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1955: Auseinandersetzungen um Österreichs Neutralität

  • Montag, 26. Oktober 2020 @ 08:00
Geschichte Von Hans Hautmann

In seiner Rede anläßlich der Verabschiedung des Bundesverfassungsgesetzes über die Neutralität Österreichs sagte Bundeskanzler Raab vor dem Nationalrat am 26. Oktober 1955: „Unsere Neutralität ist keine provisorische, widerrufliche Beschränkung unserer Souveränität, die wir etwa unter dem Zwang der Verhältnisse widerstrebend auf uns genommen haben, sondern die Basis für eine Außenpolitik, die unserer Heimat und unserem Volk für alle Zukunft Frieden und Wohlstand gewährleisten soll“. Er erklärte, daß das österreichische Volk nun einmütig seinen Staat bejahe und das österreichische Selbstbewußtsein sich bis zum eigenständigen österreichischen Nationalbewußtsein gesteigert habe. Eine neue Epoche beginne, die Österreich mit dem aufrichtigen Willen beschreite, durch die Neutralität „nicht nur uns und unseren Nachbarstaaten, sondern darüber hinaus der ganzen Welt zu nützen“.

In der Tat war der Weg vom Anschlußgedanken 1918 zur Neutralitätserklärung 1955 der Weg Österreichs zu sich selbst, der Weg aus katastrophalen Verwicklungen und gefährlichen Abenteuern zu optimalen Voraussetzungen seines Bestandes. Die große Majorität der österreichischen Bevölkerung erkannte die Vorteile der Neutralität sehr bald. Der bündnisfreie Zustand erhöhte das internationale Ansehen und die Sicherheit Österreichs. Er bot mannigfaltige Vorteile politischer und wirtschaftlicher Art. Der Gedanke der Neutralität faßte im Bewußtsein des österreichischen Volkes tiefe Wurzeln, so stark und nachhaltig, daß ihre Beibehaltung bis zum heutigen Tag mehrheitlich befürwortet wird.

Der neutrale Status war aber stets weit davon entfernt, ohne Probleme zu sein und keine Gegner zu haben. Er blieb ein dauerndes Objekt innen- und außenpolitischer Auseinandersetzungen. Betrachtet man deren früheste Phase, die Jahre 1955 bis 1965, gelangt man zu verblüffenden Einsichten, vor allem darüber, welche Kontinuitäten in der Argumentation gegen die Neutralität walten.

„Aufgezwungen“
Ganz im Widerspruch zur oben zitierten Aussage Raabs, zum Text des Neutralitätsgesetzes und zu allen offiziellen Erklärungen, daß Österreich „aus freien Stücken“ die Verpflichtung zur immerwährenden Neutralität übernommen hat, war schon damals ständig zu hören, Österreich sei durch Moskau zur Neutralität „gezwungen“ worden. Diese These vertraten, wie nicht anders zu erwarten, der VdU und die spätere FPÖ, aber auch gewisse Kreise in der ÖVP und SPÖ, in der Regel jene, die deutschnational orientiert waren und als Sprachrohr jener Fraktion der österreichischen Großbourgeoisie fungierten, die, traditionell verbunden mit dem deutschen Kapital, bei diesem stärkeren Partner Unterstützung und Rückendeckung suchte. Von dieser Gruppe gingen übrigens auch alle anderen Varianten der Herabminderung, Einengung und Verfälschung des Neutralitätsgedankens aus, die wir nachstehend behandeln. Zu ihren Protagonisten zählten u.a. die in der Steiermark beheimateten „Erneuerer“ der ÖVP wie Landeshauptmann Krainer sen., Gorbach (solange er noch nicht Bundeskanzler war) und führende Leute der Industriellenvereinigung wie ihr Geschäftsführer Dr. Thausing und Mayer-Gunthof; in der SPÖ Oskar Helmer, Ernst Koref, Peter Strasser, das Organ der steirischen Landesorganisation der SPÖ, die Grazer „Neue Zeit“, und die damalige SP-Wochenschrift „Heute“, in der 1959 in einer ganzen Artikelserie Günther Nenning den Nachweis zu führen suchte, daß die Sowjetunion Österreich die Neutralität „aufgezwungen“ habe.

