Meinung, daß das genau das ist, worüber wir nachdenken sollten.

Bei der nötigen – ich unterstreiche das noch einmal – Bedeutung, die dieses gemeinsame Verständnis, ein geändertes, ein neues Geschichtsverständnis für unsere Bewegung hat, bei dieser nötigen Selbstvergewisserung sollten wir und können wir, meines Erachtens, vor allem an einem anknüpfen, am KPÖ – Widerstand. Daran anzuknüpfen beinhaltet nämlich zweierlei: zum einen das Wort „Widerstand“; zum zweiten das Wort „kommunistisch“. Das gehört zu unserer Geschichte und zur Geschichte unseres Landes dazu.

Das hat politisch zu tun mit einer Verantwortung, die wir für dieses Land übernehmen. Das hat organisatorisch zu tun mit Eigenverantwortung, mit Selbstorganisation, mit nichthierarchischen Parteistrukturen. Wenn man das als den Dreh – und Angelpunkt unserer Geschichte nimmt, und zwar ausgehend von den Jahren, in denen die Partei eine wirklich nationale Bedeutung für Österreich gehabt hat, dann gelangt man zur Schlußfolgerung, daß vor allem Aufmüpfigkeit und Unangepaßtheit der KPÖ immer gut getan haben. Sie in die Lage versetzt haben, selbst positiv in Erscheinung zu treten. Daß umgekehrt Anpassung, Opportunismus hierarchische Strukturen nicht nur der Partei selbst geschadet, sondern sie auch verändert haben, sodaß sie vielfach ihre Vorzüge nicht in der politischen Auseinandersetzung einsetzen konnte.

Winfried Garscha, Beilage der KPÖ in der Volksstimme vom 15.10.1998 aus Anlaß ihres 80. Geburtstages

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