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Unsere Haltung zu den Benes-Dekreten

  • Mittwoch, 1. Juni 2005 @ 16:03
Antifa Das Münchener Abkommen und die Zerschlagung der Tschechoslowakei

Am 29. September 1938 fand die Besprechung zwischen Hitler, Mussolini, dem englischen Premierminister Chamberlain und dem französischen Ministerpräsidenten Daladier in München statt, die mit einer vollständigen Einigung endete. Das Münchener Abkommen legte die Räumung der Sudetenländer durch die Tschechoslowakische Regierung fest. Am 30.9.´38 hat die Tschechoslowakische Regierung in einer Erklärung das Münchener Vier-Mächte-Abkommen angenommen, in der es unter anderem jedoch heißt: “Indem die Regierung der Tschechoslowakischen Republik ihre Zustimmung bekannt gibt, erhebt sie Einspruch vor der ganzen Welt gegen Entscheidungen, die einseitig und ohne ihre Beteiligung getroffen wurden.” Das Münchener Abkommen wurde im Oktober ´38 auch vom US-Präsidenten gebilligt. Die Sudeten-Länder wurden dem Deutschen Reich eingegliedert.

In der Folge kam es 1939 zur militärischen Besetzung der Tschechoslowakei durch Hitler-Deutschland und Bildung des Protektorats Böhmens und Mährens. Die Slowakei wurde zu einem Vasallenstaat Deutschlands unter einer willfährigen Regierung. Im Sudetengebiet ist die Deutsche Bevölkerung stark angewachsen und es kam zu umfassenden Vertreibungen und zu umfangreichen Verfolgungen der Tschechen, Inbesitznahmen deren Vermögens, des Grundbesitzes, der Betriebe durch Deutsche.

Die Mehrheit der Deutschen im Sudetengebiet unterstützten die Hitler-Herrschaft und den Hitler-Krieg, ein Teil von ihnen fungierte schon vor dem Münchener Abkommen als aktive Stütze der Expansionsbestrebungen Hitler-Deutschlands.

Die Wiederherstellung der Tschechoslowakei in den Grenzen vor 1938

Bereits während des 2. Weltkrieges sind die tschechoslowakische Exilregierung, die in London ihren Sitz hatte, und insbesonders Präsident Benes persönlich in internationalen Kontakten für die Annullierung des Münchener Abkommens und die Wiederherstellung des Tschechoslowakischen Staates in den Grenzen vor 1938 eingetreten. Es war wieder besonders Benes, der die Auffassung vertrat, daß die Frage der nationalen Minderheit anders gelöste werden müßte als dies nach dem 1. Weltkrieg geschah. Daß die Sudeten-Deutschen ausgesiedelt werden müßten, da sie eine ständige Bedrohung des Staates darstellen. Es ist Benes bereits in den Kriegsjahren ab 1942/1943 gelungen die Zustimmung der Alliierten zu gewinnen. Eine aktive Rolle hat dabei die Sowjetunion gespielt, die am Münchener Abkommen nicht beteiligt gewesen ist.

In den Beschlüssen der Potsdamer Konferenz der Alliierten heißt es im “Kapitel XIII. Geregelte Überführung der deutschen Bevölkerung” wörtlich: “Die drei Alliierten haben die Frage von allen Seiten erwogen und sind zu der Ansicht gelangt, daß eine Überführung der deutschen Bevölkerung oder deutscher Bevölkerungselemente, die in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn geblieben sind, nach Deutschland vorgenommen werden muß.” (Beschluß vom 1.8.1945)

Die Aussiedlung der Deutschen und die Benes-Dekrete

1. In den Berichten, Stellungnahmen und Dokumenten der jüngeren Zeit wird oft der Eindruck erweckt, daß die Benes-Dekrete der eigentliche Ausgangspunkt und die alleinige Grundlage der Aussiedlung der Deutschen gewesen seien. Diese Dekrete haben sicherlich eine wichtige Rolle in der praktischen Umsetzung und Durchführung der Aussiedlung gespielt. Möglich geworden ist sie erst auf dem Hintergrund der internationalen Zustimmung und Billigung der Alliierten Mächte.