Außenminister Bruno Kreisky nahm in einem Vortrag in Zürich am 4. Mai 1960 gegen diese Behauptung Stellung, und sagte: „Von sowjetischer Seite wurde niemals der Versuch unternommen, Österreich die Neutralität aufzuzwingen. Man hat lediglich eine Garantie gegen einen neuerlichen Anschluß Österreichs an Deutschland verlangt. Bei den Besprechungen in Moskau im April 1955 hat es sich sehr bald gezeigt, daß man auf sowjetischer Seite bereit war, die Neutralität Österreichs als Garantie gegen einen Anschluß zu akzeptieren“.

Es liegt auf der Hand, daß diejenigen, die Österreich zu einem Teil des westlichen Blocksystems machen wollten, die Neutralität als etwas Aufgezwungenes empfanden, und diese Behauptung stets dazu diente, die öffentliche Meinung darauf vorzubereiten, im gegebenen opportunen Moment die Neutralität über Bord zu werfen. Die Wahrheit ist, daß die Sowjetunion eine Neutralitätspolitik als den einzig gangbaren Weg zum österreichischen Staatsvertrag aufzeigte und der österreichischen Regierung die Entscheidung darüber überließ. Die österreichische Regierung wählte diesen Weg, und die österreichische Bevölkerung hat die Neutralität als eine besonders günstige Position für Österreich gerne akzeptiert.

Die Sache hat aber noch einen weit gravierenderen Aspekt. Bekanntlich ist Österreich über Jahrzehnte hinweg mit der Neutralität gut gefahren und durch sie zu einem geachteten Mitglied der Staatengemeinschaft geworden. Künftige HistorikerInnen werden sicherlich konstatieren, daß die Ära der aktiven Neutralitätspolitik die glücklichste Periode der gesamten österreichischen Geschichte war. Wenn es so sein sollte, daß ein anderer Staat, noch dazu ein kommunistischer, Österreich zu diesem Glück erst zwingen mußte, dann stellt das jenem Teil der herrschenden Kreise, die bei uns Gegner der Neutralität waren und blieben, ein beschämendes, geradezu vernichtendes Zeugnis aus.

„Kein Neutralismus“
Ein weiteres Schlagwort der Gegner der Neutralität, die sich bewußt waren, daß die Neutralitätspolitik von der großen Mehrheit der österreichischen Bevölkerung bejaht wurde, war: „Keine geistige und keine ideologische Neutralität“, „kein Neutralismus“.

Selbstverständlich bedeutete die Verpflichtung zur Neutralität keinerlei Beschränkung der Meinungsfreiheit der Bevölkerung und des Rechtes, sich für dieses oder jenes politische Bekenntnis zu entscheiden. Die Neutralität verpflichtete, wie Bundeskanzler Raab am 26. Oktober 1955 vor dem Nationalrat betonte, „den Staat und nicht den Staatsbürger“, und niemand fiel es ein, aus der staatlichen Neutralität eine Verpflichtung für den Staatsbürger zu einer ideologischen Neutralität abzuleiten. Das, was österreichische Repräsentanten und ausländische NATO-Politiker als „Neutralismus“ bezeichneten und wogegen sie sich mit dieser Begriffsregelung wandten, war in Wirklichkeit das Beschreiten eines Weges echter Neutralitätspolitik, nämlich das Heraushalten aus einseitigen Bindungen, oder konkreter gesagt - da von einer Bindung Österreichs an den Osten nicht gesprochen werden konnte -, das Heraushalten aus der westlichen Blockpolitik gegen die kommunistischen Länder. Das immer wieder stolz verkündete Bekenntnis, daß Österreich keine „neutralistische“ Politik betreibe, war seinem Wesen nach ein Bekenntnis gegen eine aufrichtige Neutralitätspolitik, ein Eingeständnis bestehender Tendenzen, die Politik Österreichs bei formelles Aufrechterhaltung des Neutralitätsstatus faktisch an die westliche Blockpolitik zu binden.

„Nur militärisch“
Im Zusammenhang mit der schon damals virulenten Debatte über einen Beitritt zur EWG schrieb die Grazer „Neue Zeit“ am 19. November 1959: „Österreichs Politiker täten gut daran, sich zu erinnern, was sie selbst durch Jahre hindurch gesagt und vertreten haben, daß nämlich Österreichs Neutralität eine rein militärische ist und sonst nichts“. Und der Leiter des österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, Dr. Nemschak, sagte in einem Vortrag vor Mitgliedern der Industriellenvereinigung der Steiermark am 5. Dezember 1962: „Wenn wir uns aber aus triftigen Gründen für die europäische Integration – im Sinne der Assoziierung mit der EWG, muß ich hinzufügen – entscheiden, dann darf kein Zweifel bestehen, daß unsere Neutralitätsverpflichtung eine rein militärische ist“.

