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Stellungnahme Europapolitik

  • Montag, 13. Juni 2005 @ 18:25
Europa Mit dem deutlichen Nein bei den Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden und als Folge der Absage Großbritanniens ist die EU-Verfassung in der vorliegenden Form de facto gescheitert. Da die Verfassung nur in Kraft treten könnte wenn alle 25 EU-Mitgliedsländer durch Parlamentsentscheid oder Volksabstimmung zustimmen wäre es eine politische Vergewaltigung, den Ratifizierungsprozess weiter fortzusetzen oder gar zu versuchen die Referenden solange zu wiederholen, bis eine Zustimmung erreicht wird.

Die VerfechterInnen der EU-Verfassung behaupten nun, das Ergebnis der Abstimmungen in Frankreich und den Niederlanden sei nicht der Verfassung, sondern stellvertretend für diese innenpolitischen Faktoren geschuldet. Die praktische Erfahrung zeigt aber, dass die Trennung von Innenpolitik und EU-Politik schon lange aufgehoben ist, dass Innenpolitik vielmehr EU-Politik ist. Daher spielt die offizielle Politik insofern ein doppeltes Spiel, als sie in Brüssel Maßnahmen zustimmt, deren Auswirkungen sie dann hierzulande lautstark als von der EU aufgezwungen beklagt. Österreich zeichnet sich dabei durch vorauseilenden Gehorsam und besondere Unterwürfigkeit aus.

Experten zufolge wurden seit dem EU-Beitritt 80 Prozent der nationalen Kompetenzen an die EU abgegeben. Alle wesentlichen Entwicklungen werden faktisch heute durch Vorgaben der EU bestimmt:

Die im Maastricht-Vertrag verankerten vier Grundfreiheiten (Personen, Waren, Dienstleistungen, Kapital) stärken die Konzerne auf Kosten der Klein- und Mittelbetriebe und forcieren das Lohn-, Sozial- und Steuerdumping.

Bereits im Avis zum österreichischen Beitrittsvertrag wurde neben Neutralität, Transit und Landwirtschaft der hohe Staatsanteil als Hindernis genannt. Schon als Vorleistung für den Beitritt erfolgte die Zerschlagung der Verstaatlichten mit einem massiven Personalabbau, dem Verlust der Funktion als Leitbetriebe und letztlich die weitgehende Privatisierung.

Der Euro-Stabilitätspakt verpflichtet zu einer streng an rein monetären Kriterien orientierten Wirtschaftspolitik, als deren Ergebnis die Arbeitslosigkeit steigt, die Prekarisierung wächst und der Sozialstaat abgebaut wird.

Die Maastricht-Kriterien für eine nachhaltige Budgetgestaltung sind Ursache für die als „Reform“ deklarierten Einschnitte bei den Pensionen und den Zwang zur privaten Vorsorge. Sie schlagen bis auf die Gemeindeebene durch und haben eine kostendeckende Tarifpolitik sowie Ausgliederungen und Privatisierungen zur Folge.

Die EU-Richtlinien zur Liberalisierung sind der Hintergrund für die Zerschlagung von Post und Bahn mit massiver Arbeitsplatzvernichtung und Verschlechterung für die regionale Infrastruktur. Bei Strom und Gas führte die Liberalisierung zwar zu Preissenkungen für die Industrie, nicht aber für die Haushalte und sie gefährdet zunehmend die Versorgungssicherheit und das öffentliche Eigentum im sensiblen Energiebereich.

Der EURATOM-Vertrag ist ein Freibrief für den weiteren Ausbau der riskanten Atomenergie auf Betreiben der EU-Atomkonzerne. Damit wird auch das Bekenntnis Österreichs gegen den Betrieb von Atomkraftwerken ad absurdum geführt.

Die EU-Richtlinie zur Arbeitszeit orientiert auf eine Verlängerung der Arbeitszeit und bedeuten Überstunden ohne Zuschlag, vermehrte Wochenendarbeit und Ausweitung der Öffnungszeiten im Handel. Auch die Einführung der Nachtarbeit für Frauen unter dem Deckmantel der Gleichberechtigung ist ein Ergebnis von EU-Auflagen.

Die Bolkestein-Richtlinie zur Liberalisierung der Dienstleistungen zielt darauf, den bislang noch öffentlichen Bereich der Grundversorgung für privates Kapital zu öffnen. Mit dem Herkunftslandprinzip ist ein massives Lohndumping vorgezeichnet, mit dem Entgeltprinzip sind die sozialen Dienste gefährdet.

Die Verträge von Amsterdam und Petersberg haben in Österreich zum Kriegsermächtigungsartikel 23f geführt. Mit der Beteiligung an der Euro-Armee und den Battle Groups im Sinne der Beistandspflicht wird die 1955 beschlossene immerwährende Neutralität systematisch zersetzt.

