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Kritik des hegemonialen Fernsehens

  • Samstag, 15. November 2008 @ 13:08
Kultur Von Franz Fend

In erster Linie werden stets zwei Argumente für das freie Fernsehen dargebracht. Das erste ist im Wesentlichen eine demokratiepolitisches und lautet: Es sollen alle Fernsehen machen dürfen, nicht nur die öffentlich rechtlichen und Kommerziellen Companys. Das zweite ist ein technisch-tautologisches und lautet folgendermaßen: Heute ist es technisch leicht möglich, Fernsehen zu machen, aus dem Grund können alle Fernsehen machen können. Die Bedeutung des herablassenden Slogans „Wer kann der kann“ hat eine Umkehrung seiner Bedeutung erfahren. Beide Argumentationslinien sind in gewisser Weise richtig, ich stimme vor allem ersterem selbstverständlich zu.

Ich möchte jedoch einen dritten Strang an Argumenten anführen, der mir nicht unwesentlicher erscheint. Dieser lautet: Alternatives Fernsehen muss sich als Kritik des hegemonialen Fernsehens entwickeln, egal ob von kommerziellen oder öffentlich rechtlichen Sendern. Und: es muss sich als Kritik des Menschenbildes des hegemonialen Fernsehens entwickeln, welches ein zutiefst inhumanes ist und den Menschen als Mängelwesen begreift, von dem es nur die Geste der Unterwerfung verlangen kann und dem es sagt, wo es langzugehen hat.

Nur als Projekt der Kritik scheint es möglich, eine wirkliche Unterscheidbarkeit zwischen alternativem Fernsehen und dem vorherrschenden Mainstream herzustellen. Hemmungslose Affirmation des Status quo rechtfertigt keine Fernsehalternativen. Und diese willfährige Affirmation der technischen Möglichkeiten haben wir ja heute schon des Öfteren erfahren. Herr Röthler etwa hat uns ein famoses Beispiel gegeben, wozu der kritikfreie Umgang mit dem Medium führt. Mich interessieren die Sex-Erfahrungen, die ein alter Mann in den vierziger Jahren gemacht hat nicht und auch nicht die Zugfahrt des Referenten. Trotzdem führen uns diese Beispiele zum Kern-Punkt:

Das absolute Leitformat beim hegemonialen Fernsehen ist die Reality Show. Nicht die Nachrichten, nicht der Film, schon gar nicht die Kunst und nicht die Fernseh-Serien. Die Reality Show kommt in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen daher: Als Castingshow, als Daily Talkshow, als Koch- und Einladungsshow, als Dating Show, als Personal Help Show, als Gerichtsfernsehen, als Medizinshows, als Coaching Show. Die Unterformen diese Genres sich vielfältig, sie bilden die Basis des heutigen Fernsehens, die Sendezeiten, die mit Reality Shows gefüllt sind, sind zu Beginn unseres Jahrhunderts sprunghaft angestiegen.

Kein anderes Format hat derartige Zuwächse erlebt. Das hängt mit den geringeren Produktionskosten der Reality Show zusammen, aber auch damit, dass in ihnen das prekäre Leben in alle seiner Mangelhaftigkeit gefeiert werden kann. Sie sind ein Hochamt des Mangels und es Defizits, welche Opfer wie Täter gleichermaßen vorführt. Das Format der Reality Show betrifft beinahe alle Felder gesellschaftlichen Lebens und persönlicher Beziehungen: Die Sexualität, Familie, Arbeit, Ernährung, Erziehung, Kultur, Unterhaltung. Die Welt ist alles, sagt Georg Seeßlen, was Reality-TV werden kann.

