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Mehr Irrtümer als andere

  • Freitag, 19. August 2005 @ 09:22
Geschichte "Der Becher geht solange zum Bronnen, bis er brecht": Das chaotische Leben des Arnolt Bronnen

Die Liste seiner TV-Essays könnte ein halbes Medientagebuch füllen: Ullrich Kasten ist so etwas wie das künstlerische Gedächtnis des 20. Jahrhunderts. Seine Porträts bekannter, aber auch schon fast vergessener Künstler-Persönlichkeiten - meist zusammen mit Fred Gehler, dem heutigen Direktor des Leipziger Dokumentarfilmfestivals, faktenreich mit sensibler Einfühlsamkeit gestaltet - waren stets Highlights im Programm des DDR-Fernsehens. Überwiegend galten sie deutschen Regisseuren und Darstellern, oft Emigranten, aber auch Ikonen des sowjetischen Kinos. Häufig erinnerte Kasten an tragische Schicksale, in ihrer Zerrissenheit Spiegelbilder einer von Kriegen, Revolutionen und Umbrüchen geprägten Zeit; formal gelangen ihm nahezu lyrische Stimmungsbilder.

Dem ORB ist zu danken, dass Kasten seine ihm in Adlershof nicht immer leicht gemachte Spurensuche auch nach dem letzten Umbruch fortsetzen konnte. In einer 20-teiligen Folge zeichnete er die Geschichte der DEFA nach, entriss die Filme des Prager Frühlings der Vergessenheit, porträtierte Brigitte Reimann und Victor Klemperer und lieferte zuletzt die widersprüchliche Charakterstudie des Johannes R. Becher. Von da war es nicht weit zu einem Zeitgenossen, der zu den schillerndsten Figuren der Literatur in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gehört, eine Berühmtheit auf den Bühnen der Weimarer Republik, die heute kaum noch jemand kennt: Arnolt Bronnen. Ullrich Kasten und Egon Günther, hier zum ersten Mal Co-Autor, gaben ihrem Porträt den treffenden Untertitel Was für ein chaotisches Leben.

Dieses Leben begann am 19. August 1895 in Wien als Arnold Hans Bronner. Der jüdische Vater Ferdinand, Professor und selbst Stückeschreiber, "trank, prügelte mich und meine Mutter" - so der Sohn, der dafür mit seinem Stück Vatermord Rache nahm. Das Thema lag voll im expressionistischen Trend nach dem Ersten Weltkrieg. Die Uraufführung im Mai 1922, von Berthold Viertel für die Junge Bühne in Berlin inszeniert, wird wie viele folgende Stücke des Dramatikers zum Theaterskandal, aber Herbert Ihering registriert "orkanartigen Beifall" und die "Explosion eines Talents".

Von einer Explosion an der italienischen Front war der österreichische Kriegsfreiwillige Bronner 1916 verwundet worden und verbringt drei Jahre in einem sizilianischen Gefangenenlager. Später erinnert er sich an dortige "sexuelle Exzesse" und dass er in dieser Zeit die ersten Szenen seiner Komödie Exzesse geschrieben habe. Die kommt dann erst 1925 in Berlin zur Uraufführung, wobei sich das Publikum über ein ausgezogenes Unterhöschen und den Wunsch der Protagonistin Gerda Müller nach Sodomie mit einem Ziegenbock entrüstete. Zum erlesenen Ensemble gehören noch Walter Franck, Leonhard Steckel, Curt Bois und der junge Veit Harlan. Während Bronnens getreuer Anhänger Ihering wieder einen "Riesenerfolg" und "Riesenkrach" konstatiert und sogar prophezeit "dieses Lustspiel wird bleiben", sieht sein ebenso konstanter kritischer Widersacher Alfred Kerr nur die "üblichen Schweinereien".

