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1950: Von der Putschlegende zur Rehabilitierung

  • Freitag, 25. September 2020 @ 08:00
Geschichte 65 Jahre nach der Streikbewegung vom September und Oktober 1950 hat der ÖGB die damals ausgeschlossenen kommunistischen GewerkschafterInnen rehabilitiert. Manfred Mugrauer, wissenschaftlicher Sekretär der Alfred Klahr Gesellschaft über den Oktoberstreik 1950.

Vor 65 Jahren, vom 26. September bis zum 5. Oktober 1950, erlebte Österreich die bis damals größte Streikbewegung der Zweiten Republik. Der Massenstreik richtete sich gegen das von der Regierung und Gewerkschaftsvertretern geheim ausgehandelte vierte Abkommen über Lohn- und Preisfragen, das auf eine neuerliche Reallohnsenkung hinauslief. Die KPÖ sprach sich strikt gegen den „Preistreiberpakt“ aus und erkannte im Streik das einzige Mittel, die Regierung zur Rücknahme des Abkommens zu zwingen. Insgesamt beteiligten sich am letztlich erfolglosen Oktoberstreik 769 Betriebe mit knapp 190.000 Beschäftigten.

„Kommunistischer Putschversuch“?

Der Oktoberstreik ist bis heute einer der umstrittensten „Erinnerungsorte“ der Zweiten Republik. Es handelte sich bei der Streikbewegung um eine zunächst spontane Aktion der unzufriedenen ArbeiterInnenschaft über Parteigrenzen hinweg, über deren Ausmaß sogar die KPÖ-Führung überrascht war, an der KommunistInnen aber schließlich führenden Anteil nahmen. Ungeachtet dieser Tatsache wurde die Lohnbewegung bis in die jüngere Vergangenheit herauf als ein von langer Hand geplanter Umsturzversuch der KPÖ denunziert. Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB), der am 26. September 1950 dem Lohn-Preis-Abkommen in einer Vorständekonferenz zugestimmt hatte, war neben der Bundesregierung und den beiden Großparteien einer der Hauptträger der Putschthese. Bereits in den Streiktagen wurde vom ÖGB eine massive Gegenkampagne gestartet, um den Protest der ArbeiterInnenschaft gegen die sozialen Belastungen als kommunistischen Putschversuch zu diskreditieren. Michael Frühwirth (SPÖ), Obmann der Gewerkschaft der Textilarbeiter, bezeichnete in einer Sitzung des ÖGB-Bundesvorstands unmittelbar nach dem Streik die kommunistischen Vorstandsmitglieder als „Putschisten und Landesverräter“.

In der akademischen Zeitgeschichtsforschung gilt die Putschthese bereits seit den 1970er Jahren als überwunden. Dies änderte jedoch nichts an der fortwährenden Präsenz dieser Geschichtslegende in der öffentlichen Wahrnehmung, ist sie doch nach wie vor nicht wegzudenken aus PolitikerInnenreden, aus der Memoirenliteratur, aus massenmedial verbreiteten Zeitungsartikeln und populärgeschichtlichen Darstellungen. Ewig auch unbelehrbar bleiben jene, die die Oppositionspolitik der KPÖ allein als „Destabilisierung“ und versuchten Umsturz einzuschätzen bereit sind und jegliche außerparlamentarische Aktivität als Vorbereitung zur Machtübernahme und zum Putsch deuten. Einer solch eingeschränkten Sicht ist es unmöglich, den Oktoberstreik als Höhepunkt einer Welle von Klassenauseinandersetzungen in den Nachkriegsjahren einzuordnen. So war die KPÖ bereits in den Vorjahren an der Spitze von Lohnbewegungen gestanden und konnte sich in diesen Jahren als Oppositionskraft gegen die kapitalistische Restauration profilieren.

Dass die Putschthese heute nicht nur in der seriösen Geschichtsschreibung, sondern auch innerhalb des ÖGB ihre Wirkungsmacht weitgehend eingebüßt hat, davon zeugte bereits eine Veranstaltung zum 60. Jahrestag des Streiks im ÖGB-Haus. So luden im Oktober 2010 der ÖGB-eigene Verband Österreichischer Gewerkschaftlicher Bildung, das Institut für Geschichte der Gewerkschaften und AK sowie die Alfred Klahr Gesellschaft zu einer gemeinsamen Tagung unter dem Titel „Mythos Putsch“, in deren Rahmen Univ.-Prof. Dr. Hans Hautmann auf die Entstehung und Funktion dieser Geschichtslegende einging.

