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1938: Der österreichische Widerstand 1938 bis 1945

  • Dienstag, 13. März 2018 @ 08:00
Geschichte Eine Publikation des ehemaligen wissenschaftlichen Leiters des DÖW Wolfgang Neugebauer

In der Publikation Der österreichische Widerstand 1938 bis 1945, die am 19. Mai 2008 im Veranstaltungszentrum des DÖW präsentiert wurde, bietet Wolfgang Neugebauer einen Überblick über die Gruppierungen und Formen des österreichischen Widerstandes gegen das NS-Regime zwischen 1938 und 1945.

Abseits politisch opportuner Polarisierungen — Heroisierung des Widerstandes einerseits und dessen Bagatellisierung bzw. Verleugnung andererseits — geht Neugebauer dabei auf das gesellschaftliche Umfeld des Widerstandes und dessen daraus resultierende Wirkungsmöglichkeiten ein: „In Österreich hingegen hatten die WiderstandskämpferInnen in einer zum Teil feindlichen, von Denunzianten und fanatischen Regimeanhängern durchsetzten Umwelt zu wirken. Hier war der Widerstand nicht nur ein Kampf gegen fremde Besatzung, sondern hatte auch den Charakter eines Bürgerkrieges Österreicher gegen Österreicher.“ (Neugebauer, S. 46)

Der Autor, 1983 bis 2004 wissenschaftlicher Leiter des DÖW und seit 1995 Honorarprofessor für Zeitgeschichte an der Universität Wien, konnte für seine Arbeit auf die Sammlungen des DÖW zurückgreifen, insbesondere auf Tausende Gerichtsurteile, die erst in den letzten Jahren im Zuge von Kooperationsprojekten mit der Universität Marburg/Lahn wissenschaftlich erfasst wurden, aber auch auf Berichte von überlebenden Widerstandskämpfern und Widerstandskämpferinnen, die im Rahmen des DÖW-Projekts Erzählte Geschichte seit 1982 interviewt wurden (insgesamt bisher rund 1000 Personen).

Zum Begriff „Widerstand“

Wolfgang Neugebauer hat den Widerstandsbegriff des DÖW, der auch dieser Publikation zugrunde liegt und nicht nur den aktiven, politisch organisierten Widerstand beinhaltet, sondern das ganze Spektrum von Widerstand, Opposition und Unzufriedenheit, von Diskriminierung und Verfolgung, also jede nonkonformistische Reaktion auf die NS-Herrschaft umfasst, in den frühen 1970er Jahren entscheidend mitentwickelt und damit Pionierarbeit geleistet.

Sowohl in der BRD- als auch in der DDR-Historiographie waren davor Ausgrenzungen aus politischen Gründen der Normalfall: Die Geschichtsschreibung der BRD konzentrierte sich im Wesentlichen auf die Geschehnisse rund um den 20. Juli 1944 und ließ lange Zeit nur den militärischen, bürgerlichen und kirchlichen Widerstand überhaupt als Widerstand gelten. Antikommunistische Hintergründe auch vor dem Hintergrund des Kalten Krieges führten dazu, dass der weitaus größere Widerstand der deutschen Arbeiterbewegung ignoriert, im schlimmsten Fall als „Verrat“ abqualifiziert wurde.

Auf der anderen Seite grenzten DDR-HistorikerInnen weite Teile des bürgerlichen und militärischen Widerstandes aus. Solche aus dem Geist des Kalten Krieges zu verstehende Tendenzen äußerten sich auch in Österreich, etwa in den bekannten Arbeiten von Otto Molden (Der Ruf des Gewissens. Der österreichische Freiheitskampf 1938–1945, Wien 1958) und Hermann Mitteräcker (Kampf und Opfer für Österreich. Ein Beitrag zur Geschichte des österreichischen Widerstandes 1938 bis 1945, Wien 1963).

Ausgeschlossen wurden aber nicht nur bestimmte politische Gruppierungen. Durch die Einschränkung des Widerstandsbegriffs auf politisch bewusste, organisierte Aktivitäten wurden auch generell weite Teile des österreichischen Widerstandes, etwa der religiös motivierte oder die Hilfe für verfolgte Jüdinnen und Juden, Kriegsgefangene und ausländische ZwangsarbeiterInnen, von vornherein ausgeklammert. Spiegelbild dieses Ausschlusses ist das Österreichische Opferfürsorgegesetz aus dem Jahre 1947, das nur „Personen, die um ein unabhängiges, demokratisches und seiner geschichtlichen Aufgabe bewusstes Österreich, insbesondere gegen Ideen und Ziele des Nationalsozialismus, mit der Waffe in der Hand gekämpft oder sich rückhaltlos in Wort und Tat eingesetzt haben“, als WiderstandskämpferInnen anerkannte.

