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Im Dickicht der Widersprüche

  • Sonntag, 11. November 2007 @ 08:57
Europa Von Leo Furtlehner, Landessprecher der KPÖ-Oberösterreich

Höchst bemerkenswerte Rückschlüsse über ihr Demokratieverständnis liefern Mandatare von SPÖ und Grüne in der Beantwortung eines „Offenen Briefes“ an die Nationalratsabgeordneten, in welchem eine Volksabstimmung über den EU-Vertrag – also den Ersatz für die 2005 am Veto einer Mehrheit in Frankreich und den Niederlanden gescheiterte EU-Verfassung – gefordert wird. Dass die anderen drei Parlamentsparteien bislang dazu geschwiegen haben tut dabei wenig zur Sache.

So meint SP-Klubchef Josef Cap, dass die auf 27 Mitglieder gewachsene EU eine „neue Vertragsgrundlage braucht, um ihre Handlungsfähigkeit zu bewahren“. Wofür gehandelt werden soll, lässt er freilich offen. Die erklärte Entwicklung zu einer mit den USA auf Augenhöhe agierenden Supermacht ist schließlich kein allzu attraktives Argument und da wird man lieber nicht allzu konkret…

Militarisierung ohne Rechtsgrundlage

Das Dialogbüro der Grünen teilt mit, dass die „so genannte Aufrüstungsverpflichtung“ bereits im Verfassungsvertrag steht, aber nur für Länder gilt, die sich zu einem „militärischen Kerneuropa“ bekennen. Dagegen treten zwar die Grünen auf, aber so wie wir die Koalitionsregierung kennen, wird Österreich wie sonst auch mit vollem Eifer dabei sein, die Neutralität ist doch nur für Sonntagsreden gut. Und in der geplanten Rüstungsagentur ist Österreich bereits heute vertreten „ohne dass dafür eine Rechtsgrundlage besteht“, was für die Grünen offenbar ganz normal, insgesamt aber umso schlimmer ist.

Während die Grünen meinen, dass eine Beistandsverpflichtung überhaupt nicht besteht, reduziert SPÖ-Europasprecher Caspar Einem eine solche auf Umweltkatastrophen. Der Terminus einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, zu welcher sich Österreich mit dem EU-Beitritt bekannt hat, ist damit wohl für Sozialdemokraten sowenig Rechtsgrundlage wie die Rüstungsagentur.

Heftig bestreitet Einem eine „Festschreibung der Markwirtschaft mit ungezügeltem Wettbewerb“, eine solche sei „weder heute noch morgen Vertragsgrundlage“. Von der kapitalistischen Praxis abgesehen widerspricht sich der SPÖ-Europapolitiker im selben Absatz, wenn er schreibt, dass „auch heute die EU bereits der Marktwirtschaft und dem Wettbewerb verpflichtet“ ist. Es ist wohl einzigartig, eben dieses in einer Verfassung festzuschreiben. Üblicherweise sind Verfassungen was das Wirtschaftssystem betrifft nämlich offen.

Daher bleibt dem rosaroten Einem nur die Flucht in die Polemik, indem wer meint, wer „der Festschreibung einer wettbewerbsfähigen sozialen Marktwirtschaft eine Absage erteilen“ will, solle doch gefälligst überhaupt aus der EU aus- und nicht für eine Volkabstimmung eintreten. Womit nebenbei auch deutlich wird, dass eine Reduzierung von EU-Kritik auf einen Austritt anstelle konkreter Auseinandersetzung ganz nach dem Geschmack der Herrschenden ist…

Eiertanz über Kompetenzabwanderung

Völlig zerrissen sind SPÖ wie Grüne, wenn es darum geht die schon seit dem EU-Beitritt stattfindende Kompetenzabwanderung zu rechtfertigen: Laut Rechtsexperten sind heute bereits schätzungsweise 80 Prozent der nationalen Kompetenzen auf EU-Ebene abgegeben worden – mit voller Zustimmung der österreichischen Politik wohlgemerkt und nicht als Diktat aus Brüssel. Einem räumt ein, dass Österreich als „gleichberechtigtes Mitgliedsland mit am Tisch“ sitzt und „durch sein Veto“ den Vertrag blockieren könnte. Aber so etwas kommt unseren PolitikerInnen nicht in den Sinn. Anders als Großbritannien, Polen, Tschechien oder Dänemark agiert man bekanntlich immer vorauseilend.

Es fehlt an Anhaltspunkten, dass mit der „ausdrücklichen Fassung des Vorranges des Unionsrechts vor nationalem Recht“ ein „grundlegender Qualitätswandel“ verbunden sei, meint das Grüne Dialogbüro treuherzig. SPÖ-Einem wiederum meint, dass die Behauptung es würden „immer mehr Kompetenzen an die EU übertragen und damit der demokratischen Kontrolle entzogen werden so nicht nachvollziehbar“ ist und schwärmt von einer Kompetenzausweitung des EU-Parlaments. Die EU werde damit „demokratischer und bürgernäher“ meinen die Grünen, vor dem Hintergrund der bisherigen Entwicklung lässt sich das aber bezweifeln, bleibt doch auch künftig der EU-Rat die entscheidende Instanz im „Europa der Konzerne“.