Und: Reality TV ist inszenierte Grenzüberschreitung, die sich der Dramaturgie der Demütigung und der Beleidigung bedient:
- Wir haben es mit Popstars zu tun, die nicht singen können, das aber ausstellen müssen, weil sie als nicht singen könnende Popstars gecastet worden sind.
- Wir haben es mit Model-Anwärterinnen zu tun, deren Figuren nicht dem herrschenden Body-Maß-Index entsprechen. Sie bekommen von so genannten Profis dann eingebläut, wie sie ihren Körper, aber auch ihren Geist den Erfordernissen des neoliberalen Kapitalismus anpassen können. Ihnen wird gezeigt, dass ihre ganze Persönlichkeit ein einziges Defizit ist.
- Wir haben es mit unbeweibten Bauern zu tun, die mittels Reality-Show doch noch zu einer Bäuerin kommen sollen. Eine besonders perfide Show, weil darin der heterosexuellen Normierung und Formatierung noch ein reaktionärer Heimat-Diskurs hinzugefügt wird.
- Wir haben es mit StudentInnen zu tun, die nicht kochen können. Ihnen zeigt dann ein Profi-Koch wo der Hammer hängt.
- Wir haben es mit straffällig gewordenen Jugendlichen zu tun, welchen mit öffentlicher Demütigung und Beleidigung gezeigt wird, dass sie bessere Menschen werden müssen.
- Wir haben es mit rabiaten Kleingartenbesitzern zu tun, die in ihrem Rechtsempfinden gestört worden sind. Jenen, denen Unrecht geschah, wird in diesen Sendungen gezeigt, dass sie ohnehin nur lästige Querulanten seien und nahe gelegt, dass sie sich bei Ihren Widersachen zu entschuldigen hätten. Eine Umkehr des Täter und Opfer Verhältnisses, die aber bezeichnend für dieses Format ist.

Das sind nur einige wenige Beispiele des derzeit vorherrschenden Fernsehens, aber es sind signifikante Beispiele. Beispiele, die aber auf alle andere Fernsehproduktionen, egal ob alternativ oder Mainstream wirken, mehr als wir uns das wünschen. Sie wirken, weil hier ein Menschenbild vermittelt wird, das Lichtjahre vom bürgerlichen Ideal der Gleichheit entfernt ist, ein Menschenbild, das, ich sagte es schon, auf Unterwerfung, Beleidigung und Erniedrigung basiert. Und es bedient sich einer Dramaturgie, die ausschließlich Affekte evoziert; denken ist in diesem Zusammenhang nicht mehr möglich, wie es auch nicht erwünscht ist. Diese Affekte beruhen ausschließlich auf persönlichen Konflikten, gesellschaftliche Verhältnisse sind so nicht mehr verhandelbar.

Adorno hat in der Dialektik der Aufklärung das Nachmachen, die Mimesis als entscheidenden Antrieb künstlerischer Produktion beschrieben. Man könnte dem hinzufügen, dass das Nachmachen, der mimetische Reflex, auch Antrieb der medialen Produktion sei. Das Nachmachen hat wesentlich einen Grund schreibt Adorno: Nämlich die Bewältigung einer Wirklichkeit, derer man ohne Kunst nicht beikommen könnte, einer scheinbar übermächtigen Realität, die man durch Imitation entzaubert.

Das Nachmachen scheint jedoch auch bei den freien Medien die vorherrschende Herangehensweise zu sein. Ich meine hier das nachmachen von anderen medialen Produkten, wie auch das Reproduzieren von der gesellschaftlichen Verfasstheit. Beispiele gäbe es sonder Zahl, auf die einzugehen mir die Zeit nicht erlaubt. Wir haben heute schon einige gesehen. Die Gründe liegen einerseits in den prekären Produktionsbedingungen bei den alternativen Medien. Unbezahlte Arbeit und die Ungewissheit, ob des das Medium, für welches ich arbeite in absehbarer Zeit noch geben wird, lassen bei vielen MedienmacherInnen den Wunsch aufkommen doch auch einmal bei einem Mainstream-Medium einen Job zu bekommen.

