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Hier gibt es nichts zu zweifeln

  • Freitag, 14. September 2007 @ 16:55
Umwelt Der Klimawandel ist kein Fall für den Debattierclub: Wir müssen die Verschwendung fossiler Brennstoffe stoppen / Von Konrad Kleinknecht

Unter den noch frischen Eindrücken meiner jüngsten Grönlandreise überkommt mich ein Gefühl der Unwirklichkeit, wenn ich die Klimadebatte bei uns sehe. Das Abschmelzen des Grönlandeises und des Nordpolareises ist so real, dass die Frage, wie schnell das abläuft, akademisch wirkt. Unbestreitbar und unbestritten ist der Anstieg der Temperatur weltweit, besonders stark an den Polen; unbestreitbar ist das Abschmelzen der Gletscher in den Alpen, im Himalaja und anderswo und das Auftauen von Permafrostböden in Sibirien; unbestreitbar sind die Änderungen der Niederschlagshäufigkeiten, die den Mittelmeerraum, Nordafrika und Australien austrocknen lassen und uns mehr Regen bescheren; unbestreitbar schließlich ist die Häufung der zerstörerischen Wirbelstürme höchster Intensität über den Zeitraum von dreißig Jahren.

Auch die meisten der Klimaskeptiker, die auf Stefan Rahmstorfs Artikel in dieser Zeitung (F.A.Z. vom 5. September) mit Polemik geantwortet haben, müssen den Klimawandel akzeptieren, Sie zweifeln aber an der Erklärung für diesen Wandel und Wehren sich gegen moralische Verurteilung ihrer kritischen Haltung.

In der Tat ist es nicht sinnvoll, in einer solchen Debatte dem Andersdenkenden sachfremde Motive zu unterstellen. Es wäre allerdings auch naiv, zu glauben, dass die vom Ausstieg aus der Kohleverbrennung bedrohte Industrie ihren Werbeetat nicht dazu verwenden würde, die klimatische Wirkung von Kohlendioxid zu verharmlosen. In den Vereinigten Staaten hatte die von ÖIunternehmen finanzierte Global Climate Coalition während der Verhandlungen in Kyoto alle vier Minuten einen Fernsehspot plaziert, um gegen den Beitritt Amerikas zum Vertrag zu kämpfen - mit Erfolg. Die Lobbygruppe Greening Earth wirbt unter dem Bild eines Kindes in grüner Natur mit ihrem Wahlspruch „Sic nennen es Verschmutzung, wir nennen es Leben“ für das Kohlendioxid.

In Wirklichkeit aber wollen die Klimaskeptiker einfach nicht an die Klimaprognosen glauben. Sie lehnen Endzeithysterien ab, und in gewisser Weise haben sie damit wenigstens zum Teil recht: das Phänomen, das unsere französischen Nachbarn Le Waldsterben nennen, ist übertrieben worden, der Holzbestand nimmt längst wieder zu. Wenn eine Warnanlage am Haus zu oft alarmiert, achtet bald niemand mehr darauf, selbst wenn der Einbrecher kommt.

Mit dem Klimawandel verhält es sich freilich heute etwas anders: Die Vereinten Nationen und das von ihr nach wissenschaftlichen Kriterien ausgewählte Team aus Hunderten Klimaforschern, das IPCC, sind eine weltweite Vereinigung. Von ihr werden jahrelang sorgfältig alle wissenschaftlichen Argumente abgewogen. Zweifel werden diskutiert, nicht unterdrückt. Nach Fertigstellung des Berichts wird die' Kurzzusammenfassung den Regierungsvertretern vorgelegt und von ihnen autorisiert. Aber die Regierungsvertreter schreiben keine Sätze hinein, sie wollen die Aussagen möglichst unverbindlich halten, damit man politischen Spielraum hat.

Das IPCC tut nichts anderes als das, was Helmut Schmidt einmal als die Bringschuld der Wissenschaft einforderte: Es informiert. Aber hier herrscht keine Symmetrie. Der Bringschuld entspricht keine Holschuld der Politik, und auch die Medien bestehen darauf, sich ihre eigene Meinung zu bilden. Die Zwänge der Politik und der Publizistik sind jedoch andere als die der Wissenschaft. Politiker wollen mit dem Thema Wähler ansprechen, Journalisten überlegen, wie sie Themen griffig aufbereiten und Leser gewinnen. Sie wollen nicht die Berichte des IPCC einfach nachbeten.

Der naturwissenschaftliche Prozess wird dabei oft missverstanden. Während bei volkswirtschaftlichen, juristischen öder politischen Fragen mehrere Ansichten oder Theorien existieren, über deren Wahrheitsgehalt jeder Bürger streiten kann, gibt es in den Naturwissenschaften ein Kriterium, das anderswo fehlt: die Falsifizierung. Eine Theorie kann durch neue experimentelle Fakten widerlegt werden.

