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Franz Drabers Flucht aus der Todeszelle

  • Montag, 7. März 2011 @ 13:10
Biografien Eines der markantesten Kapitel aus der Geschichte des antifaschistischen Widerstandes in Oberösterreich war der Ausbruch von drei Steyrer Kommunisten aus der Todeszelle des Zuchthauses Stadelheim in München am 30. November 1944. Zweien gelang die Flucht, der dritte, Karl Punzer, wurde gefasst und am 5. Dezember hingerichtet. Franz Draber, einer der Überlebenden dieser legendären Flucht, Jahrgang 1913, er lebt heute in Steyr, berichtet:

Ich wurde im September 1942 verhaftet, nachdem ich 1939 eingerückt und 1940 zur Rüstungsarbeit nach Steyr abkommandiert worden war. Wir hatten in der Werks-Sportbewegung und im Werk selbst illegale Zellen der KPÖ aufgebaut und Gelder für die Angehörigen von inhaftierten Genossen gesammelt. Insgesamt sind damals über 30 Verhaftungen vorgenommen worden.

Der Prozess gegen uns war ursprünglich in Berlin vorgesehen. Wegen der Bombenangriffe wurde er nach München verlegt. Die Verhandlung fand dort im Justizpalast am 23. Und 24. Mai 1944 vor dem 5. Senat des Volksgerichtshofes statt. Es wurden sechs Todesurteile wegen Vorbereitung zum Hochverrat, begangen durch den Versuch, „die Ostmark vom Reiche loszureißen”, gefällt. Die Todesurteile betrafen Karl Punzer, Sepp Bloderer, Hans Palme, Hans Riepl, Josef Ulram und mich.

Ich verbrachte einige Wochen in Dunkelhaft, bei hartem Lager und in Ketten gelegt, weil ich durch Absägen des Fenstergitters einen Fluchtversuch gemacht hatte. Aber die Wachtmeister meldeten den Vorfall nicht nach „oben”, sie hatten zu uns ein gutes Verhältnis. Das hing vorwiegend damit zusammen, dass die Arbeitskräfte schon sehr knapp und wir Steyrer gute Handwerker waren. Punzer stellte als Tischler für die Wachtmeister Einrichtungen her, ich reparierte Nähmaschinen und bastelte für die Aufseher diverse Gegenstände. Wir wurden sogar zur Reparatur der Schlösser in den Aufseherhäusern eingesetzt. Dadurch konnten wir uns einen Überblick verschaffen und dies kam uns sehr zustatten, weil wir uns in den Gebäuden einigermaßen auskannten.

Im Sommer und Herbst 1944 wurden schwere Bombenangriffe auf München geflogen, von denen auch das Zuchthaus Stadelheim schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde. Bei einem dieser Angriffe waren wir schon zur Flucht bereit, zwei Wachtmeister waren durch Mauertrümmer erschlagen worden. Aber wir wurden wieder in die Zellen zurückgebracht.

„Es ist noch keiner herausgekommen”

Durch die Bombardierung wurde auch mehrere Male die Wasserleitung zerstört. Da aber die Hinrichtungen in einem der Höfe weitergingen, wurden wir zum Wassertragen eingesetzt. Wir mussten zehn schwere Behälter schleppen, damit die Hinrichtungsstelle vom Blut gesäubert werden konnte.

Inzwischen waren schon zwei Begnadigungsgesuche abgelehnt worden und wir wussten, dass wir keine Chance mehr hatte. Ein Wachtmeister sagte uns: „Burschen, ich bin hier seit 25 Jahren. Es ist noch keiner herausgekommen.” Obwohl im Allgemeinen die zum Tode Verurteilten in Einzelzellen untergebracht waren, wurden infolge des drückenden Raummangels und der Überfüllung des Zuchthauses wir drei Steyrer in einer Zelle untergebracht.

Da erfuhren wir nach einem dieser Bombenangriffe, dass am nächsten Tag die Wasserleitung wieder in Betrieb genommen würde. Für den Vormittag dieses Tages waren wir aber noch zum Wassertragen eingesetzt, offenbar für den Fall, dass die Leitung doch noch nicht richtig funktionieren würde. Wir wussten, dass dies die letzte Möglichkeit ist. Es war Donnerstag, der 30. November 1944.

Wir hatten unsere Pullover unter dem Gefängnisdrillich angezogen. Bis zur endgültigen Bestätigung des Urteils waren wir nämlich formell immer noch Untersuchungsgefangene und konnten daher Anstaltskleidung ohne besondere Zeichen tragen. Auch hatten wir noch normal lange Haare.

