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Am Tropf

  • Freitag, 1. September 2006 @ 13:08
Arbeit Die Gewerkschaftsbank am Ende, der Gewerkschaftsbund bankrott - die organisierte österreichische Arbeiterbewegung ist untergegangen. Von Erwin Riess

Wenn es tief im Erdinneren zu tektonischen Verschiebungen kommt, die an der Oberfläche als Erd- oder Seebeben erscheinen, stecken Geologen und Erdbebenforscher aller Länder die Köpfe zusammen und bewerten das Ereignis mit einer Gesamtnote. Beben mit der Stärke Sieben Komma Zwei auf der Richter-Skala, heißt es dann. Und als Haltungsnote: Acht Komma Drei nach MercalliSieberg. Ereignen sich ausgedehnte Erdbeben in der gesellschaftlichen Tiefenstruktur eines Staatenblocks oder eines Landes, dauert es länger, bis die ersten Zeugnisse über die Bedeutung des Vorgefallenen ausgefertigt werden. Zu sehr verstellen die unmittelbaren Schäden und Auswirkungen der diversen Flutwellen und Erdbeben den Blick.

Im Frühjahr 2006 ist in Österreich der größte Kriminalfall der österreichischen Wirtschaftsgeschichte ruchbar geworden, der in seinen Dimensionen den Bankenkrach der frühen dreißiger Jahre übertrifft. Zuerst stand die Gewerkschaftsbank Bawag vor dem Bankrott.* Sie wurde durch eine Staatsgarantie und einen von der Regierung vermittelten Bankenzuschuß gerettet und muß nun schleunigst verkauft werden. Dann erwischte es auch den Gewerkschaftsbund (ÖGB); er übernahm von seiner maroden Bank 1,5 Milliarden Euro Schulden und sitzt selber auf knapp einer Milliarde Verlust, womit feststeht, daß auch er bankrott ist. Seine unmittelbare Insolvenz wurde ebenfalls durch die Hilfe der Regierung verhindert, und das am 1. Mai. Zuerst drangen

Die Bawag ist die nach der Bilanzsumme viertgrößte Bank Österreichs. Sie ist die Hausbank der Republik, über sie und die von der Bawag gekaufte Postsparkasse werden die Transaktionen des österreichischen Staats abgewickelt, unter anderem auch die Finanzierung der Eurofighter-Abfangjäger. Im Parlament polemisierten die SPÖ-Gewerkschafter gegen den Wahnsinnskauf, ihre Bank aber verdient daran. Die Bawag ist stark im Kleinkundengeschäft vertreten und hält Hunderttausende sogenannte Betriebsratskredite. Gewerkschaft, Arbeiterbank und Arbeitergenossenschaft »Konsum« - sie wurde von sozialdemokratischen Managern Anfang der neunziger Jahre in den Konkurs gewirtschaftet waren die drei Säulen der organisierten Arbeiterbewegung. Die sozialdemokratische Partei war und ist nichts anderes als der politische Flügel dieser in der ökonomischen Basis wurzelnden gesellschaftlichen Macht. Wenn der 0GB demnächst Konkurs anmelden muß, wird es zwar weiterhin Teilgewerkschaften geben, aber nur als Hülle - reine Erfüllungsgehilfen der Marktzwänge.

Informationen über das Vorgefallene nur spärlich nach außen, mittlerweile vergeht aber kein Tag, an dem es nicht zu neuen Enthüllungen über den Skandal kommt.

