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Acht Tatsachen und Thesen der KPÖ zum Thema Gesamtschule

  • Donnerstag, 21. Juni 2007 @ 22:21
Bildung Derzeit wird erbittert und teilweise sehr unsachlich über das Thema Gesamtschule diskutiert. Nicht immer entsprechen alle Argumente den Tatsachen – nicht immer sind alle Thesen dazu schlüssig. Höchste Zeit, sich einmal genauer mit dem Thema zu beschäftigen:

Zunächst einmal: Was ist eigentlich Gesamtschule? Gesamtschule bedeutet den Verzicht auf differenzierende Schultypen – insbesondere auf der Mittelstufe (10-14jährige SchülerInnen) - wie etwa in Österreich Hauptschule und AHS -Unterstufe. Derzeit existieren in Österreich folgende Schultypen: HS, IHS und IGS, AHS und BHS, BMS und KMS, PTS, IBS und HAS, BORG, HAK und HTL, PH und FH etc. (Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.)

Tatsache 1: Österreich ist eines der letzten Länder, in dem die Schule der 10-14jährigen in zwei differenzierende Schultypen (Gymnasium, Haupt/Mittelschule) gegliedert ist: Nur Deutschland und die Schweiz (mit Einschränkungen auf Grund der regionalen Bildungshoheit) haben ein ähnliches Schulsystem - im Gegensatz zu den meisten anderen Staaten, welche die Gesamtschule spätestens in den vergangenen 30 bis 40 Jahren eingeführt haben. Besonders interessant ist dies angesichts der Tatsache, dass Österreich eines der ersten Länder war, in dem die Gesamtschule gefordert wurde, ja sogar das Land, in dem sie „erfunden“ wurde – und zwar von den Schulreformern um Otto Glöckel um die Jahrhundertwende.

Tatsache 2: Österreich ist eines der Länder, die die Selektion in die verschiedenen Schultypen am frühesten – nämlich de facto mit 9,5 Jahren - vornehmen. In den USA, Südkorea und Japan besuchen die Jugendlichen etwa bis zum 18. Lebensjahr die gleiche Schulform (Highschool), in England, Dänemark, Spanien, Lettland, Schweden und Finnland bis zum 16. Lebensjahr, in Norwegen, Frankreich, Slowenien, Estland, Tschechien, Portugal, der Slowakei und Israel bis zum 15. und in Italien, Zypern und Litauen bis zum 14. Lebensjahr. Luxemburg, Irland und die Niederlande trennen die Kinder im Alter von zwölf Jahren, Malta mit elf Jahren. In Polen wird das System gerade umgestellt - je nachdem, ob man im alten oder neuen lernt, wird mit 15 oder mit 16 getrennt.

Tatsache 3: Der sozialökonomische Status der Eltern hat einen starken Einfluss auf die Bildungswahl. 71 Prozent der Kinder in Armut besuchen die Hauptschule/KMS, 29 Prozent das Gymnasium (zitiert aus dem Armutsbericht der Statistik Austria). Dieser nachteilige und deutlich stärkere Einfluss des sozioökonomischen Hintergrunds auf die späteren SchülerInnenleistungen ist in Ländern mit einem differenzierten Schulsystem grundsätzlich nachweisbar. Zusätzliche Faktoren, die die Bildungswahl beeinflussen, sind Nationalität, Muttersprache, Geschlecht des Kindes, Bildungsstatus der Eltern und Wohnort.

Tatsache 4: Österreich ist eines der wenigen Länder, das zwei vollkommen verschiedene (und nur wenig kompatible) LehrerInnenausbildungen anbietet. Während die AHS-LehrerInnen an der Universität eine noch immer sehr stofflastige Ausbildung erhalten, werden an den Pädagogischen Hochschulen (früher: Pädagogische Akademien) die HauptschullehrerInnen ausgebildet: Die 6semestrige Ausbildung punktet vor allem mit Schwerpunkten aus Praxis, Methodik und Didaktik. Die Anrechnung eines PH-Studiums auf ein Uni-Studium ist erst seit einigen Jahren möglich, zum Teil Ermessenssache und relativ kompliziert. Die verschiedenen Ausbildungen bedingen in Folge verschiedene Dienstgeber (Land – Bund), verschiedene Dienstrechte und verschiedene Gehaltsschemata. . AHS -Lehrer verdienen mehr als Pflichtschullehrer (mit dem Argument, auf der Uni gewesen zu sein, statt „nur“ auf einer Akademie), dafür haben sie eine um zwei bzw. drei Stunden geringere Lehrverpflichtung. Es geht daher vorrangig auch um die Erhaltung von Privilegien: politischen, sozialen und finanziellen. Der längst fällige, international weithin vollzogene Jahrhundertschritt in der Entwicklung der Lehrerbildung bestünde in der für beide Seiten gewinnbringenden Integration der Pädagogischen Hochschulen in die Universitäten.