Die Flucht gelingt

Es war vereinbart, dass ich den beiden, während wir die Wasserbehälter aufnahmen, einen Stoß geben würde, worauf wir zu laufen beginnen würden, auf die Beamtenhäuser zu, die im Hof des Zuchthauses standen. Hinter den Häusern führte eine kleine eiserne Tür in der hohen Mauer ins Freie. Es war dies eine Tür, durch welche die Frauen der Aufseher einkaufen gingen.

Es ging alles genau nach Verabredung. Es war 9 Uhr Vormittag. Als wir zu laufen begannen, herrschte zunächst Verwirrung und der Posten schrie: „Macht’s keinen Blödsinn!” Wir liefen auf die Mauer hinter den Aufseherhäusern zu, die kleine eiserne Tür war offen. Dann heulten die Sirenen. Ich war ein guter Läufer gewesen, vor allem in der 3.000- und 10.000-Meter-Disziplin. Daher hatte ich bald einen bestimmten Vorsprung vor den anderen. Es herrschte Nebel und ich sah Bloderer und Punzer hinter mir. Im Freien ernteten Gefangene Kraut und Rüben, sie wurden von den Aufsehern aufgefordert, uns den Weg abzuschneiden, was aber nicht gelang. Punzer jedoch bekam einen Schwächeanfall, stürzte und wurde von den Aufsehern eingeholt und zurückgebracht. Er ist am 5. Dezember 1944 zusammen mit Palme, Riepl und Ulram hingerichtet worden.

Sepp Bloderer konnte in den Perlacher Friedhof gelangen, der etwa 200 Meter vom Zuchthaus Stadelheim entfernt lag. Dort konnte er sich bei einem frischen Grab mit Kränzen zudecken und er ist dann über Rosenheim nach Österreich gelangt.

Ich selbst bin auf einem Feldweg neben der Friedhofsmauer weitergelaufen. Ich wusste, dass ich in kurzer Zeit soweit als möglich von Stadelheim wegkommen muss, weil alles zu unserer Verfolgung eingesetzt sein würde. Vor Erschöpfung bin ich hinter einen lebenden Zaun gefallen und konnte mich dort wieder etwas erholen.

Zunächst hab ich nach längerem Marsch lediglich eine Tafel gesehen, auf der zu lesen stand: 11 Kilometer nach München. In einer nahe gelegenen Kaserne sah ich die Soldaten antreten. In der Nähe eines Bahnhofes kam mir ein SS-Mann mit einem Hund entgegen, der mich auch beschnuppert hat. ich bin auf eine Schottergrube zugegangen, als hätte ich dort zu arbeiten, und der SS-Mann schöpfe keinen Verdacht.

Tag und Nacht marschiert

Hinter einem Strauch habe ich mir die Blasen an den Füßen aufgestochen und bin dann durch kleine Siedlungen marschiert. An einem Waldrand habe ich meine Erkennungsmarke und einen Abschiedsbrief vergraben. Ich bin weitermarschiert und bin schließlich an die Isar gekommen. Da wusste ich, dass ich mich viel zu weit nach Norden gehalten hatte. Ich hatte 50 Mark bei mir, die einem ehemaligen Zellenkameraden in Brot eingebacken ins Gefängnis geschmuggelt worden waren und der sie mir gegeben hat.

Ich ging schnell in ein Gasthaus und trank einen Sprudel, wobei ich an der Wand eine Luftschutzkarte sah. Ich prägte mir die Karte ein und begann wieder zurück in Richtung Südosten zu marschieren. Dann wurde Fliegeralarm gegeben. Ein Gendarm auf einem Rad kam mir entgegen und fuhr vorbei. In einem Reisighaufen vergraben habe ich dann vor Müdigkeit fast einen ganzen Tag lang geschlafen. im Allgemeinen bin ich aber bei Tag und Nacht marschiert.

Einen Bauern habe ich nach dem Weg nach Mattighofen gefragt, denn dort müsste ich hin, nachdem ich bei einem Fliegerangriff verwundet worden sei. In der Nähe eines Dorfes wurde ich in einem Kleeschober entdeckt. Ich bin wieder eilig in einen Wald ausgewichen. Es begann zu schneien, die Flocken sind waagrecht dahergekommen, und es war bitter kalt.

