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Der große Ausverkauf

  • Mittwoch, 10. Oktober 2007 @ 09:08
Kapital Florian Opitz, OdF, DE 2006, 94 min, B: Florian Opitz, K: Andy Lehmann, S: Niko Remus.

Der große Ausverkauf ist ein packender Dokumentarfilm über ein sehr komplexes Thema. In vier ineinander verwobenen Erzählsträngen bringt der Film dem Zuschauer das abstrakte und umstrittene Phänomen „Privatisierung“ über Porträts von Menschen aus verschiedenen Kontinenten nahe, die von den oft inhumanen und fehlgeleiteten Versuchen, das Wirtschaftswachstum zu steigern, unmittelbar betroffen sind. Menschen, die sich auf ihre ganz persönliche Art und Weise dagegen zur Wehr setzen.

"Der große Ausverkauf" wird im Rahmen einer von der Arbeiterkammer OÖ organisierten Veranstaltungsreihe in zahlreichen oberösterreichischen Orten gezeigt. Termine siehe unter www.stoppausverkauf.at

Regisseur Florian Opitz zeigt die Folgen der Privatisierung öffentlicher Dienste, die Menschen weltweit - oft von internationalen Institutionen wie der Weltbank oder dem Internationalen Währungsfonds - aufgezwungen wird. Trotz der geografischen Ferne der geschilderten Porträts werden die Parallelen zu den wirtschaftspolitischen Entwicklungen in Europa schnell sehr deutlich, und der Film macht klar: Das Thema Privatisierung betrifft uns alle.

Doch auch „die andere Seite“ kommt zu Wort. Diejenigen, die Privatisierungen befürworten und für die Lösung aller wirtschaftlichen Probleme halten - und dabei vor allem westlichen Konzernen den Zugang zu profitablen, ehemals staatlichen Monopolen in anderen Ländern sichern. Vertreter der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds, ebenso wie Manager von privatisierten Konzernen, die in einer anderen Welt zu leben scheinen als die Protagonisten des Films.

Mit dem Film Der große Ausverkauf möchte ich zeigen, was hinter dem abstrakt klingenden Phänomen der Privatisierung öffentlicher Dienste steckt. Was es für die Menschen bedeutet, die davon direkt betroffen sind. Was eine Gesellschaft verliert, die Konzernen die Verantwortung für ihre Grundversorgung überträgt. Die Protagonisten in Der große Ausverkauf haben zu spüren bekommen, was es heißt, wenn ihre Wasser- und Stromversorgung, Busse und Bahnen und sogar das Gesundheitswesen komplett privatisiert werden. Sie haben mit etwas zu kämpfen, das uns früher oder später alle betreffen wird. - Aber mir ist wichtig zu zeigen, dass die Protagonisten in Der große Ausverkauf keine passiven Opfer sind, sondern würdevolle und aktive Individuen, die in der Lage sind, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen und die privatisierte Realität, in der sie leben, zu verändern. Und wenn es nötig ist - Widerstand zu leisten. Der Film möchte die Öffentlichkeit aufrütteln und auf eine schleichende und gefährliche Entwicklung aufmerksam machen, die unser aller Leben betrifft.

Florian Opitz

Quelle: Moviemento, Programmzeitung für City-Kino und Moviemento, Juni 2007

Filmkritik Der große Ausverkauf

Der britische Lokführer Simon Weller geht am Strand entlang. Im Hintergrund ist eine ins Meer hineinragende Vergnügungsanlage zu sehen, Jahrmarktbuden mit einer Achterbahn, Zerstreuungsmöglichkeit für Feriengäste. Viele Filmszenen später wird die Anlage nochmals ins Bild kommen, verlassen und schrottreif - anscheinend hat sich die Investition nicht gelohnt, ist der Betreiber zum nächsten Objekt weitergezogen.

