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Ausgespuckt, abgetaucht

  • Donnerstag, 25. März 2004 @ 08:00
Kultur Eugenie Kain erzählt vom Leben in Wellentälern, vom Leben an den Rändern – mitten unter uns.

Von Christa Gürtler

Von einem böhmischen Fischteich bis zur Donau in Linz-Urfahr, von den venezianischen Kanälen bis zum Atlantik in Irland und der Bretagne reichen die Schauplätze der sieben Erzählungen in Eugenie Kains jüngstem Buch „Hohe Wasser". Was die Geschichten aber noch mehr verbindet als die Höhen und Tiefen des Wassers, die manchmal bedrohlich, ein andermal befreiend erscheinen, sind die porträtierten Menschen, die sich an den Rändern der Gesellschaft bewegen, aber dennoch nicht aufgeben.

Chancenlos

Sie sind alle von der Maschinerie der Leistungsgesellschaft ausgespuckt worden, können nicht mehr vermittelt werden, wie der Schneckenkönig, oder schaffen als Mütter und Ehefrauen, die jahrelang in ihren Bügelzimmern vom Ozean geträumt und nach Horoskopen gelebt haben, den Wiedereinstieg nicht mehr. Kinder, kranke und alte Menschen haben im Arbeitsmarkt ohnehin keinen Platz. Diese Menschen leben aber eigentlich nicht an den Rändern, sondern mitten unter uns.

Unvermittelt findet sich ein Mann, wie in der ersten Erzählung ein Arbeitsvermittler, selbst auf „unfreiwilligem Urlaub". Er hat seine Familie verlassen und sucht beim Abfischen in einem Fischteich vergeblich nach seiner ehemaligen ukrainischen Geliebten Ludmilla. Auf sie treffen wir wieder in der letzten Erzählung des Zyklus, da arbeitet sie in einer Linzer Fischfabrik als Einlegerin, wickelt Sauergemüse in Fische und füllt sie in Gläser ab.

Eine sterbende Großmutter landet im Krankenzimmer einer Intensivstation, verlangt vergeblich nach Wasser und schenkt ihrer Umgebung immer weniger Beachtung, weil sie durch die Zeit wandert: „Meistens hielt sie sich in ihrer Kindheit auf, dann unter dem Kirschbaum, dann im Krieg." Nur das Enkelkind kann noch Kontakt aufnehmen mit dem Bärenbauch der Großmutter und zeichnet nach ihrem Tod eine neue Brücke mit Wasserfarben aufs Papier.

Andere entfernen sich „aus der Wirklichkeit und aus der Zeit", wie die junge Mutter im Reihenhaus eines Ortes an der Lokalbahn, dessen Name Unterhillinglah ihr beinahe schon keltisch anmutet und zum Ersatz wird „für wildes Meer und grüne Hügel". Oder sie wollen das Ende einer Beziehung nicht zur Kenntnis nehmen, wie eine Ehefrau, die auf der Wiederholung einer Irlandreise besteht. Während der beruflich erfolgreiche Ehemann die Entstellung der Monsterwellen studiert, wird sie gerade noch von einem Surfer aus den Wellendes Atlantiks gerettet. Manche laufen davon, wie das Mädchen, das mir seinen Ersatzeltern nach Venedig fährt; um „Aqua Alta" zu schauen. Oder sie beginnen zu schreien, wie eine Frau, die in der Bretagne zu neuen Ufern aufbrechen möchte, während die Kinder kein Verständnis für eine Mutter haben, die immer wieder „ganz weit weg mit dem Kopf“ ist.

Tragikomisch

Eugenie Kain gelingen in dem Band „Hohe Wasser" gleichermaßen einfühlsam wie präzise gezeichnete Sozialstudien von Menschen, die in eine eigene Wirklichkeit abtauchen, weil sie mit den Verhältnissen nicht mehr zu Rande kommen. Eugenie Kain hat Verständnis für das Abtauchen und einen Blick für die tragikomischen Seiten des Lebens. In einer ebenso schnörkellosen wie genauen Sprache entfaltet sie oft auf wenigen Seiten das Schicksal verfehlter Lebensentwürfe, ohne sie je zu denunzieren, sondern im Bewusstsein, dass Schritte in eine Zukunft möglich sind.

Es geht weiter...

Nicht ohne Mut zum Risiko verschränkt Eugenie Kam ihre Erzählungen mit dem traditionsbeladenen Motiv des Wassers. Selbst die Wasserfrauen fehlen nicht. Und dennoch gelingt es ihr immer wieder, diesem unberechenbaren Naturelement literarisch ganz eigenständige und überraschende Qualitäten abzugewinnen. Da kann es zum Beispiel beruhigend sein, dass man das Wasser „nicht ganz im Griff“ hat, als wieder einmal der Wasserpegel steigt. Die Natur ist in Eugenie Kains Erzählungen weder Idylle noch unbezähmbare Bedrohung für die Gesellschaft. Eine Gewissheit kann das Wasser jedenfalls vermitteln und deshalb möchte die Frau, deren Mondbein in der Hand stirbt, weil sie in der Fischfabrik die ganze Zeit im Eiswasser arbeitet, auch nicht wegziehen: „Der Donau möchte ich nahe bleiben. Sie gibt mir die Sicherheit, dass es weitergeht."

Hohe Wasser, Erzählungen von Eugenie Kain, Otto Müller Verlag, Salzburg 2004, 167 Seiten, geb.,16 Euro

„Die Furche“, Bücher-Frühling, Nr. 13, 25. März 2004

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