Zwar wurden vom Opferfürsorgegesetz auch Opfer von Verfolgung aus rassistischen, religiösen, nationalen oder politischen Gründen berücksichtigt, aber erst 1995 kamen aufgrund einer Behinderung verfolgte NS-Opfer hinzu, 2005 (!) schließlich alle übrigen verfolgten Gruppen: Homosexuelle, sogenannte „Asoziale“, Opfer der NS-Gesundheitspolitik und Opfer der Militärjustiz. Es war also keineswegs selbstverständlich, als das DÖW in den 1970er Jahren mit dem Anspruch antrat, im Rahmen der Dokumentationsreihe Widerstand und Verfolgung in den österreichischen Bundesländern das ganze Spektrum von Widerstand, Opposition und Unzufriedenheit darzustellen. Diese Tendenz zu einem breit gefassten Widerstandsbegriff setzte sich freilich seither in der modernen Widerstandsforschung immer mehr durch.

Ebenfalls mit nicht explizit politischen Widerstandsformen befasst ist die noch relativ junge geschlechtsspezifische Widerstandshistoriographie. Sie setzt sich mit geschlechtsspezifischen Aspekten der NS-Diktatur auseinander und stellt die zuvor oft vernachlässigte, wenn nicht überhaupt negierte Rolle von Frauen im Widerstand in den Mittelpunkt ihrer Forschungen. Insbesondere die von den Sozialwissenschaften in die zeitgeschichtliche Forschung übernommene Methode der Oral History eröffnete für diesen Forschungszweig, aber auch generell zu den Themenkreisen Widerstand und Resistenz aus individuellen Gründen neue Perspektiven und Zugänge, da sie ein „neuartiges, demokratisches Geschichtsverständnis“ impliziert, „das nicht nur die Herrschenden, sondern die sonst zum Schweigen verurteilten Opfer zu Wort kommen lässt“ (Brigitte Bailer-Galanda, Zur Rolle der Frauen im Widerstand oder Die im Dunkeln sieht man nicht, DÖW, Jahrbuch 1990, Wien 1990, S. 16).

Widerstand 1938–1945

Ausgehend von dieser weiten Begriffsbestimmung beschreibt Neugebauer den Widerstand der Arbeiterbewegung gegen den Nationalsozialismus und geht dabei zunächst auf die unterschiedlichen politisch-organisatorischen Reaktionen von Revolutionären Sozialisten und KPÖ auf den „Anschluss“ im März 1938 ein. In diesem Abschnitt wird u. a. die Mitarbeit zahlreicher SozialistInnen in kommunistischen Organisationen thematisiert, ebenso beschrieben werden verschiedene Gruppen (Tschechische Widerstandsgruppe, Anti-Hitler-Bewegung Österreich, Rückkehrergruppe aus Frankreich, um nur einige zu nennen), die Aktivitäten des Kommunistischen Jugendverbands, Widerstand in den Betrieben, kommunistische Mundpropaganda etc.

Anschließend werden die Stellung der katholischen Kirche im und zum Nationalsozialismus beleuchtet und katholische, konservative und legitimistische Widerstandsgruppen — am bedeutendsten die drei Österreichischen Freiheitsbewegungen (um Karl Roman Scholz, Jakob Kastelic und Karl Lederer) — vorgestellt. Weitere Abschnitte beschäftigen sich mit dem Widerstand überparteilicher Gruppen (etwa „O5“), dem Widerstand von Zeugen Jehovas und evangelischen Christen, jüdischem Widerstand, Widerstand im Exil, im Militär und in Form des Partisanenkampfes sowie in Gefängnissen und Lagern.

Breiten Raum nimmt anschließend die Schilderung individueller Widerständigkeit und Resistenz ein: regimefeindliche Äußerungen (neben „Vorbereitung zum Hochverrat“ wurden deswegen von der NS-Justiz die meisten Verfahren angestrengt), Anti-NS-Flugblätter und -Aufschriften, sogenannte „Rundfunkverbrechen“, „Swing-Jugend“, Hilfe für verfolgte Jüdinnen und Juden („Gerechte der Völker“), für Gefangene, Kriegsgefangene und „FremdarbeiterInnen“, verschiedene Formen des vom NS-Regime als „asozial“ definierten Verhaltens, Resistenzhaltungen im bäuerlich-katholischen Milieu (Protest gegen Entfernen von Kreuzen, Einhalten abgeschaffter Feiertage u. dgl.) und in Betrieben (Arbeitsbummelei, diverse Formen von Arbeitsvertragsbrüchen u. dgl.) und vieles andere mehr.

