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Nie wieder arbeiten!?

  • Dienstag, 19. September 2006 @ 12:40
Sozial Ein existenzsicherndes Grundeinkommen, das für alle Mitglieder der Gesellschaft zum individuellen Rechtsanspruch und ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Zwang zur Arbeit gezahlt wird, das wäre doch eine feine Sache. Aber geht dann überhaupt noch wer arbeiten? Und würde ein garantiertes Grundeinkommen wirklich die Lösung sein für soziale Probleme wie Arbeitslosigkeit, Armut etc., die der Kapitalismus hervorbringt? Oder lacht zuletzt doch der Unternehmer? Und warum nur einen Teil des Kuchens fordern und nicht die ganze Bäckerei?

Andrea Mayer-Edoloeyi: Für eine solidarische, nicht entfremdete Gesellschaft!

Die Attraktivität der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen hat einen realen Hintergrund: immer mehr Menschen sind von Existenzunsicherheit betroffen, es ist zu einer massiven Ausweitung prekärer, atypischer Beschäftigung gekommen, das soziale Netz wird angesichts neoliberaler Paradigmen immer brüchiger.

Es wäre genug für alle da: die Reichen werden immer reicher - 10% der ÖsterreicherInnen besitzen zwei Drittel des gesamten Vermögens und zahlen dafür gar keine Steuern. Frauen leisten 70% der unbezahlten Arbeit weltweit, erhalten 10% aller Einkommen und besitzen 1% des Vermögens. Es ist also eine Frage der Verteilung.

Gerechte Verteilung muss für mich Verallgemeinerbarkeit heißen: und das gilt nicht nur für die Menschen, die in Österreich oder reichen westlichen Ländern leben, sondern für alle Menschen. In der Konsequenz heißt dass, dass zuallererst eine Neuverteilung des gesellschaftlichen Reichtums zwischen Nord und Süd stattfinden muss.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre eine Neuverteilung der Teilhabe am Konsum, aber keine Neuverteilung gesellschaftlicher Teilhaberechte, es bricht nicht mit der kapitalistischen Logik, dass einige weniger über Produktionsmittel und gesellschaftliche Macht verfügen und alle anderen davon nur die Brosamen abbekommen. Um eine solidarische Gesellschaft zu erreichen, muss die kapitalistische Logik sukzessive verändert und letztlich durchbrochen werden: Im Mittelpunkt muss das gute Leben für alle stehen. Es geht um den Kampf gegen die Privatisierung lebensnotwendiger öffentlicher Dienstleistungen wie Wasser, Strom, Bildung etc. Es geht um soziale Sicherheit für alle Formen von Beschäftigung und für Lebenssituationen, wo Erwerbsarbeit nicht möglich ist (Bildung, Alter, Pflege, Kinderbetreuung, ....). Und das alles nicht nur für österreichische StaatsbürgerInnen, sondern für alle Menschen.

Heute arbeiten einige sehr viel, mit Stand vom Frühjahr 2005 wies Österreich mit real 44,1 Wochenstunden die zweitlängste Arbeitszeit aller EU-Länder aus. 748.500 Beschäftigte leisten regelmäßig Überstunden, das ist ein Volumen von 7,04 Millionen Überstunden. Wie würden wir arbeiten und leben, wenn die Normalarbeitszeit nicht 38,5 oder 40 Stunden, sondern 20 oder 25 Stunden wäre? Gesellschaftlich leistbar ist das allemal, auch mit vollem Lohnausgleich. Arbeitszeitverkürzung wäre eine Chance, politische und kulturelle Teilhaberechte zu verwirklichen und ein Schritt zum Bruch mit der kapitalistischen Profitlogik.

