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Symposium in Memoriam Peter Kammerstätter

  • Samstag, 10. Dezember 2005 @ 09:07
Geschichte Unter dem Titel „Geschichte, Macht und Widerstand – In Memoriam Peter Kammerstätter“ veranstaltet die Volkshochschule Linz gemeinsam mit der Arbeiterkammer, mehreren Instituten der Universität Linz und der Kunstuniversität Linz sowie dem Landes- und Stadtarchiv am 4./5. Dezember 2003 im AK-Bildungshaus Jägermayrhof in Linz ein Peter Kammerstätter (1911-1993) anlässlich seines 10. Todestages gewidmetes Symposium, das nach einer Begrüßung durch AK-Präsident Johann Kalliauer mit einem Vortrag des Soziologen Oskar Negt (Universität Hannover) und einem musikalischen Programm von Hans-Peter Falkner am 4. Dezember eröffnet wurde.

Zu Beginn der Tagung am 5. Dezember würdigte VHS-Direktor Hubert Hummer Peter Kammerstätters missionarischen Eifer bei der Aufklärung über den Faschismus und meinte, Kammerstätter habe Bildung als Auftrag verstanden und die Leitsätze „Wissen ist Macht“ und „Bildung macht frei“ als Lebensmotto verstanden. Wie Franz Kain feststellte, hat Kammerstätter in seiner langjährigen Tätigkeit die Methode des „Einkreisens“ angewendet, indem er zunächst mit ZeitzeugInnen selbst und dann mit anderen Personen über sie Gespräche geführt hatte. Kammerstätter war ein Pionier der „oral history“ zu einer Zeit als diese noch kein gängiger Begriff war, gleichzeitig war er ein heimatverbundener Mensch mit einem ausgeprägten sozialen Charakter und eine ausgesprochene Autorität als Zeitzeuge.

Staat – Macht – Widerstand
Das Panel I „Staat – Macht – Widerstand“ wurde vom Meinungsforscher Werner Beutelmeyer (Market-Institut) eröffnet, der zu Beginn feststellte, dass Individualisierung, Ellbogendenken und Egoismus heute die gängigen Einstellungen auch aus der Sicht der Meinungsforschung sind. Es gibt eine Verdrossenheit über PolitikerInnen und Parteien, nicht aber über Politik und Demokratie selbst. Der Verlust von Souveränität zugunsten der EU führt zu Nationalismus. Statt Vertrauen ist das Misstrauen zum Grundtenor der Gesellschaft geworden. Ausdruck dessen sind eine Stimmungsgesellschaft, die zunehmende Zahl von WechselwählerInnen und der Bindungsverlust. Für den Wertewandel definierte Beutelmeyer zwei Achsen: Wohlstand und Wohlfühlen einerseits und Säkularisierung bzw. Hinwendung zur Religion andererseits. Nicht eine Amerikanisierung, sondern eine Schwedisierung in Anlehnung an eine protestantische Ethik ist laut Beutelmeyer für Europa typisch, der in diesen Entwicklungen eine Gefahr für die politischen Systeme sieht.

Bernhard Obermayr (ATTAC) wies darauf hin, dass die Hoffnung auf einen Wandel nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion schnell verflogen ist, es aber entgegen voreiligen Aussagen kein Ende der Geschichte gibt. Die globalisierungskritische Bewegung hat ihren Ausgang mit dem gescheiterten MAI-Abkommen genommen. Die Proteste dieser Bewegung zielen auf die Inbesitznahme des öffentlichen Raumes, aber nicht auf eine gesellschaftliche Änderung durch Revolution, die Machtfrage wird nicht gestellt, vielmehr wird von dieser Bewegung ein „Spaßfaktor“ in die Politik eingebracht. Die Auseinandersetzungen beim Genua-Gipfel haben die Konfrontation des Widerstandes mit dem Staat bzw. der Macht sichtbar gemacht. Die Bewegung fährt zweigleisig durch Mobilisierung auf der Straße und inhaltliche Auseinandersetzung und Entwicklung von Gegenkonzepten.

Der Politikwissenschaftler Reinhold Gärtner (Innsbruck) definierte Demokratie als Gleichheit und bezeichnete den Faschismus bzw. Nationalsozialismus als Antithese zur Demokratie, weil diese dezidiert die Ungleichheit zum Prinzip erhoben haben. Widerstand definierte er als Einsatz illegaler Mittel gegen eine bestehende Gesellschaft, dessen Ziel die Destabilisierung und Veränderung der politischen Ordnung ist. Daher ist es seiner Meinung nach ein Widerspruch, wenn ein Recht auf Widerstand verbrieft ist. Unklar ist für ihn aber die Definition eines Unrechtsstaates bzw. des Widerstandes im Rechtsstaat, etwa als ziviler Ungehorsam. Gärtner beleuchtete das Spannungsfeld zwischen einer idealen Demokratie, in welcher Widerstand überflüssig ist, und totaler Diktatur, in welcher auch der Tyrannenmord gerechtfertigt wird. Er unterschied zwischen individuellem Widerstand für Eigeninteressen und kollektivem Widerstand für Gruppeninteressen.

