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Befreiung - Staatsvertrag - Neutralität

  • Samstag, 7. Mai 2005 @ 10:13
Geschichte Von Hans Hautmann

Wenn wir uns heute versammelt haben, um des 60. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkriegs zu gedenken, so ist die Bezeichnung „Festveranstaltung“ sehr wohl gerechtfertigt. Denn dieser Krieg endete mit der vollkommenen Niederlage des Faschismus, er brachte die Befreiung Österreichs von der nationalsozialistischen Herrschaft, der finstersten Zeit, die unser Land in seiner gesamten Geschichte erleben musste, er endete mit dem Sieg der Armeen der Anti-Hitler-Koalition und der um ihre Freiheit kämpfenden Völker Europas. Es war das ein Ereignis von epochaler Bedeutung, das zu einschneidenden Wandlungen auf dem Schauplatz der internationalen Politik führte. Mit dem historischen Sieg des Jahres 1945 wurden die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass der antifaschistische und nationale Befreiungskampf in einer Reihe von Ländern Europas und Asiens in sozialistischen Umwälzungen ausmünden konnte und in den kapitalistischen Ländern Umgestaltungen eintraten, die allgemeindemokratischen Charakter hatten und die Positionen der Parteien und Organisationen der arbeitenden Menschen stärkten.

Der Krieg, der in Europa im Mai 1945 zu Ende ging, hat von den Völkern der Welt ungeheure Opfer verlangt. 55 Millionen Tote, 35 Millionen Kriegsversehrte, 11 Millionen in Vernichtungslagern, KZs, Zuchthäusern Ermordete und von der Blutjustiz der faschistischen Mächte Hingerichtete, gigantische Zerstörungen und materielle Schäden waren seine Bilanz. Dieser Krieg war aber nicht nur ein Fluch, nicht nur eine Tragödie für die Menschheit. Er war auch eine große Prüfung, eine Prüfung darüber, welche Kräfte stärker waren, die des gesellschaftlichen Fortschritts oder die der faschistischen Barbarei und Reaktion, eine Entscheidung darüber, in welche Richtung sich die Weltgeschichte fortan bewegte. Denn in diesem Krieg trat neben dem Kampf der regulären Armeen an den Hauptfronten eine neue Kraft, ein neuer politischer und militärischer Faktor in einem Ausmaß in Erscheinung, wie ihn die Geschichte bis dahin nicht gekannt hatte: der antifaschistische Widerstandskampf der Völker, der in einigen Ländern in die höchste Form überging, die denkbar ist, in den Partisanenkrieg. Beides wurde zu einem bestimmenden Element des Zweiten Weltkriegs und hatte wesentlichen Anteil am Sieg der Anti-Hitler-Koalition.

Hatte der Erste Weltkrieg nur einen Widerspruch gekannt, den zwischen den imperialistischen Mächten, so fanden im Zweiten Weltkrieg nicht nur eine, sondern zwei Gruppen von Widersprüchen ihren Ausdruck: der Widerspruch zwischen den rivalisierenden kapitalistischen Ländern Deutschland, Italien und Japan auf der einen und Frankreich, den USA und Großbritannien auf der anderen Seite, sowie ein neuer Widerspruch, der zwischen der kapitalistischen Welt und der Welt des Sozialismus, repräsentiert durch den Sowjetstaat UdSSR. Das drückte dem Verlauf des Krieges ebenso wie seinen Endergebnissen in jeder Hinsicht den Stempel auf. Eine weitere Besonderheit des Zweiten Weltkriegs bestand darin, dass die aggressive imperialistische Gruppierung mit dem nationalsozialistischen Deutschland an der Spitze nicht mehr bloß die Frage nach der Neuverteilung der Welt stellte wie im Ersten Weltkrieg, sondern mehr, die Errichtung der Weltherrschaft, die Versklavung und sogar Vernichtung ganzer Völker anstrebte. Diese verbrecherischen Ziele der faschistischen Aggressoren waren bestimmend für die Tatsache, dass im Zweiten Weltkrieg zum Unterschied vom Ersten von Anfang an zwei Tendenzen gegeneinander kämpften und die objektiven Möglichkeiten für einen gerechten Befreiungskrieg der Völker gegen den Faschismus vorhanden waren: in Ländern wie Polen, der Tschechoslowakei, Dänemark, Norwegen, Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Jugoslawien und Griechenland.

