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Expansion und Einfluß

  • Samstag, 30. Dezember 2006 @ 08:48
Europa Von Andreas Wehr

Am 1. Januar übernimmt die Bundesrepublik die EU-Ratspräsidentschaft. Es geht um ein deutsches Europa.

Alle halbe Jahr wechselt die Präsidentschaft im Europäischen Rat. Gegenwärtig wird sie noch von Finnland ausgeübt. Ab dem 1. Januar 2007 übernimmt sie Deutschland, um sie Ende Juni an Portugal weiterzureichen. Die Bundesregierung hat im November ein umfangreiches und ambitioniertes Präsidentschaftsprogramm vorgelegt, das von der Wiederbelebung des Verfassungsvertrages bis zur »Stärkung nachhaltiger Entwicklung« reicht.*

Marktöffnung

Viele dieser Vorhaben sind allgemeiner Natur und bleiben im Unverbindlichen. Und doch läßt sich unschwer erkennen, welche Richtung die EU unter deutscher Führung nehmen soll. So wird die Vollendung des Binnenmarktes für Strom und Gas zum 1.Juli 2007 als »ein wichtiges Ziel der europäischen Energiepolitik« bezeichnet. Hier heißt es: »Der deutsche Vorsitz wird sich für die vollständige Öffnung der Märkte für Strom und Erdgas auf der Grundlage einer gleichmäßigen Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben in allen EU-Mitgliedstaaten einsetzen.« Damit wird vor allem die französische Weigerung, heimische Energiemärkte zu öffnen, ins Visier genommen.

Unter der Überschrift »Vollendung des Binnenmarktes und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen« werden »Fortschritte bei der vollständigen Liberalisierung des europäischen Markts für Postdienstleistungen« angestrebt. Auf diesem Weg versucht die Bundesregierung der bereits privatisierten Deutschen Post bzw. DHL weitere Expansionsmöglichkeiten zu eröffnen. Sehr konkret sind auch die Forderungen zur Stärkung von Europol: »Dazu gehören die Verbesserung der praktischen Zusammenarbeit und, darauf aufbauend, Möglichkeiten für eine Weiterentwicklung des Rechtsrahmens und eine Ausweitung des Zuständigkeitsbereichs der Behörde.« Kein Wort hingegen über die dringend notwendige Verbesserung der demokratischen Kontrolle dieser Behörde.

Andere Vorhaben bleiben weitgehend unbestimmt. Es ist bezeichnend, daß dies vor allem Aussagen zur »Weiterentwicklung des europäischen Sozialmodells« betrifft. »Die Debatte um das europäische Sozialmodell ist mit konkreten Inhalten zu füllen. Im Rahmen einer Ministerkonferenz zur Zukunft des europäischen Sozialmodells soll die positive Wechselwirkung der drei Politikbereiche Wirtschaft, Beschäftigung und Soziales durch konkrete Beispiele einer erfolgreichen Verzahnung sichtbar gemacht werden«, heißt es hier nur lapidar. Keine Spur demnach von der von Gewerkschaftsseite und vor allem von der IG Metall geforderten »Erneuerung des Europäischen Sozialmodells als neues Leitprojekt« (siehe dazu auch das untenstehende Interview mit Hans-Jürgen Urban http://www.jungewelt.de/2006/12-30/010.php; http://www.otto-brenner-stiftung.de/fileadmin/dokumente/pm_061108_jahrestagung_anhang.pdf).

Verfassungsvertrag

Ziemlich wortkarg bleibt das Programm hinsichtlich des wichtigsten Vorhabens der deutschen Präsidentschaft, der Wiederbelebung des Verfassungsvertrages. Hier verweist es lediglich auf den Auftrag des Europäischen Rates vom Juni 2006, »in der ersten Jahreshälfte 2007 mit den EU-Mitgliedstaaten ausführliche Konsultationen zu führen und anschließend dem Europäischen Rat einen Bericht vorzulegen. Der Bericht soll mögliche künftige Entwicklungen aufzeigen und als Grundlage für Beschlüsse dienen, wie der Reformprozeß der EU fortgesetzt werden soll.« Ähnlich bedeckt hält sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, die in einer Regierungserklärung lediglich davon sprach, daß die »Substanz des Vertrages« erhalten bleiben solle.

Auch am Begriff »Verfassungsvertrag« will man nicht unbedingt festhalten. Tatsächlich gibt es hier jedoch hinter den Kulissen ein hektisches Treiben. So wurden die EU-Staats- und Regierungschefs von Merkel gebeten, persönliche Verfassungsbeauftragte zu benennen, die unter der deutschen Präsidentschaft im Namen ihrer Chefs verhandlungsberechtigt sind. Auf diese Weise soll für den Juni-Gipfel ein Bericht entstehen, wie ein neuer Vertrag aussehen könnte. Bereits unter der portugiesischen Präsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2007 soll dieses Abkommen beschlossen werden.

Mit Sicherheit werden in einem solchen, auf die Substanz reduzierten Gesetzeswerk die bereits im Verfassungsvertrag enthaltenen institutionellen Regelungen im Mittelpunkt stehen. Und was es damit auf sich hat, wurde von der Financial Times Deutschland kürzlich offen ausgesprochen: Mit dem Verfassungsvertrag »wäre Deutschlands Einfluß in der Union deutlich gewachsen – durch ein höheres Stimmengewicht im EU-Ministerrat und noch mehr Macht für das Europaparlament, das schon jetzt von deutschen Parlamentariern dominiert wird.« Da ist es verständlich, daß die »Rettung des Verfassungsvertrages« die eigentliche Aufgabe der deutschen Ratspräsidentschaft sein wird, denn mit ihm wird die EU also ein ganzes Stück deutscher werden.

* Die folgenden Zitate sind diesem Papier entnommen: »Europa gelingt gemeinsam«, Präsidentschaftsprogramm 1. Januar–30. Juni 2007 der Bundesregierung. Im Internet: www.bundesregierung.de.

Andreas Wehr ist Autor der Bücher »Europa ohne Demokratie?« (2004) und »Das Publikum verläßt den Saal. Nach dem Verfassungsvertrag. Die EU in der Krise« (2006). Beide Bücher erschienen im Kölner PapyRossa Verlag.

Quelle: Junge Welt, 30. Dezember 2006

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