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Der Steyr-Streik im Jänner 1990

  • Samstag, 22. Januar 2005 @ 21:02
Geschichte Ein Streik mit Vorgeschichte und als Lehrbeispiel

Das Industriepotential der Steyr-Daimler-Puch AG (SDP) am Standort Steyr, das bis Ende der achtziger Jahre noch in seiner Geschlossenheit bestanden hatte, wurde durch die verfehlte Industriepolitik der Regierung förmlich zersprengt und zerlegt:

Das Wälzlager wurde zu 75 Prozent an den schwedischen Kugellagerriesen SKF verkauft, die LKW-Fertigung an SNF (Steyr-Nutzfahrzeug) - unter 80-prozentiger Majorität von MAN (Deutschland) - gegeben und die Steyr-Antriebstechnik (SAT) zur Fertigung von Traktor- und LKW-Getrieben neugegründet.

Eine Steyr-Anlagen- und Betriebsbeteilungsgesellschaft (SAB) wurde gegründet, ein Sammelsurium aus Feuerwehr, Rettung, Kantine, Dienstleistungen, Werkzeugbau, Maschinenbau, Schmiede, Gusswerk 1 und Instandhaltungsbereichen. In der Steyr-Landmaschinen-Technik (SLT) in Sankt Valentin wurde die Fertigung, Weiterentwicklung und den Vertrieb des Traktors zusammengezogen.

Die Herstellung von militärischen und zivilen Handfeuerwaffen wurde in der Steyr-Mannlicher-Gesellschaft im ehemaligen Wälzlager in der Halle 5 installiert. Der Monoblockmotor (M1) wurde zur Erstindustrialisierung einschließlich Versuch, Fertigung und Vertrieb installiert.

Die Hausdruckerei war bereits 1988 an die konservative Vereinsdruckerei verkauft worden. Das Werk Letten, einer der ältesten Standorte, wurde total liquidiert, seine Pleuelstangenfertigung samt der Belegschaft in das Hauptwerk transferiert und der Rest der Beschäftigten anders verwendet oder gekündigt. Das „Gusswerk 2“ wurde einem deutschen Gießereiunternehmer verkauft, als Folge verdienten die dort tätigen Gießer um 30 bis 40 Schilling je Stunde weniger.

Die Schmiede wurde an den deutschen Schmiedeunternehmer Hirschvogel verkauft. Ebenso wurde das Gusswerk 1, in welchem noch wenige Jahre zuvor gigantische Investitionen getätigt wurden, verkauft.

Diesem Zersplitterungsprozess ist eine lange Phase der Destabilisierung vorausgegangen. Dabei wurden bis 1990 bereits 50 Prozent der Belegschaft und damit 4.500 Arbeitsplätze beseitigt, sämtliche Sozialleistungen gestrichen, durch Rückhaltungen von Bestandteilen aus Ist-Lohnrunden und deren einmaliger Auszahlung mussten die Beschäftigten auf Dauer Lohnverluste hinnehmen und durch Arbeitszeitregelungen kam es zu Verletzungen von KV-Bestimmungen.

Der Verkauf an MAN

Die gravierendste Änderung für den Standort Steyr war aber der Verkauf des LKW-Bereiches an MAN. Dass man aber damit der Steyrer- Arbeiterschaft endgültig das „Genick gebrochen“ habe, war eine irrtümliche Annahme des Vorstandes. Selbstverständlich bedeutete diese Entwicklung auch härteste Auseinandersetzungen in der Belegschaft, in den Betriebsratskörperschaften, unter den Betriebsräten und zwischen den Fraktionen, wobei sich die SPÖ-Mehrheitsfraktion zum Lastenträger des Vorstandes herabgewürdigt hat. Der GLB konnte dem nur mit einer kleinen Betriebsorganisation, einer selbst gestrickten Werkszeitung und einem von 21 Mandaten im Arbeiterbetriebsrat entgegenwirken.

Ungeheuerliche Vorgangsweise

Der Streik in Steyr im Jänner 1990 war auf fünf wesentliche Fehlentscheidungen der Unternehmensleitung zurückzuführen.

Die Kündigungsliste trug emotionell sehr stark zur Streikbereitschaft bei, weil sich darauf ohne Begründung kranke Menschen, 27 Invalide mit mehr als 50-prozentiger Invalidität, 27 Spitzenfacharbeiter und sogar Betriebsräte und Vertrauensmänner befanden. Die Werksleitung war nicht bereit, über einen Aufnahmestopp zu diskutieren oder Selbstkündigungen mit Abfertigungsanspruch zu akzeptieren.