Besondere Beachtung schenkt der Autor dem Widerstand gegen die NS-Euthanasie seitens der unmittelbar Betroffenen und deren Angehörigen, aber auch seitens religiöser und politischer Gruppierungen. Kurzbiographien ausgewählter WiderstandskämpferInnen und zahlreiche Zitate aus Anklageschriften, Urteilen und anderen Dokumenten zu den jeweiligen Kapiteln veranschaulichen und präzisieren die dargestellten Aktivitäten.

Vorangestellt ist diesem umfassenden Überblick über den österreichischen Widerstand 1938–1945 eine Darstellung des Repressionsapparats und der Verfolgungsmaßnahmen, wobei die nationalsozialistische Durchdringung breiter Bevölkerungsteile nicht ausgespart bleibt.

Zur Ausgangsposition des Widerstandes

Der „Anschluss“ im März 1938 bedeutete nicht nur die militärische Okkupation durch das Deutsche Reich und die Annexion an Hitlerdeutschland, sondern war gleichzeitig eine revolutionäre Machtergreifung der österreichischen Nationalsozialisten in Wien und in den Bundesländern, die schon Stunden, bevor deutsche Truppen in Österreich einmarschierten, insbesondere gegen Jüdinnen und Juden sowie Vertreter des „Ständestaats“ vorgingen. Während in anderen von Hitlerdeutschland besetzten Ländern Europas der Widerstand unabhängig von verschiedenen politischen Standpunkten „zur Sache aller nationalen Kräfte wurde, während Kollaborateure isoliert und geächtet waren“, hatte der NS-Siegestaumel in Österreich — nicht zuletzt als Folge der NS-Propagandamaschinerie — „breite, weit über die NS-Sympathisanten hinaus gehende Kreise der Bevölkerung“ erfasst. (Neugebauer, S. 45 f.)

Allerdings gab sich der NS-Staat — seinem Ideal nach — nicht mit partieller Zustimmung zufrieden: Unzufriedenheit als mögliches Mittel des Zurechtkommens mit gesellschaftlichen Widersprüchen wurde grundsätzlich nicht anerkannt, d. h., der NS-Staat behielt sich vor, jegliches von seiner Norm abweichende Verhalten unter Sanktion zu stellen. Diese Aufhebung der bürgerlichen Scheidung von privater und öffentlicher Sphäre hat Detlev Peukert treffend als „Atomisierung der Gesellschaft“ bezeichnet und meint damit die Vision der total überwachten Gesellschaft, in der Gesinnungsschnüffelei auch jedes mögliche staatsgefährdende Verhalten ausfindig machen sollte (Detlev Peukert, Der deutsche Arbeiterwiderstand gegen das Dritte Reich, Beiträge zum Thema Widerstand 13, Berlin 1980, S. 261 f.) Ein solches Eindringen in die Privatsphäre scheint ohne das Mittragen des staatlichen Repressionsapparats durch Teile der Bevölkerung nicht machbar.

Versuche, die Stabilität des NS-Regimes allein durch Terror und Manipulation zu erklären, greifen also zu kurz. Zielführender ist es, von einem Hand-in-Hand-Gehen von institutionalisiertem, staatlichem Terror, Terror „von unten“ (Denunziation etc.) sowie Anpassung und Partizipation großer Teile der dazugehörigen StaatsbürgerInnen (jetzt „VolksgenossInnen“) auszugehen.

Wolfgang Neugebauer skizziert die wesentlichen Bestandteile des NS-Terrorsystems in Österreich, u. a. die NSDAP und ihre Gliederungen (sie traten vor allem im Zusammenhang mit den pogromartigen Ausschreitungen gegen Jüdinnen und Juden 1938 und in der Endphase des NS-Regimes im April/Mai 1945 in Erscheinung), den Polizei- und SS-Apparat mit der Gestapo als schlagkräftigstem Instrument (damit in Zusammenhang das KZ- und Lagersystem bzw. die Deportations- und Vernichtungsmaschinerie) sowie die Justiz (insbesondere die Strafjustiz: Volksgerichtshof, Oberlandesgericht, Sondergerichte, Militärgerichte, Standgerichte).

