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Keine Pflege ist illegal

  • Dienstag, 29. August 2006 @ 11:15
Gesundheit Ein Positionspapier der KPÖ

Wie eine Gesellschaft mit ihren kranken, alten, behinderten und schwachen Menschen umgeht, gibt Auskunft über den Grad ihrer demokratischen Reife. Der zurzeit beklagte Pflegenotstand ist nicht nur eine Frage der bereitzustellenden finanziellen Ressourcen, sondern auch der mitmenschlichen Anteilnahme am Wohlergehen ihrer betagten Mitglieder.

Solidarisches Interesse zu entwickeln und Verständnis dafür zu wecken, dass die notwendigen Mittel für die Betreuung bereitzustellen sind, ist ein Prozess, der im Kindesalter beginnt und am Lebensabend seine Früchte tragen sollte: niemand darf Angst haben vor einem Ende in Schrecken. Dies zu ermöglichen hieße genau hinzuhören, welche Bedürfnisse Menschen haben, die aus den verschiedensten Gründen auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Es ist eine gesellschaftliche Verpflichtung, dafür zu sorgen, Freiräume der Entscheidung über die Art der Betreuung zu ermöglichen und die Gestaltungsräume zu finanzieren.

Durch steigende Lebenserwartung und Fortschritte in der Medizin kommt der Pflege eine immer größere Bedeutung zu. Dabei ist zwischen temporärer und ständiger Pflege zu unterscheiden, welche nur für einen kleinen Teil der Pflegebedürftigen notwendig ist, zwischen qualifizierter medizinischer Betreuung und Hilfsleistungen sowie der notwendigen Verbindung zwischen mobiler Betreuung (betreutes Wohnen, Tageseinrichtungen, Haushaltshilfen etc.) und stationärer Pflege in Heimen.

Eine Pflege rund um die Uhr erfordert rund fünf Personaleinheiten und ist somit in privaten Haushalten legal nicht zu finanzieren. Mangelnde Kapazitäten und unzeitgemäße Standards öffentlicher Pflegeeinrichtungen haben dazu geführt, dass heute rund 40.000 ausländische PflegerInnen unter inakzeptablen arbeits- und sozialrechtlichen Bedingungen und vielfach ohne entsprechende Qualifikation tätig sind. Wir lehnen eine Kriminalisierung illegaler Pflegerinnen oder der betroffenen PatientInnen ab, denn die Politik hat die Verantwortung durch jahrelanges gezieltes Wegschauen an sie abgeschoben und die Menschen in ihrer Not alleingelassen. Diese haben letztlich zur Selbsthilfe gegriffen und die ihnen zuträgliche und finanziell mögliche Betreuung gewählt. Hier zeigt sich am deutlichsten das gesellschaftspolitische Versagen gegenüber all jenen, die Hilfe benötigen.

Die jetzt diskutierte Legalisierung illegaler Beschäftigung im Pflegebereich darf zu keinem neuerlichen Lohn- und Sozialdumping führen. Die dafür diskutierten Modelle wie Hausangestelltengesetz, Au-Pairs oder eine Regelung analog den Tagesmüttern zielen ganz eindeutig auf eine generelle Aufweichung der Arbeitszeitregelungen und stellen somit keine wirklichen Lösungen dar. Im Gegenteil, das Problem wird lediglich zeitlich verschoben, bis die Übergangsfristen für die Beschäftigung in der EU aufgehoben werden.

Kein Mensch ist illegal, gleiche Rechte für alle, die hier leben hieße auch, kollektivvertragliche Standards für neu zu entwickelnde Berufsbilder im Pflege- und Betreuungsbereich zu entwickeln und die dafür notwendigen Ressourcen für Aus- und Weiterbildung zu sichern. Ähnlich dem Familienlastenausgleichsfonds könnte ein öffentlich kontrollierter, aus der Gewinn- und Vermögenssteuer gespeister und den mit großer Erfahrung im Betreuungsbereich ausgestatteten NGOs wie Caritas oder Volkshilfe überantworteter Finanzpool für die Finanzierung sorgen. Notwendig wäre auch ein integriertes System, das die Trennung in Kranken- und Pflegeleistung aufhebt.

Die Schlüsselfrage der Pflege ist und wird verstärkt deren Finanzierung. Neben dem Pflegegeld spielen dabei die Pensionen eine besondere Rolle, weil der Großteil der Pflegebedürftigen auch PensionsbezieherInnen sind. Durch die Auswirkungen der „Pensionsreform“ von 2003 und Pensionserhöhungen vielfach unter der Inflationsrate wird die Finanzierung von Pflegeleistungen immer schwieriger. Die Träger öffentlicher Pflegeeinrichtungen versuchen daher verstärkt, sich im Regressweg an den Angehörigen schadlos zu halten. Notwendig wäre eine österreichweite Vereinheitlichung der Sozialgesetzgebung. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde die Entscheidung für viele Menschen erleichtern, Pflegeleistungen zuzukaufen.

Das Pflegegeld ist die letzte große sozialpolitische Errungenschaft, weil damit pflegebedürftige Personen notwendige Dienstleistungen zukaufen können. Notwendig sind allerdings die grundsätzliche Erhöhung, zumindest aber eine Anpassung an die seit 1993 gestiegene Inflation und die Abgeltung des Wertverlustes in diesem Zeitraum sowie die Erleichterung des Zugangs zu den einzelnen Pflegestufen.