Andrea Mayer-Edoloeyi ist Kulturarbeiterin und Erwachsenenbildnerin, lebt in Linz

Karl Reitter: Gründe für ein bedingungsloses Grundeinkommen

Legitimität: Der gesellschaftliche Reichtum wird keineswegs ausschließlich durch Lohn- und Erwerbsarbeit produziert. Tatsächlich beruht er auch wesentlich auf unentlohnter Tätigkeit, die oftmals nicht als gesellschaftlich notwendig und wertvoll anerkannt wird. Zugleich bewirken die Gesetze der kapitalistischen Ökonomie eine Kluft zwischen realem Einkommen der Individuen und ihrer tatsächlichen Leistung; beständig findet ein Werttransfer zugunsten der großen Kapitale statt. Das Grundeinkommen setzt ein Gegenmodell zu den Verteilungsmechanismen des Kapitalismus, es anerkennt gleichermaßen jede Art der Tätigkeit.

Möglichkeit: Immer mehr Menschen erfahren durch ihre soziale Existenz, dass diese Gesellschaft ihnen nicht jene Arbeit ermöglicht, die sie wünschen und umgekehrt, dass sie zu Tätigkeiten gezwungen werden, die ihnen nicht entsprechen. Die sich rasant ausbreitenden prekären Arbeits- und Lebensformen lassen die traditionellen Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen Ausbildung und Erwerbsarbeit, zwischen Arbeitslosigkeit und Erwerbstätigkeit verschwimmen. Die Mechanismen des alten Sozialstaates greifen nicht mehr. Daher steigt die Bereitschaft, sich für das Grundeinkommen einzusetzen.

Notwendigkeit: Nicht mehr die Erhöhung der Produktivität, sondern die Verlängerung und Flexibilisierung der Arbeitszeit sowie Lohnsenkung wird erneut primäre Quelle des Profits. Die Zurichtung der Menschen auf die bedingungslose Akzeptanz jeder Lohnarbeit, sei sie noch so mies und schlecht bezahlt, ist das aktuelle politische Kalkül. Was das Zuckerbrot der Ideologie nicht vermag, soll durch die Peitsche der Maßnahmen gegen Arbeitslose erreicht werden. Da immer mehr Menschen jenseits kollektivvertraglicher Bedingungen arbeiten, laufen klassische gewerkschaftliche Forderungen immer öfters ins Leere. Gegen Zwang, Erpressung und Tendenzen zur Verarmung benötigen wir daher das Grundeinkommen.

Perspektive: Das Grundeinkommen will eine Gesellschaft, in der alle in Freiheit tätig sein können.

Karl Reitter ist Philosoph und Mitherausgeber der Zeitschrift grundrisse in Wien www.grundrisse.net

Erwin Riess: Ohne Angst leben

Bei der Frage des Grundeinkommens gibt es zwei einander widersprechende Haltungen. Die eine geht vom klassischen Kanon der Arbeiterbewegung aus, der die geregelte Lohnarbeit zu fixen Arbeitszeiten zum Angelpunkt hat. Grundeinkommen bedeutet in dieser Logik: Unterlaufen der Löhne im unteren Segment, Erhöhung der Arbeitslosigkeit, Auseinanderdriften von Ist- und KV-Löhnen, Schwächung der Gewerkschaften.

Die zweite Sichtweise aufs Grundeinkommen stammt nicht aus der Arbeiterbewegung, sondern – historisch gesehen – von philanthropischen Gemeinschaften mit egalitären Zielsetzungen (diverse Gruppen in Österreich um 1900, Fabian Society-England, Kropotkin-Rußland) und wurde nach 1980 – angesichts des Versagens der Arbeitsmärkte – von Grünen, kirchlichen und linken Kreisen außerhalb der klassischen Arbeiterbewegung forciert. In dieser Logik ist das Ziel eines garantierten Grundeinkommens eine Reaktion auf die Zweidrittelgesellschaft; angestrebt wird ein Leben in Würde – und, das scheint mir das wichtigste von allem, ohne Angst.

Meine These: Gewerkschaften sind auch bei Grundeinkommen unverzichtbar (allerdings haben solche Gewerkschaften neuen Typs mit dem ÖGB nichts mehr gemein). Demokratiepolitisch ist das Grundeinkommen eine Immunisierung der Gesellschaft gegen rechtsextreme Populisten. Wer keine Angst um seinen Lebensunterhalt zu haben braucht, ist schwerer zu verführen. Die Jagd auf Sündenböcke wird zurückgedrängt. Darüber hinaus ist ein Grundeinkommen (siehe das Beispiel Pflegegeld) der Einstieg in gesellschaftliche Verhältnisse, in welchen die klassische Lohnarbeit nicht mehr oder nur in geringerem Ausmaß über die Verteilung von Lebenschancen bestimmt. So gesehen wohnt dem Grundeinkommen auch eine systemüberwindende Komponente inne und muss genuiner Bestandteil jeglichen linken Projekts sein.

