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Zwei Drittel würden gewinnen

  • Mittwoch, 6. Dezember 2006 @ 15:22
Sozial Katja Kipping, stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei.PDS, über Vollbeschäftigung, Kommunismus und den besonderen Charme eines bedingungslosen Grundeinkommens

Jean-Claude Juncker, Luxemburgs Ministerpräsident, hat sich in der vergangenen Woche zu einem Grundeinkommen bekannt. Bei den Grünen und der FDP mehren sich die Stimmen, die eine neue Art gesellschaftlicher Grundsicherung verlangen - als gemeinsames Großprojekt für eine künftige „Jamaika-Koalition“ gemeinsam mit der CDU. Statt alte Illusionen zu pflegen, sollte die Linke in dieser Diskussion ihr Profil schärfen, mahnt Katja Kipping. Die Debatte wird fortgesetzt.

Wer steht Ihnen politisch näher, der Christdemokrat Dieter Althaus, der ein Grundeinkommen vorschlägt, oder der Sozialist Oskar Lafontaine, der mehr soziale Gerechtigkeit auf herkömmlichem Wege erreichen will?

Über alle politischen Lager hinweg wird gegenwärtig die Idee des Grundeinkommens diskutiert. Das ist ein großer Fortschritt, der noch vor einem Jahr kaum möglich schien. Wenn dann, hoffentlich bald, nicht mehr über das „Ob“, sondern nur noch über das „Wie“ eines Grundeinkommens gesprochen wird, werde ich mich mit Oskar Lafontaine schneller einigen können als mit Dieter Althaus.

Bis dahin ist es auch innerhalb der Linken noch ein weiter Weg.

Bei vielen Linken gibt es immer noch die Vorstellung, dass nur derjenige etwas leistet, der einer Erwerbsarbeit nachgeht. Das ist völlig absurd. Für die Gesellschaft unverzichtbar sind auch andere Tätigkeiten, wie Erziehungsarbeit, ehrenamtliches oder politisches Engagement, die bisher nicht entlohnt werden. Falsch ist auch der Glaube, dass Erwerbsarbeit automatisch sinnvoll und nützlich sei. Denken Sie an die Rüstungsindustrie oder an Produktionsprozesse, die unsere Umwelt schwer belasten. Ebenso irreführend ist das Argument, beim Grundeinkommen gehe es um Schlaraffenland und wilden Konsum, wie Ulrich Busch im Freitag geschrieben hat. Mit 1.000 Euro im Monat landet man nicht im Schlaraffenland. Allen Menschen ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Teilhabe zu ermöglichen - darum geht es.

Wenn im Modell von Althaus die finanzielle Ausstattung nicht auf dem Niveau von Hartz IV läge, sondern höher ausfallen würde, dann müssten Sie sich doch fragen, ob Sie noch in der richtigen Partei sind.

Nein. Neben der Höhe der Zahlung gibt es zu Althaus einen weiteren Dissens. Er will sämtliche Sozialsysteme außer der Krankenkasse durch ein Grundeinkommen ersetzen. Ich will keinen kompletten Ersatz, sondern eher eine Ergänzung der heutigen sozialen Sicherung. Außerdem sind wir die erste Partei, die ein bedingungsloses Grundeinkommen zumindest als diskussionswürdige Option in ihre programmatischen Eckpunkte aufgenommen hat.

Mehrheitlich aber wird sowohl in der Linkspartei.PDS als auch in der WASG ein anderes Reformszenario befürwortet. Umverteilung von oben nach unten, Stärkung der Massenkaufkraft, Arbeitszeitverkürzung und mehr öffentliche Beschäftigung - das sind die üblichen Stichworte. Warum gehen Sie diesen Weg nicht mit?

Auch ich streite dafür, dass die vorhandene Erwerbsarbeit besser verteilt wird und dass wir mehr öffentliche Beschäftigung durchsetzen. Ich glaube aber nicht, dass die klassische Vollbeschäftigung wieder möglich ist. Weder die wirtschaftliche Entwicklung noch der Zustand der deutschen Politik stützen diesen Glauben. Wie wollen wir die Erwerbsarbeit grundlegend reformieren oder einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor hinreichender Größe durchsetzen, wenn zur Zeit selbst kleinste Notreparaturen, wie die Erhöhung der Hartz IV-Regelsätze auf 420 Euro, keine parlamentarischen Mehrheiten finden? Viel wahrscheinlicher ist, dass die Idee des Grundeinkommens allmählich die Massen ergreift und zur materiellen Gewalt wird. Wenn das in der Bevölkerung mehrheitsfähig ist, vertraue ich einfach auf den Opportunismus der Parteien, die sich dieses Projekt dann auch zu eigen machen.