2. Die ursprüngliche Vertreibung von Tschechen aus dem Sudetengebiet, die Zerschlagung des Tschechoslowakischen Staates, die grausame Herrschaft der Nazi-Okkupanten (250.000 Tote, 100.000 Versehrte), die Rolle der Mehrheit der Sudetendeutschen als Stütze der Okkupanten, die riesigen Zerstörungen durch den Krieg haben in der tschechoslowakischen Bevölkerung zu einer Massenstimmung, zu einem Haß gegen die Deutschen geführt. Die Aussiedlung hat aber unter diesen Umständen sowohl vor, als nach den Potsdamer Beschlüssen eine Eigendynamik entwickelt.

Obwohl Benes dafür eingetreten ist, daß der Bevölkerungstransfer unter “anständigen menschlichen Bedingungen” erfolgen soll; obwohl die neue Tschechische Regierung, die am 5.4.1945 in Kaschau gebildet wurde, den Grundsatz vertrat, daß man einen Unterschied machen müsse zwischen “verbrecherischen” und “loyalen” Deutschen, ist die Übersiedlung in der Praxis anders verlaufen. Der österreichische Volkerrechtsexperte Ermacora hat recht, wenn er in seinem Buch “Die Sudetendeutsche Frage” schreibt: “Das Mindeste, das zur Verantwortlichkeit der Tschechoslowakischen Regierung gesagt werden muß ist, daß die Zentralregierung in Bezug auf die Vertreibungsvorgänge gegenüber den Sudetendeutschen nicht Herr der Lage war. Das schmälert aber nicht deren völkerrechtliche Verantwortlichkeit.” Diese Eigendynamik trug dazu bei, daß statt der ursprünglich beabsichtigten Aussiedlung von etwa 2 Millionen Deutschen (Benes) etwa 3 Millionen ausgesiedelt wurden.

3. 1945/46 sind bezüglich der Aussiedlung eine ganze Reihe von Dekreten durch den damaligen Präsidenten der Republik Eduard Benes erlassen und unterzeichnet worden, die insbesonders folgende Fragen betreffen: Bestrafung der nazistischen Verbrecher und ihrer Helfershelfer; außerordentliche Volksgerichte; Aberkennung der Tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft; Gesetz vom 8.Mai 1946 (“Amnestiegesetz”), das eine “gerechte” Vergeltung für Taten der Deutschen Okkupanten Böhmen und Mährens auch dann außer Strafe stellt, wenn sie sonst nach den geltenden Vorschriften strafbar gewesen wäre; Gesetz über Zwangsarbeitssonderabteilungen. Dekret über die Konfiskation und Aufteilung des landwirtschaftlichen Vermögens der Deutschen, der Ungarn und anderer “Verräter und Feinde des tschechoslowakischen Volkes”; Dekret über die Besiedelung des Boden der Deutschen, Ungarn und andere Staatsfeinde; Dekret über die Konfiskation des feindlichen Vermögens und Schaffung der Fonds der Nationalen Erneuerung.

Die deutsch-tschechische Erklärung und seitherige Entwicklung

“Die deutsch-tschechische Erklärung”, so der offizielle Titel, auch als “Aussöhnungserklärung” bezeichnet, die vom Deutschen Bundestag am 21. Jänner 1997 mit großer Mehrheit angenommen wurde (auch vom Parlament in Prag zu einem anderen Termin), enthält einen positiven Ansatz: die deutsche Seite bekennt sich kritisch zur Verantwortung Deutschlands in einer Rolle, die zum Münchener Abkommen, die zur “Flucht und Vertreibung von Menschen aus dem tschechoslowakischen Grenzgebiet”, sowie zur Zerschlagung und Besetzung der Tschechoslowakischen Republik geführt hat. Sie bedauert das Leid und Unrecht durch nationalsozialistische Verbrecher. Dazu heißt es weiter:” Die deutsche Seite ist sich auch bewußt, daß die nationalsozialistische Gewaltpolitik gegenüber dem tschechoslowakischen Volk dazu beigetragen hat, den Boden für Flucht, Vertreibung und zwangsweise Aussiedelung zu bereiten.”

