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Dienstleistungsrichtlinie: Mail an die 18 österreichischen EU-Abgeordneten

  • Mittwoch, 1. Juni 2005 @ 20:43
Europa Sehr geehrte Frau Abgeordnete, sehr geehrter Herr Abgeordneter!

Auf Grund des breiten und massiven Widerstandes unterschiedlichster Interessengruppen - von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen über NGOs und Sozialvereinen bis zu Verbänden der kleinen Unternehmer - musste im Frühjahr 2005 die EU-Kommission die geplante Richtlinie zur Liberalisierung von Dienstleistungen ("Bolkestein-Richtlinie") vorläufig zurückziehen. Auch bei den Volksabstimmungen über die EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden hat das Unbehagen über den Inhalt dieser Richtlinie eine bedeutende Rolle gespielt.

Die Kernpunkte der „Bolkestein-Richtlinie“ zur Liberalisierung aller bislang noch nicht betroffenen Dienstleistungen sind das Herkunftslands- und das Entgeltprinzip:
- Ersteres bedeutet Tür und Tor für einen Wettlauf um niedrige Qualitäts-, Arbeitsrechts-, Sozial-, Verbraucherschutz- und Umweltstandards, im Klartext also Lohn-, und Sozial- und Ökodumping zu öffnen, da für Dienstleistungen die Bestimmungen des Herkunftslandes gelten sollen.
- Zweiteres bedeutet die Ein- und Unterordnung aller sozialen und öffentlichen Dienstleistungen unter die Kriterien des Marktes, da nur noch der Preis für die jeweilige Leistung entscheidend sein soll.

Darüber hinaus sind noch weitere negative Aspekte dieser Richtlinie zu bedenken:
- Die Richtlinie verzichtet auf eine sozialpolitische Regulierung des Dienstleistungsbinnenmarkts und macht eine effektive Kontrolle der Einhaltung des geltenden nationalen und EU-Rechts zur Arbeitnehmerentsendung unmöglich. Sie erschwert eine effektive Wirtschafts- und Unternehmensaufsicht und bietet unzureichende Vorkehrungen zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität.
- Die Richtlinie verletzt das Subsidiaritätsprinzip. Sie unterwirft wesentliche Leistungen der Daseinsvorsorge (Wasserwirtschaft, Abfallwirtschaft usw.), soziale Dienste und durch Sozialversicherungen geregelte Dienstleistungen (Gesundheitsdienste, Pflege) einer allgemeinen Liberalisierung und greift damit tief in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten, ihrer regionalen Untergliederungen und Kommunen ein, diese Leistungen in eigener Verantwortung zu regeln.

Die Auswirkungen der Liberalisierung und in der Folge Privatisierung öffentlicher Dienste sind für die Beschäftigten in diesem Sektor verschärfter Arbeitsdruck, Arbeitsplatzvernichtung sowie Lohn- und Sozialabbau, für die Bevölkerung höhere Tarife, Einschränkung von Leistungen, Verschlechterung der Qualität sowie Aufhebung Versorgungspflicht und für die Politik der Verlust politischer Entscheidungsmöglichkeiten sowie demokratischer Mitsprache. Daher liegt die Erhaltung öffentlicher Dienstleistungen im Interesse der Allgemeinheit.

Die Richtlinie kann aber auch nicht losgelöst von der EU-Verfassung gesehen werden, weil im Verfassungsentwurf neben einer Aufrüstungsverpflichtung auch die vier Grundfreiheiten und monetären Kriterien festgeschrieben sind, auf deren Grundlage die Vollendung des Binnenmarktes auch mit der Liberalisierung der Dienstleistungen betrieben wird.

Wie sich mittlerweile zeigt, beharrt die EU-Kommission weiterhin auf der Richtlinie bzw. deren Kernpunkten und es wird auf der Grundlage der ursprünglichen Fassung derselben weiterverhandelt. Nach der Behandlung der Richtlinie im Binnenmarkt- und im Wirtschaftsausschuss steht im Herbst die Abstimmung darüber im Europäischen Parlament auf der Tagesordnung.

Sehr geehrte Frau Abgeordnete, sehr geehrter Herr Abgeordneter!

Angesichts der gravierenden negativen Auswirkungen im Falle einer Realisierung dieser Richtlinie ersuchen wir Sie, diese Richtlinie im Europäischen Parlament abzulehnen und statt dessen der Erhaltung und dem Ausbau der öffentlichen Dienste in der freien Entscheidungskompetenz der jeweiligen Träger (Bund, Länder, Gemeinden, Sozialversicherungen…) im allgemeinen Interesse Vorrang zu geben.

Mit freundlichen Grüßen
Leo Mikesch, Landesvorsitzender

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