Der Vorstand legte eine ungeheuerliche Ignoranz und Intoleranz bei den vorhergehenden Gesprächen an den Tag, weil er wusste, dass es zukünftig zu mehreren Abbauwellen kommen würde und daher eine möglichst kostengünstige Variante des Personalabbaus durchdrücken wollte.

Ein Spitzenfacharbeiterpotential wie im Werkzeugbau, der in seiner Existenz bedroht war, konnte hingegen eine qualifizierte Verteidigungsbereitschaft auf die Beine stellen. Diesen erstklassigen Facharbeitern wollte man nicht einmal die notwendigen Grundflächen für die Installierung der Fertigung anbieten. Der Werkzeugbau war dann auch der harte Kern des ganzen Arbeitskampfes, aufgrund des konsequenten Verhaltens dieser Arbeiter gab es auch kein Zurück mehr.

Erst nachträglich wurde bekannt, dass GD Voisard, der viel persönliches Engagement und seinen konservativen Managerehrgeiz in diese Auseinandersetzung legte, vollkommen vergessen hatte, dass BRV Leithenmayr auf seine Karriere als zukünftiger Bürgermeister von Steyr bedacht war. Der Streik war eine Leithenmayrs Chance, seinen jahrelangen Imageverlust - besonders nach dem LKW-Verkauf an MAN - wettzumachen. Das war auch ein Grund, warum er zum ersten Mal auf GLB-Positionen einstieg, die Belegschaft mittels Arbeitskampf zu verteidigen.

Die wesentlichste Fehlentscheidung war der Versuch der Firmenleitung, in innergewerkschaftliche Angelegenheiten eines Großbetriebes einzugreifen. Die Direktion wollte entscheiden, wer Betriebsrat oder Vertrauensmann ist. Zwei Betriebsräte und 10 Prozent der Vertrauensleute standen auf der ominösen Kündigungsliste. Die Belegschaft war sich jedoch darin einig, dass darüber nur sie selbst und zwar mit dem Stimmzettel zu entscheiden hat. Das führte zum totalen Schulterschluss in den Gewerkschaftsstrukturen von ganz unten bis zu Präsident Verzetnitsch.

Auch wollte Voisard nicht nur Industriepotential für ausländische Unternehmen erwerben, sondern auch die Verhältnisse im Interesse der Industrie mitverändern. Beide Zielstellungen gingen durch den Jännerstreik in Steyr zunächst nicht auf.

Es geht los!

Also kam es am Montag, dem 22. Jänner 1990 um 7 Uhr, in einer Betriebsratssitzung zum einstimmigen Beschluss, den Arbeitskampf auszurufen. Nachdem die Belegschaft in Betriebsversammlungen informiert und die Firmenleitung telefonisch davon in Kenntnis gesetzt worden war, wurde der Streik um 9 Uhr begonnen.

Streikziele waren die Beseitigung der Kündigungsliste, die Erhaltung des Werkzeugbaus, nötige Investitionen im Bereich SAB und die Etablierung des M1 in seiner Erstindustrialisierung an einem Standort in Steyr. Das war vielleicht der schwächste Punkt des Forderungspaketes.

Als Streiktyp wurde ein unbefristeter Punktstreik gewählt, der rasch zunehmen und durch den Schneeballeffekt rasch an Effizienz gewinnen sollte. Diese Streikvariante ist von den Kosten her gesehen äußerst gewerkschaftsfreundlich, weil die direkt Streikenden von der Gewerkschaft zu finanzieren sind. Im Übrigen kann die Firmenleitung ständig beobachten, wie der Streikschaden zunimmt, was sich positiv auf die Verhandlungsbereitschaft des Gegners auswirkt.

Bei dieser Streikvariante ist aber auch entscheidend, wo man den Arbeitsausstand ansetzt, da in den Industriebetrieben, stärker als früher, danach getrachtet wird, möglichst geringe gebundene Mittel zu haben und Teilelager darüber hinaus leicht umfahrbar sind.

Gefahren und Probleme

Eine Gefahr ist auch die Gleitzeitarbeit, weil nicht überschaubar ist, ob jemand in der Bandbreitenzeit seine Tätigkeit ausübt oder bereits in streikbrecherischer Absicht Überstunden macht, die natürlich von Anbeginn des Streiks im gesamten Werk gestrichen wurden. So musste die Gleitzeit auf eine normale Arbeitszeit während der Streikdauer eingefroren werden, um die Überschaubarkeit zu sichern.

