1945: Der Todesmarsch ungarischer Juden von Mauthausen nach Gunskirchen im April 1945
- Mittwoch, 15. April 2015 @ 08:00
Von Prof. Peter Kammerstätter (1911-1993)
Mit der Materialsammlung soll die Antwort jenen gegeben werden, die heute noch die Gewalttaten des vergangenen Regimes mit den Worten abtun wollen „Das Ganze war ja nicht so arg, es war nicht so schlimm, das ist übertrieben und aufgebauscht worden, ist ja alles nicht wahr, usw. ... Und wenn das wirklich so war, dann war es notwendig, mit dem Verbrechertum und dem Gesindel aufzuräumen. Heute wäre auch eine solche Einrichtung (gemeint ist KZ) notwendig, um mit den Langhaarigen und dem Verbrechertum aufzuräumen.“
Und das nach 35 Jahren der Befreiung vom Hitlerfaschismus und Krieg (der vorliegende Text wurde 1980 verfasst und 1982 in einer Broschüre über „Widerstand und Verfolgung im Bezirk Linz-Land“ erstveröffentlicht)! „Es war ja nicht so schlimm“ und heute „die Notwendigkeit“. Wie wurde die Ideologie der Vergangenheit bewältigt, dass noch in den Gehirnen der Menschen solche Auffassungen vorherrschen?
Man merkt bei vielen noch die Erschütterung, wenn man nach 25 Jahren mit den Menschen spricht, die den Todesmarsch von tausenden unschuldigen Menschen in den Apriltagen 1945 gesehen und erlebt haben, die zusehen mussten von ihrer Wohnung oder von der Straße aus, mit welcher Brutalität und Grausamkeit die Kinder, Frauen, Greise und alle anderen, die mit mussten, gequält, geschlagen, gestoßen und gemordet wurden. Und das alles nur, weil sie Juden waren!
Der Lagerkommandant gibt zu Protokoll
Der ehemalige Lagerkommandant des KZ Mauthausen Ziereis Franz wurde in der Nacht vom 24. auf den 25. Mai 1945 nach seiner Gefangennahme im Gebiet Spital am Pyhrn in Gusen einvernommen. Die handgeschriebene Niederschrift, von Ziereis eigenhändig unterschrieben, wurde dem amerikanischen Lagerkommandanten von Mauthausen, Oberst Seibel, übergeben. In dieser Niederschrift heißt es unter anderem: „Judentransporte: In Anwesenheit des Gauleiters Rainer, Dr. Überreiter, Dr. Jury, Baldur v. Schirach und anderen habe ich von Himmler folgenden Befehl erhalten: Die Juden vom Stellungsbau „Südosten“ müssen zu Fuß aus allen Orten in Bewegung gesetzt werden. Ziel: Mauthausen.
Danach sollten 60.000 Juden nach Mauthausen kommen. Ein geringer Bruchteil davon ist tatsächlich angekommen. Als Beispiel führe ich einen mit 4.500 Juden abgegangenen und mit 180 Personen in Mauthausen angekommenen Transport an. Von welchem Ort der als Beispiel angeführte Transport abgegangen ist, ist mir unbekannt. Frauen und Kinder waren ohne Schuhe, in Lumpen und verlaust. In dem Transport befanden sich ganze Familien, von denen unzählige auf dem Wege wegen allgemeiner Körperschwäche erschossen wurden.“
Mauthausen
Bericht über die letzte Etappe des Leidensweges der ungarischen Juden. Der Todesmarsch, wie ihn die Bevölkerung auf der Straße von Mauthausen nach Gunskirchen bezeichnete. Die letzte Etappe der 55 Kilometer bis nach Gunskirchen musste zurückgelegt werden. Kleine Kinder, darunter auch Säuglinge, Frauen, Männer, alte, gebrechliche Menschen, die diesen Marsch mit dem letzten Aufgebot ihrer Kraft antraten.
Ungarische Juden des Arbeitseinsatzes beim so genannten Ostwall-Bau (Befestigungsbauten), reguläre Arbeitseinheiten der ungarischen Armee. Einzelne abgerüstete Soldaten der regulären ungarischen Armee, in ihrer militärischen Kleidung. Die bereits tausende Kilometer des Rückzuges von Stalingrad in der Wehrmacht des „Deutschen Reiches“ mitgemacht haben. Jetzt in der letzten Etappe des Krieges, weil sie Juden waren, als Gefangene, als KZ-Häftlinge des 3. Reiches. Mit der Bahn, mit den Schiffen und zu Fuß trafen sie in Mauthausen ein. Bei vielen war das KZ, das Gefängnis, seit mehreren Jahre ihre Wohnstätte.
Und nun begann der letzte Marsch von Mauthausen nach Gunskirchen. Den meisten dürfte es wohl bewusst gewesen sein, dass es der letzte Marsch sein wird. Es wird ihnen der nahende Zusammenbruch des Hitlerreiches nicht unbekannt geblieben sein. Wie lange noch? War die bange Frage. Werden die Kräfte noch reichen? Jeder wusste die Gefahren, denen er ausgesetzt war.
Ennsdorf
Etwa 200 Meter, bevor die Straße von Mauthausen in Ennsdorf in die Bundesstraße 1 einmündet, befindet sich ein Denkmal auf den Besitzungen des ehemaligen Bürgermeisters von Ennsdorf, Matthias Pölzl. Die Inschrift auf diesem Denkmal weist darauf hin, dass hier 5 unbekannte deutsche Soldaten und 33 unbekannte Israeliten ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.
Frau Maria Plöderl, die Betreuerin dieses Denkmals (die dies in vorbildlicher Weise macht - der Verfasser), berichtet, dass die 33 KZler, Juden, auf dem Weg von Mauthausen nach Ennsdorf zusammengebrochen sind und auf der Stelle erschossen wurden. Man hatte sie meist an Ort und Stelle verscharrt. Nach dem Zusammenbruch des Hitlerreiches wurden sie exhumiert und in ein Massengrab hinter dem Denkmal beigesetzt.
Sie glaubt, dass dies nicht alle sind, die auf diesem Marsch von Mauthausen herauf getötet wurden. So mancher wurde damals in den Wiesen und Feldern verscharrt, das Gras ist darüber gewachsen und so ist das in Vergessenheit geraten. „Es war ein schrecklicher Zug dieser KZler, den ich niemals vergessen werde. Wie hatte man diese armen Teufel behandelt. Ich habe diesen Marsch nicht nur hier erlebt, sondern auch in Enns und St. Florian.“
Herr Alois Minichberger berichtet u.a. „Ich kann mich noch sehr genau erinnern auf das Erlebte in den Apriltagen 1945. An einigen Abenden, wenn ich von meiner Arbeit mit der Bahn in Enns angekommen bin und vom Bahnhof zwischen 18 und 19 Uhr heimging, kam ich dazu, dass Judentransporte, die von Mauthausen kamen, meinen Weg kreuzten. Sie gingen in die Richtung auf der Straße nach Kristein, weiter nach St. Florian. So kam ich auf meinem Heimweg einmal dazu, wie gerade ein Volkssturmmann eine Jüdin, die ein kleines Kind auf ihrem Arm trug, diese niederschoss. Das Kind hatte er mit dem Gewehrkolben erschlagen. Dieser Volkssturmmann soll der Verantwortliche dieses Transportes gewesen sein. An einem anderen Tag begegnete ich auf meinem Heimweg einem Pferdefuhrwerk. Auf dem Wagen lagen 10-15 Ermordete, die zum Friedhof gefahren wurden.“
Ein Gespräch in Asten
Auf die Frage an Frau Cilli Breuer, ob sie in den Apriltagen 1945 in Asten wohnhaft war und ob sie die KZ-Häftlingstransporte, die durch diesen Ort gegangen sind, gesehen hat und welchen Eindruck diese Transporte bei ihr hinterlassen haben.