Folgendes war geschehen: Mitte der neunziger Jahre hatte sich in der Bank ein System etabliert, in dem einige wenige Manager an Aufsichtsrat, Wirtschaftsprüfern und der staatlichen Bankenaufsicht vorbei abenteuerliche Spekulationsgeschäfte eingingen. Der Sohn des früheren Generaldirektors, er trägt den nestroyischen Namen Flöttl junior, erhielt von der Bank ohne jede Absicherung über eine Milliarde Euro zum Zweck hochriskanter Währungs- und Warenterminspekulationen. Flöttl junior besitzt eine Insel bei den Bermudas, einen Palast in London, Dutzende Bilder von Egon Schiele und Oskar Kokoschka, Privatflugzeuge und, infolge seiner Heirat mit einer Dame aus dem Eisenhower-Clan, das Entree in die Finanzgesellschaft New Yorks. Sein Vater logiert in einem Penthouse in der Wiener City - ebenso wie dessen Nachfolger EIsner und der mittlerweile zurückgetretene ÖGB-Präsident Verzetnitsch sowie eine Reihe anderer Vorstandsmitglieder der Bawag. Die Nobelwohnungen wurden weit unter ihrem Wert erstanden, was die Günstlinge dieses Versorgungssystems größenwahnsinniger Arbeiteraristokraten nicht davon abhielt, sich auch die Inneneinrichtung von der Bank bezahlen zu lassen. Dem früheren Generaldirektor EIsner, auch er wohnt in einem Penthouse der Bawag, wurde sogar eine Gesamtauszahlung der Pensionsansprüche von 6,5 Millionen Euro gewährt (gefordert hatte er das Doppelte).

Flöttl junior gelang es, ausnahmslos alle Gelder, die er von der Bank fur seine Spekulationen bekommen hatte, durchzubringen, ja, er schaffte es auch, die Besitztümer, die er als Sicherheiten eingesetzt hatte, zu verpulvern. Auf dem Papier haftete Flöttl junior mit einem ansehnlichen Privatvermögen. Nun aber zeigt sich, daß auch dieses sich in ein geldwertes Nichts aufgelöst hat. Eine Troika, bestehend aus einem größenwahnsinnigen Bankierssöhnchen, einem tumben Gewerkschaftspräsidenten und einem raffgierigen Generaldirektor, ist für den Verlust der Gewerkschaftsbeiträge einer ganzen Generation, für den Verlust des Streikfonds, für den Verlust aller 0GB-Immobilien, Ferienheime, Verlage und Buchhandlungen und für die Einstellung von Unterstützungsfonds für kranke und in Not geratene Gewerkschaftsmitglieder sowie Stipendien für studierende Kinder von Gewerkschaftsmitgliedern verantwortlich. Das Ausmaß an Dummheit und Inkompetenz, mit der die Bank und der ÖGB geführt wurden, ist selbst für die milden Prüfer der Nationalbank nicht zu fassen, so daß dringender Verdacht auf Betrug und Unterschlagung großen Stils gegeben ist.

Den Verlust der Regierungsbeteiligung im Jahr 2000 konnten SPÖ und ÖGB noch verschmerzen, denn die Insignien der Macht waren noch halbwegs intakt; die SPÖ stellte den Bundespräsidenten, der Chef des ÖGB wurde sogar zum Vorsitzenden des Europäischen Gewerkschaftsbundes gewählt. Nach einigen Jahren der Opposition würde man wieder in die angestammten Machtpositionen in der Regierung zurückkehren, so die Rechnung der führenden Gewerkschafter. Sie irrten.

Bedenkt man, die Folgen des Gewerkschafts- und Bankenzusammenbruchs, zeigt sich, daß es sich um das folgenreichste gesellschaftliche Erdbeben in Österreich seit 1848 dem Entstehen erster Gewerkschaftsvereine beziehungsweise 1889 - dem Gründungsparteitag der Sozialdemokratischen Partei - handelt. Sowohl den Ersten Weltkrieg als auch den Zusammenbruch der Monarchie überdauerten die beiden Säulen der organisierten Arbeiterbewegung, ja sie erstarkten in der Folge bis zu ihrem Verbot unter der Dollfuß-Regierung und der Auslöschung Osterreichs durch das Deutsche Reich. Nach dem Ende der Naziherrschaft waren Gewerkschaft und Arbeiterbank sofort zur Stelle, die Organisationen hatten den Winterschlaf der Illegalität weitgehend unbeschädigt überdauert, ja, im Portefeuille der Bawag fanden sich nach dem Krieg nicht wenige Vermögenswerte, die aus dem Massenraub an jüdischen Eigentümern stammten.

