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Der Dieb als „Volksschädling'

  • Dienstag, 16. Oktober 2007 @ 08:34
Geschichte Friedl Garscha stellte auf dem Bundesdelegiertentag 2007 des KZ-Verbandes neue Forschungsergebnisse zur NS-Justiz vor.

Wenn in Österreich von der Justiz zur Zeit der NS-Herrschaft die Rede ist, wird darunter meist die politische Strafjustiz verstanden, d. h. Gerichtsverfahren wegen Hoch- und Landesverrat sowie Wehrkraftzersetzung.

Die Strafjustiz war eines der wichtigsten Instrumente der nationalsozialistischen Diktatur aber nicht nur bei der Bekämpfung ihrer politischen Gegner, sondern aber auch zur Durchsetzung ordnungspolitischer Vorstellungen und zur „Ausrottung“ ständig rückfälliger Straftäter. Diese politische Funktion von eigentlich „unpolitischen“ Strafverfahren ist bisher kaum analysiert worden.

Das Oberösterreichische Landesarchiv hat soeben eine von Dr. Winfried Garscha und Franz Scharf verfasste Untersuchung über derartige Strafverfahren im „Reichsgau Oberdonau“ fertig gestellt. Damit liegt erstmals eine Studie über den Gerichtsalltag zur NS-Zeit in Österreich vor. Dieser Gerichtsalltag wurde in erster Linie durch Verfahren wegen Diebstahls, Betrugs, Unterschlagung, Veruntreuung, Sachbeschädigung und anderen Eigentumsdelikten geprägt. Das Buch zeigt an einer Fülle von Fallbeispielen, dass sich die NS-Justiz auch in unpolitischen Strafverfahren von der Ideologie der „Volksgemeinschaft“ und rassistischen Vorurteilen leiten ließ.

Es ist zwar bekannt, dass auch in normalen Strafverfahren abschreckende Strafen verhängt wurden, doch niemand würde deshalb einem Fahrraddieb, einem Schleichhändler oder gar einem Gewaltverbrecher den Status eines „politisch Verfolgten“ zuerkennen wollen. Zahlreiche Täter wären auch von einem demokratischen Rechtssystem verurteilt worden, weil sie beispielsweise fortwährend Diebstähle verübt hatten. Gerade für derartige Bagatelldelikte führten die NS-Behörden aber mit Kriegsbeginn 1939 einen ideologisch motivierten Strafenkatalog ein.

Der Diebstahl einiger Utensilien von geringem Wert, der in demokratischen Rechtssystemen Geld- oder niedrige Haftstrafen nach sich ziehen würde, konnte unter den Bedingungen des nationalsozialistischen Kriegsstrafrechts mit der Todesstrafe, selbst für, jugendliche Straftäter, geahndet werden. In keinem anderen Bereich der Strafjustiz - mit Ausnahme der eigentlichen politischen Delikte kam die Umwandlung der Justiz in ein Terrorinstrument der NS-Diktatur deutlicher zum Ausdruck als bei der Ahndung von Delikten, die in irgendeiner Wiese geeignet erschienen, Schaden für den Zusammenhalt der „Volksgemeinschaft“ anzurichten. Dieser Schaden konnte nicht nur durch Verstöße gegen die kriegswirtschaftlichen .Regulierungsmaßnahmen eintreten, sondern auch durch die durch Diebstähle und Betrügereien bewirkte Verunsicherung der Bevölkerung, von deren „Opferwillen'.' und „Disziplin“ die Erreichung der Kriegsziele abhing.

Nationalistisch und rassistisch

Der Versuch, Alltagskriminalität mit terroristischen Methoden auszurotten, ist keine Besonderheit des Nationalsozialismus, sondern würde (und wird) immer wieder vor allem dort unternommen, wo mit diktatorischen Mitteln eine ethnische oder soziale „Homogenisierung“ der Bevölkerung herbeigeführt werden soll bzw. wo das Strafrecht in den Dienst der Kriegführung gestellt wird. Die Besonderheit der nationalsozialistischen Strafjustiz war ihr ideologischer Hintergrund, der nationalistisch und rassistisch zugleich war und maßgeblich dazu beitrug, dass binnen kurzem jede Relation zwischen der tatsächlichen Schwere des Delikts und der Höhe der Strafe verloren ging.

