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Die Gewerkschaften und die EU-Verfassung

  • Mittwoch, 15. Juni 2005 @ 22:13
Europa Am 19. März 2005 war die Welt noch in Ordnung: Fritz Verzetnitsch und andere ÖGB-Größen demonstrierten beim „Europäischen Aktionstag gegen Neoliberalismus und Krieg“ in Brüssel mit der platten Losung „Wir sind Europa“ gegen die Dienstleistungsrichtlinie – und gleichzeitig für die EU-Verfassung.

Der ÖGB-Chef war offenbar mit sich und der Welt zufrieden. Zwar hatte er sich Ende Oktober 2004 etwas weit aus dem Fenster gelehnt, die EU-Verfassung kritisiert und eine Volksabstimmung verlangt und dafür von seinen SPÖ-Parteifreunden eine auf´s Dach bekommen. Aber wer echte Fraktionsdisziplin so verinnerlicht hat wie der SPÖ-Abgeordnete Verzetnitsch, der steckt so was locker weg.

So konnte er guten Mutes am 2. März im Parlament ebenso wie die anderen SpitzengewerkschafterInnen in einer Front mit ÖVP, FPÖ und Grünen die EU-Verfassung beschließen und dies am 11. Mai mit der Ratifizierung derselben wiederholen. Auf alle Aufforderungen, zu seiner Kritik an der Verfassung zu stehen und für eine Volksabstimmung initiativ zu werden, reagierte Verzetnitsch mit eisernem Schweigen.

Mittlerweile ist aber die "europäische Welt" auch für die Gewerkschaften kräftig aus den Fugen geraten. Schuld ist Frankreich, wo am 29. Mai 55 Prozent mit einem kräftigen "Non" die ganze EU in Angst und Schrecken versetzten. Verstärkt wurde dies mit dem "Nee" von 62 Prozent in den Niederlanden am 1. Juni. Wohl wissend, dass speziell das französische Nein maßgeblich auch den dortigen Gewerkschaften zu danken ist und es sich um eine klare Absage an die EU-spezifische Politik von Arbeitsplatzvernichtung und Sozialabbau handelt, kratzte auch der ÖGB die Kurve.

Jetzt heißt es plötzlich, die europäischen Regierungschefs hätten es bisher verabsäumt, ihre Versprechungen einzulösen, wonach die EU nicht nur eine Wirtschafts-, sondern auch eine Sozialunion sein soll. Wie wahr, aber warum hat Verzetnitsch dann seine Kritik vom Oktober 2004 auf dem Altar der SPÖ-Fraktionsdisziplin geopfert?

Bemerkenswert an solchen Eingeständnissen ist vor allem auch, dass jahrelang alle EU-KritikerInnen oder auch nur SkeptikerInnen von der SPÖ-Mehrheit in den Gewerkschaften systematisch niedergemacht wurden, ja dass sich SpitzengewerkschafterInnen als Vorreiter der neoliberalen EU-Integration profiliert haben. Kein geringerer als Präsident Verzetnitsch, jahrelang auch Präsident des Europäischen Gewerkschaftsbundes, propagiert seit Jahren, gestützt auf seinen geistigen Zwilling Christoph Leitl, eine "europäische Sozialpartnerschaft"– praktisch freilich eine Schimäre, hat das Kapital doch seit langem auf Konfrontation gesetzt.

Nun aber darf etwa GPA-Chef Wolfgang Katzian in "Offen gesagt" ganz populistisch die "Bürokraten" in der EU-Kommission kritisieren. Natürlich hat er recht, wenn er die Präpotenz der EU-Kommission anprangert, die mit aller Gewalt die Arbeitszeit- und die Dienstleistungsrichtlinie gegen massiven Widerstand durchdrücken wollen. Aber die Abgehobenheit der "EuropäerInnen" findet sich auch auf der Ebene der Abgeordneten, man denke etwa an Mandatare wie Johannes Voggenhuber, Caspar Einem oder Maria Berger, die mit Feuer und Schwert die EU gegen alle Bedenken und Befürchtungen verteidigen.

Katzian hat schon recht: Die neoliberale Rezeptur hat nicht gewirkt, es wäre falsch, die Dosis zu erhöhen. Notwendig ist ein radikaler Kurswechsel. Damit bestätigt er nur alle KritikerInnen der EU. Zu einem solchen Kurswechsel bietet aber die Verfassung keine Ansatzpunkte, dafür ist sie das falsche Instrument. Denn die Absage an die Verfassung ist ja nur der konzentrierte Ausdruck massiver Kritik am Grundcharakter der EU.

Gerade die in der Verfassung enthaltene Festschreibung der Militarisierung und Aufrüstungsverpflichtung, des neoliberal-monetären Modells einer "freien Marktwirtschaft" mit Arbeitslosigkeit, Sozialabbau und Privatisierung öffentlichen Eigentums als zwangsläufige Folge und die Hierarchisierung der EU durch Stärkung der großen EU-Staaten machen sie völlig ungeeignet.

Die Verfassung ist tot, daher ist auch der Ratifizierungsprozess einzustellen, alles andere macht die Kluft zwischen den praktischen Erfahrungen breiter Bevölkerungsschichten, insbesondere der Lohnabhängigen und den Eliten in Politik, Wirtschaft und Medien, nur noch tiefer. Die Situation ist zu ernst, als dass eine Prise billige Globalisierungskritik oder antikapitalistische Metaphern wie die "Heuschreckenschwärme" von SPD-Chef Müntefering ausreichen würden.

Worum es geht, ist der Politik der Sachzwänge und der Standortlogik, wie sie sich auch in den Gewerkschaften eingebürgert hat, eine klare Absage zu erteilen und sich intensiv auf grundsätzlich andere Prioritäten zu konzentrieren. Dabei verlaufen die Fronten nicht zwischen den einzelnen Ländern, sondern quer durch zwischen dem Reichtum an Kapital und Vermögen einerseits und der immer stärker Prekarisierung und Armut ausgesetzten Masse der Lohnabhängigen im weitesten Sinne auf der anderen Seite. In Abwandlung einer bekannten Losung heißt das: Ein anderes Europa ist notwendig. Gerade das Scheitern der EU-Verfassung bietet die Chance, aber auch die Notwendigkeit, grundsätzliche Alternativen zu der EU in ihrer jetzigen Form zu entwickeln.

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