„Natürlich habe ich einen solchen gesehen, er ist mir besonders in Erinnerung, es war am 15. April 1945. Ich war an diesem Tag in Linz. Ich hatte dort zu tun, darum erinnere ich mich auf diesen Tag besonders genau. Ich kam von Linz zurück, schräg gegenüber meiner Wohnung ist eine Wiese, auf dieser haben die KZ-Häftlinge Rast gehalten. Kleidungsstücke Decken und anderes lag dort. Wahrscheinlich haben sie dies zurückgelassen, um den weiteren Marsch leichter zu überwinden. Im Ort lag ein Toter. Ich habe ihn selber gesehen. Ich hörte Schüsse knallen. Draußen auf der alten St. Florianer-Straße lagen zwei Tote. Heute ist die Straße durch den Bau der Autobahn unterbrochen worden. Auf dieser Straße bis zum neuen Gemeindeamt, diesem gegenüber war eine Wiese, (heute stehen zwei Einfamilienhäuser dort) darauf war auch ein Rastplatz der KZler. Es bot sich mir das gleiche Bild dar, wie auf der Wiese meiner Wohnung gegenüber. Das ganze war ein schrecklicher Anblick, so etwas kann man nicht vergessen. Vorerst wurden die Toten meist an Ort und Stelle verscharrt, nach dem Kriege wurden sie alle in einem gemeinsamen Grab auf dem Friedhof beigesetzt.“
Berichte aus St. Florian
Durch die Vermittlung des Herrn Pfarrers Brandl aus St. Florian lernte ich die Frau Schulrat Mayr kennen. Ihre Erlebnisse von dem Durchmarsch der Juden durch St. Florian, die sie mir schilderte, nahm ich mittels Tonband auf.
„Ja, ich habe einiges gesehen und gehört von dem Durchmarsch der KZler in St. Florian. Ich weiß noch, es war ein sehr heißer Tag. Durst haben diese Menschen gelitten, so wollte mancher zum Ortsbrunnen laufen. Einigen ist es gelungen, Wasser zu bekommen. Die anderen wurden gleich wieder von den SSIern angetrieben. Manche, das habe ich selbst gesehen, die nicht mehr weitergehen konnten, haben zwei gestützt und der in der Mitte hat seine Arme über die Achsel gelegt; direkt mitgeschleift haben sie ihn. Dann habe ich andere gesehen, da sind Frauen gegangen, diese haben auf ihren Achseln Kinder getragen. Darauf habe ich mich verschloffen. Ich war so entsetzt über die ganze Sache, dass ich in einer Kammer aufzuräumen angefangen habe, was ich schon lange hinausgeschoben habe. Der Herr Dr. Nikolusse, der Herr Pfarrer, ist zu mir gekommen, der war auch so entsetzt über dieses Treiben. Er sagte, was sagen Sie zu dieser Schande?“
Eine Frau, die ungenannt bleiben will, sagt: „Ich weiß eigentlich nicht viel von diesem Marsch zu erzählen. Es war ja sehr schwer, etwas zu tun. Ja, furchtbar war das ganze anzusehen. Man hat ja nichts geben können, weil man selbst nicht viel hatte. Ich war aus beruflicher Hinsicht verhindert. Man hat versucht, soweit es möglich war, zu helfen; z. B. hat man zwischen den Zaunlatten Brot, Kartoffeln und Obst gesteckt. Beim Vorüberziehen haben sie das schon gefunden. Am Marktbrunnen wollten einige, die nicht mehr weiter konnten, trinken und dort sollen sie erschossen worden sein.“
Frau Artmayer aus St. Florian berichtet: „Einmal, in diesen Tagen, wie sie durchgezogen sind, hörte ich in der Nacht, dass draußen auf der Straße was los sei. Ich getraute mich nicht hinaus. In der Früh, als ich zur Arbeit ging, sah ich, dass vor dem Haus ein Toter lag, der mit einer Decke zugedeckt war.“
Eine andere Frau erzählte mir, dass sie Zeuge war, wie ein Zug von KZlern in St. Florian durchmarschierte. Am Straßenrand lag ein Mann am Bauch, die Hände und Füße von sich streckend. Mit dem Gesicht lag er auf der Straße; er keuchte derart, dass der Sand von der Straße wegflog. Er war zusammengebrochen. Was mit ihm geschehen ist, das weiß ich nicht, ich musste weiter.
Auf dem ganzen Weg von Mauthausen nach Gunskirchen waren es vorwiegend Frauen, die von diesem Todesmarsch berichten konnten. Die Männer, die ich auf meinem Marsch ansprach, verwiesen mich zumeist zu. den Frauen, da sie beim Militär oder im Kriegseinsatz waren.
Fleckendorf
Die Straße von St. Florian führt durch den Stiftswald hinaus zur Ortschaft Fleckendorf. Frau Barbara Plöderl berichtet: „Wir haben damals in Fleckendorf 14 gewohnt, wie die Juden vorbeigezogen sind. Meine Mutter und ich arbeiteten zu dieser Zeit auf dem Felde in der Nähe der Straße fast gegenüber dem Bauernhaus der Familie Brandstetter. Wir haben den Zug und das Elend gesehen, wie sie vom Stiftswald herunter gekommen sind und in Richtung Ansfelden zogen.
Es kann ungefähr der 27. April gewesen sein, sie gingen zum Winsberger (Hausname eines Bauernhauses) hinauf, Kinder, Frauen und Männer. Im Wald oben haben sie einen erschossen. Mein Vater ist damals hinaufgegangen, um zu sehen, was los ist. Sie haben den Toten einfach liegen gelassen, nur mit einem Mantel zugedeckt.“
Im Ortsgebiet von Fleckendorf kommt man zum Bauernhaus Winsberger, ein sehr sauberer, die Fenster mit vielen Blumen geschmückter Vierkanthof. Die Besitzerin, Frau Zäzilie Huber, gibt bereitwillig Auskunft über das Erlebte in den Apriltagen 1945. An welchen Tagen im April die KZler vorbeigezogen sind, kann sie sich nicht mehr genau erinnern. „Es war ein Jammer, diesen Elendszug zu sehen. Beim ersten Transport war es noch sehr schwer, diesen armen Menschen etwas zu geben. Die SS, die den Zug begleitete, war barsch und brutal. Die KZler haben um Wasser gebeten, sie sind ganz erschöpft über den Berg heraufgekommen (es führt eine steile Straße zum Bauernhaus herauf und vorbei). Es war nicht einfach für die erschöpften Menschen, da herauf zu kommen. Man sah, dass manche mit letzter Kraft hin- und her wankend, diesen Weg bezwangen. Immer wieder war die Bitte nach Wasser. Wir wollten geben, brutal wurden die Bittenden von einem SS-Mann weggestoßen und fuhr uns an, dass dies verboten sei. Dann besann er sich doch und erlaubte uns, den Bittenden Wasser zu geben.
Ich sah, wie eine Mutter, die auf den Berg herauf kam, ihr erschöpftes Kind auf den Arm nehmen wollte, ein SS-Mann zwang sie, das Kind wieder auf die Straße zu stellen. Die Mutter zog das Kind auf der schwer beschotterten Straße nach. Es war erschütternd, dies zu sehen.
Die Rosa Werksleitner, die bei uns gearbeitet hatte, gab den Vorbeiziehenden Kartoffeln. Ein SSler ist auf sie herzugesprungen und hat ihr mit brutalen Worten dies verboten. Sie rief ihm zu „Wenn es Dir einmal so gehen wird wie denen, dann wirst auch froh sein, wenn Dir jemand Kartoffeln geben wird.“ Darauf hat er sie über den Rücken geschlagen.“
Ansfelden
Besuch des Herrn Kierer, 89 Jahre alt; er war 22 Jahre bei der Leichenbestattung Huber tätig. Herr Kierer erzählte seine Erlebnisse, die er bei dem Durchmarsch der Juden hatte. „Ich glaube, es waren 3 Züge, die durch Ansfelden heruntergekommen sind (gemeint ist von St. Florian durch den Stiftswald). Einer dürfte über Scharenberg und Nettingsdorf gegangen sein. Es war eine fürchterliche Sache, die KZler waren voll Hunger, sie sind in die Wiesen hinein und haben das Gras gegessen. Meine Aufgabe war es, in meinem Rayon, der bis zur Grenze Pucking ging, die Verstorbenen aufzulesen und sie zum Friedhof zu fahren. Sie sind in die Felder hinein, wo gerade Kartoffeln eingelegt wurden, sie haben diese aus der Erde heraus direkt in den Mund gesteckt und gegessen.
