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1945: Befreiung und Wiederaufbau in Steyr

  • Dienstag, 5. Mai 2015 @ 08:00
Geschichte
Von Otto Treml

Am 5. Mai 1945 um 10 Uhr vormittags erschütterten mehrere heftige Detonationen die Ennsleite in Steyr. Wo heute die Otto-Glöckel-Schule steht, sprengten die deutschen Truppen ihre letzten Geschütze. Bewaffnete Arbeitergruppen, Kommunisten und Sozialisten entwaffneten die letzten Teile der Hitler-Wehrmacht.

Zur selben Zeit rollten aus westlicher Richtung gepanzerte Schützenwagen und Panzer der 2. amerikanischen Armoured-Division am Landeskrankenhaus vorbei, über die Sieringerstraße, in Steyr ein. Die Übergabe der Stadt an einen amerikanischen Offizier erfolgte durch den Nazi-Oberbürgermeister Hans Ransmayr. Die amerikanischen Truppen überschritten sogar kurzfristig die Enns und besetzten Ennsdorf und die Ennsleite.

Ransmayr wurde festgenommen und in den Dachboden der Schönauervilla eingesperrt. Am folgenden Tag, dem 6. Mai 1945, brachten amerikanische Militärpolizisten Ransmayr ins Rathaus, wo er warten mußte, ohne jedoch einvernommen zu werden. Schließlich wurde er nach Hause geschickt. Erst einige Tage später wurde Ransmayr, als politischer Leiter der NSDAP, verhaftet und in das Gefangenenhaus Berggasse überstellt. In der Folge wurde er in ein Anhaltelager für Nationalsozialisten in Glasenbach bei Salzburg gebracht. Nach Auflassung des Lagers kam er wieder nach Steyr zurück und verstarb am 12. November 1949.

In den Häusern Michaelerplatz 13 und 14 errichteten die Amerikaner Maschinengewehrstände, von denen aus sie die Steyrbrücke und ihre Zugangswege beherrschten.

Noch am Tag der Befreiung trafen sich Vertreter der demokratischen Parteien (SPÖ, KPÖ, ÖVP) im Rathaus, um im Einvernehmen mit einem amerikanischen Oberleutnant, einen neuen Bürgermeister und eine Verwaltung einzusetzen. Franz Prokesch wurde zum Bürgermeister und Ferdinand Knabl zu dessen Stellvertreter sowie Dr. Ferdinand Häuslmayr als Magistratsdirektor bestellt.

Am 10. Mai richteten die Amerikaner im Rathaus eine provisorische Zivilverwaltung ein, die bis 31. März 1946 amtierte. Als erster "governor" fungierte Major Lang, dem ein Sicherheitsoffizier, Captain Fiorella, und ein für die Ernährung zuständiger Captain Chapman zur Seite standen.

Am 8. Mai um 16 Uhr trafen die ersten Truppen der 3. Ukrainischen Roten Armee vor der Ennsbrücke beim Hotel Minichmayr ein. Gemäß der von den Alliierten getroffenen Vereinbarung besetzte die Sowjetarmee Steyr bis zum rechten Ennsufer. Die amerikanischen Soldaten zogen sich auf das linke Ennsufer zurück. Die Stadt war in zwei Teile geteilt.

An den Stadtbrücken wurden nach einiger Zeit Sperren errichtet, das Neutor wurde von den Amerikanern mit Pflastersteinen verrammelt. Damit war jeder Verkehr bis 28. Juli 1945 unterbunden.

Schwer war das Schicksal aller Österreicher nach dem Ende des Krieges, besonders schwer aber im Ostteil der geteilten Eisenstadt. Der Stadtplatz mit seinen Geschäften und Behörden, das Krankenhaus, die Lebensmittellager, die Molkerei, der Großteil der Schulen und vor allem das landwirtschaftliche Hinterland lagen auf der Westseite. In Steyr-Ost gab es das alles nicht. Dafür aber neben der normalen Bevölkerung tausende Flüchtlinge. Die beherzten Menschen, die in dieser Stunde das Schicksal ihres Stadtteiles in ihre Hände nahmen, standen vor keiner beneidenswerten Aufgabe. Es gab keine Milch, kein Brot, kein Fleisch und keine fahrbereiten Fahrzeuge.

In Steyr-Ost wurde im Einvernehmen mit Repräsentanten der Roten Armee eine provisorische Stadtverwaltung gegründet. Die neuen Stadtväter, Bürgermeister Hans Kahlig, die Vize-Bürgermeister Alois Huemer und Josef Wöhrer, Stadtrat Ferdinand Mayrhofer, Rechtsbeirat Dr. Karl Enzelmüller, Josef Bloderer, Karl Hübsch, Thomas Trunk, Hans Schanovsky, Vinzenz Ribnitzky und Peter Kramlinger, standen vor dem Nichts.

Zuerst galt es, die Versorgung mit Lebensmitteln, vor allem mit Milch für die Kinder, in Schwung zu bringen. Das war leichter gesagt als getan. Die wenigen Milchkühe des Einzugsgebietes reichten nicht aus. Darüber hinaus waren die Bauern nicht bereit, kostbare Milch gegen Geldscheine zu geben, deren Wert keinesfalls gesichert war. Die Milchkommandos hatte Tag und Nacht zu tun. Sie mußten Tabak beschaffen, denn für Tabak gaben die Bauern Milch her.

