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Mein europäischer Traum

  • Mittwoch, 5. Dezember 2007 @ 09:41
Europa Plädoyer für eine Direktwahl des Verfassungskonvents von Christian Felber

Heute Nacht hatte ich einen Traum. Die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten warfen das Handtuch. Sie sagten: Wir schaffen es nicht, das Europäische Haus unter Ausschluss des Bevölkerung weiterzubauen, soll doch der Souverän selbst bestimmen, wie er die EU haben möchte.

Für das Procedere griffen sie einen Vorschlag aus der europäischen Zivilgesellschaft auf: Als erster Schritt wird eine verfassungsgebende Versammlung direkt gewählt – aus jenen Sektoren der Bevölkerung, die die Werte der Union repräsentieren: Juristen und Politologen (Demokratie), Unternehmen (Freiheit), Gewerkschaften (Solidarität), Armutskonferenzen und Kirchen (Menschenwürde), Umweltbewegung (Nachhaltigkeit), Globalisierungskritik und Entwicklungspolitik (Gerechtigkeit) sowie Friedensbewegung (Friede). Im Unterschied zum letzten Konvent, in dem nur 16 Prozent der Gewählten Frauen waren, muss mindestens die Hälfte weiblich sein (Gleichheit). Parlamentarier und Politiker/innen dürfen sich der Wahl stellen wie alle anderen.

Klare Ziele, ...

Konvent erarbeitet eine 50-seitige, gut leserliche und verständliche Verfassung aus – mit klaren Werten, Zielen, Institutionen. Einige „Gustostückerln“ daraus: Die Gewaltenteilung wird erstmals eingeführt: Das Parlament wird mit allen Rechten eines modernen Parlaments ausgestattet: Es darf Gesetze initiieren, über alle Politikfelder bestimmen, die Mitglieder der Europäischen Regierung, ehemals Kommission, wählen und abwählen und das Budget der EU erstellen. Die nationalen Parlamente ziehen gemeinsam mit den Regionen in der zweiten Kammer des EU-Parlaments ein, der Rat verschwindet. Als vierte Macht neben Regierung, Parlament und EuGH wird die partizipative oder staatsbürgerliche Gewalt eingerichtet.

Die Bürger/innen werden in viele Entscheidungsprozesse der Union eingebunden – beginnend mit dem Verfassungsprozess selbst. Der Souverän erhält die Möglichkeit, die gewählten Repräsentanten aus eigener Initiative zu korrigieren: Erreicht ein europäisches Volksbegehren eine definierte Anzahl von Unterschriften, kommt es zwingend zur europaweiten Volksabstimmung. In Uruguay beispielsweise führte dieses Instrument, das sich eine breite Allianz engagierter Citoyens selbst erstritt, zur verfassungsmäßigen Absicherung der öffentlichen Trinkwasserversorgung.

Davon inspiriert, führt das erste Europäische Volksbegehren zur Rücknahme der Dienstleistungsrichtlinie sowie der Post- und Strommarktliberalisierung. Aus den nationalstaatlichen Eisenbahnen wird ein erstes europäisches öffentliches Gut. In einem zweiten Begehren wird der Euratom-Vertrag mit einem Ablaufdatum versehen, bis dahin werden die Atommilliarden sukzessive auf die Erforschung von Energieeffizienz und die Erschließung erneuerbarer Quellen umgeschichtet.

Die EU rückt vom Ziel ab, der global wettbewerbsfähigste Wirtschaftsraum der Welt zu werden, und möchte stattdessen nachhaltig werden: Bis 2030 wird eine Absenkung des Ressourcenverbrauchs um drei Viertel Prozent angestrebt. Damit wird die globale Rohstoffkonkurrenz entscheidend entschärft. Das negative Vorbild der EU – acht Prozent der Weltbevölkerung verbrauchen fast 20 Prozent der globalen Ressourcen – wird aufgegeben. Die Subsidiaritätsprüfung wird auf schon bestehende Politiken ausgeweitet. Damit können Regionen die Entscheidung darüber, ob sie Gentechnik in der Landwirtschaft zulassen wollen oder nicht, selbst treffen. Dafür darf das Parlament bei der Außenpolitik mitreden, was der Reformvertrag ebenfalls nicht gebracht hätte. Kraft der Verfassung beginnt die Europäische Union eine aktive weltweite Friedenspolitik.

Die Handlungsfähigkeit der EU wird durch die neuen Strukturen gegenüber dem Ist-Zustand verbessert. Denn in Fragen der Steuer- und Sozialpolitik, wo im Reformvertrag weiterhin das Einstimmigkeitsprinzip gegolten hätte und somit ein einziger Staat jede Initiative blockieren hätte können, werden die Weichen für eine koordinierte Lohn-, Sozial- und Steuerpolitik gestellt, indem der freie Kapitalverkehr und Freihandel an arbeitsrechtliche, sozialpolitische und steuerliche Mindeststandards (und ökologische Kostenwahrheit) gekoppelt werden.

Mit dieser „Bedingung“ des Binnenmarktes werden selbst Großbritannien und die skandinavischen Länder ins Boot geholt. „Lohn- und Sozialkorridore“, die das jeweilige Niveau an das BIP koppeln, überzeugen auch die ärmeren Mitgliedstaaten.

... glückliche Bürger

Das Ergebnis verblüfft die Regierenden, weil sie geglaubt hatten, dass mit dem Reformvertrag das Maximum an Einigung erreicht worden war. Doch die Interessen der Menschen in den Mitgliedsländern der EU sind ähnlicher gelagert als die der Regierungen: In allen Ländern wünscht sich eine Mehrheit soziale Sicherheit, eine intakte Umwelt und mehr Demokratie.

Der Vorschlag des direkt gewählten Konvents wird in allen Mitgliedstaaten mit überwältigender Mehrheit vom Souverän angenommen. Eurobarometer erhob wenige Monate nach Inkrafttreten der Verfassung eine Zustimmung zur Union von 90 Prozent. Aufgrund des großen Erfolges wird dasselbe Verfahren für die Überarbeitung aller EU-Verträge angewandt.

Christian Felber koordinierte „Attacs 10 Prinzipien für einen demokratischen Vertrag“, die von 17 europäischen Attac-Organisationen unterschrieben wurden.

Quelle: Der Standard, 5. Dezember 2007, Web http://derstandard.at/?url=/?id=3138014

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