Die tschechische Seite “bedauert insbesondere die Exzesse, die im Widerspruch zu elementaren humanitären Grundsätzen und auch zu damals geltenden rechtlichen Normen gestanden haben ... “

Doch ein wirklicher Schlußpunkt hinter die Vergangenheit wurde mit der Erklärung nicht gezogen. Eine wirkliche “zukunftsgerichtete Versöhnung”, wie es im Text der Erklärung steht, hat nicht stattgefunden: der ehemalige Bundeskanzler Kohl hat in einer Pressekonferenz erklärt, daß “die Eigentumsfrage mit dieser Deklaration keineswegs abgeschlossen” sei. Die Sprecher der Sudetendeutschen Landmannschaft kritisierten, daß in der Erklärung, das von ihnen geforderte Heimkehrrecht nicht enthalten ist, daß die Bens-Dekrete nicht aufgehoben wurden. Die Auseinandersetzung ging und geht also weiter.

Im Vorjahr hat der tschechische Ministerpräsident Milos Zeman erklärt, dass die Wirksamkeit der Benes-Dekrete “erloschen” sei. Der deutsche Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer haben im Vorjahr beim Staatsbesuch von Zeman in der BRD dieser Auslegung zugestimmt. Schröder erklärte, dass Deutschland keine Forderungen gegenüber Tschechien erhebe.

In der Slowakei besteht ein nationaler Konsens darüber, dass diese Dekrete “keine Wirksamkeit mehr haben”. Prag und Bratislava denken jedoch nicht daran die Benes-Dekrete für ungültig zu erklären.

Offiziell lehnen sowohl die deutsche, wie die österreichische Regierung die Forderung ab den EU-Beitritt Tschechiens und der Slowakei an die Bedingung der Aufhebung der Dekrete zu knüpfen.

Die für Februar 2000 zwischen den Außenministerien Tschechiens und Österreichs vereinbarten “rechtshistorischen Gespräche” sind seither von Prager Seite immer wieder verschoben worden. Letztere ließ wissen, dass man bei diesen Gesprächen über die Benes-Dekrete selbst gar nicht sprechen wollte.

Die Haltung der KP-Böhmen und Mährens und der PDS

a) Die PDS wendet sich gegen eine Verknüpfung der EU und der EU-Beitrittsfrage mit der Forderung nach Aufhebung der Benes-Dekrete. Letzteres sei ein nationales, bzw. bilaterales Problem und müsse ausschließlich auf dieser Ebene behandelt werden.

b) Die KP-Böhmen und Mährens ist gegen die Aufhebung der Benes-Dekrete, keine ernsthaft zu nehmende Partei in der Tschechoslowakischen Republik könne heute diese Forderung erheben oder unterstützen.

Zur Haltung der KPÖ

Es spricht Vieles gegen eine rückwirkende Aufhebung der Benes-Dekrete:

a) Eine Kernfrage, die sich in diesen Forderungen verbirgt, ist die Eigentumsfrage. Die Aufhebung der Benes-Dekrete würde nicht der Aussöhnung und einem Schluss-Strich dienen, sondern den Konflikt fortsetzen und verschärfen: die Vertriebenenverbände und andere politische Kräfte in der Bundesrepublik, auch in Österreich, würden verstärkt dazu übergehen die Rückgabe von Vermögen bzw. Entschädigung, das Recht auf Rückkehr “in Ihre Heimat” zu verlangen. Eine Aufhebung der Dekrete würde diesen Kräften dazu neue politische und juristische Handhaben liefern.

b) Der Standpunkt, daß grundsätzlich, nationale und bilaterale Fragen auf nationaler und bilateraler Ebene behandelt und gelöst werden sollen, ist sehr vernünftig.

c) Die Aussiedelung, die Benes-Dekrete sind Teil einer bestimmten historischen Situation. Mit der Forderung nach Aufhebung würden wir uns in die Nähe reaktionärer Kräfte in der ÖVP, der CDU/CSU und insbesonders in den Vertriebenenverbänden Deutschlands und Österreichs begeben, die mit dieser Forderung ganz andere Ziele verfolgen.

d) Die Forderung nach Aufhebung der Benes-Dekrete ist Bestandteil einer Politik die auf eine weitere Revidierung der Ergebnisse des 2. Weltkrieges gerichtet ist.

Punktation der KPÖ-Arbeitsgruppe für Internationale Politik, Juni 2000

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