Freitag, 1. Februar 2013 @ 10:19
Eine Auseinandersetzung mit dem Beitrag von Österreichern am „Unternehmen Barbarossa“ gibt es bis heute nur ansatzweise. Von Robert Streibel.
Vor 70 Jahren fügte die Rote Armee der Deutschen Wehrmacht eine vernichtende Niederlage zu. Am 3. Februar 1943 meldete das Oberkommando der Wehrmacht, dass die 6.Armee bis zum letzten Atemzug gekämpft habe, dass sie jedoch einer „Übermacht“ und „ungünstigen Verhältnissen“ erlegen sei. Eine Million Tote lagen auf dem Schlachtfeld – Sowjets, Deutsche, Rumänen, Italiener, und die Zivilisten nicht zu vergessen. Von den 110.000 gefangenen Deutschen überlebten maximal 6000 die Kriegsgefangenschaft. Ist es ein gutes oder schlechtes Zeichen, dass dieses Ereignis heute unbedacht bleibt?
Während die Schlacht tobte, wurden im ganzen Deutschen Reich Wegweiser aufgestellt, um zu markieren, wie weit es bis Stalingrad ist, und um den Kampf aller Deutschen gegen den „blindwütigen Bolschewismus“ zu propagieren. Aus Österreich führen heute kein Weg und kein Gedenken dorthin. Das Motto lautet militärisch: schleichen, ducken und tarnen.
Bis heute fehlen eine Auseinandersetzung mit dem Beitrag von Österreichern am „Unternehmen Barbarossa“ und eine differenziertere Darstellung der österreichischen Beteiligung am Zweiten Weltkrieg überhaupt. Militärgeschichte war und ist für viele Historikerinnen und Historiker ein Gräuel, ich darf mich da nicht ausnehmen.
Zu viel Shoah, zu wenig Krieg
Der Krieg ist böse und schrecklich. Und wer über den Krieg schreibt und arbeitet, versucht zumindest hypothetisch, verlorene Schlachten vielleicht doch noch zu gewinnen. Dass es auch anders geht, zeigen die Arbeiten deutscher Historiker wie Rolf-Dieter Müller, Gerd R. Ueberschär, Wolfram Wette und Jochen Hellbeck.
Eine andere Art der Militärgeschichte ist genauso überfällig wie eine Tätergeschichte. Beides ist in Österreich nur in Ansätzen zu finden. Es ist inzwischen leicht, die Geschichte der Opfer der Shoah zu schreiben. Für die Geschichtsforschung heißt es heute aber: Wir haben zu viel Shoah und zu wenig Krieg. Das „Missing Link der Shoah“ liegt aber im Krieg, in den Pripjat-Sümpfen in Weißrussland und der Ukraine zwischen der Heeresgruppe Mitte und Süd.
Die gesamte Geschichte erzählen
Die Geschichte der Väter und Großväter in deutscher Uniform ist nicht geschrieben. Ihre Geschichten wurden nicht gehört, sie wurden auch nicht erzählt – außer an Biertischen und zu später Stunde. Und wenn sie erzählt wurden, dann so, dass wir Jungen das nicht hören wollten und konnten. Schmerz und Trauer dieser Generation konnten auch nicht ernst genommen werden, weil die Shoah verleugnet wurde.
Stalingrad ist der liebste Ort der Deutschen und Österreicher. Denn dort konnten und können die Soldaten der Wehrmacht endlich richtig Opfer sein. Dies gilt es zu durchbrechen, um die gesamte Geschichte zu erzählen – auch das, was auf dem Weg bis Stalingrad alles passiert ist und worüber geschwiegen wurde.
Die Deutschen haben in Wolgograd zur Erinnerung eine Schule und ein Gemeindezentrum gebaut, die Italiener haben in Rossosch einen Kindergarten. Österreich hingegen hat das Privileg, als einziges Land eine Stahlpyramide in die russische Ebene als Erinnerung an die Gefallenen gestellt zu haben. Zum Ducken, Täuschen und Tarnen fehlt noch eines: eine große Portion Verlogenheit.
Dr. Robert Streibel (*1959) ist Historiker, Direktor der VHS Hietzing in Wien, Schwerpunkte: Krems 1938–1945, Shoah, Exil, Widerstand.
Bis 1. März ist in der VHS Hietzing die einzige Ausstellung zum Thema 70 Jahre Stalingrad in Österreich zu sehen. Die Fotoausstellung: Stalingrad – eine Begegnung (Mo–Fr 8–20 Uhr).
Quelle: Die Presse 1.2.2013, www.diepresse.com[*1]