Oskar Negt (Hannover) wies in seinem Statement darauf hin, dass nur die Finanzströme wirklich globalisiert sind, weil auf 150 $ Finanztransaktionen nur 1 $ Warenhandel kommt, der reale Warenhandel also keineswegs globalisiert ist. Die These, dass durch den freien Handel günstige Preise allen zugute kommen bezeichnete Negt als falsch. Heute sind große Bereiche der Welt, etwa der ganze Kontinent Afrika, vom Handel faktisch abgeschnitten, die Produktivität der Industrieländer erdrückt hingegen die Entwicklungsländer. Noch weniger globalisiert ist die Arbeits- und Erwerbsgesellschaft. Die Globalisierung wird von den Konzernen zur Erpressung verwendet, etwa bei Steuern, Löhnen usw. Daraus resultiert, dass in der Denkweise große Aversion gegen die Globalisierung besteht. Die bewusste Zerstörung des Vertrauens ist das derzeitige Prinzip der kapitalistischen Produktion, indem Mobilität, Konkurrenz und Individualisierung zum Prinzip erhoben und die jederzeitige Verfügbarkeit der Menschen zum obersten Maßstab erhoben werden. Das Vertrauen wird durch betrügerische Strategien und falsche Erwartungen in die Spekulation bewusst zerstört.

Peter Huemer (ehem. ORF-Redakteur) ging in der anschließenden Diskussion auf die Rolle der Gewalt als Transportmittel für die Medien ein und beleuchtete die Debatte über Widerstand gegen Unrechtsstaaten und Opposition in Rechtsstaaten. Der Staat wird seiner Meinung nach durch die Überwachungsmechanismen immer bedrohlicher und gleiches gilt auch für die Wirtschaft. Orwells „1984“ wurde mittlerweile ad absurdum geführt, heute werden Mittel zur Überwachung angewendet, von welchen Hitler oder Stalin nur träumen konnten. Es gibt eine Tendenz zur Distriktsherrschaft durch Warlords, etwa in der 3. Welt, aber auch in Ex-Jugoslawien, bei welcher Staat und Wirtschaft mit der organisierten Kriminalität verschmelzen. Während die restriktiven Funktionen des Staates ausgebaut werden, werden die sozialen Funktionen systematisch abgebaut. Als Reaktion auf die Zerstörung des Vertrauens ortete Huemer nicht Widerstand, sondern Mieselsüchtigkeit, die sich in Populismus, Rassismus und Ressentiments entlädt.

Heimat
Im Panel II „Heimat“ meinte Wolfgang Quatember (Zeitgeschichte-Museum Ebensee) einleitend, dass der Großteil der Menschen von der Globalisierung keine Vorteile, sondern nur Verschlechterungen verspürt. Die Reaktion darauf sind Vorurteile und soziale Verwerfungen, Intoleranz, nationale Selbstgefälligkeit und Ethnozentrismus. Quatember registrierte eine Vermarktung der Regionen. Die PolitikerInnen reden der Globalisierung das Wort und beschwören gleichzeitig Regionalismus und Heimatbewusstsein. Bezugnehmend auf die von Ministerin Gehrer ausgelöste Wertedebatte wies Quatember auf das neokonservative Gesellschaftsmodell hin, das durch die Eckpfeiler Nation, Familie und Leistung gekennzeichnet wird. Einen Ausdruck findet das in Aussagen wie von Vizekanzler Gorbach zum Nationalfeiertag, wonach „Heimat Sicherheit in einer unsicheren Welt“ bietet.

Die Schriftstellerin Petra Nagenkögel (Salzburg) ging aus literarischer Sicht auf den Heimatbegriff ein, der lange nur von den Rechten benutzt, bei den Linken aber verpönt war. Heute wird Heimat vielfach als Gütesiegel für Wirtschaft und Politik verwendet bzw. missbraucht. Die Regisseurin Gerda Grossmann (Berlin) setzte sich ebenfalls aus kultureller Sicht mit dem Thema auseinander und definierte Heimat als Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies und wies zur Relativierung darauf hin, dass nach Kriegsende die Rückkehr vieler zwischen 1938 und 1945 von den Nazis vertriebenen ÖsterreicherInnen, vor allem JüdInnen, in ihre alte Heimat als unerwünscht gesehen wurde.

Michael Genner (Asyl in Not) stellte die Frage, von wessen Heimat gesprochen wird, wenn 9 Prozent der österreichischen Bevölkerung ohne Wahlrecht ist. Er ging auf die Kontinuität der Politik sozialdemokratischer und konservativer Innenminister bei der Verschärfung der Asylpolitik hin. Der Rassismus geht quer durch die Parteien und die politische Landschaft. Einst hat Marx festgestellt, dass die Arbeiter kein Vaterland haben, mittlerweile sind aber die Arbeiterparteien national geworden. Die Spaltung der Arbeiterklasse durch „Fremdarbeiter“ in der Nazi-Ära oder „Gastarbeiter“ seit den 60er Jahren, denen elementare Rechte vorenthalten werden macht dies deutlich. Die EU hat verschiedene Gesichter, einerseits fallen die Grenzen, andererseits werden durch das Schengen-Regime neue Grenzen aufgebaut. Genners Hoffnung ist, dass gegen diese Entwicklung ein „Europa der Zivilgesellschaft“ entsteht.