Manche Funktionäre wollten nur Hurrameldungen nach oben weitergeben. So wurde bei einer Betriebsratssitzung - bei welcher der Streikverlauf eingeschätzt und die Streikstrategie weiterentwickelt werden sollte - mitgeteilt, dass in einem Bereich von acht hochmodernen „Mandele-Anlagen“ (Fertigungszentren für die Gussteilebearbeitung) vier dieser Anlagen bereits stehen und die übrigen in wenigen Stunden auslaufen würden. Danach wurde die Strategie weiterentwickelt. Bei einem Kontrollgang stellte sich jedoch heraus, dass sieben Mandele-Anlagen gelaufen sind und nur eine stillstand.

Die Angestellten zeigten nur eine äußerst schwache Streikbereitschaft. Bis auf formale Solidaritätserklärungen passierte in den ersten Tagen gar nichts, im Direktbereich des vollbestreikten Werkzeugbaus waren die Angestellten nur bereit, passiv zu arbeiten und erst inmitten der Streikwoche direkt in den Streik zu treten. Werksweit gab es auch Probleme mit der Firmenloyalität einiger Angestellter, besonders an den Nahtstellen zur Fertigung waren wollten einige den Arbeitskampf unterminieren.

Der Streik nahm täglich an Umfang zu. Begonnen wurde am Montag mit 80 Leuten und am Freitag waren bereits 1.500 Beschäftigte direkt oder indirekt im Ausstand. Voisard, der sich anfangs recht überrascht gab, begann via Medien mit Schuldzuweisungen zu operieren. Er behauptete, der Betriebsrat sei nicht bereit gewesen, vorher schon Gespräche zu führen. Dieser Versuch, Betriebsrat und Streikkomitee den „Schwarzen Peter“ zuzuspielen, rief teilweise Verwirrung hervor.

In den späten Abendstunden des dritten Tages kam Spannung auf, als MBE-Landessekretär Walter Schopf im Betriebsrat eine APA-Meldung verlas, dass SNF bzw. MAN die Aussperrung für alle jene angedroht wurde, welche durch Streikfolgen nicht mehr arbeiten konnten. Dies wurde zwar am nächsten Tag wieder zurückgenommen und als Missverständnis dargestellt, ja die Meldung sogar überhaupt geleugnet.

Der GLB beantragte bei dieser BR-Sitzung, sofort den totalen Flächenstreik im Steyr-Werk über den Betrieb hinaus auszurufen, in Betrieben des ganzen Landes Sympathie- und Protestkundgebungen und in manchen Betrieben auch Proteststreiks abzuhalten. Dies wurde als Gegenmaßnahme gegen die Aussperrungsandrohung, die dann sanft zurückgenommen wurde, beschlossen und war für den nächsten Tag geplant.

Ein weiterer Versuch den Streik zu stören, entstand durch verschieden formulierte Briefe der Firmenleitung an jene, die durch den Streik in den Ausstand geraten waren, mit der Aufforderung, den Betrieb zu verlassen (unter Anführung einer 75-prozentigen Bezahlung usw.). Diese Aufforderung wurde nicht befolgt.

In diesem Zusammenhang ist der ORF fürchterlich „eingefahren“: Er hat nach Verkündung der Aussperrungsandrohung und aufgrund der genannten Briefe, die verteilt wurden, stundenlang die Werkstore ausgeleuchtet. Die ORF-Kameraleute räumten erst nach langem Zuwarten die Tore wieder und wollten überhaupt nicht verstehen, warum die Beschäftigten nicht herauskamen.

Die Streikbereitschaft nahm ständig zu, die Stimmung war ausgezeichnet, was bei derartigen Auseinandersetzungen sehr bedeutungsvoll ist. Wichtig waren dabei die Solidaritätserklärungen. Es gab etwa hundert Telegramme oder Briefe aus Betrieben, Universitäten, Schulen und verschiedenen Organisationen - davon 32 von Organisationen aus dem Umfeld von KPÖ und GLB - von Betriebsräten, Betriebsorganisationen sowie von Kinder-, Frauen- und Studentenorganisationen.

Diese Solidaritätserklärungen wurden vergrößert, vervielfältigt und im gesamten Werk auf prominenten Stellen plakatiert. Und da diese Schreiben meist nicht nur formale Sympathie zum Ausdruck gebracht haben, sondern auch Inhalte und Zusammenhänge, wurden sie ungemein aufmerksam gelesen, was sicherlich eine Hilfe war, die Zusammenhänge dieses Arbeitskampfes zu erklären.

SPÖ kam zu spät!