ÖGB-interne Maßregelungen

2015, zum 65. Jahrestag der Streikbewegung, wurde nun die Rehabilitierung der nach dem Oktoberstreik gemaßregelten ArbeiterInnen auf die Tagesordnung gesetzt, waren doch nach Streikende dutzende GewerkschaftsfunktionärInnen ihrer Funktion enthoben und aus dem ÖGB ausgeschlossen worden. Insgesamt wurden etwa 1.000 ArbeiterInnen entlassen oder gekündigt, der Großteil in der VÖEST Linz und den Steyr-Werken. Im Aluminiumwerk Ranshofen war die gesamte Betriebsorganisation der KPÖ von der Kündigung betroffen.

Standen bereits die Vorjahre im Zeichen der Zurückdrängung des kommunistischen Einflusses in den Betrieben und Gewerkschaften, nutzte die ÖGB-Spitze nun die Ereignisse, um KommunistInnen aus den leitenden Gremien und führenden Positionen auszuschalten. In einigen Teilgewerkschaften wurden die kommunistischen Mitglieder aus den Vorständen entfernt und führende Funktionäre enthoben, etwa der leitende Zentralsekretär der Gewerkschaft der Angestellten in der Privatwirtschaft Otto Horn, sowie Leopold Hrdlicka (Privatangestellte), Hans Kouril (öffentliche Angestellte) Egon Kodicek (Textilarbeiter) und Fritz Neubauer (Bau-Holz) als stellvertretende Vorsitzende ihrer jeweiligen Gewerkschaft oder auch Fritz Lauscher als stellvertretender Obmann der Landesexekutive des ÖGB Niederösterreich. Aus dem Zentralvorstand der Metallarbeitergewerkschaft wurden vier der acht Kommunisten ausgeschlossen. Am stärksten war der antikommunistische Vorstoß in der Gewerkschaft der Bau- und Holzarbeiter, aus deren Reihen Franz Olah bereits in den Streiktagen seine etwa 2.000 Mann starke Prügelgarde zur Zurückschlagung der Streikenden rekrutierte. So fasste deren Hauptvorstand in der Sitzung am 17. Oktober 1950 den Beschluss, alle Mitglieder des Hauptvorstands und der Landesvorstände, welche der KPÖ angehörten oder mit ihr zusammenarbeiteten, sowie die Obmänner von Ortsgruppen und Zahlstellen von ihren Funktionen zu entheben. Die kommunistischen Vorstandsmitglieder waren zu dieser Sitzung nicht einmal eingeladen worden.

Bereits am 6. Oktober 1950, einen Tag nach Streikende, war vom Parteivorstand der SPÖ beschlossen worden, dass „alle kommunistischen Elemente unter den Gewerkschaftsangestellten, die in den letzten 14 Tagen es unterlassen haben, sich offen und rückhaltlos zu den Mehrheitsbeschlüssen der Vorständekonferenz zu bekennen, aus der Gewerkschaftsbewegung rücksichtslos entfernt werden“. Tatsächlich wurde nach Streikende gegen einige kommunistische Gewerkschaftsangestellte auch arbeitsrechtlich vorgegangen. Neben dem Vizepräsidenten Gottlieb Fiala wurden zehn weitere kommunistische Gewerkschaftssekretäre ihrer Funktion enthoben und fristlos entlassen bzw. gekündigt: Karl Blumenschein (Linz), August Moser (Steyr) und Josef Waidenauer – und damit drei von sieben kommunistischen Sekretären bei den Metallern, ferner Willibald Groß bei den Graphikern, Leopold Hess, Egon Kodicek und Wolfgang Szabo bei den Textilarbeitern sowie Josef Martin, Fritz Neubauer und Josef Wimmer (Linz) bei den Bau-Holzarbeitern.