Nationalistisch war die Argumentation von Befürwortern der exorbitant hohen Strafen, es könne doch nicht sein, dass in einem Krieg, in dem sich die „Feinde die Vernichtung des deutschen Volkes zum Ziele gesetzt“ hätten, wie es in manchen Gerichtsurteilen hieß, die Alltagskriminalität kein Ende nehmen wollte. Wer angesichts der „Größe“ der Aufgaben, vor denen die Nation in diesem „Überlebenskampf des deutschen Volkes“ stand, weiterhin seinen kriminellen Neigungen nachging; schwächte die Heimatfront und war damit einem politischen Gegner des Regimes gleichzustellen.

Rassistisch war die Vorstellung von der Gesellschaft als „Volkskörper“. Die „Reinigung“ des „Volkskörpers“ von „Schädlingen“ wurde im Krieg - der hur von einem „gesunden Volkskörper“ gewonnen werden konnte - nicht nur für besonders dringlich gehalten, sie war auch nur unter Kriegsbedingungen einigermaßen reibungslos durchzuführen.

Verordnung gegen ..Volksschädlinge“

Die rechtliche Grundlage für diese Form der Diebstahlsbekämpfung hieß bezeichnenderweise „Verordnung gegen Volksschädlinge“. Sie wurde am 5. September 1939 erlassen und war. eine der wichtigsten jener Verordnungen, durch die im Laufe des Herbst 1939 ein neues „Kriegsstrafrecht“ eingeführt wurde, das für die Strafbemessung heranzuziehen war. Die für die Ahndung von Vermögensdelikten bedeutsamste Bestimmung der „Volksschädlingsverordnung“ war § 4: „Wer vorsätzlich unter Ausnutzung der durch den Kriegszustand verursachten außerordentlichen Verhältnisse eine sonstige Straftat begeht, wird unter Überschreitung des regelmäßigen Strafrahmens mit Zuchthaus bis zu 15 Jahren, mit lebenslangem Zuchthaus oder mit dem Tode bestraft, wenn dies das gesunde Volksempfinden wegen der besonderen Verwerflichkeit der Straftat erfordert.“

Gelangte das Gericht zum Urteil, dass die Straftat von einem „Volksschädling“ verübt worden war, so hatte es nur mehr zu prüfen, ob auf diesen „Schädling“ eine Freiheitsstrafe eine „heilende“ Wirkung haben könnte. Wenn eine derartige Resozialisierung nach Meinung der Richter nicht zu erwarten war, weil es sich beispielsweise um einen Gewohnheitsdieb oder mehrfach rückfällig gewordenen Betrüger handelte, so war dieser als Volksschädling „auszumerzen“. Die „Volksschädlingsverordnung“ stellte den Gerichten das „rechtliche“ Instrumentarium hierfür zur Verfügung, indem der Strafrahmen für bestimmte Delikte - in erster Linie Vermögensdelikte - vollkommen von der Straftat entkoppelt und ausschließlich von der Einstufung des Täters abhängig gemacht wurde.

Die Durchsicht der Gerichtsakten zeigte, dass in zählreichen, Fällen - besonders wenn es sich um Beschuldigte handelte, die als ausländische Arbeiter in der Rüstungsindustrie eingesetzt waren - unmöglich ist, festzustellen, ob die „Plünderungen“ tatsächlich in der von der Polizei angezeigten Form begangen wurden. Die als Übersetzer herangezogenen Personen waren meist keine Gerichtsdolmetscher. Die wenigen Fälle, in denen seriös verhandelt wurde, lassen vermuten,, dass es den des Deutschen kaum mächtigen Angeklagten in der Regel kaum gelang, sich in den meist nur wenige Minuten dauernden Hauptverhandlungen verständlich zumachen.

Der Großteil der wegen unpolitischer Straftaten verurteilten Personen waren tatsächlich Straftäter im Sinne des Gesetzes. Wenn solche Täter jedoch wegen Bagatelldelikten hingerichtet wurden - und die Anzahl solcher Fälle ist erschreckend hoch - so ist festzuhalten: Unabhängig vom Ausmaß der Sozialwidrigkeit ihres Verhaltens sind diese Hingerichteten auf jeden Fall als Opfer einer unmenschlichen Justiz anzusehen. Auch die Einweisung von Straftätern, die ihre Strafe ordnungsgemäß verbüßt hatten, in Konzentrationslager machte aus diesen Tätern Opfer.

Winfried R. Garscha/Franz Scharf, „Justiz in Oberdonau“, 574 Seiten, 35 Euro zzgl. Versandkosten. Bestellungen an das OÖLA, Anzengruberstr. 19, 4020 Linz oder per E-Mail (landesarchiv@ooe.gv.at)

Quelle: der neue mahnruf 9-10/2007

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