Mit dem Schengen-Abkommen ist eine enorme Verschärfung des Asylrechts verbunden. Auch die Einführung eines EU-Passes und einer Europäischen Justiz ist dem Schengen-Regime geschuldet.

Die GATS-Verhandlungen der WTO werden von der EU als Gesamtes über den 133er Ausschuss geführt, die nationale Entscheidung wurde damit aufgehoben.

Die Lissabon-Strategie sollte bis 2010 die EU mit dem Übergang zu einer Wissensgesellschaft wirtschaftlich zur führenden Weltmacht machen. Faktisch ist das damit verbundene Regulationssystem für die Zerstörung des europäischen Sozialmodells verantwortlich.

Der Ausbau der Transeuropäischen Netze (TEN) legitimiert das Wachstum des Transitverkehrs, der durch die fehlende Kostenwahrheit und unter Berufung auf die vier Grundfreiheiten des Maastricht-Vertrages gerade Österreich auf Grund seiner geografischen Lage in allen Richtungen besonders belastet.

Mit der Einführung des Euro im Rahmen der Währungsunion und mit der Übertragung der Kompetenz an die Europäische Zentralbank (EZB) als Währungshüter war ein massiver Preisschub durch Aufrundungen verbunden.

Während Währungs- und Budgetkriterien auf EU-Ebene streng festgelegt sind, sind Beschäftigung, Bildung, Soziales, Gesundheit, Steuern etc. weiterhin formal nationale Angelegenheit. Durch die Vorgaben wird der nationale Gestaltungsspielraum jedoch völlig aufgehoben, so dass auch diese Bereiche letztlich EU-Vorgaben geschuldet sind.

Die EU-Verfassung ist der Versuch, die bereits bislang geschaffenen Fakten und das System bestehender Verträge und Richtlinien zu einem Komplex zusammenzufassen um die EU in Richtung eines Bundesstaates und als mit den USA gleichwertige Supermacht zu entwickeln. Kernpunkte der Verfassung sind die Festschreibung der Militarisierung, des neoliberalen Modells von Konkurrenz und „Marktwirtschaft“ sowie der Hierarchisierung zugunsten der großen EU-Länder.

Diesen aus Sicht der Konzerne und des Kapitals verständlichen Bestrebungen stehen die Interessen der Lohnabhängigen und anderer Teile der Bevölkerung gegenüber. Es geht also nicht vorrangig um nationale Interessen, sondern um den Gegensatz zwischen Kapital und Lohnabhängigen auf europäischer Ebene. Die Mehrheit der Menschen hat bereits die bisherige Entwicklung der EU als neoliberales Projekt eines „Europa der Konzerne und Generäle“ zur ökonomischen, politischen und militärischen Sicherung von Kapitalinteressen weitgehend negativ erfahren.

Im Zusammenhang mit der Debatte um die EU-Verfassung wurde der wachsende Widerspruch zwischen weitgehend abgehoben von den realen Erfahrungen agierenden politischen, wirtschaftlichen und medialen Eliten und einem Großteil der Bevölkerung deutlich. Diese Eliten sind sowohl mit ihrer aufwendig inszenierten Ja-Kampagne als auch mit dem Dogma, die EU-Verfassung sei alternativlos, gescheitert. Gleiches gilt für die Bestrebungen die EU-Verfassung durch eine gesamteuropäische Volksabstimmung für die es bislang gar keine Rechtsgrundlage gibt zu legitimieren und dabei einzelne Länder zu überstimmen.

Unter dem Schock des Nein sprechen jetzt sogar die eifrigsten Befürworter von einer Absage an die gängige EU-Politik. Allerdings ist zu befürchten, dass es sich dabei nur um ein taktisches Manöver handelt um nach leichten Modifizierungen den bisherigen Kurs fortsetzen zu können ohne in eine allzu offensichtliche Legitimationskrise zu geraten. Ein solcher Kurs wäre auch insofern höchst bedenklich, als damit die Distanz zwischen den politischen Gremien und einem Großteil der Bevölkerung noch mehr vergrößert wird.

Die Verweigerung von Volksabstimmungen in 15 der 25 EU-Länder durch das politische Establishment ist der Angst geschuldet, dass der Unmut über die reale EU-Politik zum Tragen kommt. Die durch die Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden ausgelöste Krise der EU bietet die Chance für eine Grundsatzdebatte über die EU. Es gilt diese Chance zu nützen und der EU des Kapitals ein anderes, nämlich soziales, demokratisches, ökologisches, feministisches und friedliches Europa gegenüberzustellen.

KPÖ-Bezirksvorstand Linz 13. Juni 2005

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