In den genannten Ländern waren die Bedingungen, um breite Volksmassen zum aktiven Handeln gewinnen zu können und unter ihnen Verständnis für die Ziele der Widerstandsbewegung zu erwecken, günstig. Hier war der Feind in erster Linie der auswärtige faschistische Okkupant, der in das Land eingefallen war und ein Terrorregime errichtet hatte. Dass der Kampf gegen den auswärtigen Aggressor mit dem Kampf gegen seine einheimischen Kollaborateure und Quislinge verbunden werden musste, ergab sich von selbst. Durch den Kriegseintritt der Sowjetunion als Folge des deutschen Überfalls vom 22. Juni 1941 hat sich der Charakter des gerechten Befreiungskampfes gegen den Faschismus endgültig geformt. Auf dem Boden der gemeinsamen Interessen der freiheitsliebenden Völker entstand 1941 eine mächtige Staatenkoalition mit der Sowjetunion, den USA und Großbritannien an der Spitze, durch deren gemeinsame Anstrengungen der welthistorische Sieg im Zweiten Weltkrieg errungen wurde.

Ungleich schwierigere Bedingungen herrschten für die Widerstandsbewegung in Ländern, in denen der Faschismus bereits seit Jahren an der Macht war, in Ländern wie Deutschland und Österreich. Denn hier musste der Kampf auf den Sturz der eigenen Regierung und auf die Niederlage des eigenen Landes abzielen. Eine solche Einsicht musste die in breiten Kreisen der Bevölkerung vorhandene und im Zuge der Blitzkriegsiege noch verstärkte chauvinistische Verhetzung, die nationale und soziale Demagogie und die Täuschung des Volkes über die wahren Ursachen und Ziele des Krieges erst überwinden, um eine wirkliche Massenbewegung gegen Faschismus und Krieg entwickeln zu können.

Wir wissen, dass das ausblieb, dass es dem deutschen und österreichischen Volk nicht gelang, das NS-Regime aus eigener Kraft abzuschütteln. Die Hitlerdiktatur, ein aus dem Boden kapitalistisch-imperialistischen Expansionsstrebens emporgewachsenes und es ins Extreme übersteigerndes Regime des Verbrechens, Herrenmenschendünkels und Rassenwahns, erfüllt von wilder Aggressivität nach außen und schonungsloser Verfolgungs- und Vernichtungswut gegenüber jedweder inneren Opposition, konnte erst durch die vereinten Anstrengungen der großen Weltvölker, nach jahrelangen gewaltigen, blutigen Kämpfen niedergezwungen werden.

Die Verdienste jener Frauen und Männer in unserem Land, die, aus den verschiedensten politischen Lagern kommend, mutvoll, unbeirrt und heroisch Widerstand leisteten, schmälert das aber nicht im geringsten, ganz im Gegenteil. Denn sie waren es, die sich dem Strom eines blindmachenden Fanatismus, kollaborierenden Profitierens und Anpassertums an das Naziregime entgegenstemmten und, ihrem Gewissen folgend, die Fahne der Freiheit, Demokratie und Menschenwürde hochhielten.

Und wie auch anderswo in Europa standen auch bei uns unter ihnen Kommunistinnen und Kommunisten an vorderster Stelle. Sie nahmen die größten Opfer auf sich, um jenen Beitrag zur Abschüttelung der deutschen Fremdherrschaft zu leisten, den die Moskauer Deklaration vom österreichischen Volk einforderte, die Deklaration vom Oktober 1943, in der die drei Hauptmächte der Anti-Hitler-Koalition Sowjetunion, USA und Großbritannien die Wiederherstellung Österreichs als unabhängiger Staat als eines ihrer Kriegsziele verkündeten. Sie, die zwischen 1938 und 1945 die stärkste Kraft des Widerstandes der Linken und des politisch, ideologisch und religiös motivierten österreichischen Widerstandes insgesamt waren und dabei über 2000 Menschen verloren, verstanden ihren Kampf als nationalen Freiheitskampf im Sinne der von Alfred Klahr schon vor 1938 entwickelten These des Bestehens einer eigenständigen österreichischen Nation. Alle jene, die damals politische bewusst Widerstand in Österreich leisteten, wollten nicht abwarten, bis uns die anderen befreien. Sie sahen im eigenen österreichischen Beitrag zum Kampf gegen Hitler die Voraussetzung dafür, nach dem Ende des NS-Regimes eine selbständige österreichische Politik betreiben zu können und damit die Position unseres Landes in der internationalen Staatenwelt gegenüber früher grundlegend anders und besser zu gestalten. Sie waren moralisch davon überzeugt, dass man nicht untätig zusehen dürfe, wie Millionen von Soldaten in den alliierten Armeen, ohne um ihr Einverständnis gefragt worden zu sein, ihr Leben aufs Spiel setzen mussten, um an der Befreiung Europas, und damit Österreichs, mitzuwirken.