Sie haben Zahlen genannt: 475 Euro für alle Kinder bis zum 16. Lebensjahr und 950 Euro für alle Bürgerinnen und Bürger jenseits dieser Altergrenze. Das bringt Gesamtkosten in Höhe von rund 850 Milliarden Euro allein für das bedingungslose Grundeinkommen. Auch wenn im Gegenzug manche staatliche Leistungen entfallen, bleibt ein gewaltiges, zusätzliches Finanzierungsvolumen. Haben Sie sich schon mal überlegt, mit wem Sie ein solches Programm durchsetzen wollen?

Die Staatsquote, also der Anteil aller umverteilten Steuern und Abgaben, würde in der Tat erheblich steigen - von heute unter 50 Prozent auf dann mehr als 70 Prozent. Das klingt dramatisch. Aber man muss sich auf der anderen Seite klar machen, dass sich für zwei Drittel der Gesellschaft die finanzielle Situation eher verbessern würde. Nur das reichste Drittel wäre stärker belastet als heute. Der besondere Charme eines vernünftig ausgestatteten Grundeinkommens besteht ja gerade darin, dass es nicht nur für marginalisierte, stigmatisierte Gruppen gut ist, sondern auch für die von Abstiegsangst betroffene Mitte der Gesellschaft. Selbstständigkeit im Sinne des Ausprobierens neuer Tätigkeiten wird für mehr Menschen möglich, weil sie wissen, dass sie, im Falle des Scheiterns, nicht ins Bodenlose fallen. Selbst für Beschäftigte würde sich die Situation verbessern, weil sie in Verhandlungen nicht mehr so erpressbar wären. Überstunden und schlechte Bezahlung werden heute akzeptiert, weil im Hintergrund Hartz IV lauert. Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen wird eine gewisse „Waffengleichheit“ zwischen Unternehmen und Beschäftigten erst möglich. Es gibt also sehr viele Menschen, die profitieren würden. Und deshalb sollte ein bedingungsloses Grundeinkommen auch durchsetzbar sein.

Trotzdem muss die Produktivitätsmaschine Kapitalismus gut geschmiert bleiben. Sonst bricht die Basis weg, die ein bedingungsloses Grundeinkommen erst ermöglicht. Deshalb sollte man sich sehr genau überlegen, was dem oberen Drittel der Gesellschaft und den Unternehmen zuzumuten ist. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Unternehmensgewinne in den USA zu 90 Prozent vom Staat kassiert. Ob das in Friedenszeiten geht, ist zumindest zweifelhaft.

Bei keiner Reform kann man die Nebenwirkungen exakt voraussehen. Aber selbst diejenigen, die finanziell stärker belastet werden als heute, hätten einen nicht zu unterschätzenden Vorteil. Sie leben dann in einer humaneren, lebenswerteren Gesellschaft. Insofern sollte man das bedingungslose Grundeinkommen immer auch als Demokratiepauschale begreifen, als Unterpfand für ein vitales, kreatives Gemeinwesen, in dem nicht mehr die Einkommensunterschiede alles bestimmen. Selbst die gut ausgebildeten Leute erleben doch zumindest in ihrem Umfeld, was Arbeitslosigkeit und Armut bedeuten können. Natürlich haben wir jetzt keine Kriegszeit, jedenfalls nicht militärisch. Aber was die soziale Situation anbelangt, von Friedenszeiten zu sprechen, ist vielleicht auch etwas euphemistisch. Denn die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Angst vor Arbeitslosigkeit hat längst die Mittelschichten erfasst. Millionen, die noch einen Job haben, betreiben wegen der wahnwitzigen Arbeitshetze Raubbau an sich selbst und an ihren Familienverhältnissen. Auf Dauer zerstört all das die Gesellschaft.

Eben deshalb wurde von Sozialisten in früheren Zeiten eine andere Gesellschaft gefordert. Nicht die Erträge des Kapitals sollten mit einem Grundeinkommen vergesellschaftet werden, sondern das Kapital selbst.

In der DDR wurde bis 1989 gesagt, dass wir in der Übergangsphase zum Kommunismus mehr leisten müssen, damit es uns morgen besser geht. Statt Kommunismus kam dann aber die Wende und mit ihr die Massenarbeitslosigkeit. Heute wird wieder ganz ähnlich gepredigt - dass zuerst das Tal der Tränen zu durchschreiten ist, damit dann später Vollbeschäftigung herrscht. Anstatt solche unsicheren Heilsversprechen zu verbreiten, kämpfe ich lieber für Veränderungen, die im hier und heute die Lebenssituation der Menschen verbessern und gleichzeitig das Potenzial haben, zu einem Brückenkopf für eine andere Gesellschaft zu werden. Ob sich ein bedingungsloses Grundeinkommen irgendwann als trojanisches Pferd, als Einstieg in eine insgesamt andere Gesellschaft erweist, werden wir sehen. Auf jeden Fall ist es eine gute Voraussetzung, um neue Formen des solidarischen Wirtschaftens und des Lebens zu erproben.

Das Gespräch führte Hans Thie

Freitag, Nr. 48 vom 01.12.2006

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