Tatsache 5: Österreichweit kommen 50 Prozent, in manchen Bundesländern sogar 70 Prozent aller Maturanten über die Hauptschule und nicht über eine AHS - Unterstufe zur Reifeprüfung. Die Lehrpläne von AHS – Unterstufe und HS/KMS sind wortident. Es kann also davon ausgegangen werden, dass die frühe Selektionierung nicht nur aus Gründen der sozialen Abgrenzung, sondern auch aus rassistischen Motiven derart leidenschaftlich verteidigt wird.

Tatsache 6: Das selektive, früh trennende Schulsystem bringt keine besseren Leistungen als die Gesamtschule. Es gibt keine einzige Studie, die belegt, dass österreichische AHS -Abgänger klüger, gebildeter oder gar wissensdurstiger wären als etwa finnische oder britische Gesamtschulabgänger. Längst weiß man, dass es Formen der Leistungsdifferenzierung und der innerschulischen Wahl gibt, die sicherstellen, dass Kinder unterschiedlicher Begabung und unterschiedlicher Leistungsbereitschaft innerhalb einer gesamtschulischen Sekundarstufe zufriedenstellend gefördert werden. Andererseits:Trotz des selektiven, früh trennenden Schulsystems mit angeblich homogenen Schülergruppen liegen in Österreich laut Pisa-Studie beim Lesen nur acht Prozent der Schüler in der Spitzengruppe, in Finnland oder Australien sind es doppelt so viele (15 Prozent).

Tatsache 7: Für viele SchülerInnen ist der Besuch einer AHS nur mit massiver Unterstützung durch die Eltern oder NachhilfelehrerInnen möglich. Der letzten AK-Studie zufolge geben Österreichs Eltern 140 Millionen Euro jährlich für Nachhilfe aus. Wer dieses Geld nicht aufbringen kann – also sozial benachteiligt, etwa arbeitslos oder allein erziehend ist oder aus migrantischem Zusammenhang stammt – muss (?) sein Kind also derzeit in eine HS/KMS schicken. In diesem Zusammenhang sollte jedoch auch die Frage erlaubt sein, wie qualitativ wertvoll eine Schule ist, die nur dann funktioniert, wenn Unsummen in privaten Parallelunterricht gebuttert werden. So lange es aber „unten“ ein Netz für die Dropouts gibt, kann man „oben“ ungehindert agieren.

Tatsache 8: Die Krise der Mittelstufe hat sich durch die Einsparungen des letzten Jahrzehnts massiv verschärft. Dies äußert sich unter Anderem durch:
• verschlechterte Arbeitsbedingungen für LehrerInnen und SchülerInnen durch Sparmaßnahmen der letzten Jahrzehnts (Stundenkürzungen, gestrichene Stütz-, Förder- und Integrationsmaßnahmen, große Klassen, Arbeitszeiterhöhung ...)
• veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen für die heranwachsende Generation (ungewisse Zukunftsaussichten, Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigung, Studiengebühren)
• Basiswissen und Grundkompetenzen für alle werden nicht mehr ausreichend vermittelt (OECD-, PISA-Studien)
• soziale Benachteiligung im derzeitigen Schulsystem wird verstärkt
• zunehmende Überforderung von LehrerInnen (Burn out und Frühpensionierungen trotz Abschlägen als Symptom).

Der Standpunkt der KPÖ

Das Bildungsprogramm der KPÖ beinhaltet selbstverständlich die Forderung nach der Gesamtschule. Die schrittweise Entwicklung und Umsetzung eines österreichischen Gesamtschulmodells mit differenziertem, individuellen Eingehen auf die SchülerInnen von heterogenen Klassen, das mit der Verlängerung der gemeinsamen Schulzeit von vier auf wenigstens acht Jahre auch die Integration von „AusländerInnen“ verbessert, ist eine pädagogische und soziale Notwendigkeit. Die Wahlfreiheit ist nicht in Gefahr, wenn am Ende der Schulpflicht die Wahlfreiheit für alle Kinder und Jugendlichen um ein Vielfaches erhöht und weitgehend von sozioökonomischen Voraussetzungen entkoppelt wird.

Stellungnahme des KPÖ-Bundesausschusses vom 21. Juni 2007

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