Dieser Zehntausenden Frauen und Männer des österreichischen antifaschistischen Widerstandes zu gedenken, die unter dem Fallbeil starben, in Konzentrationslagern zugrunde gingen, wegen oppositioneller Haltung ins Zuchthaus kamen, im Untergrund Flugblätter verbreiteten und Aufklärungsarbeit betrieben, in den Rüstungsbetrieben die Produktion sabotierten, die in Frankreich, Belgien und Jugoslawien in den Reihen der Resistance und der Partisanenverbände standen, die in den alliierten Armeen und im Exil am Kampf gegen den Faschismus teilnahmen – ihrer zu gedenken ist für uns an diesem Tag ein aus vollem Herzen kommendes Bedürfnis. Wir Nachgeborenen sind ihnen für diesen opfervollen Kampf für immer zu Dank verpflichtet und müssen auch künftig alles in unserer Macht stehende tun, um ihre großen Verdienste immer wieder in Erinnerung zu rufen.

Die Stunde der Wiedererstehung Österreichs schlug, als Ende März 1945 die 3. Ukrainische Front die Offensive gegen Wien eröffnete und die Hauptstadt unseres Landes am 13. April nach einwöchigem schweren Kampf befreite. 18.000 Sowjetsoldaten mussten dabei ihr Leben lassen. Die Sowjetunion hielt sich in ihrer Österreich-Politik strikt an die Grundsätze der Moskauer Deklaration. Sie gestattete umgehend die Wiederbegründung der Parteien, der ÖVP, SPÖ und KPÖ, des Gewerkschaftsbundes und anderer gesellschaftlicher Organisationen, sie vertraute österreichischen Antifaschisten und Demokraten Funktionen in der Verwaltung des Landes an, um den Wiederaufbau in Gang zu bringen, die Versorgungsprobleme zu lösen und die Voraussetzungen geordneten staatlichen Leben zu schaffen. Die Einsetzung der Renner-Regierung durch den Oberbefehlshaber der 3. Ukrainischen Front, Marschall Tolbuchins, auf Anweisung Stalins war sicherlich jener Schritt, der die entscheidende Grundlage für die Wiedererrichtung eines unabhängigen, selbständigen und vor allem einheitlichen österreichischen Staates schuf. Für die Sowjetunion bedeutete die Einsetzung einer österreichischen Regierung nicht nur eine Erleichterung ihrer Besatzungsaufgaben, sie war auch das weithin sichtbare Signal der de facto-Trennung Österreichs vom Deutschen Reich und dafür, dass die Sowjetunion die unter den Westmächten immer noch schwelende Diskussion über die Zukunft Österreichs – Stichwort: Plan einer Donaukonföderation mit Bayern und Ungarn – für endgültig erledigt betrachtete. Und durch das beharrliche Streben der Sowjetunion, die Anerkennung der Renner-Regierung durch die Westmächte zu erreichen, sind Umtriebe, in Westösterreich eine Gegenregierung zu etablieren mit der Gefahr der Spaltung unseres Landes hintan gehalten worden.

Die Befreiung des Jahres hat einige Ergebnisse gebracht, die heute von den politischen und wirtschaftlichen Eliten in unserem Land nur zu gern vergessen und unter den Teppich gekehrt werden. Als sich die Niederlage des NS-Regimes und seiner Satelliten in Europa abzuzeichnen begann, also noch während des Zweiten Weltkriegs, wurde es klar, dass mit der Zerschlagung des Faschismus auch eine tiefe Krise des Kapitalismus in Europa eintreten musste, weil sich die Großbourgeoisie nicht nur in Deutschland, sondern auch in den meisten anderen Ländern des europäischen Festlandes auf das engste mit den Regimen verbunden hatte. Ein beträchtlicher Teil der Bourgeoisie und ihrer Schachfiguren im Apparat der politischen Parteien und des Staates war durch die Kollaboration mit dem Faschismus diskreditiert. Die Schwächung dieser Kräfte auf faktisch allen Gebieten und die Tatsache, dass die Leiden, denen die Völker durch Faschismus und Krieg unterworfen waren, zu einer Zusammenballung großer gesellschaftsverändernder Energien führten, schufen günstige Bedingungen für das Wachstum der Arbeiterbewegung und allgemeindemokratischen Bewegung, was bekanntlich so weit ging, dass der antifaschistische und nationale Befreiungskampf in einer Reihe von Ländern Europas und Asiens in sozialistischen Umwälzungen ausmünden konnte. Aber auch anderswo trat 1945 für eine gewisse Zeit eine Situation ein, die man als Einschränkung und Verletzung der gewohnten Grundsätze kapitalistischen Wirtschaftens charakterisieren kann.