Ausschlüsse aus der Gewerkschaft

Vom ÖGB-Vorstand wiederum wurde am 19. Oktober festgelegt, dass jene Gewerkschaftsmitglieder, die gegen die zustimmenden Beschlüsse des ÖGB zum 4. Lohn-Preis-Abkommen mit Gewalt vorgegangen seien, ausgeschlossen werden sollen. In den folgenden Wochen verloren insgesamt 85 KollegInnen ihre Mitgliedschaft im Gewerkschaftsbund. Begründet wurde diese Maßnahme weniger mit ihrer Teilnahme an einem angeblichen Putschversuch, vielmehr wurde den Ausgeschlossenen nicht statutenkonformes und gewerkschaftsschädigendes Verhalten vorgeworfen. „Bis zur Vorständekonferenz des Gewerkschaftsbundes war es das Recht der kommunistischen Gewerkschaftsfunktionäre, zum Kampf gegen den sogenannten ,Preistreiber‘pakt aufzurufen. Von dem Zeitpunkt ab, da die Vorständekonferenz und die Gewerkschaftsleitungen ihre zustimmenden Beschlüsse gefass hatten, richteten sich die Stellung gegen das Lohn- und Preisabkommen und der Aufruf zum Streik gegen den Gewerkschaftsbund und widersprachen seinen Statuten“, war in einer unmittelbar nach dem Streik vom ÖGB herausgegebenen Broschüre zu lesen.

Diese formalbürokratische Argumentation ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Zum einen wurde damit von den KommunistInnen mehr oder weniger verlangt, aufzuhören KommunistInnen zu sein. Denn es wäre wohl kaum Ausdruck einer klassenorientierten Politik gewesen, allein aufgrund eines Beschlusses der ÖGB-Vorständekonferenz die Belastungspolitik der Regierung kampflos hinzunehmen. Die KPÖ hätte sich damit in den Augen der klassenbewussten und kampfbereiten ArbeiterInnenschaft völlig kompromittiert. Zum anderen entsprach dieses Insistieren auf die Statuten auch nicht der sonst geübten Praxis des ÖGB: So gab es etwa keine Ausschlüsse bei nicht anerkannten Streiks in den 1940er Jahren, und auch auf den versuchten Sturm der Anhänger des früheren ÖGB-Präsidenten Franz Olah auf die ÖGB-Zentrale im Jahr 1964 folgten keine Ausschlüsse der Beteiligten.

HistorikerInnenkommission

In den folgenden Jahren wurden einige der ausgeschlossenen Gewerkschaftsmitglieder auf individuelle Ansuchen hin wieder in den ÖGB aufgenommen, so etwa der Angestelltenbetriebsrat der Steyr-Werke Leopold Linsenmayr im November 1955 oder der Metallarbeitersekretär Gustl Moser im Jahr 1957. Es handelte sich dabei um stillschweigende Maßnahmen, ohne die Rechtmäßigkeit der 1950 verhängten Sanktionen in Frage zu stellen.

Anlässlich des 70. Jahrestags der Gründung des ÖGB ist der Gewerkschaftliche Linksblock (GLB) im Frühjahr dieses Jahres an die Geschäftsleitung des ÖGB herangetreten, dessen Mitbegründer und ersten Vizepräsidenten Gottlieb Fiala – und mit ihm alle nach dem Oktoberstreik ausgeschlossenen KollegInnen – zu rehabilitieren und die damaligen Maßregelungen für ungültig zu erklären. In Reaktion darauf hat der ÖGB-Bundesvorstand eine vierköpfige HistorikerInnenkommission eingesetzt, der zwei vom ÖGB namhaft gemachte HistorikerInnen – Peter Autengruber (Leiter des ÖGB-Verlags) und Brigitte Pellar (ehemalige Leiterin des Instituts für Gewerkschafts- und Arbeiterkammergeschichte) – sowie zwei vom GLB nominierte Mitglieder – Hans Hautmann (vormals Universitätsprofessor für Neuere und Zeitgeschichte an der Universität Linz) und Manfred Mugrauer (wissenschaftlicher Sekretär der Alfred Klahr Gesellschaft) – angehörten.