Ich glaube, das erste Mal habe ich 6 oder 7 auf dem Handkarren zusammengebracht und sie zum Friedhof gefahren. Und das zweite Mal waren es 7 oder 8 Leichen. Zusammen dürften es etwa 15 gewesen sein. Wir haben sie außerhalb des Friedhofes beerdigt. Sie wurden später umgebettet.“
Pucking
Von Ansfelden führte mich mein Weg nach Pucking. Der Besuch im Pfarrhaus war ohne Erfolg. Der Herr Pfarrer war auf Urlaub. Eine ältere Frau, die ich ansprach, ob sie den Todesmarsch der ungarischen Juden gesehen habe, gab zur Antwort: „Ja, entsetzlich war das anzusehen. Ich bin von der Straße weg, ich konnte das nicht anschauen. Die alte Bäckerin (die Frau des alten Bäckermeisters), sie ist schon gestorben, die hat den vorbeiziehenden hungrigen Menschen Brot gegeben. Aber sie wurde deswegen von den SSlern bedroht. Ihr wurde gesagt, wenn sie das nicht sofort einstellt, muss sie mitgehen. Auch einer anderen Frau, die das gleiche machte, erging es so. Es war ein elender Zug.“
Eine Frau, die ich am Friedhof ansprach, berichtete: „Wir hatten an einem dieser Tage, wie sie vorbeigezogen sind, die Ausgabe der Lebensmittelkarten. Wir saßen im Gasthaus und waren natürlich neugierig, was sich da draußen tut und schauten zu den vorbeiziehenden KZlern hinaus. Da kam aber ein ganz zorniger SSler herzu und drohte und schrie uns an, wenn wir das Fenster nicht gleich zu machen, können wir auch gleich mitgehen. Wir durften ja niemandem etwas geben. Die in unserer Gemeinde erschossen und gestorben sind, wurden in Weißkirchen in einem Massengrab begraben.“
Weißkirchen
In Weißkirchen sprach ich auf der Straße eine Frau an, die ohne zu zögern, auf meine Fragen sofort Antwort gab. „Es war eine gnadenlose Zeit, Mütter, Frauen sind vorbeigezogen, die versucht haben, ihre Kinder zu tragen, oder sie nachgezogen haben. Eine Frau, die vor der Niederkunft stand, musste mit. Kaum, dass sie sich noch vorwärts bewegen konnte. Gleich da unten auf der Wiese (das Gespräch fand in der Nähe der Kirche statt, zirka 100 m von der Kirche entfernt liegt die Wiese, wo heute eine breite schöne Straße in Richtung Wels oder in die Richtung Pucking führt), haben die KZler gerastet. Die Einwohner von Weißkirchen haben versucht, diesen Essen zuzuwerfen, soweit es die SS nicht verhinderte oder nicht sah. Wir waren gerade beim Kartoffel einsetzen, die KZler haben diese von der Erde herausgenommen und gegessen. Wir haben ihnen die, die wir noch zum Setzen bei uns hatten, gegeben. Es war eine schreckliche Zeit, sie soll nicht mehr kommen. In der Au draußen steht ein Denkmal von den KZlern.“
Am Wege zum Denkmal der KZler kam ich in der Ortschaft Bergern mit dem Bauern Hofer Hans ins Gespräch. Herr Hofer war zu jener Zeit, als die Kolonnen der KZler vor seinem Haus vorbeizogen, zum Volkssturm für den Innendienst einberufen worden. Bei diesem Durchmarsch wurde er mit seinem Pferdefuhrwerk stellig gemacht.
Er berichtet: „Ich kann mich nicht mehr genau auf den Tag erinnern, ich bekam den Auftrag, auf die Rastwiese hinunterzufahren. Dort lagen 8 KZler, die Fleckfieberkrank waren, die nicht mehr weiter konnten. Ich musste sie in die Au hinausfahren. Beim Aufladen der Kranken hatte ich schon mit den SSlern eine Kontroverse, weil ich mich weigerte, die Kranken auf einen Wagen zu legen, da ich ja nur für den Transport bestellt worden sei. So blieb den SSlern nichts anderes übrig als das Aufladen selber zu tun. Ich fuhr die nicht Marschfähigen in die Au zum Rastplatz, der auf meinem Grund lag, hinaus.
Auf der Fahrt hinaus hat sich ein junger Jude, vielleicht war er 20 Jahre alt, auf den Wagen gesetzt. Er war nicht krank. Er war ganz munter. Er fragte mich, ob er am Rastplatz etwas zu essen bekommen wird, denn er hat den ganzen Tag noch nichts gegessen. Ich konnte ihm dazu nichts sagen, weil ich ja selbst noch nicht dort war.
Als ich mit meinem Fuhrwerk zum Rastplatz hinkam, sah ich, dass KZler einen Graben aushoben (es war ihr eigenes Grab). Der Junge stieg vom Wagen herunter und fragte den SSler, ob es etwas zu essen gäbe. „Essen willst du“, hat der SSler ausgerufen und hat ihn mit einer Gummiwurst über den Kopf geschlagen, dass dieser zusammengebrochen ist. Ich habe zum SSler gesagt: „He, he, so braucht's es auch nicht machen.“ - „Erbarmen haben Sie mit diesen Menschen?“ - „Natürlich“, war meine Antwort. Er sagte: „Da gibt es kein Erbarmen“, ich solle mich nur in Acht nehmen, dass ich nicht selber dazu komme. Er nahm die MP, schoss den Jungen in den Graben und die acht, die auf dem Wagen lagen, erschoss er auch. Durch die Schießerei wurden meine Pferde scheu, ich hatte zu tun, sie zu beruhigen und fuhr heim. Auf der Straße von Weißkirchen herauf wurden viele erschossen. Man hörte immer wieder Schüsse knallen. In der Au auf meinem Grund, wo das Massengrab liegt, ist für die KZler ein Denkmal errichtet worden. Jedes Jahr um die Zeit, wo die Befreiung war, werden dort Kränze niedergelegt.“
Schleißheim
Aus der Pfarrchronik von Schleißheim, Seite 246, 1945: „Im März und April (1945) klappte es nicht mehr. Doch bevor es so weit kam, zu dem Einmarsch der Ami und der vorrückenden Russen, waren vorher noch schreckliche, entsetzliche Wochen. Solche Untaten gegen die Menschlichkeit durch besondere Grausamkeit, total unerwünschte SS-Leute. Im März und April zogen nämlich 17.000 KZler (Konzentrationslagerhäftlinge) einst aus dem Lager Mauthausen, vielfach Juden oder jüdischer Abstammung, die auch oft schon lange Christen waren. Die teils politisch, teils kriminell belastet waren. Nach Angaben kamen sie von Neuhofen, Pucking her durch unseren Ort. Es waren Frauen, Männer, Kinder, Kleinkinder in Kinderwagerln, alte Weiberln und Greise, die meisten lebende Leichen aus Haut und Gebeinen.
Sie werden nach dem Hartwald in Gunskirchen getrieben. Und ihre Endstation, wohin sie nach dem Willen ihrer Peiniger und Mörder kommen sollten, war ein Werksstollen in Ebensee; wo sie dann eingemauert, vergast oder lebendig verbrannt werden sollten. Sie aßen Gras, Löwenzahn, rauften sich um ein Stückerl gefundenes oder von mitleidigen Seelen bekommenes Brot. Sie riskierten ihr Leben, denn wenn einer den Zug verließ oder zurückblieb, um sich eine Kartoffel zusammenzuklauben, knallten ihn die unbarmherzigen SS-Posten nieder, oder erschlugen ihn. Die Dorfbewohner erbarmten sich jedoch dieser Armen und es wurden Kartoffeln, Brot zufällig auf die Straße gestellt und so manchen geholfen. Auch wir machten es so. Ja, wir winkten manchen frech her, zu uns zu kommen. Und manch Verwegener kam bis zur vorderen Pfarrhoftür und später bis zur eisernen Westtür, wo wir ihnen eine Liebesgabe zum Essen gaben.