Eine kleine Hilfe

Die Kälte hat mich zum Marschieren gezwungen. Dann haben mich Schulkinder entdeckt und sind vor mir davongelaufen, weil mein Anblick sie in Angst und Schrecken versetzt haben muss. In einem kleinen Haus habe ich eine Frau um einen Schöpflöffel Suppe gebeten. Dabei habe ich abermals von meinem Ziel Mattighofen gesprochen. Die Frau hat mir Suppe und einen Semmelknödel gegeben und auch Nadel und Zwirn, damit ich mir meine zerfetzten Kleider etwas richten kann.

Ich habe vermieden, einen Zug zu benützen, sonder habe mir gesagt: Du musst gehen, gehen, gehen. Weil ich es vor Schmerzen kaum noch ausgehalten habe, stopfte ich mir Moos aus dem Wald in die Schuhe. Ernährt habe ich mich auf meinem Marsch von Rüben, heruntergefallenen Birnen und hie und da einem Schluck Milch aus abgestellten Kannen.

Erst in Mühldorf habe ich mich getraut, einen Zug zu besteigen. Ich habe mir eine Fahrkarte bis Ried gekauft, und bin in den Arbeiterzug eingestiegen. In Simbach aber hielt der Zug an und alle mussten aussteigen. Ich musste drei Stunden auf den nächsten Zug warten, und diese drei Stunden sind mir wie eine ganze Woche vorgekommen. Ich bin dann ganz zuletzt in den Zug eingestiegen, der voll von Soldaten war.

Bei der Ankunft in Ried hat es geschneit, auf dem Hauptplatz ist mir ein Gendarm begegnet. Ich habe mich gleich zu einer Gruppe von Leuten gestellt, als ob ich dazu gehören würde. Dann habe ich meine Firmgödn, eine Schneidermeisterfamilie, am Hauptplatz aufgesucht. Ich konnte die alten Leute beruhigen, dass niemand hinter mir her ist. Mit einer Schere musste ich mir meine Lumpen von den Füßen schneiden.

Dann, im warmen Wasser, schwollen die Füße zu unförmigen Klumpen und ich konnte nicht mehr gehen. Eine Schwester meiner Firmpatin hat mich schließlich über Nacht behalten. Mit dem Arbeiterzug bin ich dann am nächsten Tag bis Wels gefahren, bin durch die Stadt marschiert, wieder aufs Land hinaus. Ich bin bis Kremsmünster gegangen, und infolge meiner wunden Füße ist mir das Gehen sehr schwer geworden. In Kremsmünster habe ich mich oberhalb des Stiftes auf eine Steinbank hingelegt.

Dann wurde wieder Fliegeralarm gegeben, und die Leute liefen an mir vorbei. Auf dem Marktplatz in Kremsmünster herrschte eiliges Hin und her und jemand rief mir zu, ich solle doch in einen Luftschutzkeller gehen. Ich aber durchquerte den Markt mitten im Bombenangriff und bin weiter nach Bad Hall gegangen, wo ich um etwa 8 Uhr früh angekommen bin. Ich bin zur Furtmühle gegangen, deren Besitzer mit uns weitschichtig verwandt war und dem mein Vater oft arbeiten geholfen hatte.

„Haben sie dich ausgelassen?”, fragte der Müller. „Nein, ich bin durchgegangen, aber es ist niemand hinter mir her.” Der Müller hat mich aufgenommen und hat mir einen Bretterverschlag gebaut. Ich konnte zwar kaum gehen, aber im Sitzen konnte ich immerhin Bohrer feilen und Pferdegeschirr flicken. Ich konnte mit Steyr Verbindung aufnehmen, von wo ich durch einen Genossen einen Ausweis der Bergwacht bekam. Der Ausweis lautete auf den Namen Gruber und war von einer Bergwacht-Dienststelle bestätigt. „Ausgerüstet” mit diesem Ausweis bin ich nach Ostern 1945 mit dem Fahrrad nach Hinterstoder gefahren und konnte mich dort bis Kriegsende, als Schafhirt getarnt, verbergen.

Acht Tage und acht Nächte

Der Weg von München nach Bad Hall beträgt (Luftlinie) etwa 200 Kilometer. Ich habe acht Tage und Nächte zur Bewältigung dieser Strecke gebraucht. Was ich erst später erfahren habe, ist dies: Während ich auf der Flucht aus der Todeszelle von Stadelheim war, wurde gleich am Tag nach dem Ausbruch ein Steckbrief herausgegeben, der in allen Gemeinden auflag.

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