Die Gestapo-Leitstelle Wien, bereits am 15. März 1938 eingerichtet, war mit über 900 Beamten nach dem zentralen Gestapa in Berlin die größte Gestapostelle im gesamten Deutschen Reich. Ihre hohe „Erfolgsquote“ („Nicht nur Tausende verbale Regimegegner wurden ausgeforscht, auch der Großteil des organisierten Widerstandes wurde — zumindest bis 1943/44 — zerschlagen.“ Neugebauer, S. 17 f.) — erreichte sie durch Misshandlungen, Folterungen der Häftlinge, terroristische Bestrafung und Einsatz von Spitzeln.

Durch die Möglichkeit, Häftlinge ohne Gerichtsverfahren mittels „Schutzhaftbefehls“ in Konzentrationslager einweisen zu lassen, war sie der Justiz gegenüber in der Verfolgung von „Staatsfeinden“ de facto übergeordnet. Als Grund für die KZ-Einweisung genügte der bloße Verdacht einer „staatsfeindlichen“ Haltung. Aber auch im Fall eines Gerichtsverfahrens konnte die Gestapo mithilfe eines sogenannten Rücküberstellungsantrags an die Justiz ihre Entscheidungshoheit sichern: Nach Strafverbüßung, aber auch nach einem Freispruch wurde der/die Haftgefangene an die Gestapo rücküberstellt, die in vielen Fällen die Einweisung in ein KZ verfügte.

Jüdinnen und Juden wurden ab Juli 1943 überhaupt der Justiz entzogen und dem SS- und Polizeiapparat übergeben und ab diesem Zeitpunkt generell in KZ deportiert.

Auch die Staatliche Kriminalpolizei, die im Rahmen der „Asozialenbekämpfung“ das „Zigeunerlager“ Lackenbach (Burgenland) leitete, war Teil des NS-Terrorapparats. Vo n Lackenbach aus erfolgten die Deportationen nach Litzmannstadt (Lodz), Auschwitz und in andere Vernichtungsstätten, rund 9500 Roma und Sinti wurden Opfer des NS-Regimes. Der Sicherheitsdienst (SD) der SS fungierte als innen- und außenpolitischer Geheimdienst und baute nach dem „Anschluss“ auch in Österreich einen Apparat mit haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern sowie zahlreichen „V-Leuten“ auf. Wesentlich gestaltete sich auch seine Rolle bei der Verfolgung der österreichischen Jüdinnen und Juden, von denen mindestens 65.500 der Shoah zum Opfer fielen.

Fazit

„Die WiderstandskämpferInnen konnten nicht die Mehrheit der Bevölkerung auf ihre Seite bringen“, und auch in der Nachkriegszeit standen sie „gegenüber den ‚Pflichterfüllern‘ in Wehrmacht, SS und Partei politisch-gesellschaftlich zurück“. (Neugebauer, S. 237) Mit dieser nüchternen Bilanz will Wolfgang Neugebauer freilich die Verdienste der WiderstandskämpferInnen und Widerständigen nicht schmälern. Zu Recht weist er an dieser Stelle auf den politischen Stellenwert des österreichischen Widerstandes hin; immerhin wurde in der Moskauer Deklaration der Alliierten 1943 Österreich nicht nur als erstes Opfer Hitlerdeutschlands anerkannt und die Wiederherstellung seiner staatlichen Souveränität als alliiertes Kriegsziel festgeschrieben, sondern auch ein eigener Beitrag Österreichs zu seiner Befreiung gefordert. Schließlich verweist der Autor in diesem Zusammenhang auch auf die Bedeutung des Widerstandes für den Nationswerdungsprozess, der zur heutigen Identität Österreichs geführt hat.

Im Rahmen eines derzeit laufenden Kooperationsprojekts des DÖW und des Karl-von-Vogelsang-Instituts — Namentliche Erfassung der Opfer politischer Verfolgung 1938–1945 — soll eine empirisch gesicherte Basis für realistische Aussagen über die Zahl der österreichischen Opfer erarbeitet werden. Unabhängig von konkreten Zahlen ist jedenfalls Anton Pelinka zuzustimmen, der in seinem Festvortrag anlässlich der Jahresversammlung des DÖW 2006 erklärte: „Dieser Widerstand war einer, der sich dadurch auszeichnete, dass er doppelt gegen den Strom geschwommen ist — gegen das herrschende totalitäre Regime und gegen die abwartend-angepasste Haltung der österreichischen Mehrheitsgesellschaft.“

Wolfgang Neugebauer, Der österreichische Widerstand 1938 bis 1945, Edition Steinbauer 2008, 286 Seiten, ISBN 978-3-902494-28-3, EUR 22,50. Die Publikation ist auch im DÖW erhältlich. Siehe Bestellschein auf der letzten Seite.

Quelle: DÖW-Mitteilungen, Folge 187, Juli 2008, http://www.doew.at

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