Einmal sah das ein SS-Gestapomann oder ein Wiener Feuerwehrmann, der als Begleiter war. Dieser kam hinzu, schimpfte mit der Köchin und drohte ihr mit dem Mitnehmen. Er wollte mit einem Gewehrkolben mit voller Wucht auf den armen hungernden KZler einschlagen. Er hätte ihn erschlagen, da sprang aber unser großer Bernhardinerhund, der brave Bari, diesen SS-Mann so scharf an, dass er erschrocken abließ. Inzwischen konnte der KZler entkommen und entging dem Todesstoß. Schimpfend verließ der unmenschliche Begleiter den Pfarrhof. Der Häftling war indessen glücklicherweise im großen Haufen entschwunden, gerettet durch den treuen Bari. In einer Nacht hindurch lagerten einmal bei 5.000 Leute auf der Niedermayer-Wiese. Tag und Nacht knallten Gewehrschüsse der unmenschlichen Begleiter, die leider Gottes vielfach der irdischen Gerechtigkeit entgingen, deren Namen unbekannt blieben. Man sollte in den Listen der Wiener Feuerwehr nachforschen, um zu konstatieren, wer damals auf dem Todesmarsch der KZler durch Oberösterreich Begleiter war. Vielleicht könnte doch so mancher überführt werden.
Von Pucking bis Schleißheim lagen 120 arme Todesopfer an den Straßen, auf den Feldern auf den Wiesen und wurden vielfach an ihren Hinrichtungsstätten eingescharrt. Bis auf einige in der Bergnerleiten hinter dem Dorf, längs des rechten Ufers des Mayrbaches und eine große Menge in der Au, in der Nähe des Gangbaches, wohin auch später die Leichen der zerstreut Eingegrabenen gebracht wurden. Das Ausgraben der Leichen mussten dann die Nazimitglieder besorgen. Mit Recht!
Auch ungarisches Militär zieht sehr viel durch. Dann kamen Kosaken, ungefähr 500 Mann mit vielen Pferden und Wagen. Einige Tage hielten sie sich in Blindenmarkt auf, dann wurden sie in die Auen in Schleißheim gebracht. Besonders die untere Au, die dem Pfarrhof gehört, wurde arg verwüstet.
Mitte April waren 3.000 Menschen in unserer Gemeinde. Dann kamen lange Reihen von Leuten, die in einem KZ-Lager waren. Sie marschierten stundenlang durch unseren Ort. Es waren wohl an die Zehntausende. Manchmal hatten sie auch in der Au übernachtet. Es waren in der Mehrzahl Juden. Wenn einer vor Erschöpfung nicht mehr weiterkonnte, so wurde er von der Wachmannschaft einfach erschossen. So wurden an einem Tag auf dem Weg von Dietach bis Forsting über 20 erschossen. Man hat sie in der Au im Bombentrichter begraben. Es war ein furchtbares Ansehen, wie diese Leute behandelt wurden. Im Ganzen sind gegen 60 von diesen Menschen in der Au begraben. Zwei wurden in der Totenkammer eingesperrt. Es war streng verboten, ihnen Nahrung zu geben. Gute Leute haben aber doch etwas gebracht. Einer von den beiden hat sich erholt und konnte wieder weiterziehen. Der andere ist in der Totenkammer gestorben und wurde auf dem Friedhof begraben. Er hieß Emmerich Strasser, ein Schlosser aus Budapest.“
Frau Maria Schwandner wohnt in einem kleinen Häuschen, das am Ortsausgang von Schleißheim liegt. Die Straße führt bei ihrem Haus vorbei nach Weißkirchen.
Auf meine Frage, ob sie den Marsch der ungarischen Juden in den Apriltagen 1945 gesehen oder erlebt hat, war eine rasche Antwort da. „Ja freilich habe ich diesen erlebt! Massenweise sogar. Ich glaube, 2 oder 3mal sind Transporte hier vorbeigegangen. Ich hatte damals Evakuierte, Flüchtlinge bei mir in einer kleinen Wohnung.
Es war ein fürchterliches Trauerspiel. Wenn einer müde war und nicht mehr weiter konnte, haben sie ihn schon erledigt. Bei diesem Vorbeimarsch ist bei meinem Haus ein SSler gestanden und hat in seinen Stock Rillen geschnitten. Ich fragte ihn, was er da mache. Er schneide da Rillen in seinen Stock, weil da unten haben sie (die SSler) ein paar umgelegt. Er zeigte in Richtung Weißkirchen. „Und dass ich bis zum Abend nicht vergesse, wird für jeden Umgelegten eine Rille in den Stock geschnitten.“ Dann sagte er zu mir, ich darf diesen Vorbeiziehenden nichts zu essen geben. „Warum nicht?“ fragte ich. „Mein Gott, die haben so Hunger.“ „Wir haben auch Hunger und müssen auch so lange mit dem Transport gehen und bekommen nichts zu essen“, war seine Antwort.
Natürlich waren nicht lauter schlechte Leute bei der SS. An einem späten Abend ist einer von der SS-Bewachungsmannschaft von der Au (sie haben dort genächtigt) zu uns ins Geschäft gekommen. Er hat um Brot für die Juden gebeten. Er kann das ganze nicht mehr ansehen, dieses Elend. Er selbst ist von Tirol und wurde zur SS verpflichtet. Er hat das Brot unter seinen Kleidern versteckt und ist gegangen.
Welchen großen Hunger die Menschen hatten, kann man daraus ersehen: Wir haben an der Hauswand Obstbäume stehen gehabt, bei denen gerade die Blätter herausgekommen sind. Diese haben sie abgerissen und gegessen.“
Ich versuchte, im Gemeindegebiet von Thalheim Augenzeugen ausfindig zu machen. Wenn man Männer anspricht, dann bekommt man die Antwort, ich war zu jener Zeit nicht da, ich war in der Kriegsgefangenschaft, oder fragen Sie die Nazis, die da waren, die müssten es besser wissen. Man bekommt vorwiegend von älteren Frauen über die damaligen Verhältnisse oder Geschehnisse Auskunft. So auch in Thalheim.
Die Befreiung
Mauthausen, 9. Mai 1971: Gespräch mit Herrn Wiesner, Sekretär der Interessensgemeinschaft der Naziverfolgten in Ungarn. Herr Wiesner schließt sich vollinhaltlich dem Bericht des Herrn Dr. Stephan Viranyi an. Er war Teilnehmer an diesem Todesmarsch. Er möchte nur in einem Punkt den vorliegenden Bericht ergänzen.
„Als die amerikanische Armee sich immer mehr und mehr näherte, schickte der SS-Lagerkommandant einen LKW mit Parlamentariern, die mit einer weißen Fahne ausgerüstet waren, zu dem amerikanischen Kommandostab. Diese Parlamentarier hatten einen Brief dem Kommandostab zu übergeben. In diesem wurde dem amerikanischen Kommandostab mitgeteilt, dass er, der Lagerkommandant, den schriftlichen Befehl habe, sämtliche Häftlinge in den Lagerbaracken einzusperren, die Türen und Fenster zu vernageln und dann das ganze Lager zu vernichten. Sollte das amerikanische Armeekommando den ungehinderten Abzug der SS gestatten, würde er den Befehl nicht durchführen. Das amerikanische Armeekommando teilte den Parlamentariern mit, dass sie auf den Vorschlag des Lagerkommandanten eingehen. So wurden tausende von Häftlingen in der letzten Minute vor der Vernichtung bewahrt. Nach der Befreiung mussten Tausende in improvisierte Spitäler nach Wels und Hörsching gebracht werden.“
Herr Wiesner wurde auf Grund seines schlechten Gesundheitszustandes in das Militärlazarett nach Hörsching gebracht.