Derzeit wird etwa die Rundumbetreuung einer demenzkranken Person weniger bewertet als die Pflege eines Menschen, der gefüttert und gewaschen werden muss, aber im gewissen Maß seine Handlungen eigenverantwortlich abschätzen kann. Abzulehnen ist die Forderung nach Ersatz des Pflegegeldes durch Pflegeschecks, damit wird versucht, die parteinahen Hilfsdienste auszulasten und den Pflegebedürftigen die freie Entscheidung zu nehmen. Allerdings muss auch stärker sichergestellt werden, dass das Pflegegeld im privaten Bereich wirklich für entsprechend ausreichende Pflegeleistungen verwendet wird.

Frauen sind von der Pflegethematik im doppelten Sinne betroffen: Die Mehrheit der zu Pflegenden sind auf Grund der höheren Lebenserwartung Frauen. Ebenso ist die Mehrheit des Pflegepersonals weiblich, vor allem als pflegende Familienangehörige wie auch als illegale Pflegerinnen. Die geringe Entlohnung und/oder unzumutbare Arbeitszeiten betreffen sie also ganz besonders. Die aktuelle Pflegedebatte lässt den riesigen Bereich der „Care economy“ aus der alltäglichen Unsichtbarkeit heraustreten: Hausarbeit, Kinderbetreuung, Altenpflege etc. werden schlecht oder gar nicht bezahlt, wenig anerkannt und hauptsächlich von Frauen ausgeführt und dabei wiederum immer häufiger von Migrantinnen.

Während Politik und Mehrheitsbevölkerung Abschottungs- und Abschiebefantasien nähren, wird gleichzeitig Pflegearbeitskraft von wohlhabenden Staaten aus ärmeren Ländern abgezogen. Die damit verbundenen Arbeitsbedingungen werden jedoch kaum thematisiert. Vorschläge, die Pflegemisere durch ein freiwilliges soziales Jahr oder einen verpflichtenden Hilfsdienst für Frauen zu lösen, zielen darauf, dass sich der Staat noch stärker aus seiner Verantwortung zur Finanzierung zurückziehen will.

Ebenso wie ein Arbeitsdienst für Frauen sind auch alle Vorschläge in Richtung Zwangsarbeit, etwa dass Arbeitslose für Pflegedienste verpflichtet werden sollten, völlig ungeeignet und grundsätzlich abzulehnen. Vor allem weil es niemandem zugemutet werden kann, Menschen ohne entsprechende Qualifikation sowie Motivation für eine solche Tätigkeit zwangszuverpflichten. Zu bedenken ist auch, dass ein gewisser Teil der sozialen Betreuung durch den Zivildienst abgedeckt wird, was bei Installierung eines Berufsheeres wegfallen würde.

Die KPÖ ist der Auffassung, dass die Pflege grundsätzlich eine Verantwortung der öffentlichen Hand ist. Daher lehnen wir ein Abschieben auf die finanziell ohnehin ausgehungerten Gemeinden sowie auf private Leistungen in Haushalten bzw. Familien ab. Obwohl der Bedarf an Pflegepersonal gegeben ist, werden aus finanziellen Gründen von der öffentlichen Hand zuwenigen PflegerInnen ausgebildet bzw. eingestellt. Der Föderalismus erweist sich auch bei dieser Thematik als Hemmnis und ist ein Hindernis zu einer zukunftsorientierten Lösung. Notwendig sind bundesweit einheitliche Standards und Regelungen. Ebenso sind die EU-Budgetauflagen auch für die Pflege kontraproduktiv, weil sie zwangläufig zu Einsparungen im Sozialbereich sowie Ausgliederungen und Tarifdruck führen.

Hintergrund der Kampagne über einen Pflegenotstand ist das Argument der Unfinanzierbarkeit. Ähnlich wie schon bei Pensionen und Gesundheit zielt die Debatte über eine Pflegeversicherung auf Eigenvorsorge. Nutznießer dabei sind letztlich jedoch Banken und Versicherungen. Die KPÖ stellt dem als Alternativen zur Finanzierung der Pflege die Bemessung der Dienstgeberbeiträge zur Sozialversicherung nach der gesamten Wertschöpfung sowie eine höhere Besteuerung von Kapital und Vermögen gegenüber. Ein wachsender Kostenfaktor in der Pflege sind auch die Medikamente, die bereits ein Drittel der Kosten des gesamten Gesundheitswesens erfordern. Einsparungen könnten dabei durch die Abschaffung des Patentsystems erreicht werden, durch das die Pharmakonzerne ihre Profite auf Kosten der Öffentlichkeit im Gesundheits- und Pflegebereich erzielen.

Grundsätzlich stellt sich bei der Debatte die Frage, welches Menschenbild den Ansprüchen an die Pflege zugrunde gelegt wird. Neben dem Fehlen ausreichender Plätze in Heimen ist gerade deren oft mangelnde Attraktivität ein Grund für die unzulängliche Betreuung pflegebedürftiger Menschen in der gewohnten Umgebung und damit die Verlagerung der Verantwortung in den privaten Bereich.

Es gilt jedoch Bedingungen zu schaffen, die ein Altern in Würde auch in Hinblick auf Pflegedürftigkeit ermöglicht. Das hieße nicht zuletzt, den unterschiedlichsten Bedürfnissen im Alter Rechnung zu tragen und für deren finanzielle Absicherung zu sorgen: ob Alten-WGs, betreutes Wohnen, gemeinsame Betreuung von Senioren und Kindern, mobile Dienste, Pflege durch Angehörige in der gewohnten Umgebung, Altersheime, Intensivpflege, Palliativmedizin, Tageszentren für Demenzkranke, Pflege-Bereitschaftsdienste oder Hospizwesen – die breite Bedürfnispalette muss möglich und finanzierbar sein.

KPÖ-Bundesausschuss 29. August 2006

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