Österreich hat dazu gehört. Aus den von der Roten Armee befreiten Gebieten Österreichs hatten sich die meisten Großunternehmer nach dem Westen abgesetzt, die direkt mit dem NS-Regime verbundenen Teile der Bourgeoisie und die höhere Beamtenschaft waren aus den Betrieben und der Staatsverwaltung verschwunden. Die Arbeiter selbst übernahmen mit den demokratischen Schichten des Volkes den Aufbau und die Leitung der Betriebe sowie der Verwaltung. Verbunden mit dieser aktiven Anteilnahme am Wiederaufbau war die Forderung nach Verstaatlichung der Betriebe, einer Demokratisierung der Verwaltung und nicht zuletzt der Wunsch nach einem neuen Weg, den Österreich künftig beschreiten sollte. Diese breite Massenstimmung trug dazu bei, dass selbst der Vorsitzende der bürgerlichen Partei ÖVP, Leopold Figl, 1945 von einer revolutionären Erneuerung Österreichs sprach und sie ankündigte.

Das alles hat sowohl verfassungsrechtlich wie realpolitisch seinen Niederschlag gefunden, in der Unabhängigkeitserklärung vom 27. April 1945, dem grundlegenden staatsbildenden Dokument der 2. Republik, in der Gründung des einheitlichen Österreichischen Gewerkschaftsbundes, in der Verstaatlichung der Schlüsselindustrien und Großbanken, in der Erweiterung der Rechte der Betriebsräte, im Ausbau des Arbeits- und Sozialrechts, auf dem Gebiet der Entnazifizierung im NS-Verbotsgesetz und Kriegsverbrechergesetz und anderem mehr.

Hier und heute soll nachdrücklich daran erinnert werden, dass die österreichische Ausprägung der gewaltigen politischen Errungenschaften, die durch den Befreiungskampf der Völker im Zweiten Weltkrieg erwirkt wurden, auch in der Weiterentwicklung der formal-demokratischen Bundesverfassung der 1. Republik zu einer demokratisch-antifaschistischen Verfassungsordnung nach 1945 bestand. Neben den genannten Gesetzen des Jahres 1945 und der unmittelbaren Jahre danach gehören dazu Bestimmungen des österreichischen Staatsvertrages, die 1964 zu Verfassungsgesetzen erhoben wurden und damit Bestandteil des geltenden österreichischen Verfassungsrechts sind. Es sind das die Artikel 6 (über die Menschenrechte), 7 (über die Rechte der slowenischen und kroatischen Minderheiten), 8 (über die demokratischen Einrichtungen) und 9 (über die Auflösung nazistischer Organisationen) des Staatsvertrages. Der weit gefasste Inhalt des Artikels 9 verpflichtet Österreich, aus dem politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben alle Spuren des Nazismus zu tilgen, um zu gewährleisten, dass der Faschismus nicht in irgendeiner Form wiedererstehen kann. Er bringt auch die historische Erfahrung zum Ausdruck, dass der Militarismus stets der Weggefährte des Faschismus war, und verpflichtet Österreich daher, jede militaristische Tätigkeit und Propaganda zu verhindern.

Die österreichische Verfassungsordnung der 2. Republik ist also keinem abstrakten Pluralismus verpflichtet, sondern ist klar demokratisch-antifaschistisch strukturiert. Die darin festgeschriebenen Grundsätze stehen in einem unauflöslichen politischen Zusammenhang und lauten: staatliche Unabhängigkeit, Demokratie, Antifaschismus, Antimilitarismus und Neutralität.

Will man, dass diese Fundamente der österreichischen Staatlichkeit nach 1945 erhalten bleiben, Fundamente zu denen auch der Ausbau des Sozial- und Wohlfahrtsstaates in der fünfziger, sechziger und siebziger Jahren gehörte, dann gilt es für sie einzutreten und zu kämpfen. Denn sie sind bedroht, bedroht durch die Aufgabe von Souveränitätsrechten im Gefolge des EU-Beitritts Österreichs, durch das geplante Inkrafttreten der EU-Verfassung und durch die Attacken der Kapitalmächtigen gegen die sozialpolitischen Errungenschaften. Verteidigen wir diese Fundamente, so erfüllen wir das Vermächtnis jener, die so große Opfer für das Ziel der Wiedererrichtung Österreichs als unabhängiger Staat gebracht und die 2. Republik aufgebaut haben.

Rede auf der Festveranstaltung des oö KZ-Verbandes zum 60. Jahrestag der Befreiung Österreichs vom Faschismus

Linz, 7. Mai 2005

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