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Linksruck in Tschechien

  • Mittwoch, 17. Oktober 2012 @ 08:26
Europa Drakonischer Sparkurs und Korruption im Regierungslager abgestraft: Kommunisten verbuchen bei Regionalwahlen massive Zugewinne. Weitere Erfolge bei Senatswahl in Aussicht. Von Tomasz Konicz

Tschechiens Regierungschef scheint lernresistent. Der konservativer Premier Petr Necas bekräftigte in einer ersten Stellungnahme nach der schweren Schlappe, die die tschechische Rechte bei den Regionalwahlen am vergangenen Wochenende einstecken mußte, seinen Autoritätskurs fortzusetzen.

Er werde weiterhin mit der Sparpolitik fortfahren, drohte Necas am Montag: »Wir sind nicht blind oder taub«, behauptete der angeschlagene Ministerpräsident, »aber die wichtigsten Parameter unserer Agenda, die auf die Absenkung der Verschuldung und des öffentlichen Finanzdefizits abzielt, bleiben bestehen.« Dies sei »der Grund für die Existenz dieser Regierung«, so Necas wörtlich.

Dabei mußte Necas Bürgerpartei (ODS) bei der jüngsten Abstimmung, bei der auch ein Teil der tschechischen Senatssitze zur Wahl stand, eine weitaus schwerere Niederlage einstecken als ohnehin im Vorfeld prognostiziert worden war. Landesweit konnte die ODS nur noch 12,3 Prozent aller Stimmen erringen, was einer Halbierung ihres Wahlergebnisses von 2008 gleichkommt. Die Sozialdemokraten (CSSD) wurden mit 23,6 Prozent stärkste politische Kraft, doch auch sie mußten herbe Verluste von rund zwölf Prozentpunkten hinnehmen. Als klarer Wahlsieger ging aus dem Urnengang hingegen die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens hervor. Die KSCM konnte ihren Stimmenanteil von rund 15 Prozent 2008 auf 20,5 Prozent ausbauen und somit das beste Wahlergebnis seit dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus erzielen.

Das totale Fiasko der ODS wird erst unter Berücksichtigung der Wahlergebnisse in den 13 Landkreisen Tschechiens voll ersichtlich, wo die Regierungspartei mit der Ausnahme der Region Plzen auf dem dritten Platz hinter den Kommunisten und Sozialdemokraten landete. Die KSCM vermochte es hingegen, erstmals in zwei Regionen zur stärksten politischen Kraft aufzusteigen. In Karlovy Vary und Usti nad Labem errangen die Kommunisten 23 beziehungsweise 26 Prozent der Stimmen, so daß sie nun den Anspruch auf die Regierungsbildung dort erheben. Dieser enorme Linksruck im politischen Spektrum Tschechiens kommt auch bei der neuen Sitzverteilung in den Regionalparlamenten zum Ausdruck, wo die Kommunisten ihren Anteil von 114 auf 182 Parlamentssitze ausbauen konnten. Sie liegen damit nur noch knapp hinter der CSSD, deren Mandatszahl von 208 auf 205 abschmolz. Die ODS kann nur noch 102 Abgeordnete in die Regionalparlamente entsenden.

Weiteres Ungemach kündigt sich für die tschechischen Konservativen bei der Stichwahl zum Senat am kommenden Wochenende an. Um die 27 Sitze im tschechischen Oberhaus bewerben sich unter anderem 22 Sozialdemokraten, 13 Kommunisten und zehn Konservative, denen aber selbst in der einzigen Region, in der die ODS eine relative Mehrheit erhielt – in Plzen – eine Niederlage droht. Die tschechischen Sozialdemokraten scheinen unter dem Eindruck der kommunistischen Wahlsiege ihre langjährige Blockadehaltung aufzugeben und eine Kooperation mit der KSCM anzustreben. Der stellvertretende sozialdemokratische Vorsitzende Lubomír Zaoralek erklärte gegenüber dem tschechischen Radio, daß der CSSD die Kommunisten als »einzig möglicher Partner« geblieben seien: »Ihr Programm steht uns nahe, und einige ihrer Vertreter haben sogar ganz vernünftig gesprochen, als sie öffentlich aufgetreten sind.«

Bislang wurde die KSCM im politischen System Tschechiens von allen größeren Parteien isoliert, da sie sich einer Sozialdemokratisierung verweigert. In Plzen etwa wollen KSCM und CSSD gemeinsam einen Wahlsieg des ODS-Kandidaten Jiri Pospisil, der als ein parteiinterner Widersacher von Necas gilt, durch Wahlabsprachen verhindern. Sollten solche Absprachen auch in anderen Regionen getroffen werden, könnte die KSCM auch mit dem Einzug in den Senat rechnen.

