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Erklärung der Europäischen Linken

  • Samstag, 16. Juli 2011 @ 23:00
Europa Die EU wird entweder zu einer demokratischen und sozialen werden und solidarisch handeln, oder sie wird untergehen!

Heute durchlebt die EU die schlimmste Krise seit ihrer Gründung. Diese Krise ist Teil einer weltweiten Finanz-, Wirtschafts-, Umwelt- und politischen Krise, die die Menschen sehr hart trifft, insbesondere die Frauen und jungen Leute, deren Zukunft sich verdüstert.

Eine neue Periode hat begonnen, in der die Kapitalisten bereit sind alles zu tun, um ihre Interessen zu schützen und nicht für die Krise zu bezahlen, wofür sie auch die Bedrohung der Demokratie in Kauf nehmen und ganze Völker in die Knie zwingen. In Griechenland, Portugal, Spanien und Irland organisieren die Regierungen in Übereinstimmung mit den Auflagen der „Troika“ – bestehend aus der Europäischen Kommission, der EZB und dem IWF – die Ausplünderung in großem Stil und verordnen den Menschen brutale und ineffektive Sparmaßnahmen, Privatisierungen und die Zerstörung ihrer sozialen Rechte. Die Angriffe gegen diese Länder und die rassistischen Kampagnen gegen die „faulen Menschen aus dem Süden“ sind völlig inakzeptabel. Die EL bekräftigt einmal mehr ihre unerschütterliche Solidarität mit den Betroffenen.

Diese Offensive breitet sich gerade in Form des Euro-Pakts und der „Economic Governance“ auf alle EU-Länder aus, mit Maßnahmen, die darauf abzielen, das Wenige, was vom Sozialstaat und den öffentlichen Dienstleistungen übrig geblieben ist, abzubauen, während Gehälter und soziale Rechte unter Druck geraten. Die Staaten werden dazu aufgefordert, diese zerstörerische Politik umzusetzen und würden automatisch bestraft, wenn sie sich weigerten. Diese erzwungene Harmonisierung ist gerade dabei, die Idee von einer Union zu zerstören, die auf Solidarität unter den Ländern Europas beruht. Sie führt Europa in eine Sackgasse, aus der heraus sich unmöglich eine Zukunft für junge Menschen eröffnen kann.

Angesichts dieser Situation sind starke Widerstandsbewegungen am ganzen Kontinent entstanden. Ein starker Wunsch nach Alternativen kommt in den Mobilisierungen der „Indignants“ („Empörten“) in Spanien, in Griechenland und in ganz Europa zum Ausdruck, die zurecht wirkliche Demokratie fordern und dass Geld zur Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen verwendet wird. Die vielen Generalstreiks und die sozialen Unruhen, die in Griechenland, Spanien, Frankreich, Portugal, Großbritannien und anderen Ländern stattgefunden haben, rufen nach einer sofortigen Änderung der Politik.

Die EL hat schon immer das bestehende Modell der EU-Konstruktion kritisiert, wonach die Institutionen und Politiken dem Primat der Interessen der herrschenden Klassen in den EU-Mitgliedsstaaten, der Finanzmärkte und der Banken untergeordnet werden und die Interessen der Menschen demgegenüber auf der Strecke bleiben. Die EL hat immer die Politiken des Sozial- und Steuerdumpings, die Deregulierung der Märkte und die Regeln, die von der Europäischen Zentralbank aufoktroyiert wurden, bekämpft, die allesamt die Ursache der Staatsverschuldung bilden.

Die EL steht für eine andere Art der Konstruktion Europas. Ultranationalistische und Europa-chauvinistische Forderungen führen in eine Sackgasse. Die diese begleitenden Rufe nach „nationaler Einheit“, die von den sozialdemokratischen, konservativen und liberalen Führern in vielen Ländern zu hören sind, zielen darauf ab, den Konsens für neoliberale Lösungen zu stärken. Sie sind nicht die Lösung. Es ist Zeit für Solidarität und die Neugründung der EU: Diese wird entweder demokratisch, sozial und solidarisch sein oder sie wird untergehen.