Ist Volksabstimmung ein Teufelswerk?

Beide Parteien legen diese Argumentation ihrer vehementen Ablehnung einer Volksabstimmung über den EU-Vertrag zugrunde. Beim EU-Vertrag handle es sich „nicht um Eingriffe in die grundlegenden Bauprinzipien der österreichischen Verfassung“ meint Einem und wiederholt ganz im Sinne der Bildung selbsternannter „Eliten“ seine schon 2005 verwendete Argumentation, den WählerInnen sei es nicht zuzumuten „zwei Rechtstexte von etwa 400 Paragraphen miteinander zu vergleichen und zu bewerten“, diese Frage sollte „von den gewählten Vertretern der WählerInnen beantwortet“ werden. Den Widerspruch zu 1994, als man den ÖsterreicherInnen zumutete über das Vertragswerk für den EU-Beitritt mit einem Umfang von zigtausenden Seiten abzustimmen bemerkt Einem hingegen nicht.

Pferde haben bekanntlich die größeren Köpfe, die WählerInnen sind wohl nur Stimmvieh, das einen Blankoscheck ausstellen darf. Es fragt sich freilich ob auch nur ein Dutzend der 183 Abgeordneten zu einem solchen Vergleich in der Lage ist. Mit Grausen denkt Einem da wohl an Frankreich und die Niederlande, wo man es den WählerInnen sehr wohl zumutete, sich darüber Gedanken zu machen und abzustimmen.

Wohl hält Cap eine „breite gesellschaftliche Debatte“ über das Thema für notwendig. Die Grünen sehen „durch das vorbereitende Verfahren im Konvent, Regierungskonferenz und nationale Ratifikationsprozesse die breiteste Legimitation“ sichergestellt. Dass hier nur BerufspolitikerInnen im eigenen Saft schmorten, fällt ihnen in ihrer etablierten Angepasstheit jedoch gar nicht mehr auf.

Besonders empört sind Cap wie Einem über den Vorwurf, die Ratifizierung der EU-Verfassung im Frühjahr 2005 durch das Parlament sei rechtswidrig“ erfolgt. Dass namhafte Verfassungsexperten dies angesichts der Tragweite der Verfassung bzw. jetzt des „Reformvertrags“ als keineswegs ausreichend beurteilen, lässt sie kalt. Die Grünen meinen im repräsentativ-demokratischen System seien Volksabstimmungen „nicht als allgemein übliches Verfahren“ vorgesehen.

Politfrust statt lebendige Auseinandersetzung

Von „allgemein üblich“ kann zweifellos nicht die Rede sein, gab es doch in der ganzen zweiten Republik nur zwei Volksabstimmungen, nämlich 1978 über Zwentendorf und 1994 über den EU-Beitritt. Beide waren mit einer monatelangen intensiven inhaltlichen Auseinandersetzung verbunden und haben damit unabhängig vom Ausgang einen positiven Impuls für politische Einmischung geschaffen.

Daher plädierte die KPÖ schon 2005 für eine Volksabstimmung über die Verfassung, wie übrigens kurzfristig im Herbst 2004 sogar der frühere ÖGB-Chef Fritz Verzetnitsch, der aber rasch vom SPÖ-Parlamentsklub zurückgepfiffen wurde. Gleiches gilt auch für den Reformvertrag, daher forderte etwa auch die Europäische Linkspartei mit 19 Mitglieds- und neun Beobachterparteien bei ihrer Tagung in Porto im Sommer 2007 Referenden in allen EU-Ländern.

Dass der Parteien- und Politikfrust von immer mehr Menschen auch damit zusammenhängt, dass sie über elementare Fragen kein Mitspracherecht haben, ist ja für die Parlamentsparteien kein Thema, zumal eine Volksabstimmung angesichts der überwältigen Übereinstimmung im Parlament etwa für die Grünen nur eine „Alibiaktion“ wäre. Im SPÖ-Grundsatzprogramm wird zwar dafür plädiert „dass alle Menschen das Recht darauf haben, bei Entscheidungen, die sie betreffen, mitzubestimmen“, aber was kümmert das die sozialdemokratische Realpolitik…

Durch ihre strikte Verweigerungshaltung wollen SPÖ und Grüne offensichtlich einen eigentlich linken Diskurs über den Charakter und die Perspektiven der EU gezielt nach rechts kanalisieren. Somit bleibt angesichts des rigorosen Abblockens des demokratiepolitisch eigentlich selbstverständlichen Instruments einer Volksabstimmung durch SPÖ und Grüne als Ergebnis möglicherweise ein Szenario, bei dem sich der Zeitungsmogul Hans Dichand mit seinem Hetzblatt als selbsternannte politische Instanz mit pseudopatriotischem Brimborium für eine „große, überparteiliche Initiative“ für ein solches Anliegen stark macht. Mit FPÖ-Strache, der die Zukunftsangst der Menschen in Ausländerfeindlichkeit und Rassismus kanalisieren möchte, und anderen reaktionären Dumpfbacken im Schlepptau sind das allerdings keine erfreulichen Aussichten…

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