Auch hier ging es um dieselbe Sache: Die Verfechter der „nur militärischen Neutralität“ wollten den Begriff der Neutralität allein auf die Nichtzugehörigkeit zu Militärblöcken beschränken, und auch das nur, weil ihnen die sowjetische Initiative des Jahres 1955 keinen anderen Weg offen ließ. Ihr politischer Wunsch war, daß Österreich den Weg in das westliche Blocksystem gehen solle. Diese Leute sprachen von der „nur militärischen Neutralität“, weil sie jede echte Konsequenz aus dem Neutralitätsstatus in politischer Hinsicht vermeiden wollten, um so als stiller Teilhaber am westlichen Blocksystem partizipieren zu können. „Nur militärische Neutralität“ hieß z.B., Österreich an die EWG anzubinden, die Volksrepublik China und die DDR nicht anzuerkennen, usw. In solchen Handlungen und Unterlassungen offenbarte sich jene Haltung, die die Neutralität Österreichs als „Preis für den Staatsvertrag“ oder als „von den Russen aufgezwungen“ hinstellte. Die militärische Neutralität war und ist eine so banal-selbstverständliche Konsequenz des Neutralitätsstatus, daß allein schon das ständige Betonen, daß die österreichische Neutralität „nur“ darin bestehe, als Ausdruck der Unehrlichkeit gegenüber einer wirklichen Neutralitätspolitik angesehen werden muß.

„Die Interpretation ist ausschließlich Sache Österreichs“
Permanent wurde weiters davon gesprochen, daß es „ausschließlich Sache Österreichs“ sei, den Inhalt der Neutralität zu bestimmen, etwa so, daß außer den militärischen Verpflichtungen alles erlaubt sei. Das konnte in der einen oder anderen Weise, in negativer wie positiver Richtung geschehen, und Österreich hat – im Unterschied zur Schweiz – z.B. den Beitritt zur UNO und zum Europarat als mit dem Neutralitätsstatus vereinbar angesehen. Neutralität ist jedoch nur dann Neutralität, wenn sie von der Staatengemeinschaft und den gegensätzlichen Machtblöcken, in deren Auseinandersetzung das neutrale Land nicht Partei sein will, anerkannt wird. Erkennt aber eine Partei die Neutralität nicht mehr an, zum Beispiel, weil das fragliche Land es trotz seiner Neutralitätserklärung faktisch mit der Gegenpartei hält, so hilft keine Beteuerung, daß man ohnedies neutral sei und das Recht habe, den Inhalt seiner Neutralität selbst zu bestimmen.

Für das neutrale Österreich bedeutete das, daß es eine Neutralitätspolitik betreiben mußte, die sowohl vom Westen als auch vom Osten als solche anerkannt werden konnte. Das erforderte, keine Verbindungen einzugehen, die auf der anderen Seite als Bruch der Neutralität gewertet werden mußten. Alles in allem hat Österreich eine solche Linie verfolgt (im Falle der Beitrittsabsichten zur EWG in den frühen sechziger Jahren allerdings erst nach mahnenden Worten aus Moskau) und ist damit zu keinem Zeitpunkt in einen ernsthaften Konflikt mit den internationalen Machtgruppierungen geraten. Anders wurde es 1989/91 mit dem Verschwinden der kommunistischen Systeme in Osteuropa und in der Sowjetunion. Obwohl der Nachfolgestaat Rußland weiterhin sein Interesse an der Aufrechterhaltung der österreichischen Neutralität bekundete, benützte man nun die Formel von der „Interpretation als ausschließlicher Sache Österreichs“, um sowohl den Vollbeitritt zur EU zu vollziehen als auch die Neutralität samt den militärischen Verpflichtungen Schritt für Schritt auszuhöhlen. Das Schlagwort wurde damit zum Hebel einer Entwicklung, die dazu führte, daß Österreich heute trotz des Weiterbestehens des Verfassungsgesetzes über die immerwährende Neutralität de facto kein neutraler Staat mehr ist (siehe das jüngste Militärbefugnisgesetz) und es entweder wieder werden muß oder die letzte formale Hülle abstreift.