Während also in der Wirtschaftswissenschaft über angebotsorientierte und nachfrageorientierte Modelle wacker viele Jahrzehnte lang gestritten werden kann, ist das bei naturwissenschaftlichen Erklärungen nur dann möglich, wenn neue Ergebnisse vorliegen, welche die geltende Theorie in Frage stellen. Nur an Naturgesetzen kann am Ende niemand mehr zweifeln.

Dazu gehören die Gesetze der Physik, die allen Attacken der Forscher widerstanden haben: die Planetenbahnen Keplers, die Mechanik Newtons, die Elektrodynamik Maxwells, das Plancksche Strahlungsgesetz, die Thermodynamik, die Relativitätstheorie Einsteins und die Quantenmechanik Heisenbergs. Ein solches Gesetz ist auch der Satz von der Erhaltung der Energie. Aus ihm folgt, dass die von der Sonne auf die Erde einfallende Energie gleich der von der äußeren Atmosphäre in den Weltraum abgestrahlten ist. Daraus ergibt sich eine Temperatur unserer oberen Atmosphäre von minus 18 Grad. Ohne die Atmosphäre wäre kein menschliches Leben möglich. Aber auf der Erdoberfläche herrscht im Mittel eine Temperatur von plus 15 Grad. Das verdanken wir dem natürlichen Treibhauseffekt, der von Wasserdampf und Gasen in der Atmosphäre hervorgerufen wird.

Durch die Verbrennung der fossilen Brennstoffe erhöhen wir den Anteil des Kohlendioxids und fügen dem natürlichen Treibhauseffekt einen anthropogenen hinzu. Wer die Wirkung des Kohlendioxids bezweifelt, muss eine andere Erklärung für die Erhöhung der Temperatur auf der Erde vorschlagen. Eine solche Möglichkeit ist etwa die schwankende Intensität der Sonneneinstrahlung, doch diese These wurde durch neue Daten des Sonnensatelliten Soho eindeutig widerlegt: Die Sonnenaktivität ist heute niedriger als im Jahr 1955 und nimmt ab.

Während die Naturwissenschaften ihre Ergebnisse in Zahlen fassen und dann durch mathematische Modelle beschreiben, bewertet der normale Bürger die Dinge qualitativ. C. P. Snows zwei Kulturen finden hier ihre Entsprechung. Bei den volkswirtschaftlichen, juristischen oder politischen Fragen ist es nicht der Normalfall, dass Aussagen durch neue Ergebnisse eindeutig als falsch ausgewiesen werden. Bei Naturwissenschaftlern resultiert aus diesem ständigen Falsifizierungsvorgang eine Sicherheit, die als die Wurzel des Missverständnisses in der Klimakontroverse gesehen werden kann.

Missverständnisse werden auch erzeugt, wenn das globale Phänomen Klimawandel auf Deutschland reduziert wird. Hier mag sich in den nächsten Jahren nicht viel ändern. Es wird bei uns zwar wärmer und feuchter, und Wintersport wird nur hoch in den Alpen noch möglich sein. Aber das lässt sich aushalten. Und wenn der Meeresspiegel bis zum Ende des Jahrhunderts um einen Meter steigt, bauen wir höhere Deiche. Unterschlagen werden aber die Auswirkungen auf andere Regionen. Es ist absehbar, dass eine große Völkerwanderung nach Norden einsetzen wird, die uns Mitteleuropäer sehr wohl betrifft. In Algerien und Marokko werden im Jahr 2030 hundert Millionen Menschen leben, von denen ein großer Teil in Europa sein Heil suchen wird. Eine Kirchturmpolitik hilft da wenig.

Dabei gibt es einen Standpunkt, den beide Seiten mittragen können. Selbst wenn es eine alternative Erklärung für den Klimawandel gäbe, wären wir doch gezwungen, die Verbrennung fossiler Brennstoffe zu reduzieren: die Endlichkeit der Vorräte. Wir verbrennen heute weltweit jede Woche so viel Kohle, wie in zehntausend Jahren der Erdgeschichte gebildet wurde. In zweihundert Jahren wird die Kohle zu Ende gehen, Erdöl und Erdgas werden schon zur Mitte des Jahrhunderts knapp. Wenn wir wollen, dass unsere Urenkel noch Arzneimittel oder Polymerfasern für Kleidung aus Kohlenwasserstoffen herstellen können, müssen wir ihnen von den Vorräten der Erde noch etwas übriglassen.

Konrad Kleinknecht ist Professor für Physik an der Universität Mainz. Er ist Leibnizpreisträger der DFG und war Klimabeauftragter der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. Sein Buch „Wer im Treibhaus sitzt“ behandelt den Zusammenhang von Klimawandel und Energiekonsum.

Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.9.2007


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