In den folgenden Jahrzehnten erreichte die organisierte Arbeiterbewegung den Gipfel der Macht im Staat. Die Verstaatlichte Industrie (Betriebe der Schwer- und Grundstoffindustrie mit bis zu 110.000 Beschäftigten) sorgte - durch die unterpreisliche Weitergabe ihrer Vorprodukte an Private - nicht nur für die Wiederherstellung der heimischen Industriebourgeoisie, sie begründete in den siebziger Jahren auch ein Jahrzehnt der Vollbeschäftigung. Ohne Gewerkschaft lief in der Republik nichts; die Arbeiter sparten bei der Bawag, gingen zum »Konsum« einkaufen, flogen vermittelt durch das gewerkschaftseigene Reisebüro in den Süden, ließen sich die Autos vom ARBÖ reparieren und waren auf die »Arbeiterzeitung« (später »AZ«) abonniert. Der öko nomische Autholprozeß der Republik erfolgt durch Elemente der Planwirtschaft und kon trollierter Märkte und machte aus einem innerlich verfeindeten, bitterarmen Kleinstaat binnen einer Generation ein europäisches Vorzeigemodell. Die Gewerkschaftsspitzen erfuhren zumindest die politische, wenn auch nicht die gesellschaftliche Anerkennung der Großbourgeoisie.

Jahrzehntelang war der Präsident des Gewerkschaftsbunds gleichzeitig Präsident des Nationalrats. Der legendäre Gewerkschaftspräsident Benya, ein autoritäter rechter SPÖ-ler, der Kommunisten und die Moderne haßte, erschien denn auch als Mischung aus Papst und, seines Aussehens wegen, Louis de Funés. Aber ohne dessen Witz, denn Gewerkschaftsführer lachen nicht. Sie lieben das Kartenspiel, sitzen schon um sieben Uhr morgens im Büro, halten die Operettenmaschinerie in Mörbisch am Neusiedlersee für den Gipfelpunkt der Kunst, würden am liebsten Atomkraftwerke einweihen, die Au zubetonieren und Rapid Wien als Fußballmeister feiern. Und sie erfüllen das internationale Programm der Arbeiteraristokratie: den Verrat an der Arbeiterklasse, den Gewerkschaftsmitgliedern und der Linken. Der Streikfonds des ÖGB, jahrzehntelang ein Geheimnis, wurde verspekuliert, nun überwachen die Nationalbank und die in ihr residierenden Bankenvertreter jeden Cent der zwangsentmündigten und ihrer Kampfmittel verlustig gegangenen Gewerkschaft. Die SPÖ versucht, sich vom ÖGB zu distanzieren, sie tut grade so, als hätte sie das Wort »Gewerkschaft« noch nie gehört. Und doch sitzen Dutzende Spitzengewerkschafter seit Jahrzehnten mit SPÖ-Tickets in Parlament und Landtagen und erfreuen sich ihrer doppelten Einkommen.

Aber anders als in den späten achtziger Jahren, als der - ebenfalls von Gewerkschaftern verursachte Bankrott der Verstaatlichten Industrie und des »Konsum« den Aufstieg Jörg Haiders bewirkte und die FPÖ zur stärksten rechtsextremen Partei Europas machte, besteht diese Gefahr jetzt nicht. Die extreme Rechte ist, ähnlich wie der Front National in den neunziger Jahren, in zwei gleichstarke Lager gespalten. Kanzler Schüssel braucht ihre Hilfe nicht mehr, denn die Grünen dienen sich seit Jahren an, und eine jämmerliche Rest-Sozialdemokratie gäbe den letzten Gewerkschaftsbeitrag, dürfte sie als Juniorpartner am Regierungstisch Platz nehmen. So billig waren Rote in Österreich nie zu haben.

Für den Bankrott des Sozialismus in Osteuropa hatten österreichische Sozialdemokraten und Gewerkschafter nur Spott und Häme übrig. Auch sie wähnten sich als Sieger der Geschichte. Keine fünfzehn Jahre später ist auch die organisierte österreichische Arbeiterbewegung untergegangen, und das, zum Gaudium der Bourgeoisie, am Kampftag der Arbeiterklasse. Die einzige Kraft, die das noch nicht bemerkt hat, ist die Restlinke.

Erwin Riess in Konkret - http://www.konkret-magazin.de

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