„In der Neutralität verhungern“
Diesen berühmt-berüchtigt gewordenen Ausspruch machte der steirische Landeshauptmann Josef Krainer sen. am 29. November 1959 in einer Rede in Hartberg, in der er den direkten Beitritt Österreichs zur EWG forderte und unter anderem sagte: „Die Rücksichtnahme auf unseren Neutralitätsstatus darf nicht dazu führen, uns von der Europaidee zu entfernen oder sie zu begraben“. Er gab damit den Startschuß für eine heftige, bis zur Mitte der sechziger Jahre währende Auseinandersetzung um die Frage, ob eine Anbindung an die EWG mit dem Neutralitätsstatus Österreichs vereinbar sei. Sie zu betrachten ist sehr lehrreich, weil schon damals jene Argumente dagegen aufs Tapet kamen, die man – trotz Fortdauer sämtlicher konstitutiven Rahmenbedingungen – dreißig Jahre später vom Tisch wischte.

Wenn Krainer von der „Europaidee“ sprach, drückte er damit die Interessen jener Kreise aus, denen schon damals die Neutralität unseres Landes ein Dorn im Auge war, die in Deutschland darauf spekulierten, durch Kapitalbeteiligungen an österreichischen Betrieben sich eine dominierende Position in unserer Wirtschaft zu sichern und damit ihre Macht innerhalb der EWG zu stärken, und schließlich jener, die die Verstaatlichung in Österreich liquidieren, den politischen und wirtschaftlichen Einfluß der Arbeiterbewegung brechen und unser Land in das Europa der Konzerne eingliedern wollten.

In der SPÖ wurden ähnliche Stimmen laut, so als Ernst Koref 1959 im Bundesrat von seinem „beklemmenden Gefühl“ sprach, das er wegen des Nichtanschlusses an die EWG habe, und darin ein Abgehen von „einem klaren Bekenntnis zur westlichen Ideologie“ erblickte. Rupert Gmoser schrieb am 14. November 1959 im Grazer SP-Blatt „Neue Zeit“ einen Leitartikel, in dem es hieß: „Niemand kann behaupten, daß der Beitritt Österreichs zur EWG völkerrechtlich einen Bruch der Neutralität darstellt“. Er forderte, daß sich Österreich bei der Entscheidung über seinen Beitritt zur EWG „von Moskau nicht einschüchtern lassen“ dürfe.

Anderer Auffassung waren Vizekanzler Pittermann und Außenminister Kreisky. Pittermann, zu der Zeit auch für die verstaatlichte Industrie zuständig, warnte im Oktober 1959 in einer Rede vor Erdölarbeitern in Matzen vor dem „Eindringen ausländischen Kapitals in die österreichische Wirtschaft“ und vor der damit verbundenen „Gefahr der Überfremdung“. Schon vorher, Ende Mai 1959, hatte er auf dem Vorarlberger Landesparteitag der SPÖ den „Kartellkapitalismus“ der EWG angeprangert und gesagt: „Um seine europäischen Positionen zu sichern, ist der Kartellkapitalismus zur Bildung der EWG geschritten. Der in der EWG geschaffene ‚übernationale Bürgerblock‘ leitet eine Entwicklung ein, der man rechtzeitig entgegentreten muß. Wir wehren uns gegen den Versuch österreichischer Wirtschaftskreise, auch Österreich in diesen Bürgerblock hineinzumanövrieren“. Kreisky entgegnete den Behauptungen der Beitrittsbefürworter, daß es sich um rein wirtschaftliche Fragen und Notwendigkeiten handle, am 4. Dezember 1959 in der „Sozialistischen Korrespondenz“ folgendermaßen: „Der Grund dafür, daß wir nicht in die EWG eintreten können, (...) ist, daß die EWG nicht bloß eine Wirtschaftsgemeinschaft ist, sondern auch und vor allem eine politische Gemeinschaft darstellt. Einer solchen anzugehören verbieten uns aber Staatsvertrag und Neutralitätsgesetz“. Er gab damit nur wieder, was führende EWG-Politiker wie der deutsche Wirtschaftsminister Ludwig Erhard selbst gesagt hatten: „Die EWG besitzt einen vorwiegend politischen Aspekt. Sie hat nur dann einen Sinn, wenn man auf eine politische Gemeinschaft zusteuert“.