Die Verluste für das Regierungslager, die die Chancen auf vorgezogene Neuwahlen erhöhen, sind vor allem auf die massiven Kürzungen im Sozialbereich und die Erhöhungen der Mehrwertsteuer zurückzuführen, mit der die Regierung Necas die Euro-Stabilitätskriterien zu erreichen versuchte. Diese Sparpolitik vertiefte die Rezession in Tschechien, die schon seit dem vierten Quartal 2011 andauert. Zudem haben die ausufernden Korruptionsskandale sowohl der ODS wie auch der CSSD massiv geschadet. Allein Anfang Oktober mußte der tschechische Arbeitsminister Jaromir Drabek vom kleinen Koalitionspartner »TOP 09« nach einer Korruptionsaffäre zurücktreten. Inzwischen hat Necas zehn seiner Minister wegen diverser Skandale auswechseln müssen. Die jüngste Wahlniederlage dürfte die Auseinandersetzungen in der ODS weiter anfachen, wo die Differenzen zwischen den extremistisch-neoliberalen und dem sozialkonservativen Flügel zunehmen. Beobachter schließen eine Spaltung der ODS nicht mehr aus.

»Wir wollen den Sozialstaat zurück«

Tschechiens Kommunisten punkten mit Kampf gegen Sozialabbau. Ein Gespräch mit Jaromir Kohlicek. Interview: Peter Wolter. Jaromir Kohlicek ist Europa-abgeordneter der Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens (KSCM)

Am Sonntag fanden in Tschechien Regionalwahlen statt: »Die Rückkehr der Kommunisten« titelte eine deutsche Zeitung. Wie sehen Ihre Erfolge konkret aus?

Wir haben überall zugelegt – in zwei Regionen sind wir die stärkste Partei geworden, in elf anderen sind es die Sozialdemokraten. Das heißt, daß wir in 13 Regionen linke Koalitionsregierungen bilden können – nur in der Region Plzen liegt die rechte Regierungspartei ODS mit einem Prozentpunkt vor den Sozialdemokraten und mit vier vor uns Kommunisten. Es ist also sehr wahrscheinlich, daß es auch hier eine linke Koalition geben wird.

Wir Kommunisten haben landesweit über 180 Sitze errungen – vor uns liegen lediglich die Sozialdemokraten mit 217 Sitzen. Verloren haben vor allem die ODS und kleinere rechte Parteien – die TOP-Null-9 zum Beispiel ist so gut wie verschwunden. Interessant ist, daß die Christdemokraten sich deutlich erholt haben – sie waren fast verschwunden, sind jetzt aber in vier Regionen wieder in die Parlamente eingezogen.

Am nächsten Wochenende wird erneut gewählt – worum geht es dieses Mal?

Alle zwei Jahre wird ein Drittel des Senats neu gewählt – es geht jeweils um 27 Senatoren. In der ersten Wahlrunde, die parallel zur Regionalwahl am vergangenen Sonntag stattfand, wurden die beiden stärksten Kandidaten ermittelt. Am Wochenende findet die Stichwahl statt.

Wie erklären Sie sich, daß so viele Menschen kommunistisch wählten? Aus Protest gegen die anderen Parteien? Oder aus der Überzeugung heraus, daß die Kommunisten das beste Programm haben?

Ein Teil sind sicherlich Proteststimmen. Das Hauptmotiv, uns die Stimme zu geben, war mit Sicherheit der rapide Abbau sozialstaatlicher Regelungen – das geht bei uns in ¬Tschechien viel abrupter als beispielsweise in Deutschland. Hinzu kommt, daß viele Wählerinnen und Wähler empört sind über zahlreiche Affären, in die Politiker verwickelt waren – und das waren nicht nur Rechte, sondern auch Sozialdemokraten. Viele haben sich auch an die Zeiten vor 20 Jahren erinnert, als wir noch einen richtigen Sozialstaat hatten und das Wort Arbeitslosigkeit so gut wie unbekannt war.

Es gibt in Tschechien nur zwei Parteien, die nicht für die radikale Sparpolitik und den Sozialabbau verantwortlich sind: Das sind wir Kommunisten und die Christdemokraten, die zuletzt nicht einmal mehr im nationalen Parlament vertreten waren.

Was war die Kernbotschaft Ihrer Partei im Wahlkampf?

Wir haben den Akzent darauf gelegt, daß wir den Sozialstaat zurückhaben wollen, daß wir Arbeitsplätze und soziale Sicherheit brauchen. Die jetzige Regierung kennt nur eins: Sparen, Sparen, Sparen – und das auf Kosten der Sozialsysteme und der wirtschaftlichen Erholung. Das Beispiel Frankreich zeigt ja, wie es gehen könnte: Erst muß die Industrie wieder ans Laufen kommen – und dann erst kann es um die Stabilität der Währung und einen ausgeglichenen Staatshaushalt gehen.

Ihre Kommunistische Partei ist Mitglied der Europäischen Linken (EL). Wie ordnen Sie die KSCM ein – ist sie eher eine klassische Kommunistische Partei oder ein plurales Gebilde wie die deutsche Linkspartei? Konkret gefragt: Wie links ist Ihre Partei?

Wir sind keine klassische kommunistische Partei mehr. Andererseits entsprechen wir auch nicht dem Bild der klassischen Sozialdemokratie, die sich vor allem durch viele Plattformen und eine weitgehende Zersplitterung auszeichnet. Wenn ich mal das griechische Parteienspektrum als Maßstab nehme, würde ich meine Partei zwischen der kommunistischen KKE und dem sozialistischen Wahlbündnis SYRIZA einordnen. Wir sind zwar kein Monolith wie noch zu Zeiten des Sozialismus, weisen aber andererseits auch nicht die ideologische und politische Vielfalt auf wie die Linkspartei in Deutschland.

Quelle: Junge Welt, www.jungewelt.de

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