Das Thema des Dokumentarfilms von Florian Opitz sind indes keine Amüsierbetriebe, sondern öffentliche Güter. In vier Weltgegenden führt der junge Regisseur die Zuschauer in seinem Werk, das in Deutschland gerade rechtzeitig vor dem G8-Gipfel in die Kinos kommt. Zu den dargestellten Fällen gehören -zumindest in globalisierungskritischen Kreisen - bekanntere Beispiele wie die britische Bahn und der »Wasserkrieg« im bolivianischen Cochabamba, aber auch der Niedergang des öffentlichen Gesundheitswesens auf den Philippinen und der Umbau der Stromversorgung in Soweto. Einzelne Bürger werden bei ihrer Gegenwehr gegen etwas begleitet, was sie alle, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise, als persönliche Enteignung erleben. Auch ihre Gegenwehr nimmt sehr verschiedenartige Formen an: Bei Minda Lorando in Manila ist es der verzweifelte Kampf für die Dialysebehandlung ihres 19-jährigen Sohnes, die ihr vom Staat nicht mehr finanziert wird, sodass sie sich nahezu ununterbrochen um Spenden und Beihilfen bemühen muss - als Einzelkämpferin, die den eigenen sozialen Niedergang erlebt und mit dem Urteil konfrontiert wird, dass ihr Sohn die teure Therapie nicht »verdient«. Ein Arzt in einem staatlichen Krankenhaus beschreibt das Ausbluten des öffentlichen Gesundheitswesens auf den Philippinen: Wegen der schlechten Bezahlung verlassen immer mehr Angestellte das Land, um in ausländischen Krankenhäusern zu arbeiten. Zynischer Gegenpart ist der Direktor einer bestens ausgestatteten Privatklinik in derselben Stadt. Dass in der »einen« Welt, in der so vieles auseinanderfällt, doch manches zusammenhängt, zeigt nicht zuletzt die Energiefrage: Minda bezieht in ihrer Slumbehausung illegal Strom, weil sie die Rechnung nicht mehr bezahlen kann. In einem südafrikanischen Elendsgebiet wiederum hat sich das »Soweto Electricity Crisis Committee« gebildet, das Menschen, denen seitens der privaten Firma Escom wegen ausstehender Zahlungen der Strom gesperrt wurde, mit handwerklichen Tricks wieder an das Netz anschließt. Ein Mitglied dieser Strom-»Guerilla« ist Bongani Lu-bisi. Die Uraufführung des Filmes, der ihm gewidmet ist, hat er nicht mehr erlebt: Unter ungeklärten Umständen verstarb er kurz nach den Dreharbeiten. Todesopfer forderten auch die Demonstrationen von Einwohnern Cochabambas gegen den Verkauf ihrer Wasserversorgung an einen US-Konzern. Ihre militante Gegenwehr scheint den größten Erfolg errungen zu haben: die Rückerringung und Selbstverwaltung der öffentlichen Wasserversorgung. Eher der »legalen« kollektiven Aktion verschrieben hat sich Simon Weller: Er engagiert sich als Gewerkschafter gegen die Folgen der britischen Bahnprivatisierung und beschreibt ihre ebenso bizarren wie dramatischen Folgen: von den mehrfachen Uniformwechseln bis zu den schweren Unfällen, die immerhin dazu führten, dass die Schienennetzprivatisierung wieder zurückgenommen wurde. Warum indes gerade in Großbritannien Margaret Thatchers resolutes Verlangen nach der Zurückdrängung des »Sozialismus« und der Rückgabe der Macht an »das Volk« so tosenden Applaus fand, vermögen auch seine eloquenten Ausführungen nicht zu erhellen. Demaskierend wirkt die Darstellung der Weltbank und des Internationalen Weltwährungsfonds: Steht für ersteren noch ein Mitarbeiter zur Erläuterung des »Armutsbekämpfungs«-Programms bereit, so verlautbart letzterer die Maßnahmen gegen unbotmäßige Staaten durch ein realsatirisches Selbstdarstellungsvideo. Die nur scheinbare Rationalität der Privatisierungsstrategie erläutert der kritische Wirtschaftswissenschaftler Joseph Stiglitz. Der Film selbst enthält sich weitgehend eines Kommentars, doch die ausgewählten Einzelschicksale, die der von Stiglitz kritisierten »Entmenschlichung« neoliberaler Modelle entgegengesetzt werden, sind Kommentierung genug.

Marion Fisch, Hamburg

Quelle: Sozialismus 6/2007, www.sozialismus.de

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