Die vorauseilende Selbst-Zensur sollte man nicht unterschätzen. Obwohl auch dort von fairen Verträgen und akzeptablen Arbeitsbedingungen längst nicht mehr die Rede sein kann. Der zweite Grund, liegt vermutlich darin, dass auch alternative Medien nur von etwas lernen können, was vorhanden ist. Wie ein Kind sich alles von Erwachsenen abschaut, kopieren und imitieren viele alternative Medien von den Mainstream Medien. Auch hier sind die Beispiele unüberschaubar, emanzipatorische Herangehensweisen findet man nur in homöopathischen Dosen.

Maurizio Lazarotto beschreibt Fernsehen als gesellschaftliche Maschine, die alle Subjekte in Dienst nimmt und unterwirft, die in Beziehung zu ihm treten, schon lange bevor man das Wort ergreift in diesem Medium. Indienstnahme und Unterwerfung sind zwei Prozesse die gleichzeitig passieren und sich keineswegs ausschließen. Und sie äußern sich auch darin, wenn beispielsweise Studentinnen von diesem Haus angehalten werden, Koch-Shows zu erarbeiten. Was auch immer das Ergebnis ist, stets zeigt es, wie man sich in einer ungemütlich gewordenen Welt gemütlich einrichten kann. Das ist jetzt keine Polemik gegen jene Leute, die einen Beitrag zu dieser Lehrveranstaltung gemacht haben, vielmehr eine gegen die Versuchsanordnung selber. Partizipation bedeutet einfach mehr als auch einen Programmbeitrag zu machen. Teilhabe, wenn wir das in einem Emanzipatorischen Sinn verstehen, kommt ohne Kritik nicht aus.

Unter Kritik verstehe ich hier keineswegs nur das abgeben von Urteilen und das Äußern von Wertungen, um sie dann doch in die herrschende Machtkonstellation einzuordnen, weil die Regen und die Normen eben dieser entspringen, wie dies Adorno formuliert hat. Kritik in diesem Zusammenhang sollte auch nicht, um mit Foucault zu reden, als kleine polemische Auseinandersetzung, verstanden werden. Beispielsweise als Polemiken gegen gewisse Fernsehformate die uns auf die Nerven gehen.

Es geht hier meiner Meinung nach darum, die Bewertungskriterien selber in Frage zu stellen. Und weiter gedacht, das Medium Fernsehen und dessen Derivate im Internet und wo auch immer, grundsätzlich in Frage zu stellen. Dieser Aspekt der Kritik hat dann auch einen tätigen Aspekt – hier kommen wir zu alternativen Fernsehangeboten zurück – der auch darin bestehen kann, neue Zugänge zu diesem Medium zu entwickeln. Wenn alternatives Fernsehen nicht aus einer fundamentalen Kritik des Mediums Fernsehen und somit einer fundamentalen Gesellschaftskritik entspringt, wird es selber aufs Neue die Paradigmen der Unterwerfung reproduzieren. Nur etwas ärmer, etwas prekärer und etwas mangelhafter.

Beitrag von Franz Fend bei „Nah-Sehen / Fern-Sehen“, Differenz und Diversität des Televisuellen heute, Konferenz und televisuelle Kunst, 14.-15. November 2008, Kunstuniversität Linz.
- Die Tagung versammelte WissenschafterInnen, KünstlerInnen, Medien-AktivistInnen, audiovisuelle ProduzentInnen und PolitikerInnen für eine Debatte zum Thema “Nah-Sehen / Fern-Sehen”, erörtert medienpolitische Perspektiven und beschäftigt sich in theoretischen und praktischen Beiträgen mit aktuellen Tendenzen televisueller Entwicklungen.
- Ziel dieser Tagung war es nicht zuletzt, Chancen und Perspektiven für ein Community TV Projekt in Linz auszuloten und der Frage nach der Relevanz lokaler Netzwerke und Strukturen in Zeiten von weltweiten Plattformen wie YouTube oder MySpace nachzugehen.

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