Mit der Materialsammlung soll die Antwort jenen gegeben werden, die heute noch die Gewalttaten des vergangenen Regimes mit den Worten abtun wollen „Das Ganze war ja nicht so arg, es war nicht so schlimm, das ist übertrieben und aufgebauscht worden, ist ja alles nicht wahr, usw. ... Und wenn das wirklich so war, dann war es notwendig, mit dem Verbrechertum und dem Gesindel aufzuräumen. Heute wäre auch eine solche Einrichtung (gemeint ist KZ) notwendig, um mit den Langhaarigen und dem Verbrechertum aufzuräumen.“
Und das nach 35 Jahren der Befreiung vom Hitlerfaschismus und Krieg (der vorliegende Text wurde 1980 verfasst und 1982 in einer Broschüre über „Widerstand und Verfolgung im Bezirk Linz-Land“ erstveröffentlicht)! „Es war ja nicht so schlimm“ und heute „die Notwendigkeit“. Wie wurde die Ideologie der Vergangenheit bewältigt, dass noch in den Gehirnen der Menschen solche Auffassungen vorherrschen?
Man merkt bei vielen noch die Erschütterung, wenn man nach 25 Jahren mit den Menschen spricht, die den Todesmarsch von tausenden unschuldigen Menschen in den Apriltagen 1945 gesehen und erlebt haben, die zusehen mussten von ihrer Wohnung oder von der Straße aus, mit welcher Brutalität und Grausamkeit die Kinder, Frauen, Greise und alle anderen, die mit mussten, gequält, geschlagen, gestoßen und gemordet wurden. Und das alles nur, weil sie Juden waren!
Der Lagerkommandant gibt zu Protokoll
Der ehemalige Lagerkommandant des KZ Mauthausen Ziereis Franz wurde in der Nacht vom 24. auf den 25. Mai 1945 nach seiner Gefangennahme im Gebiet Spital am Pyhrn in Gusen einvernommen. Die handgeschriebene Niederschrift, von Ziereis eigenhändig unterschrieben, wurde dem amerikanischen Lagerkommandanten von Mauthausen, Oberst Seibel, übergeben. In dieser Niederschrift heißt es unter anderem: „Judentransporte: In Anwesenheit des Gauleiters Rainer, Dr. Überreiter, Dr. Jury, Baldur v. Schirach und anderen habe ich von Himmler folgenden Befehl erhalten: Die Juden vom Stellungsbau „Südosten“ müssen zu Fuß aus allen Orten in Bewegung gesetzt werden. Ziel: Mauthausen.
Danach sollten 60.000 Juden nach Mauthausen kommen. Ein geringer Bruchteil davon ist tatsächlich angekommen. Als Beispiel führe ich einen mit 4.500 Juden abgegangenen und mit 180 Personen in Mauthausen angekommenen Transport an. Von welchem Ort der als Beispiel angeführte Transport abgegangen ist, ist mir unbekannt. Frauen und Kinder waren ohne Schuhe, in Lumpen und verlaust. In dem Transport befanden sich ganze Familien, von denen unzählige auf dem Wege wegen allgemeiner Körperschwäche erschossen wurden.“
Mauthausen
Bericht über die letzte Etappe des Leidensweges der ungarischen Juden. Der Todesmarsch, wie ihn die Bevölkerung auf der Straße von Mauthausen nach Gunskirchen bezeichnete. Die letzte Etappe der 55 Kilometer bis nach Gunskirchen musste zurückgelegt werden. Kleine Kinder, darunter auch Säuglinge, Frauen, Männer, alte, gebrechliche Menschen, die diesen Marsch mit dem letzten Aufgebot ihrer Kraft antraten.
Ungarische Juden des Arbeitseinsatzes beim so genannten Ostwall-Bau (Befestigungsbauten), reguläre Arbeitseinheiten der ungarischen Armee. Einzelne abgerüstete Soldaten der regulären ungarischen Armee, in ihrer militärischen Kleidung. Die bereits tausende Kilometer des Rückzuges von Stalingrad in der Wehrmacht des „Deutschen Reiches“ mitgemacht haben. Jetzt in der letzten Etappe des Krieges, weil sie Juden waren, als Gefangene, als KZ-Häftlinge des 3. Reiches. Mit der Bahn, mit den Schiffen und zu Fuß trafen sie in Mauthausen ein. Bei vielen war das KZ, das Gefängnis, seit mehreren Jahre ihre Wohnstätte.
Und nun begann der letzte Marsch von Mauthausen nach Gunskirchen. Den meisten dürfte es wohl bewusst gewesen sein, dass es der letzte Marsch sein wird. Es wird ihnen der nahende Zusammenbruch des Hitlerreiches nicht unbekannt geblieben sein. Wie lange noch? War die bange Frage. Werden die Kräfte noch reichen? Jeder wusste die Gefahren, denen er ausgesetzt war.
Ennsdorf
Etwa 200 Meter, bevor die Straße von Mauthausen in Ennsdorf in die Bundesstraße 1 einmündet, befindet sich ein Denkmal auf den Besitzungen des ehemaligen Bürgermeisters von Ennsdorf, Matthias Pölzl. Die Inschrift auf diesem Denkmal weist darauf hin, dass hier 5 unbekannte deutsche Soldaten und 33 unbekannte Israeliten ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.
Frau Maria Plöderl, die Betreuerin dieses Denkmals (die dies in vorbildlicher Weise macht - der Verfasser), berichtet, dass die 33 KZler, Juden, auf dem Weg von Mauthausen nach Ennsdorf zusammengebrochen sind und auf der Stelle erschossen wurden. Man hatte sie meist an Ort und Stelle verscharrt. Nach dem Zusammenbruch des Hitlerreiches wurden sie exhumiert und in ein Massengrab hinter dem Denkmal beigesetzt.
Sie glaubt, dass dies nicht alle sind, die auf diesem Marsch von Mauthausen herauf getötet wurden. So mancher wurde damals in den Wiesen und Feldern verscharrt, das Gras ist darüber gewachsen und so ist das in Vergessenheit geraten. „Es war ein schrecklicher Zug dieser KZler, den ich niemals vergessen werde. Wie hatte man diese armen Teufel behandelt. Ich habe diesen Marsch nicht nur hier erlebt, sondern auch in Enns und St. Florian.“
Herr Alois Minichberger berichtet u.a. „Ich kann mich noch sehr genau erinnern auf das Erlebte in den Apriltagen 1945. An einigen Abenden, wenn ich von meiner Arbeit mit der Bahn in Enns angekommen bin und vom Bahnhof zwischen 18 und 19 Uhr heimging, kam ich dazu, dass Judentransporte, die von Mauthausen kamen, meinen Weg kreuzten. Sie gingen in die Richtung auf der Straße nach Kristein, weiter nach St. Florian. So kam ich auf meinem Heimweg einmal dazu, wie gerade ein Volkssturmmann eine Jüdin, die ein kleines Kind auf ihrem Arm trug, diese niederschoss. Das Kind hatte er mit dem Gewehrkolben erschlagen. Dieser Volkssturmmann soll der Verantwortliche dieses Transportes gewesen sein. An einem anderen Tag begegnete ich auf meinem Heimweg einem Pferdefuhrwerk. Auf dem Wagen lagen 10-15 Ermordete, die zum Friedhof gefahren wurden.“
Ein Gespräch in Asten
Auf die Frage an Frau Cilli Breuer, ob sie in den Apriltagen 1945 in Asten wohnhaft war und ob sie die KZ-Häftlingstransporte, die durch diesen Ort gegangen sind, gesehen hat und welchen Eindruck diese Transporte bei ihr hinterlassen haben.