Um zwei Uhr früh schon waren die Milchholer bei den ersten Bauernhöfen. In ganz Steyr-Ost gab es nicht einmal zehn intakte Lastautos, und die paar waren Holzvergaser. Viele Stunden lang mußte das Milchkommando Treibstoff besorgen, d. h. Holz schneiden und hacken. Trotz dieser ungeheuren Schwierigkeiten war es möglich, die Kleinkinder und Säuglinge sowie die stillenden Mütter mit Milch zu versorgen. Erst Wochen später gelang es, Molkereieinrichtungen aufzutreiben und im Brauereigebäude der Pachergasse entstand eine eigene von den Kommunisten geschaffene Molkerei unter der Leitung von Julius Böhm. Es war eine Sensation, über die sich alle freuten, als zum ersten Mal nach langer Zeit zwei Dekagramm Butter für jedes Kleinkind erzeugt und ausgegeben werden konnte.

Am 8. Mai 1945 gab es in Steyr-Ost kein Brot, keinen Sack Mehl oder Getreide. Aber auf verschwiegenen Wegen erfuhren die Stadtfunktionäre, dass unweit der Stadt 17 Waggon Hafer lagen. In mühsamer Arbeit wurde der Hafer nach Steyr gebracht, gemahlen und Steyr-Ost hatte Haferbrot, etwas trocken und brüchig, aber es füllte immerhin die hungrigen Mägen. Die Fleischrationen standen in den ersten Tagen der Teilung nur auf dem Papier. Im Garten des Kinderfreundeheimes auf der Ennsleite tummelten sich eingefangene Pferde von der Wehrmacht. Die Tiere wurden von Tag zu Tag weniger, dafür aber gab es bei den Fleischhauern auf der Ennsleite und im Wohngebiet Münichholz frisches Fleisch.

Ein nicht zu unterschätzendes Problem war das Fehlen von Geld. Die Stadtkasse befand sich im Rathaus und das Rathaus lag in Steyr-West. Die Gemeinde Steyr-Ost hatte keine Mark in der Kasse. Man brauchte aber Geld, um die Arbeiter zu bezahlen, um einkaufen zu können. Zwei Kommunisten übernahmen die schwere Aufgabe. Franz Draber, eben der Todeszelle entronnen, und sein Freund Hans Strauß schwammen in finsterer Nacht über die Enns. Sie stellten die Verbindung zu den Funktionären von Steyr-West her. Sie bekamen Geld und durchschwammen noch einmal den Fluß, schlichen sich durch die Postenkette und Steyr-Ost hatte für eine Zeitlang Finanzmittel. Später, als die Arbeit des neuen Gemeinderates schon besser eingespielt war, kamen die Stadtväter auf eine naheliegende Idee: In Steyr-Ost stand ein Finanzamt samt Kasse mit einem Hofrat als Vorstand. Kurz entschlossen beschlagnahmte die Stadtgemeinde die Kasse und beförderte den heftig protestierenden Hofrat zum neuen Stadtkassier. Diesmal hatte Steyr-Ost Glück. Wenige Tage später traf ein Schreiben von der Regierung aus Wien ein, das die Handlung der Stadtväter in dieser Frage legalisierte.

Die wiedererstandene Meinungsfreiheit verlangte nach einer Zeitung. Mit Hilfe der Besatzungsmacht schufen die Bewohner von Steyr-Ost ihre eigene Zeitung. Nik Riedmüller, ein junger Journalist, der jahrelang im Konzentrationslager Dachau und Ramingdorf geschmachtet hatte, fungierte als Chefredakteur.

Ein weiteres Problem tauchte auf, der Wunsch nach echter, unzensierter Kunst. Die Wahrheit, auf der Leinwand und auf der Bühne. In Steyr-Ost gab es kein Theater, kein Kino. In langwierigen Verhandlungen mit den Amerikanern erreichte Rudolf Binderberger, der Kinobesitzer aus Garsten, dass er seine Vorführgeräte über die Enns bringen durfte. In der Halle des ehemaligen "Deutschen Turnvereines", einst die Hochburg der Steyrer Faschisten, entstand ein Kino. Gottfried Treuberg, ein beliebter Schauspieler, sammelte Künstler um sich und auf der Bühne des Turnsaales, bei schlechter Beleuchtung wurde Theater gespielt. Die Betreuung der Kranken und Verletzten stieß in Steyr-Ost auf schier unüberwindliche Schwierigkeiten. Der Großteil der Steyrer Ärzte lebte im Westgebiet und das Krankenhaus war ebenfalls dort. Das nächste Spital auf der Ostseite befand sich in Amstetten und auch das war überfüllt. Daher wurde unter Leitung von Franz Hilber in der Punzerstraße 47 im Wohngebiet Münichholz ein Krankenhaus geschaffen.

Trotzdem waren diese schweren Tage auch Tage der frohen Hoffnung, denn die Bevölkerung ging mit Schwung daran, das furchtbare Erbe des faschistischen Krieges zu überwinden. Die gute Zusammenarbeit aller Antifaschisten war die Garantie dafür, dass das Leben mit jeder Woche leichter wurde.

Der Beitrag ist der 1995 publizierten "Festschrift zum 50. Jahrestag der Befreiung Österreichs. 40 Jahre Staatsvertrag" entnommen, für welche Otto Treml (geboren 1930) und die KPÖ-Steyr verantwortlich zeichneten, entnommen.

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