Erwin Riess ist Schriftsteller, lebt und arbeitet in Wien

Ursula Roschger: Grundsicherung statt Grundeinkommen

Die Diskussion um Grundeinkommen oder Grundsicherung ist eine spannende und sicher fast unerschöpfliche Diskussion ums Abwiegen von „Für und Wider“. Die Grundsicherung will das bestehende System nicht Abschaffen, sondern stützt sich auf bestehende Sicherungssysteme, was natürlich Sicherheit in der Kalkulation der Kosten und auch der Wirkung bringt.

Die Forderung nach Grundeinkommen, muss abgesehen von der Finanzierbarkeit (ein existenzsicherndes Grundeinkommen würde ca. 100 Milliarden Euro kosten) immer im Detail hinterfragt werden. Wie hoch wäre ein Grundeinkommen? Wie würde es finanziert werden? Und vor allem: Welche Leistungen würde der Staat dann noch übernehmen? Oder wären Sozialleistungen wie Krankenversicherung etc. dann selbst zu finanzieren?

Auf jeden Fall würde es das bestehende System völlig „umkrempeln“. Auch würde es zu einer Entkoppelung von Erwerbsarbeit kommen. Die sollte als Vision immer in der Diskussion Platz haben. Doch wenn es um kurzfristige, realistische und finanzierbare Umsetzungsschritte zur Verhinderung von Armut geht, dann muss eine Grundsicherung her, die sich auf das bestehende System stützt.

Die Grünen haben sich nach fast Jahrzehnte langer Diskussion zwischen Grundeinkommen und Grundsicherung für das Modell der lebenslagen- und bedarfsorientierten Grundsicherung entschieden. Kurz: Grundsicherung für alle, die sie brauchen.

Die Vorschläge der Grünen gehen zunächst von einer Bestandsaufnahme der sozialen Sicherungssysteme aus: wo funktionieren sie und wo gibt es Probleme mit der Finanzierung bzw. mit der Sicherung durch verändertes „Erwerbsverhalten“ bzw. sich ändernden politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Die Antwort der Grünen auf die Krise des sozialen Sicherungssystems ist nicht der Abbau oder die radikale Neugestaltung, sondern der behutsame Umbau. Das bestehende System ist durch eine bedarfs- und lebenslagenbezogene Grundsicherung zu erweitern und ergänzen: der riesige Bereich unbezahlter Arbeit außerhalb der Erwerbsarbeit, die fast ausschließlich von Frauen geleistet wird, und die neuen, teilweise prekären Arbeitsformen dürfen nicht zum Ausschluss von sozialer Sicherung, zu Abhängigkeit und Armut führen.

Die Grüne Grundsicherung will die Teilhabe an der Gesellschaft fördern. Das bedeutet nicht nur, dass alle am Reichtum der Gesellschaft, am Wohlstand, an der über den Staat organisierten infrastrukturellen Grundsicherung in Bildung, Gesundheit, Kinderbetreuung, Kultur usw. teilhaben können, sondern auch, dass die Verteilung von Einkommen und Vermögen, von Zeit und Arbeitszeit neu organisiert werden muss. Das Modell der lebenslagen- und bedarfsorientierten Grundsicherung soll nicht allein, aber jedenfalls auch, vor Armut schützen. Die Höhe des Sicherungsniveaus hat sich daher zumindest an dem von der Armutsforschung als "Armutsgefährdungsschwelle" angesehenen Wert von 60% des Medianeinkommens zu orientieren. Diesen Betrag (2005 ca. 834,- Euro) haben Grundsicherung und Wohngeld zusammen min. zu erreichen.

Ursula Roschger ist Gemeinderätin und Sozialsprecherin der Linzer Grünen

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