„Natürlich habe ich einen solchen gesehen, er ist mir besonders in Erinnerung, es war am 15. April 1945. Ich war an diesem Tag in Linz. Ich hatte dort zu tun, darum erinnere ich mich auf diesen Tag besonders genau. Ich kam von Linz zurück, schräg gegenüber meiner Wohnung ist eine Wiese, auf dieser haben die KZ-Häftlinge Rast gehalten. Kleidungsstücke Decken und anderes lag dort. Wahrscheinlich haben sie dies zurückgelassen, um den weiteren Marsch leichter zu überwinden. Im Ort lag ein Toter. Ich habe ihn selber gesehen. Ich hörte Schüsse knallen. Draußen auf der alten St. Florianer-Straße lagen zwei Tote. Heute ist die Straße durch den Bau der Autobahn unterbrochen worden. Auf dieser Straße bis zum neuen Gemeindeamt, diesem gegenüber war eine Wiese, (heute stehen zwei Einfamilienhäuser dort) darauf war auch ein Rastplatz der KZler. Es bot sich mir das gleiche Bild dar, wie auf der Wiese meiner Wohnung gegenüber. Das ganze war ein schrecklicher Anblick, so etwas kann man nicht vergessen. Vorerst wurden die Toten meist an Ort und Stelle verscharrt, nach dem Kriege wurden sie alle in einem gemeinsamen Grab auf dem Friedhof beigesetzt.“
Berichte aus St. Florian
Durch die Vermittlung des Herrn Pfarrers Brandl aus St. Florian lernte ich die Frau Schulrat Mayr kennen. Ihre Erlebnisse von dem Durchmarsch der Juden durch St. Florian, die sie mir schilderte, nahm ich mittels Tonband auf.
„Ja, ich habe einiges gesehen und gehört von dem Durchmarsch der KZler in St. Florian. Ich weiß noch, es war ein sehr heißer Tag. Durst haben diese Menschen gelitten, so wollte mancher zum Ortsbrunnen laufen. Einigen ist es gelungen, Wasser zu bekommen. Die anderen wurden gleich wieder von den SSIern angetrieben. Manche, das habe ich selbst gesehen, die nicht mehr weitergehen konnten, haben zwei gestützt und der in der Mitte hat seine Arme über die Achsel gelegt; direkt mitgeschleift haben sie ihn. Dann habe ich andere gesehen, da sind Frauen gegangen, diese haben auf ihren Achseln Kinder getragen. Darauf habe ich mich verschloffen. Ich war so entsetzt über die ganze Sache, dass ich in einer Kammer aufzuräumen angefangen habe, was ich schon lange hinausgeschoben habe. Der Herr Dr. Nikolusse, der Herr Pfarrer, ist zu mir gekommen, der war auch so entsetzt über dieses Treiben. Er sagte, was sagen Sie zu dieser Schande?“
Eine Frau, die ungenannt bleiben will, sagt: „Ich weiß eigentlich nicht viel von diesem Marsch zu erzählen. Es war ja sehr schwer, etwas zu tun. Ja, furchtbar war das ganze anzusehen. Man hat ja nichts geben können, weil man selbst nicht viel hatte. Ich war aus beruflicher Hinsicht verhindert. Man hat versucht, soweit es möglich war, zu helfen; z. B. hat man zwischen den Zaunlatten Brot, Kartoffeln und Obst gesteckt. Beim Vorüberziehen haben sie das schon gefunden. Am Marktbrunnen wollten einige, die nicht mehr weiter konnten, trinken und dort sollen sie erschossen worden sein.“
Frau Artmayer aus St. Florian berichtet: „Einmal, in diesen Tagen, wie sie durchgezogen sind, hörte ich in der Nacht, dass draußen auf der Straße was los sei. Ich getraute mich nicht hinaus. In der Früh, als ich zur Arbeit ging, sah ich, dass vor dem Haus ein Toter lag, der mit einer Decke zugedeckt war.“
Eine andere Frau erzählte mir, dass sie Zeuge war, wie ein Zug von KZlern in St. Florian durchmarschierte. Am Straßenrand lag ein Mann am Bauch, die Hände und Füße von sich streckend. Mit dem Gesicht lag er auf der Straße; er keuchte derart, dass der Sand von der Straße wegflog. Er war zusammengebrochen. Was mit ihm geschehen ist, das weiß ich nicht, ich musste weiter.
Auf dem ganzen Weg von Mauthausen nach Gunskirchen waren es vorwiegend Frauen, die von diesem Todesmarsch berichten konnten. Die Männer, die ich auf meinem Marsch ansprach, verwiesen mich zumeist zu. den Frauen, da sie beim Militär oder im Kriegseinsatz waren.
Fleckendorf
Die Straße von St. Florian führt durch den Stiftswald hinaus zur Ortschaft Fleckendorf. Frau Barbara Plöderl berichtet: „Wir haben damals in Fleckendorf 14 gewohnt, wie die Juden vorbeigezogen sind. Meine Mutter und ich arbeiteten zu dieser Zeit auf dem Felde in der Nähe der Straße fast gegenüber dem Bauernhaus der Familie Brandstetter. Wir haben den Zug und das Elend gesehen, wie sie vom Stiftswald herunter gekommen sind und in Richtung Ansfelden zogen.
Es kann ungefähr der 27. April gewesen sein, sie gingen zum Winsberger (Hausname eines Bauernhauses) hinauf, Kinder, Frauen und Männer. Im Wald oben haben sie einen erschossen. Mein Vater ist damals hinaufgegangen, um zu sehen, was los ist. Sie haben den Toten einfach liegen gelassen, nur mit einem Mantel zugedeckt.“
Im Ortsgebiet von Fleckendorf kommt man zum Bauernhaus Winsberger, ein sehr sauberer, die Fenster mit vielen Blumen geschmückter Vierkanthof. Die Besitzerin, Frau Zäzilie Huber, gibt bereitwillig Auskunft über das Erlebte in den Apriltagen 1945. An welchen Tagen im April die KZler vorbeigezogen sind, kann sie sich nicht mehr genau erinnern. „Es war ein Jammer, diesen Elendszug zu sehen. Beim ersten Transport war es noch sehr schwer, diesen armen Menschen etwas zu geben. Die SS, die den Zug begleitete, war barsch und brutal. Die KZler haben um Wasser gebeten, sie sind ganz erschöpft über den Berg heraufgekommen (es führt eine steile Straße zum Bauernhaus herauf und vorbei). Es war nicht einfach für die erschöpften Menschen, da herauf zu kommen. Man sah, dass manche mit letzter Kraft hin- und her wankend, diesen Weg bezwangen. Immer wieder war die Bitte nach Wasser. Wir wollten geben, brutal wurden die Bittenden von einem SS-Mann weggestoßen und fuhr uns an, dass dies verboten sei. Dann besann er sich doch und erlaubte uns, den Bittenden Wasser zu geben.
Ich sah, wie eine Mutter, die auf den Berg herauf kam, ihr erschöpftes Kind auf den Arm nehmen wollte, ein SS-Mann zwang sie, das Kind wieder auf die Straße zu stellen. Die Mutter zog das Kind auf der schwer beschotterten Straße nach. Es war erschütternd, dies zu sehen.
Die Rosa Werksleitner, die bei uns gearbeitet hatte, gab den Vorbeiziehenden Kartoffeln. Ein SSler ist auf sie herzugesprungen und hat ihr mit brutalen Worten dies verboten. Sie rief ihm zu „Wenn es Dir einmal so gehen wird wie denen, dann wirst auch froh sein, wenn Dir jemand Kartoffeln geben wird.“ Darauf hat er sie über den Rücken geschlagen.“
Ansfelden
Besuch des Herrn Kierer, 89 Jahre alt; er war 22 Jahre bei der Leichenbestattung Huber tätig. Herr Kierer erzählte seine Erlebnisse, die er bei dem Durchmarsch der Juden hatte. „Ich glaube, es waren 3 Züge, die durch Ansfelden heruntergekommen sind (gemeint ist von St. Florian durch den Stiftswald). Einer dürfte über Scharenberg und Nettingsdorf gegangen sein. Es war eine fürchterliche Sache, die KZler waren voll Hunger, sie sind in die Wiesen hinein und haben das Gras gegessen. Meine Aufgabe war es, in meinem Rayon, der bis zur Grenze Pucking ging, die Verstorbenen aufzulesen und sie zum Friedhof zu fahren. Sie sind in die Felder hinein, wo gerade Kartoffeln eingelegt wurden, sie haben diese aus der Erde heraus direkt in den Mund gesteckt und gegessen.