Die HistorikerInnenkommission erarbeitete einen Bericht, in dem unter Bezugnahme auf die zeitgeschichtliche Forschung festgehalten wird, dass die Streikbewegung vom September und Oktober 1950 nicht als kommunistischer Putschversuch zu interpretieren ist. Als Schlussfolgerung wurden den zuständigen Gremien die Rehabilitierung der damals Ausgeschlossenen und ihre posthume Anerkennung als Gewerkschaftsmitglieder empfohlen. Damit verbunden war die Absicht, sich diesem Thema in biographischer Hinsicht möglichst genau anzunähern. Der Gewerkschaftshistoriker und langjährige Leiter des ÖGB-Verlags Fritz Klenner führt in seiner in mehreren Auflagen erschienenen Gewerkschaftsgeschichte insgesamt 85 ausgeschlossene Gewerkschaftsmitglieder an. Aufgrund der schwierigen Quellenlage und des Fehlens von ÖGB-internem Organisationsmaterial lässt sich diese Zahl heute nicht mehr rekonstruieren. Die vom ÖGB initiierte HistorikerInnenkommission hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, auf Basis von Archivmaterialien und gedruckten zeitgenössischen Quellen – etwa der Berichterstattung in Gewerkschaftszeitungen und den Protokollen von Gewerkschaftstagen der Einzelgewerkschaften – möglichst viele Namen der damals Gemaßregelten festzustellen, um auf dieser Grundlage deren Rehabilitierung beschließen zu können.

Konkret konnten dabei in mehrwöchiger Recherche 62 Namen von Ausgeschlossenen ermittelt werden, insgesamt sind mindestens 68 Ausschlüsse belegt. An ihrer Spitze steht Gottlieb Fiala, gefolgt von den oben genannten kommunistischen Gewerkschaftsfunktionären und -sekretären mit Ausnahme von Otto Horn, der aufgrund seiner fehlenden Distanzierung von den Handlungen der Auszuschließenden zwar gemaßregelt, aber nicht ausgeschlossen wurde. Am meisten Ausschlüsse gab es in der Gewerkschaft der Metall- und Bergarbeiter, nämlich 29, u.a. mehrere Betriebsräte der Alpine Donawitz mit dem Betriebsratsobmann Franz Petz an der Spitze, Johann Czernobila (Betriebsratsobmann von Hofherr-Schrantz in Wien-Floridsdorf), Heinrich Huber (Betriebsratsobmann von Waagner-Bíro in Wien-Stadlau), sowie Ernst Schmidt (Betriebsratsobmann Austro-Fiat in Wien-Floridsdorf), der Hauptreferent der am 30. September 1950 zusammengetretenen gesamtösterreichischen Betriebsrätekonferenz.

Halbherziger Beschluss

Am 29. Oktober befasste sich schließlich der Bundesvorstand des ÖGB mit der Neubewertung des Oktoberstreiks, wobei einstimmig – also mit den Stimmen aller Fraktionen – beschlossen wurde, die Behauptung, dass es sich dabei um einen kommunistischen Putschversuch gehandelt habe, als widerlegt zu betrachten. Geht es nach der ÖGB-Führung, so soll sich der Beschluss offenbar primär nach innen richten, wurde er doch weder in der anschließenden Presseaussendung erwähnt noch ist er auf der Homepage des ÖGB abrufbar. Er zielt etwa darauf ab, die gewerkschaftlichen Bildungsunterlagen der neuen Beschlusslage anzupassen, also in den Gewerkschaftsschulen Klarheit über den Charakter der Streikbewegung zu schaffen.

Eine gewisse Halbherzigkeit lässt sich aus der abschließenden Formulierung des Beschlusses herauslesen: Darin wird zwar festgehalten, dass die gemaßregelten Gewerkschaftsmitglieder „nach heutigem Wissensstand nicht auszuschließen gewesen wären“, gleichzeitig wird aber vermieden, expressis verbis von einer Rehabilitierung der damals ausgeschlossenen KollegInnen zu sprechen. Die Rehabilitation hätte „eine höhere Qualität, wenn sich der Bundesvorstand zu der Empfehlung der HistiorikerInnenkommission durchgerungen hätte und die Ausschlüsse für nichtig erklärt hätte“, kritisierte GLB-Bundesvorsitzender Josef Stingl in der Sitzung des Bundesvorstands unter Bezugnahme auf den vorliegenden Bericht der HistorikerInnen, der die zur Rehabilitierung Vorgeschlagenen namentlich aufgelistet hatte. Nichtsdestoweniger ist dieser Beschluss des ÖGB-Bundesvorstands ein bedeutender Markstein in der Rezeptionsgeschichte des Oktoberstreiks, markiert er doch den innergewerkschaftlichen Schlusspunkt unter den überaus langlebigen Mythos vom „Kommunistenputsch“.

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