Bedeutend waren auch die persönlichen Besuche. Der KPÖ-Vorsitzende Walter Silbermayr und der GLB-Vorsitzende Manfred Groß waren schon am Montag in Steyr, um sich zu informieren und statteten am nächsten Tag der Streikleitung einen Besuch ab. Zwei Tage danach kam der SPÖ-Landessekretär Karl Wöllert und BRV Leithenmayer begrüßte ihn sinngemäß so: „Es freut uns, dass Du da bist, vor mehreren Tagen war der neue KPÖ-Vorsitzende bei uns und auch der GLB-Vorsitzende hat uns besucht.“ Das brachte den SPÖ-Landessekretär etwas in Verlegenheit.

Die Verhandlungen beginnen

Am vierten Streiktag fand das erste Gespräch zwischen einem Teil der Streikleitung, GD Voisard und VD Koch statt, bei dem auch der MBE-Vorsitzende Rudolf Nürnberger mitwirkte. Dieses Gespräch führte dazu, dass die für Freitag zum Versand bereitliegenden Kündigungsbriefe nicht ausgeschickt wurden und dass ein neuerlicher Verhandlungstermin in der CA-Zentrale in Wien im Beisein von CA-GD Schmidt-Chiari vereinbart wurde.

Erst das Ergebnis des zweiten Verhandlungstages, das am Freitag um 22 Uhr bei einer Betriebsratssitzung verlesen wurde, schien akzeptabel zu sein. Es beinhaltete, dass die Kündigungsliste zurückgenommen wurde und Sofortverhandlungen über ein Sozialpaket aufzunehmen sind. Weiters wurde vereinbart, dass der Werkzeugbau in veränderter Form und an einem anderen Ort bestehen bleibt. Investitionen im Umfang von 700 Millionen Schilling sollten bei einer Aufsichtsratssitzung im März zum Beschluss vorgelegt werden, wobei offen blieb, ob damit SAT oder SAB gemeint waren. Die M1-Fertigung sollte zwar in Valentin bestehen bleiben, im Falle der Fertigungsnotwendigkeit höherer Stückzahlen werden die Einzelteile aber nicht mehr zugekauft, sondern von der SAT hergestellt werden.

Dieses Ergebnis war annehmbar. GLB-Betriebsrat Anselm Hinterreithner erklärte aber in der Abschluss-Sitzung, dass das nur die erste Runde in die er harten Auseinandersetzung war, dass diese sicherlich weitergeführt werden muss und große Vorsicht notwendig macht, um dabei nicht unter die Räder zu kommen. Neben der Rücknahme der Kündigungsliste schien dem GLB der wesentliche Erfolg des Arbeitskampfes darin zu bestehen, dass es gelungen ist, einen Angriff auf die ureigensten Angelegenheiten, auf autonome Entscheidungsbereiche der Arbeiterschaft zurückzuweisen und somit die Veränderung der Verhältnisse, die damit beabsichtigt war, vorläufig zu verhindern. Das macht den Kern des Erfolgs aus, und deswegen stimmte der GLB diesem Konzept zu. Der Streik wurde am darauf folgenden Montag, nachdem die Belegschaft informiert wurde, nicht mehr fortgesetzt. Er zeigte jedoch einige wesentliche Schlussfolgerungen.

Das jahrelang immer wiederkehrende Argument der SPÖ-Gewerkschafter, dass die Belegschaft nicht streikbereit sei, wurde durch die Streikdisziplin und die zunehmende Streikakzeptanz der Kollegen klar widerlegt. Eine Rückkehr zu jenem Arbeitsstil des Zurückweichens, Abwartens und Duldens war ohne größeren Gesichtsverlust nicht möglich, ein Schritt in Richtung höherer Kampfbereitschaft wurde gemacht.

Das hatte über Steyr hinaus Bedeutung. MBE-Vorsitzender Nürnberger äußerte daher in einer Zentralvorstandssitzung unmittelbar nach dem Streik - bei der ein allgemeines Lob für die disziplinierte Streikabwicklung ausgesprochen und die Streikabdeckung beschlossen wurde - auch seine ersten Ängste: Man könne jetzt nicht das Steyr-Modell, diese Vorgangsweise einfach überall anwenden, in Zeltweg, bei Waagner-Biro oder in Donawitz usw. Er befürchtete also, dass dieses Beispiel des Widerstandes Nachahmung finden könnte.

Bei dieser Zentralvorstandssitzung wurde auch festgelegt, dass die Lohnausfälle der direkt Streikenden und der indirekt Betroffenen zu 100 Prozent ausgeglichen bzw. entgolten werden.

Quelle: Der Streik, „die arbeit“, 4a/1990

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