Ich glaube, das erste Mal habe ich 6 oder 7 auf dem Handkarren zusammengebracht und sie zum Friedhof gefahren. Und das zweite Mal waren es 7 oder 8 Leichen. Zusammen dürften es etwa 15 gewesen sein. Wir haben sie außerhalb des Friedhofes beerdigt. Sie wurden später umgebettet.“
Pucking
Von Ansfelden führte mich mein Weg nach Pucking. Der Besuch im Pfarrhaus war ohne Erfolg. Der Herr Pfarrer war auf Urlaub. Eine ältere Frau, die ich ansprach, ob sie den Todesmarsch der ungarischen Juden gesehen habe, gab zur Antwort: „Ja, entsetzlich war das anzusehen. Ich bin von der Straße weg, ich konnte das nicht anschauen. Die alte Bäckerin (die Frau des alten Bäckermeisters), sie ist schon gestorben, die hat den vorbeiziehenden hungrigen Menschen Brot gegeben. Aber sie wurde deswegen von den SSlern bedroht. Ihr wurde gesagt, wenn sie das nicht sofort einstellt, muss sie mitgehen. Auch einer anderen Frau, die das gleiche machte, erging es so. Es war ein elender Zug.“
Eine Frau, die ich am Friedhof ansprach, berichtete: „Wir hatten an einem dieser Tage, wie sie vorbeigezogen sind, die Ausgabe der Lebensmittelkarten. Wir saßen im Gasthaus und waren natürlich neugierig, was sich da draußen tut und schauten zu den vorbeiziehenden KZlern hinaus. Da kam aber ein ganz zorniger SSler herzu und drohte und schrie uns an, wenn wir das Fenster nicht gleich zu machen, können wir auch gleich mitgehen. Wir durften ja niemandem etwas geben. Die in unserer Gemeinde erschossen und gestorben sind, wurden in Weißkirchen in einem Massengrab begraben.“
Weißkirchen
In Weißkirchen sprach ich auf der Straße eine Frau an, die ohne zu zögern, auf meine Fragen sofort Antwort gab. „Es war eine gnadenlose Zeit, Mütter, Frauen sind vorbeigezogen, die versucht haben, ihre Kinder zu tragen, oder sie nachgezogen haben. Eine Frau, die vor der Niederkunft stand, musste mit. Kaum, dass sie sich noch vorwärts bewegen konnte. Gleich da unten auf der Wiese (das Gespräch fand in der Nähe der Kirche statt, zirka 100 m von der Kirche entfernt liegt die Wiese, wo heute eine breite schöne Straße in Richtung Wels oder in die Richtung Pucking führt), haben die KZler gerastet. Die Einwohner von Weißkirchen haben versucht, diesen Essen zuzuwerfen, soweit es die SS nicht verhinderte oder nicht sah. Wir waren gerade beim Kartoffel einsetzen, die KZler haben diese von der Erde herausgenommen und gegessen. Wir haben ihnen die, die wir noch zum Setzen bei uns hatten, gegeben. Es war eine schreckliche Zeit, sie soll nicht mehr kommen. In der Au draußen steht ein Denkmal von den KZlern.“
Am Wege zum Denkmal der KZler kam ich in der Ortschaft Bergern mit dem Bauern Hofer Hans ins Gespräch. Herr Hofer war zu jener Zeit, als die Kolonnen der KZler vor seinem Haus vorbeizogen, zum Volkssturm für den Innendienst einberufen worden. Bei diesem Durchmarsch wurde er mit seinem Pferdefuhrwerk stellig gemacht.
Er berichtet: „Ich kann mich nicht mehr genau auf den Tag erinnern, ich bekam den Auftrag, auf die Rastwiese hinunterzufahren. Dort lagen 8 KZler, die Fleckfieberkrank waren, die nicht mehr weiter konnten. Ich musste sie in die Au hinausfahren. Beim Aufladen der Kranken hatte ich schon mit den SSlern eine Kontroverse, weil ich mich weigerte, die Kranken auf einen Wagen zu legen, da ich ja nur für den Transport bestellt worden sei. So blieb den SSlern nichts anderes übrig als das Aufladen selber zu tun. Ich fuhr die nicht Marschfähigen in die Au zum Rastplatz, der auf meinem Grund lag, hinaus.
Auf der Fahrt hinaus hat sich ein junger Jude, vielleicht war er 20 Jahre alt, auf den Wagen gesetzt. Er war nicht krank. Er war ganz munter. Er fragte mich, ob er am Rastplatz etwas zu essen bekommen wird, denn er hat den ganzen Tag noch nichts gegessen. Ich konnte ihm dazu nichts sagen, weil ich ja selbst noch nicht dort war.
Als ich mit meinem Fuhrwerk zum Rastplatz hinkam, sah ich, dass KZler einen Graben aushoben (es war ihr eigenes Grab). Der Junge stieg vom Wagen herunter und fragte den SSler, ob es etwas zu essen gäbe. „Essen willst du“, hat der SSler ausgerufen und hat ihn mit einer Gummiwurst über den Kopf geschlagen, dass dieser zusammengebrochen ist. Ich habe zum SSler gesagt: „He, he, so braucht's es auch nicht machen.“ - „Erbarmen haben Sie mit diesen Menschen?“ - „Natürlich“, war meine Antwort. Er sagte: „Da gibt es kein Erbarmen“, ich solle mich nur in Acht nehmen, dass ich nicht selber dazu komme. Er nahm die MP, schoss den Jungen in den Graben und die acht, die auf dem Wagen lagen, erschoss er auch. Durch die Schießerei wurden meine Pferde scheu, ich hatte zu tun, sie zu beruhigen und fuhr heim. Auf der Straße von Weißkirchen herauf wurden viele erschossen. Man hörte immer wieder Schüsse knallen. In der Au auf meinem Grund, wo das Massengrab liegt, ist für die KZler ein Denkmal errichtet worden. Jedes Jahr um die Zeit, wo die Befreiung war, werden dort Kränze niedergelegt.“
Schleißheim
Aus der Pfarrchronik von Schleißheim, Seite 246, 1945: „Im März und April (1945) klappte es nicht mehr. Doch bevor es so weit kam, zu dem Einmarsch der Ami und der vorrückenden Russen, waren vorher noch schreckliche, entsetzliche Wochen. Solche Untaten gegen die Menschlichkeit durch besondere Grausamkeit, total unerwünschte SS-Leute. Im März und April zogen nämlich 17.000 KZler (Konzentrationslagerhäftlinge) einst aus dem Lager Mauthausen, vielfach Juden oder jüdischer Abstammung, die auch oft schon lange Christen waren. Die teils politisch, teils kriminell belastet waren. Nach Angaben kamen sie von Neuhofen, Pucking her durch unseren Ort. Es waren Frauen, Männer, Kinder, Kleinkinder in Kinderwagerln, alte Weiberln und Greise, die meisten lebende Leichen aus Haut und Gebeinen.
Sie werden nach dem Hartwald in Gunskirchen getrieben. Und ihre Endstation, wohin sie nach dem Willen ihrer Peiniger und Mörder kommen sollten, war ein Werksstollen in Ebensee; wo sie dann eingemauert, vergast oder lebendig verbrannt werden sollten. Sie aßen Gras, Löwenzahn, rauften sich um ein Stückerl gefundenes oder von mitleidigen Seelen bekommenes Brot. Sie riskierten ihr Leben, denn wenn einer den Zug verließ oder zurückblieb, um sich eine Kartoffel zusammenzuklauben, knallten ihn die unbarmherzigen SS-Posten nieder, oder erschlugen ihn. Die Dorfbewohner erbarmten sich jedoch dieser Armen und es wurden Kartoffeln, Brot zufällig auf die Straße gestellt und so manchen geholfen. Auch wir machten es so. Ja, wir winkten manchen frech her, zu uns zu kommen. Und manch Verwegener kam bis zur vorderen Pfarrhoftür und später bis zur eisernen Westtür, wo wir ihnen eine Liebesgabe zum Essen gaben.