Mitte der zwanziger Jahre ist Bronnen der erfolgreichste Dramatiker. Mit fünf Berliner Premieren in acht Monaten stellt er seinen kurzzeitigen Freund Brecht in den Schatten. Im Romanischen Café witzelt man "Der Becher geht solange zum Bronnen, bis er brecht". Bronnen kann als erster sich selbst vermarktender Medienautor gelten. Der Dandy mit dem Monokel lässt seinen Roman Barbara La Harr aus dem Filmmilieu im mondänen Magazin Die Dame drucken und wird als Rundfunkangestellter (seit 1928) ein Pionier des Hörspiels. Eine zeitgeistige Wende vollzieht er gleichzeitig mit dem Bekenntnis "Faschist" zu sein, was er auch literarisch mit dem von Tucholsky verrissenen und von Goebbels gelobten oberschlesischen Freikorpsroman O. S. beglaubigt. Zum merkwürdigen Milieu jener hektischen Berliner Jahre gehört auch, dass Bronnen seinem neuen Freund Goebbels die Geliebte ausspannt: 1930 heiratet er die Schauspielerin Olga Förster, die der Berliner Gauleiter aber in der Hochzeitsnacht wieder zu sich zitiert - fünf Jahre später nimmt sie sich das Leben. Da ist der Gatte schon in die Wirren der neuen Herrschaft verstrickt - jedenfalls kein "Wendehals" wie Benn, Heidegger und andere.

1934 wird er auf Betreiben des NS-Ideologen Alfred Rosenberg, einem Intimfeind von Goebbels, aus der "Funkstunde" gefeuert, erhält nach vorübergehender Anstellung als Programmleiter beim neuen Fernsehen zweimal Schreibverbot. Nach der von seiner Mutter erbetenen eidesstattlichen Erklärung, der Jude Bronner sei nicht sein leiblicher Vater, wird er zwar von Goebbels zum Arier "befördert", von der Gestapo aber 1943 mit "Schutzhaft" bedroht. Bronnen konvertiert zum Katholizismus und landet, im letzten Kriegsjahr noch eingezogen, aber wegen Wehrkraftzersetzung verurteilt, schließlich beim kommunistischen Widerstand in Österreich. Fünf Monate amtiert der nun abermals Bekehrte als Bürgermeister von Geisern, fünf Jahre als Kulturredakteur der kommunistischen Neuen Zeit in Linz, anschließend als Chefdramaturg der Wiener Scala.

Einer Einladung Bechers folgend, übersiedelt er 1955 nach Ostberlin, plant mit Exfreund Brecht ein gemeinsames Stück Wir warten nicht auf Godot und wartet vergeblich auf eine Aufführung seiner eigenen Stücke. Das letzte schreibt er 1955. Trotz zunehmender Skepsis versucht der nunmehrige Autor der Berliner Zeitung und des Sonntag mit einem Reportageband Deutschland - Kein Wintermärchen die DDR schönzureden. Als Becher im Oktober 1958 stirbt, verliert der von heimgekehrten Emigranten Beargwöhnte eine schützende Hand. Fast auf den Tag genau ein Jahr später, am 12. Oktober 1959, stirbt auch Bronnen. In den letzten Bildern des Films fährt die Kamera auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof über die Gräber von Brecht, Becher, Seghers, Arnold Zweig und anderer im 20. Jahrhundert Zerrissener auf den einfachen Stein mit der Inschrift: Bronnen.

Kasten und Günther illustrieren das Porträt ihres "Antihelden" mit zeitgenössischen Dokumentaraufnahmen und heutigen Bildern der Schauplätze seines Lebens, lassen die Ehefrauen Hildegard und Renate zu Wort kommen und vor allem seine beiden Töchter. Barbara, als Schriftstellerin 1980 mit einem Buch in Opposition zum Vater, zeigt heute Verständnis und hält vieles von ihm noch für spielbar, aber "kein Regisseur traut sich". Die von ihr nicht genannte Ausnahme ist Frank Castorf mit einer Inszenierung der Rheinischen Rebellen 1992 in der Berliner Volksbühne. Franziska, Schauspielerin, bekennt, viel vom Vater gelernt zu haben und nennt ihn einen "hohen Idealisten", der "mehr Irrtümer gebraucht habe als andere Menschen".

Beider "Schlussworte" weisen über den Film hinaus und geben ihm exemplarische Bedeutung. Barbara meint, man könne in beiden (deutschen) Ländern nichts mit gebrochenen Menschen anfangen und habe ein gebrochenes Verhältnis zum Scheitern, das nicht als zum Leben gehörig empfunden werde, und Franziska hält das chaotische Leben ihres Vaters für "ein Jahrhundertschicksal, aus dem man viel lernen könnte".

Heinz Kersten

Aus: Freitag, 11.12.2002

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