Das Bestreben der EL ist es, die Kämpfe in Europa zusammenzuführen. Die EL ruft daher alle Kräfte auf, die Widerstand leisten – Gewerkschaften, Intellektuelle, Kulturschaffende, ProtagonistInnen der sozialen Bewegungen – überall gegen die Sparpolitiken Widerstandsfronten zu bilden und damit den Primat der Bedürfnisse der Menschen gegenüber den Forderungen der Finanzwelt durchzusetzen.

Das Bestreben der EL ist es, eine linke Alternative zu entwickeln, die den Kämpfen eine politische Perspektive verleiht. Daher lädt die EL ein, folgende Vorschläge zu diskutieren:
- Wir bekämpfen die Sparmaßnahmen und die Privatisierungen, die nur dazu dienen, neue Märkte und Profite für die Kapitalisten zu schaffen. Die Mitgliedsparteien der Europäischen Linken haben gegen die nationalen Sparpläne der EU gestimmt.
- Wir wollen die öffentlichen Dienstleistungen verteidigen, verbessern und ausbauen, um damit die sozialen Ungleichheiten zu bekämpfen.
- Wir lehnen mit Nachdruck den Euro-Pakt und die neue Economic Governance ab, die darauf abzielen in allen europäischen Ländern die Sparpolitik zu institutionalisieren.
- Wir fordern auf europäischer Ebene öffentliche Bilanzprüfungen was die Staatschulden anbelangt und eine Umschuldung durch einen selektiven Schuldenerlass ebenso wie die Verlängerung der Zahlungsfristen, Zahlungserleichterungen (für die Pensionsfonds und staatliche Guthaben) und Eurobonds.
- Wir kämpfen für Geld- und Wirtschaftspolitiken im Dienst der Menschen.

Um auf die Dringlichkeit der Situation zu reagieren und auch um neue Krisen zu vermeiden und um ein neues Entwicklungsmodell für Europa umzusetzen, schlagen wir vor, die Rolle und die Aufgaben der EZB zu verändern. Die EZB sollte dringend einen Teil der Schulden einzelner Staaten absorbieren. Sie muss auch ihre Macht als Geld schöpfende Einrichtung dafür einsetzen, dass Projekte für die Schaffung regulärer Arbeitsplätze (in der Industrie, der Forschung, in neuen Produktionsarten etc.) finanziert werden ebenso wie nationalstaatliche und europäische öffentliche Dienstleistungen.

Unter dieser Perspektive wird die EL auch das Instrument der Europäischen BürgerInneninitiative einsetzen, um mit den europäischen BürgerInnen zu diskutieren und ihnen die Schaffung eines Europäischen Fonds für Gesellschaftliche Entwicklung und Solidarität vorzuschlagen. Im Gegensatz zum Europäischen Stabilitätsfonds soll dieser die finanziellen Mittel zugunsten von Sozial- und Umweltprojekten umverteilen. Dieser Fonds wäre durch die EZB, einen Teil des EU-Budgets und einer Finanztransaktionssteuer zu finanzieren und würde öffentliche Investitionen von den Finanzmärkten entkoppeln und die Spekulanten entwaffnen.

Die öffentliche und demokratische Kontrolle der Banken und des Finanzsektors ist ein Werkzeug zur Durchsetzung der Kontrolle der Wirtschaft durch die Bevölkerungen. Das umfasst die Perspektive der Verstaatlichung der Banken, die ihre Gewinne aus dem Desaster ziehen, wie bspw. die Deutsche Bank. Kredite, Investitionsvorhaben, Finanztransaktionen sollten nicht der Spekulation zur Verfügung stehen, sondern Projekten, die Arbeitsplätze schaffen, öffentliche Dienstleistungen erhalten und ökologisch nachhaltig sind. Eine im öffentlichen Eigentum befindliche Kreditkasse ist ein Schlüsselinstrument zur Erreichung dieses Zwecks.

Wir kämpfen für eine radikale Umverteilung des Reichtums, ein gerechtes Steuersystem in den einzelnen Ländern und der EU insgesamt und für Maßnahmen zur Vermeidung von Dumping. Im Gegensatz zu den neoliberalen Politiken, die die Steuern für niedrige und mittlere Einkommen erhöhen, wollen wir, dass die reichen Leute und der Gewinn, der aus Kapital gezogen wird, mehr beitragen und dass Finanztransaktionen besteuert werden. Diese Grundsätze sollten in der EU harmonisiert werden, damit ein gegen die Menschen gerichteter Steuerwettbewerb vermieden wird. Die so gewonnenen neuen Ressourcen werden dazu führen, dass die EU- und die Budgets der Einzelstaaten erhöht werden und zu einem Werkzeug für die Verringerung von Ungleichheit zwischen Ländern und Völkern werden.