Einmal sah das ein SS-Gestapomann oder ein Wiener Feuerwehrmann, der als Begleiter war. Dieser kam hinzu, schimpfte mit der Köchin und drohte ihr mit dem Mitnehmen. Er wollte mit einem Gewehrkolben mit voller Wucht auf den armen hungernden KZler einschlagen. Er hätte ihn erschlagen, da sprang aber unser großer Bernhardinerhund, der brave Bari, diesen SS-Mann so scharf an, dass er erschrocken abließ. Inzwischen konnte der KZler entkommen und entging dem Todesstoß. Schimpfend verließ der unmenschliche Begleiter den Pfarrhof. Der Häftling war indessen glücklicherweise im großen Haufen entschwunden, gerettet durch den treuen Bari. In einer Nacht hindurch lagerten einmal bei 5.000 Leute auf der Niedermayer-Wiese. Tag und Nacht knallten Gewehrschüsse der unmenschlichen Begleiter, die leider Gottes vielfach der irdischen Gerechtigkeit entgingen, deren Namen unbekannt blieben. Man sollte in den Listen der Wiener Feuerwehr nachforschen, um zu konstatieren, wer damals auf dem Todesmarsch der KZler durch Oberösterreich Begleiter war. Vielleicht könnte doch so mancher überführt werden.
Von Pucking bis Schleißheim lagen 120 arme Todesopfer an den Straßen, auf den Feldern auf den Wiesen und wurden vielfach an ihren Hinrichtungsstätten eingescharrt. Bis auf einige in der Bergnerleiten hinter dem Dorf, längs des rechten Ufers des Mayrbaches und eine große Menge in der Au, in der Nähe des Gangbaches, wohin auch später die Leichen der zerstreut Eingegrabenen gebracht wurden. Das Ausgraben der Leichen mussten dann die Nazimitglieder besorgen. Mit Recht!
Auch ungarisches Militär zieht sehr viel durch. Dann kamen Kosaken, ungefähr 500 Mann mit vielen Pferden und Wagen. Einige Tage hielten sie sich in Blindenmarkt auf, dann wurden sie in die Auen in Schleißheim gebracht. Besonders die untere Au, die dem Pfarrhof gehört, wurde arg verwüstet.
Mitte April waren 3.000 Menschen in unserer Gemeinde. Dann kamen lange Reihen von Leuten, die in einem KZ-Lager waren. Sie marschierten stundenlang durch unseren Ort. Es waren wohl an die Zehntausende. Manchmal hatten sie auch in der Au übernachtet. Es waren in der Mehrzahl Juden. Wenn einer vor Erschöpfung nicht mehr weiterkonnte, so wurde er von der Wachmannschaft einfach erschossen. So wurden an einem Tag auf dem Weg von Dietach bis Forsting über 20 erschossen. Man hat sie in der Au im Bombentrichter begraben. Es war ein furchtbares Ansehen, wie diese Leute behandelt wurden. Im Ganzen sind gegen 60 von diesen Menschen in der Au begraben. Zwei wurden in der Totenkammer eingesperrt. Es war streng verboten, ihnen Nahrung zu geben. Gute Leute haben aber doch etwas gebracht. Einer von den beiden hat sich erholt und konnte wieder weiterziehen. Der andere ist in der Totenkammer gestorben und wurde auf dem Friedhof begraben. Er hieß Emmerich Strasser, ein Schlosser aus Budapest.“
Frau Maria Schwandner wohnt in einem kleinen Häuschen, das am Ortsausgang von Schleißheim liegt. Die Straße führt bei ihrem Haus vorbei nach Weißkirchen.
Auf meine Frage, ob sie den Marsch der ungarischen Juden in den Apriltagen 1945 gesehen oder erlebt hat, war eine rasche Antwort da. „Ja freilich habe ich diesen erlebt! Massenweise sogar. Ich glaube, 2 oder 3mal sind Transporte hier vorbeigegangen. Ich hatte damals Evakuierte, Flüchtlinge bei mir in einer kleinen Wohnung.
Es war ein fürchterliches Trauerspiel. Wenn einer müde war und nicht mehr weiter konnte, haben sie ihn schon erledigt. Bei diesem Vorbeimarsch ist bei meinem Haus ein SSler gestanden und hat in seinen Stock Rillen geschnitten. Ich fragte ihn, was er da mache. Er schneide da Rillen in seinen Stock, weil da unten haben sie (die SSler) ein paar umgelegt. Er zeigte in Richtung Weißkirchen. „Und dass ich bis zum Abend nicht vergesse, wird für jeden Umgelegten eine Rille in den Stock geschnitten.“ Dann sagte er zu mir, ich darf diesen Vorbeiziehenden nichts zu essen geben. „Warum nicht?“ fragte ich. „Mein Gott, die haben so Hunger.“ „Wir haben auch Hunger und müssen auch so lange mit dem Transport gehen und bekommen nichts zu essen“, war seine Antwort.
Natürlich waren nicht lauter schlechte Leute bei der SS. An einem späten Abend ist einer von der SS-Bewachungsmannschaft von der Au (sie haben dort genächtigt) zu uns ins Geschäft gekommen. Er hat um Brot für die Juden gebeten. Er kann das ganze nicht mehr ansehen, dieses Elend. Er selbst ist von Tirol und wurde zur SS verpflichtet. Er hat das Brot unter seinen Kleidern versteckt und ist gegangen.
Welchen großen Hunger die Menschen hatten, kann man daraus ersehen: Wir haben an der Hauswand Obstbäume stehen gehabt, bei denen gerade die Blätter herausgekommen sind. Diese haben sie abgerissen und gegessen.“
Ich versuchte, im Gemeindegebiet von Thalheim Augenzeugen ausfindig zu machen. Wenn man Männer anspricht, dann bekommt man die Antwort, ich war zu jener Zeit nicht da, ich war in der Kriegsgefangenschaft, oder fragen Sie die Nazis, die da waren, die müssten es besser wissen. Man bekommt vorwiegend von älteren Frauen über die damaligen Verhältnisse oder Geschehnisse Auskunft. So auch in Thalheim.
Die Befreiung
Mauthausen, 9. Mai 1971: Gespräch mit Herrn Wiesner, Sekretär der Interessensgemeinschaft der Naziverfolgten in Ungarn. Herr Wiesner schließt sich vollinhaltlich dem Bericht des Herrn Dr. Stephan Viranyi an. Er war Teilnehmer an diesem Todesmarsch. Er möchte nur in einem Punkt den vorliegenden Bericht ergänzen.
„Als die amerikanische Armee sich immer mehr und mehr näherte, schickte der SS-Lagerkommandant einen LKW mit Parlamentariern, die mit einer weißen Fahne ausgerüstet waren, zu dem amerikanischen Kommandostab. Diese Parlamentarier hatten einen Brief dem Kommandostab zu übergeben. In diesem wurde dem amerikanischen Kommandostab mitgeteilt, dass er, der Lagerkommandant, den schriftlichen Befehl habe, sämtliche Häftlinge in den Lagerbaracken einzusperren, die Türen und Fenster zu vernageln und dann das ganze Lager zu vernichten. Sollte das amerikanische Armeekommando den ungehinderten Abzug der SS gestatten, würde er den Befehl nicht durchführen. Das amerikanische Armeekommando teilte den Parlamentariern mit, dass sie auf den Vorschlag des Lagerkommandanten eingehen. So wurden tausende von Häftlingen in der letzten Minute vor der Vernichtung bewahrt. Nach der Befreiung mussten Tausende in improvisierte Spitäler nach Wels und Hörsching gebracht werden.“
Herr Wiesner wurde auf Grund seines schlechten Gesundheitszustandes in das Militärlazarett nach Hörsching gebracht.