Der Moderator des Panel II, Reinhard Kannonier (Rektor der Kunstuniversität Linz) meinte, dass der Heimatbegriff nicht regional, sondern kulturell gesehen werden muss, also von Gefühlslagen, politischem Umfeld, Milieu, Werten etc. abhängig ist. Das individuelle Heimatverständnis entspricht nicht dem kollektiven. Das urbane Milieu definiert sich durchwegs nicht als Heimat, vielmehr bleibt der Heimatbegriff nach wie vor hauptsächlich dem ländlichen Raum vorbehalten. Der Begriff Heimat ist sehr stark von Vorstellungen der Romantik aus dem 19. Jahrhundert und einer damit verbundenen Idyllisierung besetzt.

Lernen aus der Geschichte
Im Panel III „Lernen aus der Geschichte“ meinte die Historikerin Brigitte Kepplinger (Linz), dass der Anspruch „Lernen aus der Geschichte“ vielschichtig ist und nicht linear verwendet werden kann. Vielmehr ist kritisch zu hinterfragen, welche Geschichte gemeint ist und was daraus zu lernen sei. Es sind unterschiedliche Interpretationen der Geschichte möglich, geschichtliche Ereignisse unterliegen einer Veränderung ihrer Bewertung. So war in den 70er Jahren die jahrzehntelang weitgehend ignorierte Geschichte der Arbeiterbewegung Schwerpunktthema der HistorikerInnen, in den 80er Jahren verlagerte sich die Thematik auf den antifaschistischen Widerstand. Historische Ereignisse werden teilweise als identitätsstiftende Elemente verwendet, so etwa der Bauernkrieg in Oberösterreich oder die These, dass Österreich ausschließlich Opfer des Faschismus gewesen sei. Die Nutzanwendung ist dabei umso größer, je weniger weit die betreffenden Ereignisse zurückliegen. Kepplinger verwies dazu auf den deutschen Historikerstreit und die Goldhagen-Debatte.

Wolfgang Neugebauer (DÖW) bezeichnete Peter Kammerstätter als Pionier der „oral history“ und verwies auf die pädagogische Funktion der Geschichtswissenschaft, die bereits mit der Themenstellung beginnt. Geschichtliche Ereignisse können nicht nur ökonomisch und politisch, sondern müssen auch moralisch bewertet werden, etwa durch die persönliche Verantwortung der Täter für Verbrechen in der NS-Ära. Eine politische Instrumentalisierung der Zeitgeschichte gibt es durch jedes System, in Diktaturen ist diese extrem, aber auch in Demokratien findet diese statt. Eine Unabhängigkeit der Geschichtswissenschaft gibt es nicht, Abhängigkeit entsteht durch Förderungen, egal ob durch staatliche oder durch private. Eine besondere Bedeutung hat die Zeitgeschichte bei aktuellen Debatten, wie in jüngster Zeit Reder, Waldheim, diverse Haider-Äußerungen oder die Restitution. Die Sparpolitik der Regierung engt die Forschungen ein. Betont wurde von Neugebauer die notwendige Differenzierung zwischen Austro- und Nazifaschismus.

Der Historiker Gerhart Marckhgott (OÖ Landesarchiv) sieht aus der Sicht des Landesarchivs zwei Geschichtswelten, einerseits eher jüngere HistorikerInnen die sich mit der Zeitgeschichte auseinandersetzen, andererseits traditionelle HeimatforscherInnen, meist im Pensionsalter. Der Begriff Heimat hängt seiner Meinung nach stark mit der Geschichte zusammen und ist mit einem Lernprozess im jeweiligen Umfeld verbunden. Der Rückgang der Bedeutung der Zeitgeschichte hat ökonomische und politische Gründe, hängt aber auch mit sinkendem Interesse zusammen. Die Vermittlung der Geschichte erfolgt durch Schule, Literatur und eigene Beschäftigung damit. Marckhgott sieht keine direkte Nutzanwendung, betont aber die Entwicklung eigener Wertmaßstäbe. Er hofft auf darauf, dass ZeitgeschichtlerInnen und HeimatforscherInnen zum gegenseitigen Nutzen aufeinander zugehen. Eine Chance zur Entfaltung sieht er in der Digitalisierung der historischen Erkenntnisse durch deren Präsenz im Internet, wobei allerdings der Nachteil die gleichzeitige zunehmende Unkontrollierbarkeit ist.

Auch der Moderator Hans Hautmann (Linz) wies bei der Diskussion zu diesem Themenblock auf die sich zunehmend verengenden Rahmenbedingungen für die Zeitgeschichte hin, wie sie durch das von der Regierung den Universitäten aufgezwungene Sparprogramm oder die Umstrukturierung der Ludwig-Boltzmann-Institute deutlich wird.

Leo Furtlehner

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