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Stellungnahme Soziales Europa

  • Montag, 7. November 2005 @ 18:23
Europa Seit dem Scheitern der EU-Verfassung nach dem Nein bei den Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden wurde – vor allem von ÖGB und Arbeiterkammer, SPÖ und Grünen – verstärkt wieder das Schlagwort von einem „sozialen Europa" in die politische Debatte eingebracht. Dies ist eine Reaktion darauf, dass das System des neoliberalen Kapitalismus erste Risse erhalten hat.

Ein solches „soziales Europa" ist aber mit den gegenwärtigen Grundlagen der EU – den vier Grundfreiheiten, dem Binnenmarktprinzip und dem Wettbewerb, die nicht nur in den bisherigen Verträgen wie etwa dem Maastricht-Vertrag, sondern auch in der Verfassung festgeschrieben sind – nicht möglich. Neoliberal und sozial sind unvereinbare Gegensätze, mit einer monetären Wirtschaftspolitik mit restriktiven Budgetauflagen und dem Euro-Regime und der Europäischen Zentralbank als Wächter steht im diametralen Gegensatz zu sozialen Ansprüchen.

Neoliberale Politik zielt im Gegensatz durch die Konkurrenz als oberste Maxime auf die Zerstörung des Sozialstaates, aller bisher gekannten Regeln, der sozialen Sicherheit und des Vertrauens. Eine besondere Form dieser Konkurrenz ist ein von oben geförderter Rassismus. In diesem Zusammenhang ist auch die im Jahre 2000 beschlossene Lissabon-Strategie kritisch zu hinterfragen, durch welche die EU bis 2010 der stärkste Wirtschaftsraum der Welt werden soll. Die darin festgelegten Ziele sind nämlich bloß quantitativ, womit der Prekarisierung Tür und Tor geöffnet wird.

Eben diese Prekarisierung nicht nur in der Arbeitswelt, sondern in der ganzen Gesellschaft ist der zentrale Punkt in der Entwicklung des neoliberalen Kapitalismus, sie bündelt gewissermaßen alle Probleme. Als Antwort darauf ist der Arbeitsbegriff an sich zu hinterfragen. Arbeit darf nicht auf Erwerbsarbeit bzw. Lohnarbeit reduziert werden, wie das für das fordistische Modell des Kapitalismus kennzeichnend war. Zwar wird Prekarisierung vielfach von den Betroffenen nicht als solche empfunden, sehr wohl aber die damit verbundene zunehmende Verunsicherung.

Es war auch nicht das ursprüngliche Anliegen der ArbeiterInnenbewegung durch eine Heroisierung des Arbeitsbegriffs diese auf den Zwang zur Lohnarbeit zu reduzieren, sondern die Arbeit im Gegenteil von ihren Fesseln zu befreien. Arbeit kann auch nicht bloß auf eine Möglichkeit zur Erzielung von Einkommen reduziert werden, sondern ist auch im Zusammenhang mit sozialen Kontakten und als Selbstverwirklichung zu sehen.

Die Aufgabe der Wirtschaft im Kapitalismus ist es zwangsläufig nicht Arbeitsplätze zu schaffen, sondern die Profite zu steigern. Umso mehr muss es Aufgabe der Politik sein, dem im Interesse der Allgemeinheit entgegenzusteuern. Daher kann auch nicht auf das Ziel einer Arbeitszeitverkürzung wie sie vom ÖGB bei allen Bundeskongressen seit 1987 beschlossen wurde verzichtet werden. Es gilt schließlich den Widerspruch aufzuheben, dass einerseits Österreich mit 42 Stunden eine der längsten realen Wochenarbeitszeiten hat und ein Teil der Lohnabhängigen immer mehr Überstunden leisten muss, andererseits die Zahl der Arbeitslosen den höchsten Wert der zweiten Republik erreicht hat. Ebenso wenig darf auf das Ziel, soziale Standards sowohl für Erwerbstätige als auch für Erwerbslose zu erreichen, verzichtet werden.

Der Kampf für ein möglichst hohes Beschäftigungsniveau im Sinne klassischer Lohnarbeit einerseits und einem Grundeinkommen bzw. einer Grundsicherung in einer solchen Höhe von dem man leben kann für alle andererseits steht daher nicht im Gegensatz zu einander. Die Ausbeutung der Ware Arbeitskraft hat heute ein so hohes Niveau erreicht, dass immer weniger Arbeitskräfte einen immer größeren Mehrwert produzieren, weil zunehmend die Arbeit durch Maschinen geleistet wird. Die Sicherung einer für jeden einzelnen Menschen notwendigen existenzsichernden Kaufkraft, auch wenn damit kein Zwang zur Lohnarbeit verbunden ist, liegt auch im Sinne einer Belebung der Wirtschaft.

Ein zentraler Punkt in der Debatte um ein „soziales Europa" ist die radikale Infragestellung der „Sachzwänge", also eine höchst notwendige Politisierung und Demontage neoliberaler Mythen. Davon ausgehend gilt es Alternativen und Visionen zur jetzigen EU bzw. zum neoliberalen Kapitalismus überhaupt zu entwickeln. Der grundlegende Anspruch dabei ist, dass alle Menschen nach ihren Bedürfnissen leben können und das Recht auf eine menschenwürdige Existenz unabhängig auch von Lohnarbeit haben.

Dabei spielt die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums und der Ressourcen eine entscheidende Rolle. Das Verteilungsverhältnis zwischen Gewinnen und Lohneinkommen muss radikal verändert werden, die hohe Produktivität darf nicht nur den Reichen zugute kommen wie das derzeit der Fall ist. Dazu gilt es, das Steuersystem umzubauen indem Kapital und Vermögen wesentlich höher besteuert werden, vor allem indem durch eine Wertschöpfungsabgabe der enormen Rationalisierung die wiederum Ursache für die Vernichtung von immer mehr Arbeitsplätzen ist, Rechnung zu tragen. Daraus ergibt sich geradezu zwangsläufig die Notwendigkeit für die Verteidigung und Weiterentwicklung des Sozialstaates im umfassenden Sinne zu kämpfen. Für einen wirksamen Kampf in diesem Sinne ist es auch notwendig eine Sprache zu finden, welche alle jene die frustriert sind oder schon die Faust in der Tasche ballen zum Handeln zu bewegen.

Den Gewerkschaften kommt in dieser Auseinandersetzung eine Schlüsselrolle zu, vor allem wieweit es gelingt ein gemeinsames Handeln mit den verschiedenen sozialen Bewegungen und eine Verbindung klassischer Anliegen von Lohnarbeit und den von Prekarisierung betroffenen zu erreichen. Dabei gilt es die Defizite der Gewerkschaften – Stichwort Feminismus, Migration, Prekarisierung usw. – zu überwinden. Wichtig ist dabei auch, die Anliegen der Gewerkschaften über öffentliche Interessen, also Anliegen der Allgemeinheit, zu definieren, wie dies bei Konflikten um Bahn, Post oder öffentliche Grundversorgung leicht ersichtlich ist.

KPÖ-Bezirksvorstand Linz 7. November 2005

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