Als Österreich im Dezember 1961 gemäß Art. 238 der Römer Protokolle den Antrag auf Assoziierung mit der EWG stellte, begründete ihn Außenminister Kreisky am 28. Juli 1962 vor dem EWG-Ministerrat ausführlich. Als Bedingung nannte er: „a) Österreich muß sich auf dem Gebiet der Handelspolitik ein gewisses Maß an Aktionsfreiheit hinsichtlich der Regelung seiner Beziehungen zu Drittländern bewahren; b) Österreich muß als neutrales Land die Möglichkeit haben, im Falle eines unmittelbar drohenden oder bereits bestehenden Konflikts die Anwendung einzelner Bestimmungen des Assoziierungsvertrages sowie möglicherweise des gesamten Vertrages vorübergehend zu suspendieren und unter Umständen auch in Friedenszeiten an wirtschaftspolitischen Aktionen nicht teilzunehmen, die gegen Drittstaaten gerichtet sind und ausschließlich politischen Zwecken dienen, und schließlich – soferne Neutralitätsgründe dies unerläßlich erscheinen lassen – das Abkommen zu kündigen“.

Der Belgier Jean Rey, damals für die auswärtigen Beziehungen der Brüsseler EWG-Kommission zuständig, antwortete darauf in einem Vortrag am 9. November 1962 in Basel, in dem er sich mit den Mindestforderungen der EWG an die Neutralen im Falle der Assoziierung beschäftigte. Als solche Mindestforderungen bezeichnete er: 1. Annahme des EWG-Außenzolls als Basis für alle Zollsenkungsmaßnahmen; 2. Handelspolitische Selbständigkeit gegenüber dem Ostblock in nur sehr beschränktem Rahmen und nicht über die gegenwärtigen Prozente hinaus; 3. Keine Kündigungsklausel in Friedenszeiten aus neutralitätspolitischen Gründen; 4. Keine durch die Neutralität motivierten Ausnahmebestimmungen für die Landwirtschaft, sondern volle Anwendung der EWG-Agrarordung; 5. Volle Übernahme der sich entwickelnden gemeinsamen Wirtschafts-, Sozial-, Finanz- und Wettbewerbspolitik der EWG ohne Ausnahmeklausel.

Allen verantwortlichen Regierungspolitikern in Österreich war damit damals klar, daß diese Bedingungen der EWG mit dem Neutralitätsstatus unvereinbar waren. Dreißig Jahre später, nach zahlreichen weiteren Integrationsschritten und der weit schärfer gewordenen Konturierung des Charakters der EU als politischer Gemeinschaft, stellte das auf einmal kein Hindernis mehr dar. Die großbürgerliche „Presse“ hatte aber schon 1959 die Parole ausgegeben, als sie den künftigen Weg Österreichs folgendermaßen wies: „Die Zwangslage (!), in die Österreich (durch die Neutralität, H.H.) geraten ist, ist nur zu meistern – durch ‚Umwege nach Europa‘“.

Die Schlußfolgerung aus meinen Ausführungen kann nur sein, daß nicht alle Teile, stets aber der stärkere und tonangebende der Wirtschaftsmächtigen in Österreich den Neutralitätsstatus nie wirklich akzeptiert hat. Das, und nicht die veränderte weltpolitische Lage nach dem Ende der Sowjetunion, ist der eigentliche Grund für das Streben, sich der Neutralität zu entledigen und das in naher Zukunft endlich restlos zu tun. Die Neutralität, dem Kleinstaat Österreich wie auf den Leib geschneidert, verträgt sich nicht mit den Großmachtambitionen, denen die österreichische Bourgeoisie seit dem Ende des Habsburgerreiches nachhing und die sie zu keinem Zeitpunkt ad acta gelegt hat. Im November 1918 über Nacht in einen staatlichen Rahmen eingeschnürt, der nach den bisherigen Maßstäben einem Absacken in die Bedeutungslosigkeit gleichkam, hat das österreichische Großkapital den Sturz von den wirtschaftlichen Kommandohöhen einer Großmacht nie verwunden. Daher stammen die Doktrinen von der „Lebensunfähigkeit“ Österreichs, die Forderungen nach dem Anschluß an Deutschland oder der Schaffung einer „Donaukonföderation“ in der 1. Republik und das Streben nach Anbindung an den Westen ebenso wie das Gerede vom „Verhungern in der Neutralität“ in der 2. Republik. Durch den Beitritt zur EU versucht man die Machtaspirationen in neuen Formen gegenüber den ehemals beherrschten Völkern der Donaumonarchie und dem traditionellen Objekt altösterreichischer imperialistischer Begehrlichkeit, dem Balkan, zu befriedigen.

Vortrag von Dr. Hans Hautmann bei der Nationalfeiertagsveranstaltung der Linzer KPÖ am 26. Oktober 2001

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