Gemeinsam mit den Gewerkschaften, insbesondere mit dem Europäischen Gewerkschaftsbund, fordern wir gleiche soziale Rechte und Standards. Schluss mit dem Wettbewerb zwischen den Arbeitenden, der die Gehälter und Rechte verringert! Wir wollen Lohnerhöhungen in ganz Europa, entweder per Gesetz oder durch Kollektivverträge, die progressiv angepasst sind und die jeweilige Situation in den einzelnen Ländern berücksichtigt.

Wir wollen neue Rechte für die Arbeitenden in den Unternehmen, die es ihnen erlauben, über Ausrichtung und Organisation ihrer Arbeit mit zu entscheiden, einschließlich des Rechts, Widerspruch gegen Spekulations-, Abbau- und Absiedelungspläne einzulegen. Wir wollen Werkzeuge, die es den Arbeitenden erlauben, in ihrem Unternehmen gegen Prekarisierung zu kämpfen und Anstellungs- und Ausbildungssicherheit als Grundprinzipien des Arbeitsrechts oder der Kollektivverträge in den Ländern Europas. Eine Angleichung des Arbeitsrechts „nach oben“ kann zur Vermeidung von Sozialdumping beitragen. Für den Anfang könnte das durch eine „Meistbegünstigungsklausel im europäischen Arbeitsrecht“ geschehen, wie Feministinnen es in Bezug auf Frauenrechte fordern.

Wir wollen wirkliche Demokratie in Europa. Wir kämpfen gegen die autoritären und repressiven Politiken einer Reihe von nationalstaatlichen Regierungen und der EU-Führung. Die Unterdrückung durch und die Vorherrschaft von nicht gewählten Körperschaften wie z.B. des IWF und anderer, die keiner demokratischen Kontrolle unterliegen, wie z.B. der EZB, muss eine Ende finden. Die Partizipation durch die Bevölkerungen in allen ihren Formen (öffentliche Debatten, die Europäische BürgerInneninitiative, Volksbefragungen…) muss das Herzstück der Mechanismen der europäischen Institutionen bilden. Die Macht der gewählten Körperschaften, einschließlich der lokalen und nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments, muss gestärkt werden.

Echte Demokratie auf allen Ebenen kann fiskalische Verantwortung und Transparenz gewährleisten und die Schaffung von Arbeitsplätzen ermöglichen, wobei die sozialen Rechte, die Gleichheit von Mann und Frau, die Verringerung von Armut und Prekarität und Respekt für die Rechte von MigrantInnen zu garantieren sind. Demokratie kann den Weg zu allen sozialen Veränderungen eröffnen, die die europäischen Gesellschaften heute brauchen. Damit dies auch geschieht, müssten die gegenwärtigen EU-Verträge radikal dahingehend verändert werden, dass die Bedürfnisse der Menschen und die Demokratie ihre Grundlage bilden und zwar mittels Entscheidungen, die durch Volksabstimmungen ratifiziert werden, wobei das Hauptziel darin besteht, das neoliberale Modell abzulösen und die Demokratie zu sichern.

In Übereinstimmung mit diesen grundsätzlichen Prinzipien und diesen politischen Zielen, bekräftigt die EL ihre Unterstützung für eine europaweite Front des Widerstands und der Alternativen, die imstande ist, die gegenwärtigen Machtverhältnisse radikal zu verändern. Ab heute wird die EL sich in den Dienst jener Kräfte stellen, die kämpfen – insbesondere der Gewerkschaften und der Bewegung der „Empörten“, sich mit ihnen in jeder nur möglichen Art vernetzen, einschließlich elektronischer und alternativer Medien. Sie unterstützt die europäischen Mobilisierungen, zu denen die nationalen und europäischen Gewerkschaften und die Bewegung der Entrüsteten für den 15. Oktober aufrufen ebenso wie die Demonstrationen gegen die G-20 am 1. November in Frankreich, und wird sich an ihnen beteiligen.

Vorstand der Europäischen Linken, Trevi (I), 16. Juli 2011


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